23 - Business As Usual {{ currentPage ? currentPage.title : "" }}

Dienstag, 22.08.2062

 

Meryl landet ein Segelflugzeug auf einer Wüstenpiste, denn sie nimmt Flugstunden, weil sie sich fortbilden und vielseitiger arbeiten können möchte. Sie erhält einen Anruf von Melody Little, die sich als Mutter von Chance Little (auf der Straße Chicken Little genannt) herausstellt, der wiederum ein alter Kumpel von Meryl ist, den sie aber aus den Augen verloren hat. Erschrocken nimmt sie zur Kenntnis, dass Chicken Little vor einer Woche gestorben ist. Melody bittet Meryl, sie in Pasadena zu besuchen.

 

Meryl stellt fest, dass Chicken Little offenbar aus gutem Hause kam, das ist eine ordentliche Gegend, und auch das Apartment demonstriert bescheidenen Wohlstand. Von Melody erfährt Meryl, dass sich Chance auch von seiner Mutter entfremdet hat, sie hatten das letzte Mal vor über einem halben Jahr miteinander gesprochen. Autos waren von kleinauf Chances Leben, und Melody war immer gegen sein gefährliches Hobby, das er letztlich zum Beruf machte, nachdem er sich eine FSE einsetzen ließ – sie wollte, dass er "etwas Vernünftiges" macht, dann hätte sie ihn auch finanziell unterstützt. Vor einer Woche wurde er (nicht eingestöpselt) in seinem Autowrack gefunden, das einen Abhang hinabgestürzt war, die Obduktion erbrachte keine Hinweise auf Alkohol oder Drogen, es gab aber auch keinen Unfall mit anderen Beteiligten. Obwohl Chance ein sehr guter Autofahrer war – er fuhr Rennen und Demolition Derbies, woher Meryl ihn auch kannte –, soll er ganz allein ohne Fremdeinwirkung über Stock und Stein bis zur Böschung gefahren sein, um dann in die Tiefe zu stürzen? Die Polizei (gewohnt faul und inkompetent außerhalb der Konzernenklaven) hat den Fall jedoch abgeschlossen, und auch wenn es Melody gut geht: Reich ist sie nicht und hat somit auch keinen Einfluss.

 

Nun erhielt Melody plötzlich die Auszahlung einer Lebensversicherung über ¥ 200.000, die Chance offenbar für sie abgeschlossen hat. Er war Demolition-Derby-Fahrer, der von seinem eigenen Geld lebte, also wie hat er sich diese Police bei seinem erhöhtem Gefahrenpotenzial leisten können?

 

Melody hat leider keine Ahnung, wo Chance zuletzt lebte. Meryl weiß aber, dass morgen wieder ein Demolition Derby stattfindet, also wird sie sich dort mal umhören.

 

Montag, 21.08.2062

 

Jack und Chandra sind inzwischen erneut umgezogen, denn Jack macht jeden Monat Miese. Affiliated Artists hat Persephones Zusage trotz Jacks guter Vorarbeit nicht bekommen (was, wie Estella betonte, nicht Jacks Schuld war, sondern am Ende eine Preisfrage – aber bei den Execs bleibt halt "Er sollte dafür sorgen, und es hat nicht geklappt" hängen), und die Sache mit Star hat ihn doppelt beschädigt: Er ist nicht mehr mit von der Partie, wenn Ghost Leute braucht, vernünftige Aufträge landen nicht bei Jack, und mit den kleinen, die ihm Bono oder Cisco zuschanzen, kann er die laufenden Kosten nicht decken. Obendrein ist Star nun auch weg, weshalb er auch nicht wenigstens an ihren Aufträgen teilhaben kann.

 

Kitsune ist auf dem Weg ins Krankenhaus, um Dashiell Spade zu besuchen, als sie einen Anruf von Scandal erhält: Fulvia Elswit, eine High-Class-Hostess und persönliche Freundin von beiden, ist spurlos verschwunden. Scandal versucht seit gestern, sie zu erreichen, aber sie liest keine Nachrichten, und Anrufe landen sofort auf der Mailbox. Also hat Scandal im Freundeskreis herumgefragt, aber niemand hat sie seit vorgestern Nachmittag gesehen oder von ihr gehört, und sie hat gestern Termine verpasst – das ist für Fulvia komplett untypisch. Kit ist sofort alarmiert und befürchtet, dass Fulvia an den falschen Kunden geraten ist. Angel geht nicht ran, also bittet sie T-Byrd darum, Fulvias Haussystem auf links zu drehen, zahlt ohne zu murren und gibt ihm Nummer und Adresse.

 

Danach besucht sie Dash. Er wurde recht übel zugerichtet und klagt ihr sein Leid: Dash hat im Auftrag des kleinen Plattenlabels WizWax das Ehepaar Sprague beschattet, das für dieses arbeitete, weil WizWax es verdächtigte, Informationen an die Konkurrenz weiterzugeben. Obwohl es im südlichen Plex wohnte, verfolgte Dash das Ehepaar nördlich nach San Fernando, wo es abends im Buena Vista Inn eincheckte. Am Morgen war es jedoch spurlos verschwunden, obwohl das Auto noch auf dem Parkplatz stand. Dashs Auftraggeberin erklärte den Auftrag damit für abgeschlossen.

 

Am Freitagmorgen wurde Dash überraschend von der Polizei vorgeladen. Der elfische "Hellseher" Cassander Banks, der schon an ein paar Kriminalfällen mitgewirkt und sich so in der lokalen Öffentlichkeit einen Namen gemacht hat, hat dem Captain gesteckt, dass Dash bei seiner Aussage Informationen zurückgehalten habe, und behauptet unter anderem, Dash habe mit dem Ehepaar gesprochen, anstatt es nur zu beschatten, und Informationen aus erster Hand erhalten, die er der Polizei vorenthalte. Dash bestreitet das. Am Samstag stand er daraufhin mit Banks Anschuldigung in der lokalen Presse – das kann ein Privatdetektiv nun wirklich nicht gebrauchen. Damit nicht genug: Gestern Abend ging er zu seinem Auto, wo ihm aber drei Orks auflauerten, ihn niederschlugen und in die Mangel nahmen, denn auch die hatten die Screamsheets gelesen. Sie fragten Dash immer wieder, wo der Stoff oder das Geld abgeblieben sei – wenn selbst die Cops glauben, dass Dash etwas weiß, was sollen sie dann denken? Glücklicherweise fuhr ein Streifenwagen vorbei, und die Orks ergriffen die Flucht, aber Dash war übel zugerichtet. Der Captain, der Banks aus der Hand frisst, hält Dash nun für einen Verdächtigen, und vom Krankenbett aus kann der Zwerg nichts unternehmen, um seinen Namen aus den Screamsheets rauszubekommen. Kit ist ihm einige Gefallen schuldig und sagt ihre Hilfe zu.

 

Als sie das Krankenhaus wieder verlässt, kommt bereits T-Byrds Rückmeldung rein: Das letzte Update zwischen Fulvias Haussystem und Kommlink fand am Samstag um 16:08 Uhr statt, Fulvia war also vorgestern Nachmittag das letzte Mal zu Hause. Ihr Terminkalender sah für Samstagabend eine Privatparty im mondänen Privatclub Victoria's vor, für die ein Mr. Charney im Voraus bezahlt hat. Alle weiteren Termine seitdem sind nicht abgehakt worden. Kit fährt nach Hause, um sich umzuziehen, und ruft von unterwegs zuerst Dash an, ob es okay wäre, wenn sie sein Anliegen in andere fähige Hände abgibt, und danach Jack. Da dieser ihr noch einen Gefallen für kleinere Aufträge schuldet, die sie an ihn abgetreten hat, setzt sie ihn auf die Sache an.

 

Meryl besucht das Demolition Derby, trifft auch ein paar Bekannte, unterhält sich hier und dort und bekommt schließlich Chicken Littles Adresse heraus, wo ihn ein Kumpel mal abgeholt hat.

 

Jack besucht WizWax und bekommt mit dem Verweis auf das tote Ehepaar ein paar Minuten mit der Chefin Delilah Markoff, die er mit dem Hinweis konfrontiert, dass die Spragues mit Drogen zu tun gehabt haben könnten. Die extravagante Orkin lässt ihre Assistentin Jack auf Bugs oder ein auf Aufnahme geschaltetes Kommlink checken und gibt dann frei heraus zu, dass die Spragues mit dem Drogenhandel betraut waren: Nova Coke heran- und zu den Empfängern zu schaffen.

 

Delilah: Nova coke is the lubricant that keeps the wheel turning. You gotta hand it to the artists so they can churn out songs, you gotta hand it to the engineers so they can stay up long enough to produce something worth listening to, you gotta give it to the jocks if your wax is gonna get any airplay – it's standard procedure.

Jack: Why wouldn't you share this gen with Mr. Spade when you hired him to tail the Spragues?

Delilah: Didn't concern him then.

Jack: I believe you know more than you're telling me.

Delilah: It's like what Waxmeister Teddy X says, right? When you believe in things you don't understand, then you suffer. Shine on!

 

Kit hat unterwegs gelesen, dass das Victoria's erst abends öffnet, und fährt also erst mal zu Fulvias Apartment. T-Byrd öffnet die Tür per Fernzugriff, aber alles sieht ganz normal aus, nichts Auffälliges sticht hervor, die Putzdrohnen verrichten leise ihre Arbeit, das Bett ist gemacht.

 

Meryl sucht das Apartment auf, das Chicken Little bewohnt haben soll, liest aber an der Tür: J. Szymczyk. Sie klingelt, eine junge Frau öffnet, Meryl fragt nach Chance "Chicken" Little und zeigt ihr in der AR auch ein Bild, aber die Frau meint, sie kenne ihn nicht. Auf Meryls Frage, wie ihr Name ausgesprochen wird, antwortet sie: "Zimzik."

 

Jack hat sich unterwegs über Cassander Banks schlau gemacht und wartet nun vor dem Polizeirevier, in dem der Captain und Cassander gerade eine Pressekonferenz geben.

 

Meryl hat derweil Lee angerufen und ihn gefragt, ob er ihr ein bisschen helfen möchte. Gemeinsam fahren sie zu der kleinen Versicherungsklitsche, bei der Chicken Little seine Police abgeschlossen hatte. Sie stellen sich als Freunde der Familie vor, und Meryl lässt den Makler Julian Jablonski die Datei öffnen, aber aus Datenschutzgründen darf er natürlich keine Auskünfte erteilen. Die Hauptsache ist aber, dass die Datei offen ist, so dass Lee, während Meryl Jablonskis Aufmerksamkeit bündelt, in der AR darin herumstöbern kann. Er sieht, dass die Police bereits vor drei Monaten abgeschlossen wurde, und erst letzte Woche wurde ein "contingency beneficiary" (ein nachrangiger Begünstigter, sollte der ursprüngliche Begünstigte zum Auszahlungszeitpunkt verstorben sein) eingetragen wurde: Jeannie Szymczyk. Das schreibt er Meryl wiederum in der AR, so dass sie das Gespräch in die entsprechende Richtung lenken und sich nach "Jeannie Zimzik" erkundigen kann, ob die denn möglicherweise ebenfalls in die Police eingetragen sei. Jablonski, selbst polnischer Herkunft, berichtigt sie: Die korrekte Aussprache lautet "Simzik".

 

Gemeinsam mit Lee fährt Meryl also erneut zu Chicken Littles Adresse, und erneut öffnet die junge Frau. Sie droht, die Polizei zu holen, wenn die Belästigung nicht aufhört, aber Meryl konfrontiert sie mit ihrem Namen in Chicken Littles Police. Nun gibt Jeannie zu, dass sie Chances Freundin ist. Offenbar weiß sie noch nichts von seinem Tod. Lee stöbert derweil unauffällig in der AR und nimmt alle AROs unter die Lupe: nichts Ungewöhnliches. Meryl fühlt Jeannie auf den Zahn: Chance drehe wohl hin und wieder ein paar Dinger und habe Jeannie daher instruiert, vorzugeben, von nichts zu wissen, wenn Fremde sie nach ihm oder seinen Angelegenheiten fragen. Meryl fragt, ob sie sich mal umsehen dürfe, ob irgendetwas darauf hinweist, was er zuletzt so getrieben hat, und Jeannie ist dabei offenbar unwohl, und sie sucht nach einem Grund, abzulehnen, aber Meryl bedankt sich und legt schon los. Jeannie zeigt ihr Chances Schränke, doch außer Klamotten und Alltagskrempel findet sich nichts Interessantes – bis auf ein Holo im hübschen Rahmen, das ihn und seine Mutter zeigt, ein Bild aus glücklicheren Tagen, das auf seinem Nachttisch steht. Das steckt Meryl für Melody ein. Zum Abschied fragt Meryl noch beim Hinausgehen: "Oh, by the way, isn't it Simzik? You know, instead of Zimzik?") Jeannies ratlose Reaktion zeigt ihr, dass sie wie so viele andere auch eine falsche ID benutzt. Und Meryl kann es nicht beschwören, aber sie hat das Gefühl, Jeannie hat Angst.

 

Lee hat Jeannies Kommlink mit seinen Marken belegt und bekommt ihren Anruf mit, während er und Meryl noch nicht mal den Fahrstuhl erreicht haben. Der Anruf geht an eine Nummer, unter der sich ein Mann meldet, ohne seinen Namen zu nennen. Jeannie berichtet nervös von dem Besuch und der Police, von der sie nichts wusste, und der Mann meint nur, sie solle sich beruhigen, das sei kein Grund zur Besorgnis. Lee kann daraus entnehmen, dass die Liebelei für Jeannie nichts Besonderes war und dass sie nun erschrocken ist, dass sie für Chance offenbar viel ernster war – warum musste dieser Idiot sie jetzt plötzlich aktenkundig machen?

 

Auf der Rückfahrt via Autopilot betrachtet Meryl melancholisch das Bild – es wurde in einer Zeit aufgenommen, in der auch sie noch viel Kontakt zu Chicken Little hatte. Immerhin: Ein kleines Mitbringsel als Trost für Melody. Nun fällt ihr aber auf, wie ungleichmäßig sich der Rahmen anfühlt. Sie bastelt mit einem Schraubenzieher herum, und in der Tat wurde ein Chip zwischen Bildrücken und Holo deponiert, und er trägt den Aufdruck von Axis Holdings. Lee steckt ihn sogleich ein: Er wurde offenbar wirklich von der Bank Axis Holdings ausgestellt und beinhaltet den Zugang für ein EDC-Schließfach (Executive Depositors Club, was auf mehr als Kleingeld hinweist). Sie selbst kommen da nicht heran, aber die Mutter mit der Sterbeurkunde schon. Meryl setzt Lee also ab und fährt weiter nach Pasadena.

 

Jack hat ewig lange gewartet, bis der theatralische "Hellseher" Cassander endlich das Revier verließ und wegfuhr. Jack hat sich an ihn drangehängt und gehofft, dass er unauffällig genug fährt, um nicht aufzufallen. Tatsächlich schafft er es, Cassander bis nach Century City, Westside, zu einem schicken Apartmenthaus zu verfolgen, verliert ihn aber vor der Tiefgarage, da sie Jacks Wagen natürlich nicht einlässt.

 

Mit Meryl betritt Melody die Axis-Holdings-Filiale, erledigt die Bürokratie und wird zum Schließfach gebracht, das der Chip öffnet. Darin liegen einige Checksticks und vier unterschiedliche Kommlinks des mittleren Preissegments. Die Checksticks werden überprüft: Sie wurden alle von der Springfield York Insurance Company aufgeladen. Meryl bietet an, die Kommlinks überprüfen zu lassen. Sie fährt also zu Lee nach Hause, muss dort aber auf ihn warten, weil er auch selber einige Erledigungen zu machen hat, um über die Runden zu kommen.

 

Endlich öffnet das Victoria's, und Kit sieht im Lederkleid atemberaubend aus. Von innen ist dem gediegenen kleinen Club die Exklusivität gar nicht anzusehen, er setzt auf altmodische Einfachheit und hebt sich dadurch ab. Jedoch kommt Kit nur in den Vorraum mit einer kleinen Bar, der als Wartebereich für jene dient, die nicht reindürfen. Sie bemüht sich – für ihre eher kühlen Verhältnisse sogar sehr charmant – um eine Mitgliedschaft, aber ohne Bürgen ist da leider nichts zu machen. Auch wenn sie nicht allein ist, weil noch jemand am Tresen sitzt, versucht sie es dennoch mit Bestechung, aber der Barkeeper wird vermutlich überwacht und bleibt eisern.

 

Ratlos tritt Kit wieder ins Freie, aber der Gentleman, der eben noch am Tresen saß, folgt ihr – ein mit sehr angenehm ruhiger Stimme sprechender gut aussehender Schwarzer im schicken Anzug, der ihr seine Marke zeigt: Agent Thomas Coombs (Jesse Williams), Winter Systems. Das Unternehmen ist Kit ein Begriff – die meisten kennen es als Waffenhersteller, doch nicht jeder weiß, dass Winter Systems auch als Sicherheitsfirma fungiert: Personal, Beratung, komplette Systeme, aber auch Ermittlungen. Sie erinnert sich, dass Anfang dieses Jahres in den News kam, dass sich Winter Systems seit der Annexion durch Pueblo hier haben lizensieren lassen, um auch detektivische Aufgaben zu übernehmen. Agent Coombs möchte nun wissen, warum die hübsche Japanerin es mit einer Mitgliedschaft ohne Bürgen so eilig hatte. Kit präsentiert ihm eine offensichtliche Lüge á la "Geht dich gar nichts an", aber Coombs fragt ruhig, ob sie vielleicht jemanden suche. Okay, das kann sie nicht ignorieren.

 

Kit: Say I did. Say the first name began with an F.

Coombs: Say the last name began with an E.

 

Die beiden sehen sich kurz an, und Kit nimmt ihn mit zu ihrem Auto, um ungestört reden zu können. Sie gesteht, dass Fulvia eine persönliche Freundin von ihr ist und sie weder Zeit noch Lust hat, darauf zu warten, dass die Polizei die Vermisstenanzeige für eine Hostess ernst nimmt. Coombs gibt zu, dass er nicht in offizieller Funktion hier ist – er ist mit jemandem befreundet, der sich ebenfalls um Fulvias Verschwinden sorgt. Offensichtlich haben ihre Spuren beide hierher geführt, also einigen sie sich darauf, ihre Erkenntnisse zu vergleichen. Coombs kennt keine Namen, weiß aber, dass die Privatparty eine für Lockheed-Funktionäre war, die etwas Besonderes zu feiern hatten. Kit wiederum steuert den Namen Charney bei, und eine Online-Suche ergibt: Alfonso Charney, mittleres Management bei Lockheed – eine Konzerndrohne mit etwas mehr Geld und etwas mehr Verantwortung, aber ebenso ersetzbar wie alle anderen auch.

 

Damit er weiß, wie er sie ansprechen soll, stellt sie sich als Kitsune vor und bemerkt, dass Coombs fließend Japanisch spricht (weil er zuvor jahrelang für Nitama Security Services tätig war, bevor Winter Systems ihn abwarb, aber das geht sie nichts an). Er hat vor, seinen ursprünglichen Plan auszuführen, bevor Kit hereinplatzte: Da sein fachmännischer Blick erkannt hat, wo die nahezu unsichtbaren Kameras angebracht sind, hat er vor, den Barkeeper beim Bezahlen mit einer Nachricht auf dem Kommlink (so auf den Tresen gelegt, dass der Winkel der Kamera keine Draufsicht gewährt) mit dem Versprechen einer Bezahlung zum Hintereingang zu bestellen, weil er sich dort zuvor umgesehen und festgestellt hat, dass die Hinterhofkamera defekt ist.

 

Gesagt, getan, er trinkt etwas, während sich Kit im Wagen umzieht, zahlt und gesellt sich im Hinterhof zu Kit. Nach 20 Minuten taucht der Barkeeper auf und meint, er habe am Wochenende frei gehabt, habe aber gehört, dass die Party im Privatzimmer mit mehreren Huren wohl etwas... aus dem Ruder gelaufen sei. Es habe einen Unfall gegeben, aber der Club hat strengstes Stillschweigen verordnet. Für einen Bonus verrät er den beiden die Namen von zwei Huren, die dabei waren und öfter im Victoria's verkehren – absolut keine Gossenratten, aber auch nicht auf Fulvia's Level.

 

Jack hat ein paar Stunden gewartet, bis er sicher ist, dass Cassander hier nicht nur einen Besuch macht, und weiß nun wenigstens, wo er wohnt. Er ist hin- und hergerissen, ob er noch weiter warten soll in der Hoffnung, dass Cassander noch irgendwohin fährt, wo er ihn abfangen kann. Während ein Anruf eingeht, sieht der Zuschauer die ganze Zeit eine an die Windschutzscheibe geworfene Boulevardreportage über eine neie Girlband namens As You Do!, die gerade schwer im Kommen ist.

 

Kit und Coombs telefonieren herum, und es gelingt ihnen, im Stars eine der Huren ausfindig zu machen. Sie ist ganz klar eingeschüchtert und rückt erst, als Kit Druck ausübt, damit heraus, dass die Execs alkoholisiert und auf Drogen furchtbar abgegangen sind, allen voran Charney, und aus der "Party" wurde eine extrem brutale Vergewaltigung. Danach war Fulvia so übel zugerichtet, dass sie nicht mehr zu Bewusstsein zu kriegen war, und ihre Headware schien durch einen harten Schlag, der ihr den Kiefer brach, schwer beschädigt worden zu sein. Normalerweise – ja, das kommt öfter vor – werden solche Fälle zu Fingers gebracht, einem richtig versifften Straßendoc.

 

Jack erhält einen Anruf von Vanessa "Brad" Braddock, der sehr unansehnlichen und unangenehmen Lebensgefährtin von Bono. Aufgelöst beklagt sie, dass Bono wie vom Erdboden verschluckt ist. Sie weiß nahezu immer, wo er ist, aber heute Mittag verschwand er spurlos, und seitdem ist sein Kommlink aus – auch das passt nicht zu ihm, da er immer erreichbar sein will. Sie hat schon viele Kontakte befragt, aber keiner weiß, wo er abgeblieben ist. Jack hakt nach, ob sie eine Ahnung hat, wohin er zuletzt wollte. Nein, er habe nur eine Mail erhalten, "This fucking peacock!" gemurmelt und sei losgefahren. Brad verspricht ihm einen Tausender, wenn sie Bono zurückbekommt, und zahlt ¥ 200 an.

 

Jack kennt niemanden, den Brad noch nicht selbst gefragt haben würde, aber er ist auf Bonos Aufträge angewiesen, um sich über Wasser zu halten, und auch diese Bezahlung kann er gut gebrauchen. Es bleibt nur noch einer, der Bono sehr gut kennt, aber seit Jahren kaum noch etwas mit ihm zu tun hat: Ghost. Also bricht Jack die Beschattung ab und fährt los.

 

Mit Kits Kontakten war es nicht schwer, Fingers "Klinik" zu finden (CP 2077, FTP Jig-Jig Street). Coombs ist ähnlich gut vorbereitet wie sie, denn auch er zieht sich in seinem Wagen um, denn mit seinem Anzug wäre er hier im Rotlichtviertel Hackfleisch. Fingers' Haus wird von japanischen Gangern bewacht, aber Kit gibt sich japanisch-befehlsgewohnt und kann ihnen glaubwürdig vormachen, hier etwas zu suchen zu haben. Sie gehen das dreckige Treppenhaus hoch, drängeln sich im Wartezimmer kurzerhand vor und platzen bei dem unsagbar schmierigen, ekligen Straßendoc rein.

 

Kit: These girls in the waiting area. Do they know you're chipping faulty implants?

Fingers: You say so. I say they're the very best I can find. Primo quality.

Kit: Looking for a woman called Fulvia. Need to know where she is.

Fingers: Step into my office, please. (Er geht an seinen Schreibtisch.) Many girls come through here. So many. I'm more than a chop-doc, but you can't ask of me to remember every single one.

Kit: You went jittery as soon as I mentioned her name. I know you remember her.

Fingers: I have a neurological condition. Not easy living with tics. Really, I'd love to help if I only knew who you're talking about.

Coombs (setzt sich, während er sein Kommlink durchsucht): What about your logs? Gotta have some kind of record.

Fingers: Tech like this you don't register, don't put any names down for it.

Coombs: Green bobsleigh, about five feet ten (1,77 m), slim build, large breasts, strikingly pretty. (Er zeigt ihm ein Holo auf dem Kommlink.) Word is, a guy called Charney introduced her to you.

Fingers: Oh, this one. Introduced? Interesting choice of words. Rolled her in on a gurney, more like. She was out of it. The way she was battered, I honestly couldn't believe she wasn't dead.

Kit: You paid him for her? What good was she to you?

Fingers (lacht leise): You're mistaken, dear. First of all, he didn't introduce hinself. Second, he offered to pay me to take her off his hands. Unfortunately I couldn't re-jig her implant. Instruction register on her chip was burned to a crisp. Tried replacing it. Nothing.

Kit: What'd you do to her?

Coombs: Fingers, the quicker you spill, the shorter you'll have to deal with us, wakarimasu ka?

Fingers (sieht zwischen beiden hin und her): I did what anyone in my place would do, okay? When I realized I wouldn't be able to patch her up, I called my fixer. Wouldn't you? Two guys came and picked her up the same day.

Kit: You pawned her off like she was some fucking inanimate mannequin.

Fingers: But that's exactly what she was. Her brain was pretty much fried.

Coombs (steht auf, um einen Arm zwischen Kit und Fingers zu strecken, als diese sich bewegt): Fingers, if you don't give me something I can work with, I'm not sure I can keep her from doing something to you you can't just walk off.

Fingers: Haven't the faintest where they took her. Mentioned something about dreamchips with... a moth, of all things. Said she'd be perfect for them, whatever that means. But that's really all I know. Scout's honor.

 

Lee kommt nach Hause und knackt die Kommlinks: Sie haben wie erwartet alle dieselben biometrischen Daten und dasselbe Foto – natürlich von Chicken Little –, aber es sind unterschiedliche IDs. Die jeweiligen Kontostände sind allesamt recht niedrig, die Mail- und Anrufspeicher sind leer. Es bleibt nur noch eine Spur: die Springfield York Insurance Company. Meryl und Lee kennen beide niemanden, der mehr darüber herausfinden könnte. Auf gut Glück ruft Meryl Angel an.

 

Der steht gerade in seiner Küche und kocht gemeinsam mit Benita, wobei wir den sonst so kaltschnäuzigen, toughen und abweisenden Ork, der jeden auf mindestens einer Armlänge Abstand hält, sehr umgänglich erleben. Als Meryl ihn fragt, ob er etwas über diese Versicherung herausfinden könnte, fragt er sofort, warum. Meryl erklärt es in gröbsten Zügen, und Angel erwidert, sie soll die Sache ruhen lassen und Mrs. Little dringend dasselbe raten. Weiterzugraben brächte niemandem etwas – Mrs. Little am allerwenigsten. Damit beendet er das Gespräch.

 

Meryl überlegt: Laut ihrer Online-Recherche ist Springfield York ein mittleres Versicherungsunternehmen wie tausend andere auch, aber wenn Angel so nachdrücklich abrät und Mrs. Littles Tod in Aussicht stellt, muss ein Syndikat dahinterstecken, und da er sofort Bescheid wusste, also den Namen dieses Unternehmens zweifelsfrei kannte, können es nur die Larragas sein. Das Bild ist inzwischen ohnehin deutlich geworden: Chicken Little verdiente sich ein stattliches Zubrot, für das er offenbar mehrere IDs benötigte. Vielleicht hat er für die Larragas Autos verschoben, Drogentransporte organisiert, Organe geschmuggelt, vielleicht war er auch in den milliardenschweren ID-Handel verstrickt, was auch immer. Vielleicht wusste er zu viel, vielleicht wollte er aussteigen, vielleicht standen die Cops kurz davor, ihn zu schnappen, und vielleicht war die Polizei nach seinem "Unfall" wirklich nur zu faul wie immer, oder vielleicht war sie auch so korrupt wie immer, und ein Mafiosi hat dafür gesorgt, dass nicht weiter ermittelt wird. Meryl denkt laut nach, und auch Lee rät ihr, Melody zu empfehlen, den Tod ihres Sohnes zu akzeptieren. Lebendig wird er durch die Aufklärung des Mordes an ihm nicht, und wer auch immer es war, tat es nur im Auftrag. An den, der Chances Tod befahl, wird niemand herankommen.

 

Kitsune und Coombs stehen draußen, und die aufgewühlte Japanerin muss durchatmen. Dies ist einer der seltenen Fälle, in der die sonst so beherrschte Kit so erschüttert ist, dass die die Fassung zu verlieren droht – das ist ihr das letzte Mal angesichts der Menschenversuche von Omega Fractal in THE VANISHED passiert. Hier ist es Coombs, der ganz ruhig auf sie einwirkt.

 

Kit: This market's looking for every kind of fetish out there. It's cavernous. A BTL outfit would be on the move almost constantly. Makes them harder to sting.

Coombs: Need to figure out where they're scrolling this drek. Gotta be a rat-hole of some sort, doubt they do much shooting on location.

Kit: They have to be fucking idiots to leave a clue.

Coombs: Everyone, everything leaves a trace behind. Just need to know where to start. Look, Kitsune, losing our cool won't do us any favors. It's a waste of time.

Kit: Oh, I'm cool. Real cool with the fact that Fulvia's probably already dead.

Coombs: You don't know that. And I'm sure as hell not gonna squander precious minutes we could spend looking. Are you giving up – or are you in?

Kit (strafft sich): Let's go.

 

Jack kann Ghost nicht anrufen (so oder so würde Ghost nicht mit ihm reden, und der letzte Kontakt ist zu lange her, als dass er die Nummer inzwischen nicht mindestens zweimal gewechselt hätte), also sucht er einen Hangout der Forty Thieves auf, wo man nicht gerade erfreut ist, ihn zu sehen. Er erklärt Lilac und Princess die Situation, aber beide sind nicht bereit, sich in die Nesseln zu setzen. Im Hintergrund ruft Spirit Ghost an, fragt ihn, wo er ist, meint, er werde gleich mal vorbeikommen, und gibt Jack die Adresse. Der bedankt sich mit einem zögerlichen Nicken, ist ihm doch klar, dass Spirit Ghost nur eine Gelegenheit geben will, Jack eine Abreibung zu verpassen. Dementsprechend wundert es ihn nicht, dass sich einige Thieves zusammenrotten und seinem Wagen folgen – nur für den Fall, dass es eine Show gibt, die man im Nachhinein nicht verpasst haben möchte.

 

Kit und Coombs telefonieren jeweils alle möglichen Kontakte durch.

 

Ghost spielt im gelben Sodiumlicht der Straßenlaternen auf einem vermüllten Court Basketball mit ein paar Straßenkids, als Jack auftaucht. Auch einige Thieves versammeln sich hinter dem Maschendrahtzaun.

 

Jack: Wait! Before you waste me, let me say my piece, okay?

Ghost (balanciert den Ball auf einem Finger): What do you want?

Jack: Bono's missing. Disappeared without a trace. Nobody knows anything, Brad's worried out of her mind. Now, I realize nobody in Bono's orbit gets the full picture, they're small-time, all of them. If he's in trouble with, say, a big shot from East L.A. or whatever, they'll be the last to know. But you're in the loop, you know him and you got the better perspective from farther away, so maybe...

Ghost: Try East Los. Saying East L.A. makes you sound even more corpo than usual. (Er redet total ruhig, wirft Jack aber den Ball so hart zu, dass dieser ihn zwar fängt, aber einen halben Schritt zurücktaumelt.)

Jack: Come on. The guy's in trouble. (Er wirft Ghost den Ball locker zurück.)

Ghost: A year ago I would've helped you, no second thoughts, no questions asked. But things are a bit different these days, aren't they? (Erneut wirft er den Ball extrem hart.)

Jack (behält den Ball): This isn't about me, this is about Bono!

Ghost: So that's your strategy? Acting selfless, appealing to my conscience? This isn't about making sure the small-time gigs keep coming? (Jack sieht ertappt aus.) What? You think I don't know?

Jack (sieht vage zu den "Zuschauern", legt sachte den Ball auf den Boden und kommt Ghost sehr langsam näher, als ob er abtastet, wie nahe er kommen kann): Look, Ghost... I know this is fucked up. I know. But... can we do this without spectators?

Ghost: Got nothing to hide. What about you?

Jack kann seine Nervosität nicht verbergen, denn nur im Unterhemd sieht Ghost noch muskulöser und bedrohlicher aus als ohnehin schon. Jack nickt und zieht sich langsam zurück.

Ghost: Any pointers?

Jack (dreht sich wieder um): So you do wanna help him?

Ghost: Maybe. If I'm gonna do it, I'm gonna do it without you, that's for sure.

Jack: No, no, no. I promised.

Ghost: So don't tell me. Just don't expect me to find him, then.

Jack: What the f—You know what? No.

Ghost: Suit yourself.

Jack: So you're leaving Bono high and dry because of your beef with me?

Ghost: I got no dog in this fight, you want him found.

Jack: I'm not gonna delegate this drek, I gave my word!

Ghost: Rediscovering your decency, huh?

Jack: Fuck you! I didn't— (Er unterbricht sich selbst und atmet durch.) Ghost, I need this.

Ghost: And why would I do you any favors?

Jack (nickt grimmig): Tell you what. I got some gen. Probably means nothing, but if it does, I don't know what to do with it. On the off chance that you do... You're itching to kick my ass anyway. Beat it out of me. If I manage to keep my mouth shut for a minute, I'm in.

Ghost (mitleidig schnaubend): I need two seconds to flatline you. What am I supposed to do to you in a minute that you can still walk away from? 'cause that seems to be your plan. Want me to get my hands tied behind my back?

Jack: Sure. If that makes you feel better about yourself.

Ghost: No dice. Give me the gen or don't. You do, I'm gonna go look for him. You don't... bad luck Bono. Your call.

Jack: You're enjoying this, aren't you?

Ghost: Not really.

Jack (hebt aufgebend die Hände): Fine. When Bono got a call, he cussed about someone he thought was a fucking peacock. Seems to point to somebody posh. That's all I got. Good luck.

 

Er geht, aber als er sieht, dass Ghosts Meltdown hinter der Ecke unbeobachtet ist, klebt er kurzerhand seinen Peilsender daran, kehrt zu seinem Jackrabbit zurück und wartet. Ein Signal auf dem Kommlink signalisiert ihm 20 Minuten später, dass die Maschine losfährt, und er nimmt die Verfolgung auf. Natürlich ist das Motorrad weit schneller als sein Kleinstwagen, aber solange er die Entfernung nicht zu groß werden lässt, ist alles okay – Straßenverkehr und Ampeln lassen ihn immer wieder aufholen. Ghost fährt eine Viertelstunde, hält sich an einer Adresse eine weitere auf, fährt wieder eine, hält sich erneut eine auf, und dann fährt er ein bisschen länger Richtung Südwesten.

 

Rizzo hat Kit telefonisch geraten, zu versuchen, ein paar BTLs mit dem Mottenlogo (nebst Billigplayer) zu kaufen, und ihr ein paar Anlaufstellen genannt – vielleicht kann man an den Locations der Aufnahmen irgendetwas identifizieren, das Rückschlüsse zulässt. Drei unterschiedliche Chips haben sie ergattern können, aber als Coombs versucht, sie zu slotten, hält er nicht lange durch und muss sich übergeben – das ist harter Snuff. Also stellt Rizzo einen Kontakt zu Roscoe Tozier her, der jahrelang BTLs geschnitten und jeden erdenklichen Drek gesehen hat. Der wird damit aber ein Weilchen beschäftigt sein, um möglicherweise interessante Szenen vorzumerken und umzuwandeln, um sie als Video sichtbar zu machen.

 

Dienstag, 22.08.2062

 

In Coast Town hält Ghost länger, und als sich nach einer halben Stunde noch immer nichts getan hat, steigt Jack in der finsteren Gegend (The Crow – City Of Angels) aus, um mal nachzusehen. Das Signal führt ihn zum Motorrad, das abfahrbereit Richtung Straße in einer stockfinsteren Gasse steht. Da er Cyberaugen hat, pirscht er leise weiter in den geschlossenen Hinterhof, wo er plötzlich gepackt und hinter einen Müllcontainer gezerrt wird – von Ghost, der dort gelauert hat. Nach einigem Hin und Her, was Jack hier zu suchen hat, erklärt Ghost widerwillig, was er hier treibt, da er Krach (worunter auch Streit mit Jack fällt) vermeiden will.

 

Ghost: This used to be a bar, way back when the LAX still stood. Front's all boarded up, only one way in, one way out: this back door. They have a generator, but they don't have plumbing. Hence the outhouse. Someone's bound to answer nature's call sooner or later.

Jack: Wiz. And what lead you here?

Ghost: This is Rooster Pembroke's hangout. Small-time crook, but he's got his own gang. Another word for rooster is cock, Pembroke starts with a P – so, P-Cock. The name stuck. P-Cock hates it, folks use it anyway.

Jack: Not to his face, though.

Ghost: Yeah. Now get lost.

Jack: Unless you wanna kick up a fuss, you're stuck with me. I'm staying. (Ghost sieht ihn warnend an.) Ghost, this place's pitch-black. I can see, you can't. Use me. You can beat seven kinds of shit outta me later. It'll be fun!

 

Ghost bleibt keine Wahl, und zu zweit hocken sie schweigend in der Dunkelheit hinter dem Container.

 

Kit und Coombs stehen an einem Schnellimbiss und trinken einen Kaffee, und der erschütterte WS-Agent muss seine BTL-Erfahrung immer noch verarbeiten.

 

Coombs: This is so fucking depraved, you don't even know. Whoever scrolled this sick drek knew what was coming, and he was looking forward to it like Christmas morning. I felt the thrill of anticipation as if it was my own. I felt his excitement for sadistically torturing someone to death, so I felt like looking forward to it while my stomach was turning, it was... oh my God.

     I'm sorry I couldn't go through with it.

Kit: Honestly? I'd be wary of you if you had slotted all three to the end. Thank you, Coombs.

Coombs (schnaubt traurig und sieht schuldbewusst aus): For what?

Kit: For trying. I don't have a datajack anyway, but if I did... I don't think I'd been able to slot them.

 

Kit macht eine Pause, und Coombs sieht ihr an, dass sie sich kurz zusammenreißen muss, als sie sich vorstellt, was Fulvia vermutlich bereits zugestoßen ist. Coombs kann nichts Tröstliches dazu sagen.

 

Ghost hört Geräusche, dann geht draußen das Licht an (Ghost schaut kurz Jack genervt an, denn nun kann man ja etwas sehen), und ein Typ kommt raus, um zur Toilettenkabine zu schlurfen. Anschleichen funktioniert geografisch nicht, also springt Jack ohne Absprache einfach mit gezogener Waffe hervor und bedroht den Kerl. Der bleibt verblüfft stehen, Ghost entwaffnet ihn, kontrolliert ihn mit dem Tomahawk und verhört ihn: Ja, Bono ist drinnen, P-Cock lässt ihn durch die Mangel nehmen.

 

Ghost knockt ihn aus und sperrt ihn in die Toilettenkabine. Zu zweit schleichen sie mit dem Türcode auf dem Kommlink des Kerls ins Innere. Der Schankraum ist nur in der Mitte erhellt, wo der blutig geprügelte Bono unter einer Glühbirne an einen Stuhl gefesselt ist, während ein paar Ganger herumlungern und saufen oder chippen. Mit dem Überraschungsmoment könnten Ghost und Silver alle kontrollieren, aber aus dem toten Winkel und der Dunkelheit stürzt sich der orkische Straßensamurai Striker auf Ghost, und die beiden knallen in die Tische und Stühle. Die Ganger springen aufgeschreckt auf, verschanzen sich und liefern sich mit Silver ein Feuergefecht, während sich Ghost mit Striker durch die Bar prügelt – der ist allen anderen hier haushoch überlegen, und es war P-Cocks Glück, dass er heute geschäftlich mit ihm zu tun hatte.

 

Ghost und Striker sind beide hoch trainierte Nahkämpfer und liefern sich einen epischen Bossfight in sehr schlechtem Licht, was zu Ghosts Nachteil gereicht, der keine Cyberaugen hat. Dafür hält Silver die Schläger unter Kontrolle und nimmt einen nach dem anderen vom Spielfeld. Auch er wird von einem Gegner in den Nahkampf verwickelt, der ihn umrunden und sich anschleichen konnte, aber Silver hat den richtigen Chip drin, kriegt zwar auch ordentlich was ab, legt ihn aber schlafen.

 

Striker ist stärker vercybert und hat mehr Masse, Ghost ist der etwas bessere Kämpfer, kann aber dafür schlechter sehen. Die beiden prügeln sich ausgeglichen die Kästchen weg. Schließlich jedoch ergibt sich der letzte Schläger, und Silver greift sich dessen MP und ballert damit über die Köpfe der kämpfenden Samurai hinweg, was sie innehalten lässt: Die Gäste haben gewonnen, die Gastgeber aufgegeben.

 

P-Cock hat sich hinter dem Tresen versteckt, aber Ghost tut ihm nichts, er fragt ihn nur leichthin, was er von Bono wollte. Es stellt sich heraus, dass Bono bei einem Deal P-Cocks Schwester über den Tisch gezogen und sich seither geweigert hat, das Geld rauszugeben, also hat P-Cock ihn kurzerhand in eine Falle gelockt und ihn bearbeiten lassen. Ghost macht klar, dass das die Hälfte des Geldes und die Zinsen wert war, und sagt zu, dass Bono morgen die Differenz begleichen wird. Währenddessen bindet Silver Bono los und wirft ihn sich über die Schulter.

 

Mit Jackrabbit und Meltdown bringen sie ihn zu einem Autotaxistand und setzen ihn in eins – er soll sich erst mal erholen. Die beiden sehen sich an und einigen sich darauf, noch einen Drink zu nehmen. Schnitt auf eine winzige, versiffte Bar, in der sie mit blauen Flecken und Platzwunden an einem kleinen Tisch sitzen.

 

Jack: Look, I know how it looks. No, sorry, I know how it is. I just want you to know that... nothing about all this was meant as any disrespect to you.

Ghost: Could've fooled me.

Jack: Yeah, I know. But I'm serious. You put me on the map, gave me a hand with pretty much everything, and ultimately... you put me in a position where I got the chance to get my daughter back.

Ghost: Didn't stop you.

Jack: No, it... it didn't. But at first I was just... I was just trying to help Fi get better.

Ghost: Bullshit. You're telling me you didn't have the hots for her before?

Jack (sieht Ghost länger an, um abzuschätzen, wie viel er weiß): I'll admit I had a crush on her when the two of you were still together, yeah. But I was never gonna do anything about it. She was off limits. You gonna tell me you didn't know lots of guys fancied her? I guess as her partner you just... choose to not think about it. What the eye doesn't see and all that. I wasn't the only one who couldn't get her out of his head. Promise.

     When she helped me and Chandra out, it got worse, but still... I wasn't gonna do anything. I just... I tried to console her—

Ghost: Bullshit. She was vulnerable, and comforting her brought you closer. That's what you counted on.

Jack: I didn't think about it like that, I... (Er atmet aus.) Yeah, probably. The heart wants what it wants, right? I didn't mean to screw you over, though. I was gonna wait long enough and then talk to you, but things kinda, you know... snowballed from there.

Ghost: You didn't do any of that.

Jack: All I knew was you had to get away from it all, needed to be left alone. Under these circumstances, am I supposed to call you and say: "Hey, I was thinking about getting it on with your girlfriend, what do you think?"

Ghost: Suppose you'd called me. Suppose I'd said no.

Jack: Wouldn't have stopped me. If she'd broken up with you and you were working on getting back together again – different story. But the other way around, you breaking up with her – you wouldn't have had any say in this anymore.

Ghost (betont und ihn an das Offensichtliche erinnernd): But I didn't break up with her.

Jack: Oh. Yeah, that's right. Forgot about that for a moment. Of course I would've backed down.

Ghost: How noble of you.

Jack: I just would've known that you'd call Fi in an instant, clear up the misunderstanding. I would've been out either way. Still. I wanted to talk to you before making a move, it just... didn't work out that way.

     Look, from where I was standing, the two of you were over, you put a lid on it, done and dusted. I knew, once all the guys she knows learn about the breakup, they'd swarm her like grasshoppers on a midsummer night. I had a headstart, and I wasn't gonna give that up 'cause I felt she might, you know, wanna look for someone to help her get over you, and I didn't want her to fall for someone else, so... All the time I was gonna take went right out the window.

     Actually she really tried to talk me out of it once she knew about how I felt. I just wasn't having any of it. She took a time out, left town, and when she came back, she was like: "Okay, let's give it a shot." I think she was kinda desperate for intimacy. Desperate enough to get mixed up with me, although she knew I was in love with her.

Ghost (leicht sarkastisch): Happy with how things turned out?

Jack: You know what? Hard to tell. I guess I can't be 'cause it didn't work out. Hell, it was clear from the start that it wouldn't, I just didn't wanna see it. Then again, we tried. I, uh... (Er überlegt kurz, weil er weiß, dass es Ghost schmerzen wird, das so deutlich zu hören.) I got to be with her. I know what that's like now. It kills me that it wasn't meant to be, but... I had that. (Ghost sieht Jack tatsächlich an, dass er emotional wird und das zu tarnen versucht.) Have you heard of her anyway?

Ghost: Last I heard, she gave Kit a call, few weeks back.

Jack: When she was in Florence? (Ghost nickt.) Yeah, I know about that one. Must be awkward for Kit, having to deal with two of Fi's exes.

Ghost: She's been through worse.

 

So sehr er auch möchte, aber Ghost kann nicht mehr so wütend auf Jack sein wie zuvor, weil er zu deutlich sieht, dass er sich wirklich Hals über Kopf in Fi verliebt hat – und sie noch immer sehr vermisst.

 

Pride muss sich eingestehen, dass sie auf Ghosts Runs angewiesen ist, denn so gut sie beim Olaya-Kartell mit der Verzauberung auch verdienen mag, macht sie durch ihren luxuriösen Lebensstil dennoch jeden Monat Miese. Aber sie hat bisher auch nach Kräften vermieden, mit Ghost Kontakt zu haben, weil sie es hasst, nicht voll und ganz die Kontrolle über sich zu haben. Da sie grundsätzlich jeden bewussten Gedanken darüber von sich schiebt, hat sie das Offensichtliche noch gar nicht in Betracht gezogen: Sie wünscht sich mehr von ihm. Doch sich von jemand anderem etwas zu wünschen, das eigene Wohlbefinden vom Verhalten eines anderen abhängig zu machen, ist für sie verachtenswerte Schwäche. Sie war sich immer selbst genug und blickte auf Turteltäubchen herab.

 

Ohne sich die Überlegung zu gestatten, warum sie Ghost von sich fernhält, denkt sie darüber nach, wie sie ihn wieder auf sich aufmerksam machen könnte, ohne ihn zu nahe an sich heranzulassen. Sie braucht Aufträge, daran führt kein Weg vorbei. Sie probiert es mit einer Einladung zum Frühstück mit zwei Tagen Vorlaufzeit am Donnerstag. Ghost sieht die Einladung, bestätigt aber noch nicht. Stattdessen zahlt er und verlässt grußlos Jacks Tisch.

 

Kit und Coombs haben bereits stundenlang die Zeit totgeschlagen, und auch wenn sie sie überwiegend schweigend verbringen, achtet Kit seine Hingabe an diese Sache. Sie weiß nur, dass jemand, dem Fulvia ebenfalls wichtig ist, ihn darum gebeten hatte, und dieser Jemand wiederum ist Coombs wichtig – und er macht definitiv keinen halbherzigen Job. Endlich meldet sich Tozier, sie kehren zu ihm zurück und sehen sich die verwaschenen Screenshots an, die er aus den Trips extrahiert hat. Selbst die reichen schon, Kit den Magen umzudrehen, weil sie sich den Rest zusammenreimen kann. Gleichzeitig kommt zur Angst und zur Trauer, weil Fulvia sehr wahrscheinlich schon das Schlimmste widerfahren ist, auch die Frustration, und sie muss sich beherrschen, nicht zu fluchen, weil man keinen Anhaltspunkt findet. Auf einem Screenshot fällt Coombs aber etwas auf, und er bittet Tozier, die Stelle rauszusuchen und mehr Screenshots davon zu machen. Gesagt, getan: Coombs erkennt den kleinen Teil eines Graffitos auf einer Wand. Es wird vergrößert und geschärft, und Coombs jagt es durch die Bildersuche – das ist ein Teil eines Schriftzuges der Splicers, die den Plex-Nachrichten zufolge eine Tochtergang der Steppin' Wulfs sind.

 

Die Sonne geht schon gleich wieder auf, aber Kit und Coombs sehen sich nur kurz an, bezahlen Tozier und kehren zu ihren Autos zurück.

 

In Harbor City fragen und kurven sie solange herum, bis sie einen Splicer finden, und nehmen ihn in die Mangel. Er will natürlich nicht reden, aber Kit bricht ihm den Arm und fügt ihm brutale Schmerzen zu, so dass er die Adresse des verlassenen Kraftwerks verrät, in dem die Dreamchips gescrollt werden. Als Kit meint, dass er seine Leute nicht warnen darf, fragt Coombs sie etwas entgeistert, ob sie den Kerl nun umlegen wolle. Er sei durchaus bereit, zu kämpfen, aber nicht zu morden. Also wird der Ganger gefesselt und in einen Müllcontainer gesteckt, und die beiden fahren wieder los.

 

Am Kraftwerk (CP 2077, in Santo Domingo, Arroyo, zwischen den FTPs Longshore South im Norden und Republic East im Süden) nehmen sie einen Umweg über eine benachbarte Squatter-Ruine, über die sie auf das Gelände gelangen. Kit erspäht eine Kamera, die man umgehen muss, also nehmen sie den Weg über die Dächer und dringen über den ersten Stock und die Catwalks ein. Hier ist niemand, aber sobald sie die Kelleranlagen betreten haben, stoßen sie immer wieder auf Ganger. Coombs kann nur staunen, weil Kit ihn stets zurückbleiben lässt, mit dem Katana allein weiterschleicht und die meisten Ganger im Nu unschädlich macht, wobei sie auch jede Kamera entdeckt und umgeht (was natürlich nur möglich ist, weil es nachträglich installierte Billigkameras sind, die optisch herausstechen). Kommt es zu Schüssen, rückt Coombs nach und erweist sich als erfahrener Kämpfer. Die beiden profitieren von den Maschinengeräuschen, den schweren Sicherheitstüren und hier und da der lauten Musik, dass immer nur jeweils die unmittelbar betroffenen Ganger alarmiert werden.

 

Kit und Coombs arbeiten sich durch einen unübersichtlichen Irrgarten aus dem Albtraum eines kranken Geistes: Zellen, in denen Gefangene wie Tiere gehalten wurden, "Studios", in denen Folterungen, Morde und Massenvergewaltigungen gescrollt wurden, und nach Verwesung riechende, schmutzige "OPs", in denen die Opfer danach ausgenommen wurden, um mit ihren Organen und ihrer Cyberware noch Geld zu verdienen.

 

Schließlich kommt es zum Bossfight mit einigen Splicers und zwei völlig durchgedrehten Steppin' Wulfs, wobei Kit mit dem Katana gegen Tremolo kämpft, der ihr zwar nicht das Wasser reichen kann, aber Schaden ohne Ende schluckt. Der komplett furchtlose Vbar kassiert, ohne mit der Wimper zu zucken, mehrere direkte Schüsse in Bauch und Brust von Coombs, ringt ihn zu Boden, spuckt ihn mit seinem Blut voll und würgt ihn, bis Coombs sein Magazin in Vbars Bauch leergeschossen hat.

 

Kit ergeht es noch schlimmer: Tremolo kriegt die zierliche Japanerin zu fassen und wirft sie brutal durch den Raum, und selbst als sie ihm die rechte Hand abschlägt, macht er noch mit der linken weiter und hört erst auf, als sie ihn köpft. Bis dahin hat sie jedoch schon viel abbekommen, und ein Bein ist gebrochen. Der unerträgliche Verwesungsgestank ist hier besonders bestialisch: Hier wurden die ausgeweideten Leichen vorm Lastenaufzug "gesammelt", bis es sich lohnt, sie wegzufahren. Kit überwindet sich, sie sich anzusehen. Eine nackte Frauenleiche ohne Kopf, grausam zugerichtet und aufgeschnitten, weist ein Tattoo auf, das Kit nur zu gut kennt: Das war Fulvia. Sie hofft, dass sie nie wieder das Bewusstsein erlangt hat und nicht mitbekommen musste, was mit ihr geschah.

 

Sie bittet Coombs, mithilfe der Chemikalien in den "OPs" Feuer zu legen, um den Laden auszuräuchern, und danach muss er sie auf dem Rückweg stützen. Ihre verbissene Selbstkontrolle kann er nur bewundern, zumal er sieht, wie viel Blut sie verliert.

 

Draußen setzt er sie in seinen Wagen, verarztet sie fachmännisch mit einem Medkit, fragt sie, ob ihre ID in Ordnung ist, und rast los, um sie ins Regional Medical Center in Lakewood zu bringen.

 

Mittwoch, 23.08.2062

 

Silver hat sich gestern zu Hause gut ausgeschlafen, abends bei Brad die ausstehenden ¥ 800 kassiert und sich nun heute Morgen bei Cassander auf die Lauer gelegt. Dieser verlässt Westside Richtung Arc Mile, aber diesmal gelingt es Silver nicht, ihm nicht aufzufallen: Cassander parkt in einer Seitenstraße, was Silver zwingt, ihn zu überholen, am Ende der Straße zu wenden und selber in der Gegenrichtung einzuparken. Das hat Cassander telefonisch mit ein paar Gangern koordiniert, den Stunners, die Silvers Wagen umstellen, als hätten sie sich nur ein zufälliges Opfer zum Terrorisieren ausgesucht. Diese Chance nutzt Cassander, wieder loszufahren. Silver geht auf Risiko: Er steigt aus, rempelt den Stunner an der Fahrertür weg, zwingt Cassander zum Anhalten, indem er sich ihm in den Weg stellt und dem abbremsenden Wagen auf die Motorhaube schlägt: "Ich will nur mit Ihnen reden!" Doch schon packen ihn die Stunners, reißen ihn von der Straße, und Cassander fährt weiter.

 

Die vier sind keine ernstzunehmenden Gegner: Sobald Silver den ersten gleich mit der ersten Attacke ausgeknockt und den zweiten zu Boden geschickt hat, suchen die anderen beiden lieber das Weite. Silver schwingt sich wieder in den Jackrabbit und fährt nun ganz entspannt weiter, denn beim Kontakt hat er Cassanders Wagen (an den er in der Tiefgarage nicht herankam) seinen Peilsender verpasst.

 

Coombs besucht Kit im Krankenhaus in Lakewood, um zu sehen, wie es ihr geht. Keiner von beiden spricht an, was sie gestern erlebt haben, sie reden nur ganz oberflächlich miteinander, doch der Zuschauer sieht Kit an, dass sie Coombs sehr dankbar dafür ist, ihr so zur Seite gestanden zu haben.

 

Silver verfolgt Cassander in eine heruntergekommene Gegend in Monterey Park, East L.A. Cassander bleibt nur eine halbe Stunde und fährt wieder weg. Silver stochert hier im Nebel und hat kaum Möglichkeiten, also beschließt er, auf die harte Tour etwas herauszufinden. Er klopft selber an der Tür des kleinen Hauses, eine Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm öffnet, und Silver fragt, ob Mr. Banks gerade sie oder ihren Mann besucht habe. Sie ruft nach Ernesto, und ein unscheinbarer kleiner Kerl kommt aus der Garage. Silver schüchtert ihn durch Wortwahl und Körpersprache geschickt ein – er würde Frau und Kind niemals etwas antun, sie noch nicht mal erschrecken, aber er lässt Ernesto glauben, dass er es könnte, und geht mit ihm in die Garage, um ihn unter Druck zu setzen. Ernesto lässt sich leicht erpressen und singt wie ein Vogel: Die Spragues waren selber schwer auf Nova Coke und sich ihrer Geschäftsbeziehung zu den Dealern wohl zu sicher – es ist schwer zu sagen, was genau passiert ist, aber durch einen Streit und ein folgendes Missverständnis schien es, als ob Mr. Sprague eine Waffe zöge, und schon wurde er abgeknallt, und Mrs. Sprague daraufhin natürlich auch. Die Leichen wurden im Kagel Canyon vergraben. Cassander Banks hat über Informationsquellen, die Ernesto nicht kennt, über Ernesto einen Kontakt zu den Dealern hergestellt und sich die Koordinaten der vergrabenen Leichen geben lassen, um sie morgen früh mit der Polizei und Presseaufgebot publikamswirksam zu "finden". Silver lässt sich ebenfalls die Koordinaten überspielen und warnt Ernesto, Stillschweigen zu bewahren. Das ist natürlich auch in Ernestos Interesse, denn die Dealer dürfen nicht wissen, dass Ernesto Banks mit Informationen versorgt.

 

Silver besorgt etwas Ausrüstung (Schaufeln, Plastiksäcke, Schutzmasken) und bezahlt Cisco und ein paar seiner Kumpels, abends zu den Koordinaten im Kagel Canyon zu fahren, die Leichen auszugraben und deutlich weit entfernt zu entsorgen. Damit hat er jetzt zwar draufgezahlt, aber er hofft, dass es Dash etwas wert ist, wenn Banks sich live in den Lokalnachrichten blamiert.

 

Donnerstag, 24.08.2062

 

Cassander Banks hatte seine "Eingebung", der Captain frisst ihm wie gewohnt aus der Hand und ordert Bagger und Arbeiter, die Lokalpresse wurde natürlich auch von Banks geholt, und obwohl Banks "wusste", dass die Eheleute unter der krummen Pinie in Sichtweite des Wildwechselschilds mit dem Sensenmann-Graffito liegen, ziehen die Stunden ins Land, während der Bautrupp immer mehr Gelände umgräbt.

 

Ghost besucht das Café (CP 2077, FTP Westbrook, Charter Hill, Lele Park), und mit leichter Verspätung stößt Pride dazu, sowohl geschäftsmännisch als auch unverkennbar afrikanisch gekleidet, aber längst nicht so verführerisch wie die letzten Male. Die Blessuren vom Donnerstagmorgen sind Ghost noch anzusehen, was für einen lockeren Gesprächsopener für Pride sorgt. Am 03.03 waren sie das letzte Mal zusammen, seitdem ging Pride Ghost unübersehbar aus dem Weg, aber dieser spricht das nicht an. Pride bittet Ghost durch einen ganzen Blumenstrauß hindurch, sie für Aufträge zu berücksichtigen, und sie tauschen sich ein wenig aus, was sie so geschäftlich erlebt haben. Als sich Ghost entschuldigt, um kurz mal auszutreten, sieht man aus Prides Perspektive allerlei Pärchen, die sich amüsieren und eine gute Zeit miteinander haben. Äußerlich ist ihr nichts weiter anzusehen, aber daran, dass sie schließlich woanders hinsieht, erkennt man, dass sie das beschäftigt und bedrückt – was sie sich selbst aber nicht eingestehen kann.

 

Silver besucht Dash im Krankenhaus und schaut sich mit ihm die Lokalnachrichten an, in denen natürlich auch der Hellseher Cassander Banks seinen Auftritt hat, als er nebulös davon faselt, dass ein schwarzer Nebel über dem Geheimnis liege, warum die Spragues nicht dort liegen, wo sie sollten – dunkle Mächte scheinen ihr Auffinden verhindern zu wollen –, aber die Sprecherin spöttelt darüber, dass der Stadtrat gewiss glücklich sein wird, sein Geld so sinnvoll eingesetzt zu sehen. Dash ist in der Tat erfreut, denn Banks wird vom Captain Ärger bekommen und der Captain vom Commissioner. Natürlich ersetzt Dash Silver die Unkosten, und dieser hat jetzt einen bei dem Zwerg gut.

 

Donnerstag, 31.08.2062

 

Kit hatte weniger als 24 Stunden im Krankenhaus verbracht, trägt aber noch einen Gips. Aus heiterem Himmel ruft Thomas Coombs sie an, ob er ihr einen Kaffee ausgeben kann. Kit hält das für keine gute Idee, bedankt sich und beendet das Gespräch, obwohl man ihr ansieht, wie sehr sie der Anruf beschäftigt.

 

Samstag, 02.09.2062

 

Silver erhält einen unerwarteten Anruf von Delilah Markoff, der Chefin von WizWax, und trifft sich mit ihr in einem Stehcafé. Die Orkin fragt ihn, ob ihm Gold Dust noch etwas sagt. Aber natürlich, das war in den frühen Fünfzigern ein Jahr lang eine international erfolgreiche Megaband, die ihr halbes Debütalbum als Singles ausgekoppelt hat, dann aber irgendwie sang- und klanglos von der Bildfläche verschwunden ist. Delilah füllt Silvers Wissenslücken: Gold Dust schlug 2051 ein wie eine Bombe. Sämtlichen Mitgliedern stieg der plötzliche Erfolg jedoch zu Kopf, und das zweite Album legte davon beredtes Zeugnis ab, weil die Dusters einfach aufgenommen hatten, was sie gerade wollten, ohne ihren Stil beizubehalten, in dem Glauben, sie würden für ihre künstlerische Freiheit gefeiert werden. Es lag wie Blei auf den Downloadportalen, und Gold Dust waren so schnell weg vom Fenster, wie sie aufgetaucht waren. Sie gingen getrennte Wege, aber keiner hatte je wieder nennenswerten Erfolg. Der Gitarrist von Gold Dust, Zam Wilco, hat es noch am besten getroffen, denn weil er die meisten Songs geschrieben hatte, kann er von den Tantiemen leben, weil das Debütalbum immer noch Kultstatus genießt.

 

Delilah kennt Zam seit seiner Gold-Dust-Zeit, auch wenn sie nie geschäftlich miteinander zu tun hatten. Nun hat er sie gefragt, ob sie jemanden weiß, der Dinge regeln kann, ohne zu fragen, ob das legal ist, und da fiel ihr Silver ein. Sie darf seine Nummer natürlich an Zam weitergeben, und der meldet sich auch sofort bei Silver und lotst ihn ins Red Dirt.

 

In der kleinen Bar (CP 2077, FTP Red Dirt) lernt Silver also den flamboyanten, exzentrischen Ex-Rockstar kennen, der sein unbedeutendes Dasein offenbar nie ganz verwinden konnte und zu einem guten Teil von der Vergangenheit zehrt, als er jemand war und ihm überall der rote Teppich ausgerollt wurde. Er erzählt wütend von der Girlband As You Do!, die mit ihrem überflüssigen, nervigen Kiddie-Pop gerade richtig durchstartet. Wenn die ersten Erfolge den Weg vorzeichnen, werden sie nicht mehr lange in Clubs spielen – die aktuellen Club-Auftritte wurden bereits gebucht, bevor ihre dritte Single plötzlich durch die Decke ging, und jetzt werden die Tickets auf dem Schwarzmarkt zu irren Preisen gehandelt, weil nun alle, die den drei Mädchen eine steile Karriere voraussagen, in ihren Anfängen "auf Tuchfühlung" dabei gewesen sein wollen. Zam fährt fort mit einer Tirade über gute Musik ("Chrome Rock, was sonst, Mann?") und schlechte Musik ("Kommerzscheiße wie diese Teenies, deren Gimmick austauschbare Cyberarme sind – austauschbare verfickte Cyberarme! –, die aber künstlerisch so viel zu sagen haben wie Abe Lincoln."). Silver entlockt Zam auch, dass er seit Gold Dust nur ein (erfolgloses) Soloalbum veröffentlich hat, obwohl er nie aufgehört hat, Musik zu schreiben. Silver merkt, dass Zam der Meinung ist, ein guter Songwriter zu sein, aber ohne PR interessieren die besten Songs niemanden, und aus Angst davor, zu versagen, igelt er sich lieber in der Vergangenheit ein, in der seine Band die Top 20 mit drei Songs gleichzeitig beherrschte.

 

Nachdem er sich ausgekotzt hat, kommt Zam zum Grund des Treffens: Ein Bekannter im Biz hat ihm gesteckt, dass AYD! den besten Song, den Zam je geschrieben hat, covern wollen, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen: Keepin' Up. Zam hat es satt, wie ein Opfer herumzusitzen und den Konzernhaien dabei zuzusehen, wie sie Gold Dusts Leiche fleddern – aber echte Musik auch noch von diesen verschissenen Kiddies covern zu lassen, die Smoke On The Water nicht von einem Werbejingle unterscheiden können? Er könnte natürlich den Live-Auftritt heimlich filmen lassen, um AYD!s Label zur Kasse zu bitten, aber es geht ihm nicht ums Geld. Er will... mit den Mädchen reden. Ja, wirklich, nichts weiter, und Silver soll das ermöglichen, und zwar heute Abend im Riot. Kriegt er das hin?

 

Silver entschuldigt sich und ruft Flavius McRae an. Der herrlich überkandidelte, oberflächliche und selbstverliebte Dr. Know kennt sich im Showbiz aus und weiß, was die Tickets auf dem Schwarzmarkt gerade kosten – aber ja, er könnte welche organisieren, wenn der Preis keine Rolle spielt. Silver hat nicht viele Connections, aber dass ausgerechnet McRae mal richtig nützlich ist, was ihn vor dem potenziellen Mr. Johnson gut dastehen lässt, freut ihn sehr. Zam gibt grünes Licht, überweist das Geld, und er und Silver sind im Geschäft.

 

Pretty Boy Floyd vom Wolfpack hat Ghost zu einem Treffen gebeten – normalerweise hätte Warren Hunsaker das erledigt, aber der ist gerade im Krankenhaus, um sich von einer kleinen Auseinandersetzung zu erholen. Vielleicht ist es Zufall, vielleicht auch eine Geste, dass das Wolfpack von seinem irren Stunt weiß, denn Pretty Boy Floyd hat Ghost in die Grand Imperial Mall in Hermosa Beach, Coast Town, bestellt. Seitdem die All Saints ausgelöscht und die Hermosa Hermits zurückgedrängt wurden, befindet sich die Mall unter neuem Management, und einige Wölfe sind gerade hier, um einem illegalen, aber bedeutenden Boxkampf zuzuschauen (CP 2077, Save 18 (Killing In The Name), 198:09, Pacifica). Rawhide winkt Ghost an den Türstehern vorbei und bringt ihn zu Floyd.

 

Dieser macht deutlich, dass über den folgenden Auftrag absolute Verschwiegenheit herrschen muss und dass Bugsy persönlich sein Okay gegeben hat, dass Ghost ihn bekommt. Der Auftraggeber ist kein anonymer Mr. Johnson, sondern der Bürgermeister Morpheus Alderman, und dieser möchte keine Schläger, sondern intelligente Profis, die absolut unbestechlich sind – und dafür hat sich das Wolfpack verbürgt. Alderman möchte Ghost morgen früh um 08:00 Uhr in seinem Apartment empfangen. Floyd gibt ihm also ein Kommlink mit einer ID, mit der Ghost (nebst einer Begleitung, wenn er möchte) ins Gebäude kommt.

 

Normalerweise hätte es sich von selbst verstanden, dass er Star mitnimmt, aber diese Zeiten sind lange vorbei. Ghost überlegt kurz, ob er Pride anrufen sollte, aber die ist ihm monatelang aus dem Weg gegangen, bis der finanzielle Schuh drückte – warum sollte sie jetzt plötzlich die erste Wahl sein? Er entscheidet sich also für Angel, der morgen zwar eigentlich keine Zeit hat, sich für einen Auftrag des Bürgermeisters aber natürlich extra freimacht.

 

Als ehemaliger Bodyguard weiß Silver, wie wichtig der erste Eindruck ist, also wird ein Phaeton nebst Chauffeur gemietet, mit dem Zam Wilco wie selbstverständlich an der endlosen Schlange vor dem Riot vorbeifährt, von seinem Leibwächter "beschützt" aussteigt wie ein Rockstar und natürlich vorgelassen wird, als Silver die Tickets verifizieren lässt. (Er geht unbewaffnet, denn er weiß, dass die Scanner anschlagen und seine ID auf eine Waffenlizenz überprüfen würden – die sie nicht hat. Und selbst wenn: Erstatten die Mädels wegen unbefugten Betretens Anzeige, wäre seine ID verbrannt.) Der Club ist gerammelt voll, und neben den gewöhnlichen Fans, die die Tickets ganz normal im Vorverkauf erstanden haben, drängeln sich wohlhabende Szenebewohner, die, nachdem AYD! durchgestartet sind, auf dem Schwarzmarkt zugeschlagen haben, um zu sehen und gesehen zu werden.

 

Das Publikum wird mit dem Video zur Hitsingle heiß gemacht (Kerli – Creepshow), und Zam schimpft über diesen Drek. Jetzt sieht Silver, was er meinte: Alle drei Mädchen haben Cyberarme (immerhin: das "Markenzeichen" von einer von ihnen ist, dass ihr linker Arm organisch ist), die sie ständig mit verschiedenen Aufsätzen ausstatten, meistens mit Chromklauen, mit denen man auf der Toilette garantiert nicht hantieren möchte. Die Mädels sehen alle noch knapp minderjährig aus, aber eine von ihnen ist sogar offensichtlich bereits ganzkörpervercybert.

 

Als professionell geschulter Bodyguard, dessen Boss aus einer Laune heraus ins Riot wollte, muss Silver nun schauen, wie es hier um die Sicherheit bestellt ist – und er weiß, dass das Personal das kennt und ihm den Leibwächter natürlich problemlos abkaufen wird, da er ja quasi sich selbst spielt. Also schnappt er sich Zam, geht voraus in die Waschräume, um zu checken, ob sie "sicher" sind, und lässt ihn eine Kabine belegen, um sich glaubhaft von ihm entfernen zu können. Seine Proben beim Personal sind dank seiner Erleichterungen volle Erfolge, und er sieht, dass das wohl öfter hier vorkommt, da das Riot ziemlich angesagt ist. Als er fragt, wie man einen Backstage-Besuch für Mr. Wilco handhaben könnte, kriegt er völlig problemlos einen Zugangscode aufs Kommlink gespielt.

 

Silver holt also Zam wieder ab und kommt mit dem Code und überzeugender Körpersprache leicht an den Türstehern vorbei, die den Backstage-Bereich bewachen. Dieser ist angemessen groß und betriebsam. Silver passt eine unbeobachtete Lücke ab und geht, als sei es das Normalste der Welt, auf den Bodyguard zu, der die Umkleide der AYD!-Mädchen bewacht, als wolle er unter Kollegen eine professionelle Frage stellen. Er muss alles auf eine Karte setzen, nimmt den Leibwächter in einen Judo-Griff, entwaffnet ihn und richtet dessen eigene Pistole auf ihn. Zam geht an beiden vorbei und platzt rein, Silver folgt mit dem Bodyguard und sieht ungläubig, dass Zam seinerseits eine Pistole zieht und sie auf die drei Mädels richtet, die bereits fertig sind und die letzten Details für ihren Auftritt besprechen. Natürlich: Als Ex-Promi hat Zam wohl eine Waffenlizenz – und scheißt nun offenbar darauf, dass er sich strafbar macht. Das hätte Silver gern vorher gewusst...

 

Völlig überraschend für alle flippen die Mädels aber nicht wegen der auf sie gerichteten Pistole aus, sondern wegen Zam, denn sie erkennen ihn und mutieren zu absoluten Fangirls. (Vermutlich denken sie sich nichts wegen der Kanone, weil Künstler halt "exzentrisch" sind und sie von einem Scherz oder Streich ausgehen?) Zam ist völlig perplex, dass die Mädchen nicht nur alle Gold-Dust-Songs kennen, sondern auch seine Solo-Sachen, und es stellt sich heraus, dass sie Gold Dust vergöttern und es ihre Idee war, Keepin' Up live zu bringen (ihr Label weiß das noch nicht mal), weil sie Gold Dust so lieben und einer neuen Generation näher bringen möchten. Wilco ist komplett überrascht, denn diese jungen Küken demonstrieren breites Musikwissen, das er ihnen nie zugetraut hätte.

 

Zams Plan, hier richtig Dampf abzulassen, löst sich in Luft auf: Diese Kiddies mit ihrer grässlichen, künstlerisch wertlosen Musik verehren seine Musik und ihn – nun kann er ihnen nicht mehr böse sein, sondern ist total unsicher, weil er sich geschmeichelt fühlt, und kriegt ein schlechtes Gewissen, als sie ihn mit Fachsimpel-Fragen bestürmen: "Stimmt es, dass du bei der Songzeile 'and give that cunt what she deserves' an die Mutter deiner Ex gedacht hast, wie es damals im X-Out hieß?"

 

Die Mädels weisen ihren ebenso überraschten Bodyguard an, draußen zu warten, und in einer herrlich absurden Szene gibt ihm Silver mit einem leisen "Sorry" seine Pistole zurück und muss ein paar Gruppenfotos mit As You Do! schießen, die sich um ihren Star Zam Wilco gruppieren. Silver ist heilfroh, dass dieser Auftrag so friedlich und fröhlich zu Ende geht, und Zam meint, er komme schon alleine klar, er werde ihn anrufen.

 

Sonntag, 03.09.2062

 

Ghost trägt einen modernen glänzenden Anzug, Angel einen etwas gedeckteren im typisch mexikanischen Zuschnitt, als sie sich in der Arc Mile nahe der Enklavenmauern vor dem Komplex treffen. Mit der ID geht es problemlos durch den Scanner und mit dem Lift ins Penthouse (CP 2077, Save 17 (Dream On), 168:12), wo sie den elfischen Bürgermeister Morpheus Alderman und seine Frau Magnolia ("Call me Maggie.") kennen lernen. (Ghost hatte die beiden in A DAY AT THE RACES zumindest gesehen.)

 

Morpheus berichtet, dass er vorgestern Nacht aufwachte, um etwas zu trinken, dann aber Geräusche hörte. Im Halbschlaf nahm er seine Pistole und ging in den Flur, wo er in der Dunkelheit eine menschliche Gestalt ausmachte, die sich plötzlich schnell bewegte, woraufhin Alderman mehrere Schüsse abgab. Danach erinnert er sich jedoch an nichts mehr, und gestern Morgen erwachte er ganz normal in seinem Bett (wenn auch mit Kopfschmerzen), und Maggie hat trotz des Lärms gar nichts mitbekommen. Seine Sicherheitsfirma, SSI Security, pocht darauf, dass er nur geträumt hat, denn die Kameras haben nichts Ungewöhnliches aufgezeichnet. Morpheus aber ist sich absolut sicher, dass das kein Traum war, auch wenn ihm klar ist, dass es wirklich danach klingt.

 

Den Rest legt er in Maggies Hände, denn als Bürgermeister hat er einen 24/7-Job, und er verabschiedet sich. Ghost und Angel werden von Maggie durch das riesige Penthouse geführt und stellen abwechselnd gute Fragen, während sich Angel vor allem in der AR umsieht und feststellt, dass hier wirklich nicht am falschen Ende gespart wurde.

 

In dem Flur, in dem die Begegnung stattgefunden haben soll, sieht alles so aus, wie es soll. Angel probiert mit seinen Zeiss-Augen alle möglichen Filter durch und findet tatsächlich an der Wand sehr professionell (aber eben frisch) verputzte Einschusslöcher, mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen, woraufhin er sich auch im restlichen Flur genauer umsieht. Dabei stößt er auch auf Rückstände eines chemischen Reinigers. Die Schüsse müssen also abgegeben worden sein – das kann nur bedeuten, dass es SSI Security selbst ist, die beim Vertuschen zumindest geholfen hat, wenn nicht gar selbst dahintersteckt.

 

Jetzt sieht er sich sämtliche Icons in der AR genauer an: Überall, wo er es erwartet, sind Kameras und Sensoren, und nach 20 Minuten des akribischen Prüfens findet er endlich einen ARO, dessen Funktion ihm Maggie nicht erklären kann. Sie lässt ihn ihr Kommlink benutzen, damit er es auf seinem Deck laufen lassen kann, um ihren Systemzugang zu haben, übernimmt dann die Kontrolle über den ARO und öffnet damit eine perfekt getarnte Geheimtür, von der Maggie überhaupt nichts wusste. Sie führt in einen Kontrollraum, in dem zahlreiche Bildschirme das ganze Penthouse zeigen – auch die intimen Bereiche, die normalerweise nicht mit Kameras versehen werden. Ein benutztes Medkit steht noch offen herum, und auch hier findet Angel Rückstände des chemischen Reinigers – da muss jemand ordentlich Blut verloren haben.

 

Maggie ist erschüttert, denn offenbar gibt es in diesem Penthouse keinen Quadratzentimeter Privatsphäre. Nur hier im Kontrollraum werden sie nicht beobachtet und belauscht, also schaltet Angel Maggies Kommlink aus und erklärt ihr, dass SSI mindestens mit drinsteckt und Antworten nur über sie zu finden sein werden. Leider weiß SSI jetzt aber auch, dass der Kontrollraum aufgeflogen ist.

 

Angel weiß, dass er gerade mehr oder weniger an der Quelle sitzt, also verkabelt er sich mit der Konsole und geht heiß in die VR. Glücklicherweise muss er in dieses schwer gesicherte System nicht von außen eindringen, das wäre aussichtslos, und selbst hier, direkt an der Quelle, macht ihm das Ice die Hölle heiß, als er einfach nur die Arbeitsoberfläche kopiert – und gleichzeitig wird sie von außen gelöscht.

 

Er jackt sich mit einem körperlichen M-Schaden wieder aus, fährt eine Wiederherstellungsapp und zeigt Ghost die Fragmente dessen, was er gefunden hat. Es sind keine Dateien, eher die Shortcuts, die aber in Kombination miteinander ein aussagekräftiges Bild ergeben.

 

Angel: Psychometric evaluations, medical records, biological casts, neuroplasticity... blueprints of neural links, freshly integrated into their headware. They're not spying on them, Ghost, they're fucking with their heads.

Ghost: Mean to say someone's literally controlling our upstanding politicians' minds?

Angel: Hm-hm. Red blots are memory residue in the hippocampus. See how they're bleeding into the blue?

Ghost: So what are we looking at?

Angel: They're planting new memories, modifying their personalities. Sound familiar? (Sie tauschen einen bedeutsamen Blick.) This is big SOTA drek, compañero. (Zu Maggie, als sie wieder eintritt:) You're being brainwashed. Literally. They've scanned your minds down to the last neuron, and they're using some kind of conditioning to... well, I guess to make you do whatever they want you to.

Maggie (wirkt bestürzt, aber nicht völlig überrascht): A while ago I started noticing some changes in Morpheus' behavior. Nothing major. But he forgot things you just don't forget, like the one time he mentioned being an only child. I reminded him of his sister, and then he remembered. His musical tastes changed several times, he liked songs he used to despise, disliked ones he'd loved. He's forgotten people he'd met several times before while perfectly remembering others he'd met just once. And this room? I'm sure I've seen it before but must have somehow forgotten.

Angel: You ever noticed anything unusual about yourself?

Maggie: My friends told me I was acting strangely once or twice.

Ghost: Have you spoken to Morpheus about these... changes?

Maggie: I tried. But he wouldn't have any of it. He laughed it off and said I was imagining things. Once he told me about a vacation we'd never been on. He went into such detail that I almost believed him.

Angel: Maybe it's you who forgot. Maybe the vacation got deleted by mistake.

Maggie (verzweifelt): I don't know! I can hardly— (Sie unterbricht sich selbst, sieht sehr erschrocken aus.) Oh my god! I'm... I'm remembering just now. I saw a stranger in our apartment one night, tinkering with the cameras.

Angel: When? Yesterday?

Maggie: No, not yesterday, it was... I don't know! I remember being in such a state by then that I didn't know if I could trust my own eyes. I talked to security the next morning. The guy showed me the recording. Nothing, of course. I felt like I was losing my mind.

     And then, the next day... I got a call. There was a garbled voice on the other end. He never introduced himself. I was told that our perfect lives could fall apart at any minute. That I have my husband's safety to think about. After, there was no record of the call. It was as if it had never happened. It just came back to me. (Sie atmet zitternd durch und beruhigt sich.) So I'm begging you, gentlemen... Morpheus can't find out about any of this. Ever.

Angel: Could be you're just saying what you've been programmed to say.

Ghost: You really wanna keep living a lie and ignore all this? Somebody poking around in your heads?

Maggie: What choice do I have? To get myself killed? Or see my husband dragged away from me?

Ghost: You're asking me to lie to my employer.

Maggie: I'm going to tell Morpheus that SSI was spying for his rival, McReady. You just need to confirm what I say. I'll take full responsibility for anything SSI goes on to do. I'm just asking you not to get Morpheus involved. Since I can't know if I'll remember this conversation tomorrow, I'm counting on you not to forget what I asked of you.

Ghost: I'll consider it. Sorry, Maggie, that's all I can promise.

 

Draußen gewinnen die beiden einigen Abstand zum Gebäude, bevor sie sich darüber unterhalten, und Ghost zieht in Betracht, Maggie diesen Gefallen zu tun. Das Wolfpack jedoch wird er nicht belügen, also macht er, während Angel die AR überwacht, gleich ein Treffen mit Pretty Boy Floyd klar. Dieser kann kaum glauben, was er hört, lässt sich aber von Angels Screenshots überzeugen. Er wird das weiterleiten, und bis dahin haben sich die beiden auf gar keinen Fall weiter einzumischen.

 

Dienstag, 12.09.2062

 

Barnaby Wylde bittet Ghost am Abend um einen Gefallen: Er hatte einen Programmierer an der Hand, Lyle Dyack, mit dem er einiges vorhatte – aber vor einer halben Stunde wurde er in einem Hinterhof abgeknallt, und ihm wurde mit einer Gartenschere oder Ähnlichem der rechte Zeigefinger abgeschnitten. Wylde will nun wissen, ob das eine Botschaft für ihn sein soll, und wenn ja, von wem. Der Mord fand in Torrance statt, und Lyle war ein Niemand, also interessiert er die Cops nicht sonderlich, sie werden garantiert nicht mehr ermitteln, als sie unbedingt müssen. Lyle wohnte mit seiner Schwester zusammen, vielleicht weiß die was.

 

Ghost lässt sich Lyles Adresse geben und düst los. Das kleine Häuschen (CP 2077, FTP Santo Domingo, Almunedar & Jerez) liegt natürlich im Dunkeln, als er ankommt, und als er anklopfen will, sieht er, dass die Tür aufgebrochen wurde. Mit dem Licht der HK MK23 schleicht er hinein und durch ein völlig verwüstetes Haus. Plötzlich jedoch wird er pfeilschnell in der Dunkelheit angegriffen und lässt die Waffe fallen, und damit kann er kaum noch etwas sehen – sein Gegner dagegen offenbar schon, denn der verprügelt Ghost nach Strich und Faden, und wäre dieser nicht so ein erfahrener Kämpfer und obendrein mit Orthoskin und Kondition hart im Nehmen, würde der Kerl ihn umbringen. Als er ihn zu fassen bekommt, merkt er, dass er deutlich leichter und schlanker ist, und Ghost versucht, ihn durch Ringen zu bezwingen, hat aber schnell ein Messer in den Rippen und muss von ihm ablassen. Der Gegner hat die Chance, den Sack zuzumachen, aber draußen fährt ein Auto vor, und die Scheinwerfer erhellen ganz kurz Ghosts Gegner: Er kann nicht viel erkennen, aber das ist definitiv ein hochgewachsener Elf. Überraschenderweise zieht dieser sich nun schnell zurück, und als Ghost sich aufrappelt und einen Blick durchs Fenster wagt, sieht er auch, warum: Die Cops sind da. Ghost hat einen kühlen Kopf behalten und weiß, wo er die Waffe hat fallen lassen, und er schafft es unglaublicherweise, sie in dem Durcheinander zu finden und ebenfalls durch die Hintertür zu flüchten.

 

Ein paar Straßen weiter leckt er seine Wunden: zahlreiche Blessuren, Messerstiche, und sein linker Arm ist gebrochen. Der Elf hatte den Vorteil, in der Dunkelheit sehen zu können, verstand aber auch sein Handwerk – ohne die Cops wäre Ghost tot gewesen. Mit einer brauchbaren ID fährt er zum heruntergekommenen örtlichen Krankenhaus, da er weiß, dass die dort gegen Geld nicht mal Schussverletzungen melden, und lässt sich verarzten. Weil er gegen einen Profi kämpfen musste und nun körperlich eingeschränkt ist, weiß er, dass es hier nicht um kleine Straßenkiddies geht, und bittet Angel jetzt schon um Hilfe, den er ohnehin gefragt hätte, weil es schließlich um einen Coder geht. Angel ist erkältet und klingt wie der Sensenmann, aber er sagt zu. Ghost textet auch Pride, weil sie ihn schließlich darum gebeten hatte. Als er jedoch auf ihre Nachfrage hin erklärt, dass Aufträge, für die man nur dreistellige Bezahlungen einstreicht, das tägliche Brot von Shadowrunnern sind, sagt sie kurzerhand wieder ab, ihr sei eingefallen, dass sie doch noch einen Termin habe. Okay, er hat's versucht, soll diese Luxustussi doch sehen, wie sie klar kommt, und von ihm aus ewig auf den nächsten lukrativen Großauftrag warten – wenn sie sich für die kleinen zu fein ist, muss er sie für die großen auch nicht berücksichtigen.

 

Jack sieht gerade im Newsfeed die Aufnahmen eines ausgebrannten Autowracks vor dem Cat In The Hat, einer teuren Bar in Studio City, und erfährt, dass der ehemalige Linebacker der Los Angeles Rams, Boyd "Bulwark" Hogan, der sich vor ein paar Jahren zur Ruhe gesetzt hat, heute darin umgekommen ist – zahlreichen Augenzeugen zufolge kann es sich nur um eine Autobombe gehandelt haben. Holly Golightly ruft an, und egal, was sie will – Jack wird zusagen, er braucht das Geld.

 

Wie erwartet haben sich die Torrance-Cops nicht lange oder ausgiebig umgesehen und den Einbruch als zufällig und nicht mit dem Mord an Lyle Dyack in Verbindung stehend verbucht. Ghost (mit dem linken Arm in einer starren Plastikmanschette) und Angel klopfen an der provisorisch geschlossenen Tür, und Lyles Schwester Dana lässt sie ein, weil Barnaby sie angekündigt hat.

 

Die unscheinbare Dana berichtet, dass ihr Bruder sozial völlig unbegabt und emotionsblind war, aber ein mathematisches Genie. Da er jedoch auch ein schlechter Schüler war (außer in Mathe, klassische Inselbegabung), konnte er aus seinem Talent nichts machen. Er liebte komplizierte Berechnungen, Logikrätsel und Puzzles, hatte aber sonst keine Hobbies. Das Programmieren brachte er sich in Onlinekursen selbst bei, um mehr Herausforderungen für seinen Geist zu finden, und es flog ihm nur so zu, aber er besaß weder den Ehrgeiz noch überhaupt die Veranlagung, daraus Gewinn zu schlagen. Dana ist es, die das Geld nach Hause bringt (und nur aus Kostengründen zu ihm gezogen ist, weil er sonst in der Gosse gelandet wäre, da er einfach nicht für sich selbst sorgte), indem sie in einem Mini-Mart für sehr schlechten Lohn arbeitet. Ja, vor einigen Wochen wurde es besser, weil Lyle plötzlich auch Geld nach Hause brachte – sie weiß nicht, woher es stammte, und Lyle erzählte von sich aus überhaupt nichts über irgendetwas –, aber der Geldfluss ebbte nach ein paar Wochen auch so schnell wieder ab, wie er eingetreten war. Bis dahin hatte sie ihn und sich über Wasser gehalten und wusste nie, wie sie die nächsten Rechnungen bezahlen soll. Nein, hier ist einfach nichts zu holen, keine Ahnung, wer hier einbrechen wollen würde. Ghost erwähnt nichts davon, dass er vorhin schon hier war und gegen den Elfen gekämpft hatte.

 

Die beiden dürfen sich gern in dem (nun beleuchteten) Chaos umsehen. Dabei findet Angel einen in den Boden eingelassenen kleinen Safe mit einem Fingerabdrucksensor – dafür muss der Mörder Lyles Finger abgeschnitten haben. Die Safetür ist nicht wieder ganz geschlossen worden, sondern liegt nur auf, aber im Safe befinden sich lediglich eine Plastikschachtel mit klobigen Schachfiguren und eine lädierte, aber wohl mal wertvolle Markenuhr, die Lyle vermutlich mal irgendwo gefunden hat. Natürlich kann es sein, dass Ghost den Elfen überrascht hatte, bevor er sich bedienen konnte, aber die billigen Plastikfiguren und der Comic waren sicher nicht der Grund für den Einbruch, also hat er das, was wertvoll genug erschien, wohl mitgenommen. Dana erklärt, dass sie gar nichts von dem Safe wusste, sie ist ja erst vor ein paar Monaten zu Lyle gezogen, und der Safe war gut getarnt.

 

Während Angel unbeobachtet die Box mit den Figuren einsteckt, lenkt Ghost Dana mit der Frage ab, ob ihr nicht doch noch irgendjemand einfällt, mit dem Lyle regelmäßigen Kontakt hatte, aber sie wüsste wirklich niemanden, Lyle war zu sehr Sonderling und sozialer Eremit. Hätte Angel die Schachfiguren nicht eingesteckt, hätte Ghost Dana danach gefragt, aber so verzichtet er natürlich darauf.

 

Angel hat zwar keinen Zugriff auf Lyles Kommlink (das liegt in der Asservatenkammer), deckt aber ins Haussystem, das sich mit dem Kommlink sicher je nach Einstellung geupdatet hat. Was er findet, ist ein riesiger Ideensteinbruch und völlig verstreute works in progress – Lyle war wirklich fleißig, und ja, da ist viel rohes Talent zu erkennen, aber keine professionelle Finesse und schon gar keine Ordnung. Die browser history zeigt auf, dass Lyle seit Monaten immer mit derselben Online-Bekanntschaft Schach gespielt hat. Da die IP stets dieselbe ist, lässt sich die Spur für einen guten Decker mit links zu einem Café verfolgen, nur zwei Meilen von hier entfernt, das jetzt aber natürlich geschlossen hat.

 

Ghost und Angel gehen wieder, und Angel erwähnt, dass er in der Wohnung ein Schachspiel aus Plexiglas gesehen hatte, offenkundig von höherer Qualität als die billigen Plastikfiguren im Safe – warum sollte er sie dort aufbewahren? Also hat er sie vorsichtshalber eingesteckt. Außerdem merkt er an, dass es auffällig ist, dass der Elf die ganze Wohnung verwüstet hatte, aber nicht die Küche – was Ghost gar nicht aufgefallen war.

 

Jack trifft sich mit Holly in einer schicken Hotellobby in Studio City, erfährt, dass es um einen Job geht, für den man halb Babysitter und halb Detektiv sein muss, aber mehr kann sie erst verraten, wenn er zugesagt hat, was er natürlich tut. Sie fahren mit dem Aufzug hoch, betreten ein Zimmer – und darin befindet sich der orkische Football-Spieler Bulwark Hogan, quicklebendig. Jack erfährt, dass Bulwarks bester Freund Jayce Coolidge in seiner Entourage arbeitet, den er seit Collegetagen kennt: Bulwark, Jayce und Bulwarks Manager Perry hatten damals alle im College-Team gespielt, wo Bulwark entdeckt wurde. Da Jayce Bulwark nicht nur ähnlich sieht, sondern auch sehr gut imitieren kann, kam Bulwark irgendwann auf die Idee, ihn mit dem Maske-Zauber belegen zu lassen, um die Medien von sich wegzulocken. Dazu wurde ein Zauberspeicher gekauft und immer wieder aufgeladen, und es funktionierte tatsächlich fabelhaft, da Jayce alle aus Bulwarks Umfeld sehr gut kannte und Bulwark überzeugend verkörpern konnte. Das war auch heute wieder der Fall. Bulwark möchte einer Vorladung seiner Ex-Frau aus dem Wege gehen und will weder den Medien noch den Anwälten Futter geben, also schickte er Jayce los, der einen Abend mit den Jungs verbringen sollte, und er selbst amüsierte sich in aller Ruhe mit ein paar hochpreisigen Prostituierten. Nie hätte er damit gerechnet, dass ihn jemand umbringen will: "Warum auch? Alle lieben mich!" Als sein Tod jetzt durch die Nachrichten ging, rief er kurzerhand einen Schattenkontakt an, um diese Chance zu nutzen, denn er will wissen, wer für die Bombe verantwortlich ist, da er der Polizei von L.A. nicht zutraut, den Drahtzieher zu finden. Dafür hat Jack jetzt ungefähr 24 Stunden, denn dann werden die DNA-Auswertungen ergeben, dass Jayce der Tote ist, und dessen Familie muss davon ja auch irgendwann mal erfahren.

 

Jack lässt sich also eine Liste mit Bulwarks gesamter Entourage und allen anderen Kontakten erstellen und zieht telefonisch Kitsune hinzu. Da nicht viel Zeit bleibt, wird Holly ein Kommlink mit der ID einer Privatdetektei und einen Mietwagen besorgen, damit Jack niemand in einem Jackrabbit herumfahren sieht. Verdammt, in dieser kurzen Zeit wird das nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, hier etwas zu erreichen, aber wer A sagt...

 

Während sie warten und Bulwark die Liste aus seinen Kommlink-Kontakten zusammenstellt, gewinnt Jack von ihm den Eindruck eines schrecklich von sich selbst eingenommenen Orks mit leichter Manbaby-Attitüde, was er auch Kit mitteilt, als diese endlich eintrifft. Sie soll Bulwark nicht mehr aus den Augen lassen – für den Fall, dass jemand herausbekommt, dass er noch lebt, und einen weiteren Anschlag verübt. Bulwark besteht darauf, per Standleitung mit Jack in Verbindung zu bleiben, denn wann bekommt man schon mal die Gelegenheit, die Reaktionen auf seinen eigenen Tod zu beobachten? Bulwark meint freudig aufgeregt, das werde bestimmt Spaß machen. Jetzt ist es aber viel zu spät, um noch etwas zu unternehmen, also haut sich Jack hier erst mal aufs Ohr.

 

Mittwoch, 13.09.2062

 

Während Angel morgens das Café besucht, trifft sich Ghost mit Wylde, um ihm auf den Zahn zu fühlen, warum ihm Lyle wichtig war. Wylde gesteht, dass er auf alles Mögliche wettet: Boxkämpfe, Pferde-, Autorennen usw. Lyle analysierte für ihn mal seine Chancen, und die Tipps, die sich daraus ergaben, waren Gold wert. Natürlich saß nicht jeder, aber Wylde hatte bei seinen Wetten unterm Strich deutlich mehr Erfolg als vorher, also ließ er Lyle alles analysieren, woran er interessiert war, und gab ihm dann zwei Prozent ab – hey, er war damit zufrieden! Aber vor etwa drei Wochen begannen Lyles Tipps, völlig daneben zu gehen. Das konnte immer mal passieren, blieb aber so, und Wylde begann, Geld zu bluten. Er stellte Lyle zur Rede, der das mit Unkonzentriertheit entschuldigte – und wer sollte aus diesem merkwürdigen Kauz schon schlau werden? Erst vor ein paar Tagen beschloss Wylde, seine Wetten gar nicht mehr bei Lyle einzureichen, und plötzlich wird er ermordet? Wylde ist lange genug im Geschäft, um so paranoid zu sein, das auf sich zu beziehen. Hat er vielleicht einem Mafioso die Quoten kaputt gemacht?

 

Schlüsselfiguren sind für Jack ganz klar Bulwarks Manager Peregrin Penn, ein schwarzer Ork und Bulwarks einistiger College-Football-Kamerad, und seine elfische Agentin Alexa Sutko, da diese beiden am engsten und häufigsten mit Bulwark zu tun hatten. Jack trifft beide zusammen an, da sie den Fallout des plötzlichen Todes organisieren müssen und schon planen, welchem Sender sie wie viel für exklusives Bildmaterial für Specials berechnen werden. Auch sie berichten, dass jeder Bulwark geliebt habe, das übliche leere Gequatsche halt, aber Jack bittet sie, wenn er bis drei gezählt hat, einen Namen zu nennen, dem die beiden zutrauen, dass er Bulwark tot sehen möchte, und beide nennen ohne Absprache spontan Maria Borrego, Bulwarks Freundin. Warum? Na ja, sie ist sehr eiferüschtig, und Bulwark ist kein Kind von Traurigkeit – wenn sie etwas über seine One-Night-Stands herausgefunden hat, wäre ihr das vielleicht zuzutrauen. Immerhin hat sie schon ihren letzten Freund erschossen (kam aber mit Notwehr straffrei davon). Penn macht Jack außerdem auch auf den irren Fan Charlie Gupta aufmerksam, gegen den Bulwark eine einstweilige Verfügung erwirkt hat, dass er sich ihm nicht auf mehr als 100 Meter nähern darf.

 

Jack fragt auch noch ein bisschen bei denen herum, die gestern mit dem Bulwark-Double in der Bar waren und die Explosion mitbekommen haben, und er merkt: Traurig ist keiner von denen, sie machen sich vielmehr Gedanken, wer jetzt die Parties schmeißt und die Rechnungen bezahlt. Das lässt er auch Bulwark wissen, aber der wiegelt ab, das sei nur ihre Art, mit der schrecklichen Wahrheit umzugehen, bis sie ganz durchgedrungen ist.

 

Angel sitzt in den versifften Café, und das System zu knacken, ist ein Kinderspiel. Er geht die Logs durch und gleicht sie mit der IP und den Zeiten aus Lyles System ab und bekommt so die Nummer von Lyles Schachgegner heraus. Angel ruft sie an, aber im Café klingelt kein Kommlink. Dafür geht jemand ran, den Angel auf Lyle anspricht – der andere legt nicht auf, sondern ist an Lyles Verbleib interessiert und will gleich vorbeikommen.

 

Der schlaksige Kerl, der aufkreuzt, wirkt ganz und gar ungefährlich, aber selbstbewusst. Er nennt sich Raphael, hält sich von der hustenden Virenschleuder Angel fern und erklärt, dass ihm Fragmente für den Code eines Sleaze-Programms in die Hände gefallen sind. Datenbuchse und Billigdeck weisen ihn als sehr kleinen Decker aus, und Raphael gibt selbst zu, der Aufgabe ganz und gar nicht gewachsen zu sein. Über die Schach-App lernte er Lyle kennen. Nachdem er nebenbei erfuhr, dass Lyle programmiert (und am eigenen Leibe erfahren hat, wie fantastisch er Schach spielt), lud er ihn persönlich hierher ein und bot ihm an, an dem Fragment zu arbeiten. Lyle stürzte sich begeistert auf die Aufgabe, aber vor ein paar Tagen rief er Raphael an und meinte, er habe das Programm zwar wiederhergestellt, sorge sich nun aber, dass es vielleicht für ungesetzliche Zwecke eingesetzt werde, und deshalb könne Raphael es nicht haben. Dieser meint, er habe sich damit beruhigt, dass Lyle das Programm vermutlich auch nicht hat fertigstellen können, weil er ebenfalls an den hohen Hürden gescheitert war, das aber nicht eingestehen wollte.

 

Raphael wirkt durchaus glaubwürdig erschrocken, als Angel ihn damit konfrontiert, dass Lyle ermordet wurde. Nein, er habe damit nichts zu tun, im Gegenteil – er würde sich das fertige Programm, wenn es hält, was das Grundgerüst versprach, auch etwas kosten lassen, denn er habe bereits einen Käufer und könne bis zu zehn Riesen locker machen.

 

Für ein bisschen Beinarbeit wären ¥ 5.000 pro Kopf gar nicht übel, also sieht sich Angel zurück in seinem Mirage die Box noch mal an. Mit Online-Hilfe (er spielt kein Schach) stellt er fest, dass das Set gar nicht komplett ist: Es sind nur 29 Figuren statt der nötigen 32 vorhanden, es fehlen zwei weiße Bauern und ein schwarzer. Nun endlich fällt ihm auf, dass einer der schwarzen Türme merkwürdig in der Hand liegt: Unter seine Basis ist ein Chip geklebt worden. Angel checkt ihn, aber darauf ist nicht das Programm, es ist nur ein Chip mit einem Schlüsselcode, wie er für Schließfächer ausgegeben wird. Bei einem Bankschließfach sähe es anders aus, aber bei normalen Schließfächern ist es so, dass sie für eine gewisse Zeit gemietet werden, danach gibt es eine Zeitspanne, in der man nebst Strafgebühr nachlösen kann, um an sein Zeug zu kommen, und danach kann sich der Schließfachbetreiber das Verwahrgut selbst unter den Nagel reißen. Der Mietzeitraum bei für kurzzeitige Ablage gedachten Schließfächern an Busterminals o. ä. wird generell in Stunden gemessen, bei anderen können es Tage oder Wochen sein.

 

Jack besucht Bulwarks Freundin Maria Borrego. Sie selbst kann vermutlich keine Autobombe basteln, aber falls sie Familie bei der mexikanischen Mafia hat...? Er gibt vor, dass die Versicherung seine Detektei beauftragt hat, und fühlt der Orkin auf den Zahn. Maria wirkt unerwartet harmlos und niedergeschlagen, und die vielen Kleenex zeugen davon, dass sie sich schon seit gestern Nacht die Augen aus dem Kopf geheult hat. Das scheint aber kathartisch gewesen zu sein, denn sie hat sich dabei auch viele Gedanken gemacht, unter anderem darüber, dass sie schon oft überlegt hatte, Boyd zu verlassen, es aber nicht tat, weil es einfach war, es nicht zu tun. Jemand zu sein, sich über die Rechnungen keine Gedanken machen zu müssen, alles gut und schön – dabei erfüllte sie einfach nur eine Funktion für Boyd und war im Grunde austauschbar. Sein Tod gibt ihr nun endlich die Chance, aus diesem Reigen aus Unsicherheit, Gleichgültigkeit und Selbsthass auszubrechen.

 

Maria: He spent his whole life becoming a star and never thought about what would come after. When he retired, he turned into someone else. The bars, the drugs, the women, all his false friends. And he never loved me. Known it all along, just didn't allow myself to admit it.

Jack: Maybe by realizing this, you can move on. Find someone who does love you.

Maria: Ha! Finding someone who loves me as much as Boyd loved himself – good luck to me, huh?

 

Jack kann sich nicht vorstellen, dass Maria etwas mit dem Mord zu tun hatte. In seinem Hotel hört Bulwark schweigend zu, und Kit sieht ihm an, dass er sich wohl nie Gedanken über Maria gemacht hat und nun ein schlechtes Gewissen bekommt.

 

Ghost und Angel schließen sich kurz und treffen sich wieder bei Lyles Haus, um Dana nun doch noch mal nach den Schachfiguren zu befragen. Ghost klopft und hört plötzlich Danas schrillen Schrei um Hilfe. Er platzt rein, und Dana zeigt verängstigt Richtung Hintertür. Angel läuft wieder raus, um dem Eindringling eventuell den Weg abzuschneiden, Ghost nimmt gehandicapt die direkte Verfolgung auf und sieht draußen im Sonnenschein, dass es der Elf von gestern Nacht ist. Er verfolgt ihn durch Hinterhöfe, über Maschendrahtzäune, durch Büsche und merkt: Der Bursche ist erstens schnell und akrobatisch, und zweitens hat Ghost mit seinem gebrochenen Arm keine Chance. Er verliert ihn im dicht bebauten Gelände auch immer wieder aus den Augen, und schließlich wird er von hinten mit einem Beinfeger überrascht, schlägt lang hin und hört das Klacken eines schweren Revolvers. Sofort ist der Elf über ihm, presst ihm die Mündung an den Kopf und das Knie in den Nacken und durchsucht mit der anderen Hand seine Taschen.

 

Elf: You're good, but you ain't that good, slick. You got something for me? Hm?

Ghost: If I knew what you're looking for...

Elf: Sure, play dumb. (Er findet nichts und richtet sich auf.) All right, where is it? (Ghost dreht sich auf dem rechten Arm um und blinzelt gegen die Sonne, die genau über der Schulter des Elfen steht.) Damn, I crashed you so good, you should be in a glass with ice and a cocktail umbrella.

Ghost: No idea what you're looking for.

Elf: Nice going, brother. Balls as big as yours, it's amazing you can find pants that fit. The chip.

Ghost: Oh, the chip. Try checking on your shoulder.

Elf: Last thing I wanna do is hurt you, buck. (Er schießt bemerkenswert sicher ganz dicht an Ghosts Gesicht vorbei in den Boden, so dass er die Splitter spürt und den Kopf zur Seite reißt.) But it's still on the list.

 

Durch den Schuss konnte Angel, der parallel unterwegs war, seine Route korrigieren und erscheint nun mit dem Predator im Anschlag 20 Meter entfernt zwischen zwei Häusern und nähert sich.

 

Angel: Drop it, fuckface!

Elf: Well, well. Seems we've arrived at an impasse. (Zu Ghost:) Get up. Slowly. (Laut zu Angel:) You got the chip? Huh?

Angel: No me ralles! Got something else for you, pajero!

 

Ghost bleibt keine Wahl, auch wenn er damit die Lage seines Gegners erleichtert. Aber er bleibt professionell, legt die rechte Hand in den Nacken und meint ruhig, dass, wenn das hier nicht in einem Blutbad enden soll, Reden helfen könnte. Alle drei horchen nun aber auf, als sie Schüsse und Schreie aus der Richtung von Danas Haus hören können. Sie tauschen Blicke und einigen sich wortlos darauf, vorübergehend einen Waffenstillstand zu schließen, und alle drei laufen einander misstrauend zurück.

 

Im Haus haben Ganger Dana in die Mangel genommen, prügeln sie mit bitchslaps und wollen wissen, wo das verschissene Programm ist. Angel erkennt die Farben der Los Sangrientos. Als Ghost Verhandlungen aufnehmen will, fängt ein paranoider, drogensüchtiger Ganger aber gleich an zu ballern, und so schließt sich ein geiler Firefight an, halb im Haus, halb darum herum, in dem der Elf sogar vermutlich Ghosts Leben rettet, als er einen Ganger umlegt, der fast in Ghosts Rücken gefallen wäre. Der Elf zeigt, wie abgeklärt er in Lebensgefahr ist, dass er immer noch Zeit für einen Spruch findet: "Nobody gets to fuck you up but me."

 

Als sich der Rauch legt, hört man nur Dana in einer Ecke zusammengekauert hysterisch weinen. Angel knurrt, dass diese mierda keine fünf Riesen wert ist, und verpasst Dana eine Backpfeife, um sie aus ihrer Hysterie zu holen. Ghost stoppt ihn und versucht es beruhigend, was den Elfen amüsiert: Niedlich, wie er sich um die Schnalle kümmert, die ihren eigenen Bruder umgelegt hat. Bitte was?

 

Mit den Informationen des Elfen kann Ghost rekonstruieren, dass Dana, als die Bezahlung für die Programmierung zum Greifen nahe war und Lyle es sich aus moralischen Gründen anders überlegte, ausrastete, ihn erschoss und seinen Finger abschnitt, um an seinen Safe zu kommen – sie hoffte, darin das Programm zu finden, aber Fehlanzeige. Also verwüstete sie den Rest des Hauses auf der Suche nach dem "richtigen" Versteck, von dem der Safe vielleicht nur ablenken sollte, als Barnaby Wylde anrief und Ghost ankündigte. Daraufhin rannte sie schnell zu einer Nachbarin, um einen Einbruch zu melden, und die holte natürlich die Cops und ließ Dana nicht zu ihrem Haus zurückgehen, die Einbrecher könnten ja noch da sein. Zu dem Zeitpunkt, als die Tür offen stand, kreuzte der Elf auf und merkte, dass er wohl nicht der Erste und das Programm sehr vermutlich bereits gefunden worden war – da aber tauchte Ghost auf. Der Elf stellte danach seine eigenen Nachforschungen an (die er nicht genauer erläutert) und erfuhr, wo Lyle das Programm versteckt hat: in einem Schließfach, für das man aber natürlich einen Zugangschip braucht. Um diesen zu finden, kam er heute zurück.

 

Während Dana immer noch weint (niemand beachtet sie mehr, obwohl sie ihre Situation vermutlich sogar gut erklären und man sie vielleicht sogar verstehen könnte), schlägt der Elf vor, sich zusammenzutun. Er hat den Käufer und weiß, wo das Schließfach ist, Ghost und Angel haben den Chip und können sich vom Erlös ¥ 6.000 teilen. Ghost geht davon aus, dass der Elf ¥ 12.000 kriegen könnte, und handelt ihn auf ¥ 7.000 hoch. Da sie keinen Auftrag haben, was das Programm angeht, wäre das immerhin etwas Schmerzensgeld, und es gibt keinen weiteren Stress mit dem Elfen.

 

Draußen stellt sich Ghost vor, und der Elf schnaubt amüsiert, als er erfährt, wen er vor sich hat. Sie haben gemeinsame Bekannte, und sie haben sogar schon Schüsse ausgetauscht. Ghost kommt nicht drauf, aber dies ist Orion von den Fairy Tales, die aus ihm selbst, T-Byrd, Marillion, Ironside, Shockwave, Morgan und Tinkerbell bestanden. Ghost weiß, dass sich die Crew nicht lange nach Tinkerbells und Morgans Tod aufgelöst hat: Ironside und Shockwave gingen nach Tir Tairngire zurück, weil dort hohe Bezahlungen lockten, T-Byrd, Marillion und Orion hatten auf diesen Stress wohl keine Lust mehr und blieben in CalFree. Marillion sollen letztes Jahr die Cops erwischt haben.

 

Jack ist in der Zwischenzeit zu Charlie Gupta gefahren, doch auch von dem erhält er nicht den Eindruck eines Killers. Das ist einfach nur ein ehemaliger Megafan, der sich, seit Bulwark ihn bei der Bitte um ein Selfie wie Drek behandelt hatte, in seine Abneigung hineingesteigert hat. Ja, Charlie hat Bulwark gestalkt, und ja, er ist dafür verklagt worden und darf sich ihm nicht mehr nähern, aber hey, er hatte schließlich Beweise dafür gesucht, dass Bulwark nicht der nette Kerl ist, für den ihn alle halten, hier, bitte – Charlie zeigt Jack heimlich geschossene Fotos von Bulwark und Manny Perusquia, einem Kleinkriminellen aus East L.A. Erstens: Wollte Charlie Bulwarks Tod, würde er nicht versuchen, ihn legal bloßzustellen. Zweitens: Bulwarks etwas übertriebene "Verkleidung" (hochgeschlagener Kragen, Sonnenbrille, Baseball-Mütze) und Körpersprache auf den Bildern zeigen klar, dass er nicht mit Perusquia gesehen werden wollte.

 

Ghost ist einarmig kein guter Motorradfahrer und fährt daher bei Angel mit, der Orions schwarzer Azimuth folgt.

 

Angel: So you know this Goth Elvis from way back?

Ghost: Way back. Must've been five years. Runners from the Tir. We zeroed two of them.

Angel: He don't seem to care.

Ghost: It was just business, nothing personal. We had to smoke the sniper and the mage to even out the playing field. Null sheen, though, we've kept in touch with their decker, no bad vibes.

Angel: They any good?

Ghost: They were supposed to be big shots in the Tir. Allegedly they came down to California when things got too hot back home. Me, I don't know. All I can say is I've heard Orion's handle come up every now and then. He's survived for at least five years now in the sprawl, so I suppose he knows the ropes.

Angel: And he kicked your ass.

Ghost: Please, Bobby. It was pitch-black.

Angel: Twice.

Ghost (seufzend): He's lightning, I give him that.

 

Jack fährt ebenfalls wieder los und fragt Bulwark unterwegs via Standleitung nach Manny Perusquia. Bulwark streitet alles ab, ist aber ein miserabler Lügner, und Kits eisiger Blick ist einschüchternd genug, also plaudert er: Perusquia betreibt eine Flaschenabfüllanlage in Rosemead, East L.A., ist aber auch ein Buchmacher und Schieber, und Bulwark hat oft bei ihm gewettet (und meistens verloren). Perusquia wollte ihn auch unter Druck setzen, in seine Anlage zu investieren und seinen Alkohol zu kaufen, um damit Werbung zu machen. Bulwark hat beides abgelehnt, was Perusquia, na ja, nicht gerade erfreut hat.

 

Jacks Weg führt ihn an Lindas Apartment vorbei, Bulwarks Ex-Frau, also stattet er ihr auch einen Besuch ab. Sie ist nicht so leidenschaftlich traurig wie Maria, eher sehr zurückgenommen und beherrscht, aber Jack bekommt das deutliche Gefühl, dass sie wirklich trauert, und ihm fallen die Holos auf, die hier überall hängen: Sie zeigen überwiegend das Ehepaar in glücklichen Zeiten, obwohl sie schon seit zwei Jahren geschieden sind. Linda erwartet kein Erbe, sie hätte also nichts von Bulwarks Tod, aber ihre Schilderung ist ganz aufschlussreich, wie sich ihr Mann mit dem steigenden Erfolg veränderte. Er konnte zu keiner Gelegenheit nein sagen, ob Alkohol, Drogen oder Frauen, und glaubte immer mehr all den Schleimern um ihn herum, die ihm das Gefühl gaben, der Größte zu sein. Der zügellose Lebensstil, auf den er inzwischen ein Recht zu haben glaubte, forderte seinen Tribut, er baute ab, wurde schlechter auf dem Spielfeld, und Linda konnte seinem charakterlichen Verfall nur hilflos zusehen. Vielleicht begann irgendjemand, Boyd etwas einzuflüstern, vielleicht entwickelte er seine Paranoia auch allein, aber er sagte immer öfter, dass Linda nur bei ihm sei, um ihn auszusaugen wie ein Blutegel, nur bei ihm sei wegen seines Geldes – obwohl sie lange vor seinem Erfolg geheiratet hatten. Irgendwann hat sie es nicht mehr ausgehalten und die Scheidung eingereicht. Seine teuren Anwälte haben dafür gesorgt, dass sich der finanzielle Verlust für Boyd in Grenzen hielt, aber sie ist natürlich trotzdem versorgt. Jack fragt Linda, ob sie ihn immer noch liebt. Ja, Boyd werde sie immer lieben. Doch ihr Boyd sei schon vor vielen Jahren gestorben – nun sei ihm sein Körper einfach nur nachgefolgt. Kit merkt Bulwark währenddessen an, dass er sich sehr beherrschen muss, seine Tränen zurückzuhalten.

 

Orion, Ghost und Angel erreichen ein versifftes Sarghotel in Torrance, das natürlich auch ein Segment mit Schließfächern hat. Anstatt den Chip an jedem auszuprobieren, versucht es Angel sofort an der Nr. 29, und das Fach öffnet sich. Angel checkt den Chip darin, und es sieht so aus, als sei das gesuchte Programm darauf. Sie streiten sich kurz darüber, wer es an sich nimmt, denn natürlich will es Orion haben, aber Ghost und Angel wollen nicht von ihm im Regen stehen gelassen werden, es sei denn, er zahlt sie gleich aus. So sind sie tatsächlich zu sehr mit sich selbst beschäftigt und werden überrascht, als ein Wagen vor dem Eingang hält und weitere Sangrientos herausspringen und das Feuer eröffnen. (Sie hatten hier jemanden postiert, der das Schließfach im Auge behält.) In dem Feuergefecht zieht sich Angel einen Beinschuss zu, der ihn ausbremst, und da Ghost nur leicht bewaffnet war und bald keine Mun mehr hat, muss er seine Deckung verlassen, in den Nahkampf gehen und mit einer erbeuteten MP weiterkämpfen. Von Orion fehlt jede Spur, der hat den Budenzauber zur Flucht benutzt, vermutlich nach hinten raus, also ziehen sich Ghost und Angel drinnen ebenfalls von Deckung zu Deckung zurück und hoffen auf eine Hintertür. Die Sangrientos rücken entsprechend nach und werfen jetzt Molotovs, und bald raubt der beißende Rauch Ghost jede Orientierung. Das Sarghotel besitzt entweder keine Sprinkleranlage, oder sie funktioniert nicht – Ghost tränen die Augen, er kann nichts mehr sehen und feuert nur noch blind, während er nicht erkennt, wohin er eigentlich kriecht. Angels Cyberaugen macht die Schärfe nichts aus, aber er erkennt im Rauch auch nichts mehr, nur die IR-Umrisse der Ganger, wenn sie sich überhaupt mal zeigen – man hört sie lachen und scherzen, denn sie müssen nicht nachrücken, nur abwarten, bis sich jemand zeigt.

 

Nun taucht Orion von der Straße aus hinter den Gangern auf, legt alle drei um, die noch auf den Beinen sind, und lässt Ghost und Angel rauskommen: "Just another day at the office, am I right?" Nun hat er den beiden sogar den Arsch gerettet, aber da Angel noch den Chip mit dem Programm in der Chipbuchse hatte, ist das auch kein Wunder. Mit Azimuth und Mirage sehen sie zu, dass sie wegkommen. Ghost ruft einen Straßendoc in der Nähe an, kündigt Angel an, lässt sich den Chip geben und steigt bei Orion auf, um Angel zum Doc fahren zu lassen.

 

Jack erreicht Perusquias Abfüllanlage, fragt sich zum Chef durch und betritt sein kleines Büro. Als Manny sich unter Druck gesetzt fühlt, verweist er auf seine Kontakte zur mexikanischen Mafia, Jack sehe sich also besser vor. Der aber fährt eine ganz unerwartete Schiene und erklärt freundlich und seelenruhig, er werde in seiner Detektei mit den großen Jobs beauftragt, weil er mit den Toten sprechen könne – und zu Mannys wachsendem Entsetzen "beweist" er das, indem er jede Frage von ihm beantwortet, wie es nur Bulwark könnte, während er immer wieder geheimnisvoll zu einem leeren Stuhl schaut. Dadurch, dass Bulwark via Kommlink notgedrungen immer ehrlicher wird – Manny hatte ihn mit einem Messer so verängstigt, dass sich Bulwark einnässte –, ist alles, was Jack sagt und was nur Bulwark wissen konnte, beängstigend überzeugend, und Jack dreht immer weiter auf, wie wütend Boyds Geist auf Manny sei.

 

Meisterlich erzeugt er damit in Manny immer mehr Panik, bis dieser ihn mit dem Amulett eines katholischen Heiligen in der Hand nur noch anfleht, dafür zu sorgen, dass Bulwarks Geist verschwindet. Oh, das werde er, sobald sein Mörder gefunden wurde, meint Jack. Okay, okay, okay, Manny habe auch keine Ahnung, doch vielleicht wolle Jack mal Perry Penn auf den Zahn fühlen? Der habe nämlich vor ein paar Wochen Lagerfläche bei Manny angemietet, die nirgends auftauchen sollte, und Manny darauf eingeschworen, Bulwark nichts zu sagen. Er habe ihm dafür ein paar private Garagen zur Verfügung gestellt.

 

Mit jeder anderen Herangehensweise hätte Jack jetzt improvisieren müssen – nur die Adresse bekommen und jemanden finden, der einbrechen kann? Manny mit vorgehaltener Pistole kontrollierend durch halb East L.A. gondeln? –, aber durch diese herrlich schräge Geistergeschichte ist Manny bereit, ihn persönlich zu den Garagen zu führen, wenn das nur Bulwarks Geist verschwinden lässt. Er öffnet sie, und sie stecken voll mit Bulwark-Memorabilia: Chips mit offiziellem AR-Sticker, Footballs, T-Shirts, Mützen, Trikots, Fahnen etc.

 

Jack verpflichtet Manny zum Schweigen, fährt per Autopilot wieder los und widmet sich unterwegs mit der ganz klassischen Online-Recherche nun Peregrin Penn. Er findet heraus, dass dieser selbst Werbung für einen Online-Handel für Bulwark-Memorabilia macht – laut Impressum erst vor wenigen Wochen gegründet, Inhaber ist Penn selbst. Wetten, dass er sich die Lizenzgebühren großzügig selber erlassen hat, und wetten, dass aus seinem und dem Versandhandel-Konto hervorgeht, dass er seit Wochen überall billige Restbestände an Bulwark-Fanartikeln kauft? Mit Bulwarks Tod werden Nachfrage und Preis natürlich unverhältnismäßig stark steigen. Nur: Wie will man beweisen, dass Penn hinter dem Anschlag steckt?

 

Ghost lässt Orion bei der Übergabe und Bezahlung nicht aus den Augen und lässt sich dann die ¥ 7.000 überweisen. Mit der lockeren Bemerkung, dass es Spaß gemacht habe, wendet sich Orion ab, steigt auf seine Azimuth, startet sie – und fragt dann doch, ob Ghost auf den Erfolg noch einen trinken wolle. Ghost überlegt kurz, nickt und steigt wieder auf den Sozius.

 

Zurück im Hotel macht sich Jack dafür stark, die Infos nebst Adresse der Lagerhalle den Medien zuzuspielen – deren kritische Berichterstattung wird den Cops keine andere Wahl lassen, als Penn genauer zu überprüfen. Bulwark ist einverstanden, aber auch sehr geknickt: Sein bester Freund ist tot, die Aasgeier schlagen schon Kapital aus seinem eigenen scheinbaren Tod, seine Freundin hat bereits mit ihm abgeschlossen, bevor er unter der Erde ist, weil er sie nur benutzt hat, und niemand betrauert sein Dahinscheiden – nur seine Ex-Frau.

 

Jack schlägt vor, dass sich Bulwark "finden" lässt und vorgibt, den ganzen Tag verkatert verbracht und daher keine News gesehen zu haben. Der Ork bedankt sich ernst bei ihm und Kit. Er glaubt, ihm sei Einiges klar geworden. Sterben, ohne zu sterben, und die Reaktionen beobachten – das sollte jeder mal versuchen. Er lässt Holly wissen, dass der Job wirklich zu seiner vollen Zufriedenheit erledigt wurde.

 

Ghost und Orion sitzen in einer Bar, und Orion erzählt gerade davon, wie ein gemeinsamer Bekannter zu Tode kam.

 

Orion: So while we're all busy doing the floor routine, Gilligan and Revenant have yet to jump, right? Gilligan goes first, misses the ledge and becomes sidewalk soufflé a couple dozen stories further down. Revenant gathers his moxie, takes the jump, looking wavy at first, but he twists his ankle and scatters his gear all over the rooftop like a yard sale. The ballerina leaps out of the 'copter, full-on lightning mode, and waxes this yoko with her vibro-blade, it was a motherfucking ballet of blood. Just took 0.3 seconds, and the mighty Revenant was bagged and tagged.

Ghost: He sold you out?

Orion: What, 'cause of the yoko? Not me personally, but he was deep in Mitsuhama's pockets. Only served him right to be offed by an azzie.

Ghost: He used to be a term of mine.

Orion: Xin loi, buck. (Viet.: Sorry.) Just calling a spade a spade. He was taking sake all over the plex. There's buzz he used to be ace, but shortwired at some point – and then sold out.

Ghost: The yaks smoked his wife. Had nothing to lose after that. I hear he got into recycling and taking blood money, but snitching for 'hama of all corps? Don't buy it.

Orion: WGASA? ("Wigassa" = Who Gives A Shit Anyhow?) He's an obit of yore. You wanted to know how he checked out, now you do. We're whacking roaches talking about that jackass. Should be talking about folks above ground, neh? Tell me about that face of yours. I hear she's a real banger.

Ghost: I'd rather not.

Orion: Rakusho-dayo, bucko. Suit yourself.

Ghost: Who else you been running with?

Orion: Oh, so I'm supposed to spill the beans while you clam up?

Ghost: Fair enough. There ain't much to tell, though. Okay, change of subject?

Orion: If you hum a few bars, I'll see if I can think up a tune.

Ghost: Got a sweet revolver there.

Orion: Should have queried about my double-barreled shotgun, slick. Call it the liquefier. Two squeezes, and it's closed caskets all around.

Ghost: Didn't see any action today, though.

Orion: Soon as the sitch calls for chunky salsa, I'll whip it out. But those little fraggers weren't worth the shells.

Ghost: Why a six shooter?

Orion: Well, for one thing 'cause few occasions require more than six bullets. For another thing 'cause I like my handgun not jamming on me at the most inconvenient of times. Oh, and nines are fucking boring.

Ghost: You keep one anyway.

Orion: Oh, really?

Ghost: Yeah, your backup.

Orion: Keen eye, buck.

Ghost: Noticed your quick draw holster. Nice work.

Orion: Real leather, too. Handmade.

Ghost: You're not into long guns?

Orion: Gonna ask me next if I'm into rapiers 'cause I'm a keeb? Are you into bow and arrow?

Ghost: As a matter of fact, yeah.

Orion: Well, fuck me, then, right?

 

Freitag, 15.09.2062

 

Gestern wurde in den News eine Kollaboration zwischen As You Do! und Zam Wilco von Gold Dust angekündigt, ein gemeinsames Cover von Keepin' Up, und die Hype-Maschine läuft sofort. Heute trifft sich Jack mit Zam Wilco in der Red Dirt Bar. Zam bedankt sich für seine Hilfe, und die beiden langen ordentlich zu.

 

Im Laufe des Abends gewinnt Jack ein recht klares Bild von Zam: Er begann seine Musikkarriere einst als Rebell, der Rock'n'Roll als lebendigen Gegenentwurf zu dem kalten, toten Megakonkapitalismus sah. Doch ein Rebell zu sein ist leicht, wenn man jung ist und aus einfachen Verhältnissen stammt – öffnet sich dir aber plötzlich die ganze Welt, zeigt sich, wie viel deine angeblichen Überzeugungen wert sind. Schon mit dem ersten Album wurde Zam zum Sellout, der das Rockstardasein mit all seinen Annehmlichkeiten und der Bewunderung der Fans liebte, und wäre Gold Dust dauerhafter Erfolg beschieden gewesen, wäre heute längst nichts mehr übrig von seinen Prinzipien. Aber die hegt er ohnehin nur, um sein Ego zu streicheln und sich von all den anderen Sklaven im Biz abzuheben, obwohl er selbst genau wie sie ist. Er lechzt zu sehr nach Anerkennung, um sich nicht erneut zu verkaufen – diesmal an As You Do! bzw. deren Label. Er hatte Angst davor, dass sein Werk "modernisiert" wird, nur damit die Konhaie erneut daran verdienen, aber persönlich involviert zu sein, verleiht ihm die Illusion davon, es selbst "noch mal wissen zu wollen". Natürlich dreht er sich alles so zurecht, wie er es braucht, um vor sich selbst gut dazustehen, aber im Grunde hatte er immer schreckliche Angst davor, etwas Neues herauszubringen, bewertet und für nicht gut genug befunden zu werden. Lieber tat er elf Jahre lang gar nichts und tarnte diese vergeudete Zeit mit dem Nimbus des immer noch prinzipientreuen Rock'n'Rollers, der auf das kalte, seelenlose Biz schimpft und sich nicht verkaufen will. Mit dem aktuellen Hype um As You Do! und seinem Riesenglück, dass es für die Mädchen eine Ehre ist, mit ihm zu arbeiten, ist ihm das Wohlwollen der Medien und des Publikums aber relativ sicher, und plötzlich entdeckt er im Laserpop von AYD!, den er für den größten Müll hielt, ganz plötzlich ungeahnte Qualitäten. Nun, wo er die Chance hat, plötzlich wieder berühmt, respektiert und cool zu sein, ist das auf einmal "halt die Musik einer neuen Generation".

 

Als beide schon ziemlich einen geladen haben, gesteht Zam es sich sogar selbst ansatzweise ein.

 

Jack: So you work with the girls though you despise their music.

Zam: Au fucking contraire, I'm happy to add a little blood'n'chrome to their fake pop slice'n'dice.

     You know, I wake up with the same thought every damn day – that I might fade into this town's steam, stench, murk. For good. I was afraid of being exposed, you feel me? Of people finally seeing me as another piece of merch, another cog in the corpomachine. Sellout Wilco, showing laserpop starlets a good time for cash, fame and the chance to remind people he's still fucking alive.

 

Montag, 18.09.2062

 

Angel liegt inzwischen mit einer dicken Lungenentzündung im Greater El Monte Community Hospital. (Viper hätte sie im Handumdrehen geheilt, aber der ist auf einem Run und nicht in der Stadt.) Garcia Valenzuela kommt ihn besuchen, hat aber einen Auftrag im Gepäck: Im Santa Anita Park, der größten Pferderennbahn des CFS, ist ein wertvoller Hengst verschwunden, Follow Me Home. Garcias Boss nervt ihn, weil er Insidertipps für die nächsten (vermutlich manipulierten) Rennen hatte, die jetzt durch Follow Me Homes Nichtteilnahme völlig durcheinandergewirbelt werden, und will, dass das Pferd verdammt noch mal wieder antritt. Mit Garcias Leuten redet in Arcadia niemand freiwillig, und mit Druck bekommt man dort nichts heraus. Garcia setzt natürlich nicht nur auf Angel, sondern hat auch schon andere beauftragt, aber falls Angel jemanden kennt, der interessiert wäre?

 

Angel ruft Ghost an, aber der liegt mittlerweile auch flach – Angel muss ihn angesteckt haben. Kitsune ist auf demselben Run wie Viper, also ruft Angel Quicksilver an, denn inzwischen ist ihm zu Ohren gekommen, dass er ganz gut darin ist, Dinge herauszufinden. (Angel hat ja keinen Stress mit ihm und einige Male gut mit ihm zusammengearbeitet.) Dieser freut sich, aus unerwarteter Richtung einen Auftrag zu bekommen.

 

Meryl ruft Billy an: Einer der Nomads, Trevor Plasse, ist vor drei Tagen verschwunden. Jedoch hat jemand seinen Wagen bei der Ruine des Las Palapas Motels gesehen, in der sich die Butt Uglies eingenistet haben. Trevor ist garantiert tot, aber seine Familie möchte seinen Leichnam begraben. Billy sagt sofort zu, Cutty wird hinzugezogen, und sie gabelt ihn unterwegs mit dem Infinity auf, weil seine Emperor in der Werkstatt ist.

 

Gemeinsam fahren sie also nach Osten und unterhalten sich unterwegs über ihre Beziehungen. Erstaunlicherweise läuft zwischen Cutty und Neona alles blendend. Sie sind seit dem 23.03. zusammen und feiern bald ihr Halbjahresjubiläum – so eine "lange" feste Beziehung hatte Cutty noch nie. Er staunt über sich selbst, gestattet sich aber nicht, darüber nachzudenken, wie es aussähe, wenn Fiona nicht in Europa wäre. Wie immer steigert er sich in seine aktuelle Verfassung hinein, ist davon überzeugt, dass er sich geändert hat, und hält Vorträge darüber, wie er an der Seite der so erwachsenen Neona selber erwachsen geworden sei. Der Letzte im Sprawl, der weiß, wie launisch und wankelmütig Cutty ist, ist Cutty.

 

Billy führt mit Enola seit dem 11.02. eine Dreiecksbeziehung, und auch an dieser Front gibt es keine Probleme. Cutty fragt sich insgeheim, was ein bildhübsches menschliches Mädchen wie Enola an der Orkin reizt, muss aber auch zugeben, dass Billy nach menschlicher Ästhetik für eine Orkin sehr hübsch ist. Als er das erwähnt, winkt Billy gut gelaunt ab: Klar hat sie auch schon Angebote von menschlichen Männern bekommen, aber Cutty würde staunen, wie wenige Orks sich für sie interessieren – vielen sieht sie nämlich nicht orkisch genug aus, und manche glauben sogar, sie hätte operativ nachhelfen lassen, um menschlicher auszusehen, aber sie beschwört, dass das nicht stimmt.

 

Silver erreicht den Santa Anita Park in Arcadia, wo Pferde wie Calm Thunder, Sheba's Ghost, Musketeer's Cat, Papa Gene, Lucky Boy oder Ocean Strider gegeneinander rennen, aber selbst der Kommentator meint, dass der Sieger vermutlich Down The Road heißen werde – dessen einzige Konkurrenz sei nun mal Follow Me Home gewesen.

 

Silver muss diskret vorgehen, da er sich nicht als Polizist oder Privatdetektiv ausweisen kann, der ein Recht hätte, herumzuschnüffeln, bastelt sich aber aus diversen Aussagen von Arbeitern auf dem Gelände eine brauchbare Timeline zusammen. Der Troll Spike Hardwick, der für Follow Me Homes Besitzer arbeitet und in jener Nacht Stalldienst hatte, ist ebenso verschwunden ist wie das Pferd, muss also eine Schlüsselfigur sein. Hätte er den Diebstahl verhindern wollen und man ihn umegelegt, wäre die Leiche bereits gefunden worden, denn einen toten Troll schleppt man nicht mal eben zum nächsten Wagen (in den er dann vermutlich nicht mal reinpasst) – also hängt er mit drin. Jack bekommt seine Adresse in Brentwood heraus, was passt, da das Gestüt in den Santa Monica Mountains liegt.

 

In den Badlands dient das Sunset Motel als Treffpunkt. Trevors Familie stellt einen geländegängigen SUV zur Verfügung, denn Meryls Quattro ist nicht gerade geräumig, und Trevor ist vermutlich bereits seit drei Tagen tot – hier draußen in der Wüste ist das eine Ewigkeit, was die Verfassung der Leiche betrifft. Mit zwei Wagen fahren sie los, legen sich in sicherer Entfernung auf die Lauer (CP 2077, FTP Biotechnica Flats, Las Palapas Motel) und kundschaften das Gelände aus, zählen aber zu viele Gegner. (Billy: "Too many Butt Uglies for the sitch to not turn butt ugly for us.") Also vertreiben sie sich die Zeit, während immer einer mit dem Fernglas das Motel im Auge behält. Cutty ist erstaunt, als er hört, dass auch zwischen Meryl und Lee immer noch alles wunderbar läuft.

 

In Brentwood erfährt Silver von Spikes Vermieterin, dass er auch hier seitdem nicht mehr aufgetaucht ist. Gegen ein Bestechungsgeld kann er sich in seinem Zimmer umsehen und stellt fest, dass das Nötigste nicht hier ist – Spike muss also sein Verschwinden vorbereitet und freiwillig einen guten Teil seiner Besitztümer zurückgelassen haben.

 

Geschickt forscht Jack weiter nach und findet heraus, dass er hier vorher als Packer in einem Supermarkt gearbeitet hat. Er wird als ruhig und verschlossen, aber friedlich beschrieben, und niemand kann Familie oder Freunde von ihm benennen, er muss ein ziemlicher Einzelgänger gewesen sein. Probleme hat er nie gemacht.

 

Einzelgänger igeln sich entweder freiwillig ein, oder sie wünschen sich Anschluss, finden aber keinen, also klappert Silver die Bars und Cafés auf Spikes direkten Arbeitsweg ab, doch auch hier ist er nie eingekehrt – kein Wunder, im heruntergekommenen Brentwood gibt es nur kleine Eckkneipen, in denen ein Troll keinen Platz hat. In einer aber erinnert man sich an einen Troll, der erst vor einer Woche gefragt hat, ob er in der AR Manifest-Poster verteilen darf. Manifest sagt Silver etwas: Das Manifest Self-Realization Center ist eine Sekte. Die Betreiberin von Gina's Corner hatte es ihm zwar verboten, aber er kam am nächsten Tag wieder, und eine angestellte Wirtin erlaubte es ihm.

 

In den Badlands sehen Cutty, Meryl und Billy, dass endlich ein paar Ganger davonbrausen. Niemand weiß, wie lange sie weg bleiben, also muss das Trio jetzt zuschlagen. Im rotglühenden Abendrot nähert es sich mit der Sonne im Rücken dem Motel, aber natürlich hält die heimliche Tour nicht lange vor, und es kommt zuerst zu einem wilden Geballer aus allen Rohren und dann zu einem Katz-und-Maus-Spiel mit den letzten Gegnern auf dem unübersichtlichen Gelände. Cutty identifiziert den Wagen: Tatsächlich ist Trevors gefesselte Leiche im Kofferraum, und sie ist sogar noch relativ frisch – die verwahrlosten Butt Uglies müssen sich einen Spaß daraus gemacht haben, ihn im Kofferraum in der prallen Sonne ersticken oder am Hitzschlag sterben zu lassen. Billy schultert den armen Kerl, und man schafft es rechtzeitig zu den Autos, bevor die Verstärkung (die natürlich herbeigerufen wurde) eintrifft. Billy fährt voraus, Meryl dahinter, weil ihr Quattro besser geschützt ist, um die Verfolger daran zu hindern, den ungeschützten SUV anzugreifen. Die knackige Verfolgungsjagd im Abendrot gerät spaßig, und Meryl fordert manche Crash-Probe heraus, die sie gewinnt, und Cutty richtet mit seinen Energieblitzen zwar keinen Schaden an, bringt die Verfolger aber durcheinander. Als sie das Sunset Motel erreichen, lassen die Butt Uglies von ihnen ab.

 

Silver besucht St. Martin of Tours, wo sich der orkische Father Gregory de Santa noch gut an ihn erinnert. Silver wartet ab, bis er die Kirche abgeschlossen hat, und lädt ihn auf einen Drink ein.

 

Die Nomads verladen den Leichnam respektvoll und bezahlen die Runner, die in der Bar des Motels den erfolgreichen Gig feiern.

 

Father Greg erzählt Silver von Manifest, das sich selbst auch als "church of scientific spritualism" bezeichnet und seinen "Tempel" in Santa Monica hat. Wenn der Troll, den Silver sucht, Werbung für Manifest machen wollte, ist er der Sekte schon in die Fänge geraten. Sie ist aus Gründen der Glaubwürdigkeit sehr bestrebt, Mitglieder aus allen Gesellschaftsschichten zu gewinnen, arbeitet aber ganz gezielt daran, Menschen in einflussreichen Positionen zu rekrutieren, indoktriniert ihre Mitglieder und schirmt sie von der Außenwelt ab. Es ist notorisch schwer, sie wieder zu verlassen, und es gibt auch immer mal Gerüchte von Unfällen, die untreu gewordene Mitglieder ereilen. Silver schmiedet seinen Plan und verbringt den restlichen Abend damit, Manifest-Promomaterial zu sichten.

 

 

 

 

Dienstag, 19.09.2062

 

Endlich mal ein Auftrag in der Nähe: Brentwood und Santa Monica sind beide nur je eine Viertelstunde von Century City entfernt. Am Morgen fährt Silver also zum Manifest-Tempel, der sich sehr hell und modern präsentiert. Das Gelände hat natürlich ein Besucherzentrum, wo Jack vorstellig wird. Er spielt der Empfangselfe den neugierigen Interessierten vor und wird zu einem kostenlosen Assessment geführt, wo ihm ein creepy-ausgeglichen lächelndes Mitglied Fragen stellt, während Silver seine Hände auf eine Metallkugel legen muss, die angeblich mit aurasensitiven Sensoren ausgestattet ist. Das Ergebnis ist – natürlich! –, dass Silver schwere Probleme in seinem Leben hat, wofür ihm verschiedene Programme vorgeschlagen werden. Der Inhalt ist ihm egal, er wählt das aus, in dem schon heute Nachmittag Plätze frei sind, und kommt um 15:00 Uhr wieder. Mit dem Code auf seinem Kommlink kann er sich auf einem Teil des Geländes jetzt frei bewegen, spaziert herum, sieht sich alles an, aber es wäre zu viel des Zufalls, wenn ihm Spike hier über den Weg liefe.

 

Er nimmt an dem Programm teil, das halb wie eine Vorlesung an der Uni und halb wie eine ölige Verkaufsveranstaltung wirkt, in der einfache psychologische Tricks angewendet werden, behält aber immer die Fenster zum Hof im Auge, während der Referent sich sein Hemd von unten nach oben schief zuknöpft, weil er mit dem falschen Loch beginnt.

 

Referent: This is something most of us have experienced: You'll discover the edges are not congruent. You may button smoothly all the way up here, but it will catch up with you at the end, and you can't ignore it because it's very ugly. We all make mistakes, some of them we make continuously, the guilt disappears, and we become complacent. We begin to feel we're galvanized against the vicissitudes of life. Say you're working in an organization and you're taking things that don't belong to you. You may feel like you're being smart and you're getting away with it, but believe you me, it will catch up with you at the ugly point.

 

Jack muss bei diesem unsäglichen Gelaber aufpassen, dass er die Konzentration nicht verliert, erspäht aber irgendwann endlich eine trollische Gestalt da draußen, entschuldigt sich mit Übelkeit, rennt hinaus und über den Hof – doch es ist eine Trollin, nicht Spike. Sofort improvisiert er, ob sie wohl Spike Hardwick kenne, denn er wolle ihm danken für den besten Tipp seines Lebens: mit seinen Problemen zu Manifest zu gehen. Das klappt natürlich wunderbar, denn seltene Trolle kommen automatisch miteinander ins Gespräch. Ja, Phyllis kennt ihn und führt Silver zu einem Teil des Campus, von dem sie erklärt, dass Manifest ihn wohnungslosen Mitgliedern zur Verfügung stellt – es ist ja bekannt, wie sehr sich die Sekte "wohltätig" engagiert.

 

Silver muss vor Spikes Zimmer warten, weil der gerade nicht da ist, passt ihn aber schließlich ab. Der Troll wirkt mit seinem harmlosen Gesicht geradezu nerdig – so sehr wie ein Opfer, wie man als Troll nur wirken kann. Silver merkt auch, wie unwirsch er auf den Namen Spike reagiert – er heiße Kyle, okay? Leider will er nirgends mit ihm hingehen, denn er habe zu tun, also wenn er mit ihm reden wolle, dann in seinem Zimmer. Silver geht davon aus, dass auf dem Gelände alles verwanzt ist, aber ihm bleibt nichts anderes übrig. Silver spielt den verzweifelten Konzerner in einer Sinnkrise, der ein Erweckungserlebnis hatte, als er ziellos spazieren ging, auf die AR-Plakate stieß und zur Lösung all seiner Probleme geführt wurde, und daher habe er nachgeforscht, bei wem er sich bedanken muss. Die Cha-Würfe sitzen, und er gewinnt den Eindruck, dass Spike vermutlich hochgradig depressiv war, denn wie alle Trolle lebt er in einer Welt, die für seine Größe nicht gemacht ist, und einfachste Dinge fallen ihm schwer, von handwerklichen Arbeiten mit viel zu kleinem Werkzeug über das Stehenmüssen in den meisten Bars und Cafés, weil sie keine Trollsitze haben, bis hin zum Busfahren, weil auch die kleinen Linien nicht für Trolle ausgerichtet sind. Als Troll hat er oft Angebote erhalten, sich als Schläger zu verdingen, aber das ist absolut nicht sein Naturell – doch das ist auch alles, was die Menschen immer in ihm sahen. Jeder, der merkte, dass er sich alles gefallen lässt, lebte seinen Rassismus an ihm aus, indem er ihn hänselte und ihm "Streiche" spielte, wo immer er auch wohnte oder arbeitete: Er zog das geradezu magisch an, nur die Gesichter der Akteure änderten sich. Auch der Spitzname Spike folgt ihm überallhin – bezogen auf seine Hörner, weil niemand den Metamenschen Kyle sah. Doch hier fühlt er sich akzeptiert und sicher, zum ersten Mal in seinem Leben.

 

Silver will ihn zum Dank irgendwohin einladen, wo sie darauf, zu Manifest gefunden zu haben, anstoßen können, und Kyle lässt sich breitschlagen, die Nummern zu tauschen. Was Silver nicht weiß, ist, dass die Manifest-Server eine deutlich höhere Sicherheitsstufe aufweisen, als man annehmen sollte, und seine ID als gefälscht erkannt haben. Die "Handler" wohnen dem Gespräch via Audio bei und riechen den Braten. Als Silver das Gelände verlassen will, erkennt er an der Körpersprache mehrerer Leute, dass er aufgeflogen ist, kommt ihnen zuvor und rennt los wie ein Hase. Weil das Besucherzentrum so offen und einladend gestaltet ist, gelingt ihm nach kurzer Verfolgungsjagd zu Fuß die Flucht vom Gelände, und als er im öffentlichen Bereich zwar einen Verfolger abgeschüttelt har, ihm ein anderer aber den Weg abschneidet, zieht er seine Waffe und bedroht ihn. Der hebt ruhig die Hände und zieht sich zurück. Kyle reagiert danach weder auf IMs noch auf Anrufe.

 

Mittwoch, 20.09.2062

 

Aus einem Impuls heraus schaut sich Silver beim Frühstück mit Chandra die Lokalnachrichten an: Der Troll Kyle H. (23) wurde ertrunken am Strand aufgefunden. Manifest hat ihn tatsächlich umgebracht, und das kann nur bedeuten, dass die Sekte über seine Verwicklung in den Diebstahl des Rennpferdes Bescheid wusste und nun annehmen musste, dass ein Außenstehender ihr auf die Schliche gekommen ist. Hat ein hochrangiges Sektenmitglied Follow Me Home haben wollen und es so arrangiert, dass im Santa Anita Park zum Tatzeitpunkt nur Sektendrohnen ihren Dienst verrichteten?  Silver wird es nie erfahren, denn seine einzige Spur ist tot.  Er ruft Angel an, um mitzuteilen, dass er den Job leider nicht erledigen konnte.

 

Donnerstag, 21.09.2062

 

Kitsune geht rastlos in ihrer kleinen Wohnung auf und ab und scheint hin- und hergerissen zu sein. Schließlich weist sie das Haussystem an, Thomas Coombs' Nummer zu wählen. Er klingt überrascht, weil er annahm, Kit wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben, und Kit verhält sich herrlich unsicher-vertrottelt, weil sie so etwas wirklich nicht gut beherrscht, redet köstlichen Blödsinn und verliert sich in Nebensächlichkeiten, als sie nicht aufhören kann zu reden und irgendwie versucht, die Tatsache, dass sie ihn angerufen hat, herunterzuspielen. Coombs greift ihr unter die Arme und lädt sie für morgen Abend zum Essen ins Iris ein.

 

Freitag, 22.09.2062

 

Im Iris begrüßt Kit Coombs ungelenk, aber er bemüht sich, sie aufzulockern.

 

Coombs (charmant): You don't... do this kind of thing often, do you?

Kit (sieht beherrscht erschrocken aus): Can you tell?

 

Angesichts seines Grinsens muss sie lachen, und das Eis ist gebrochen. Sie verlieren kein Wort über den 23.08., der morgen exakt einen Monat zurückliegt, weil es nichts nützt, diese Wunden aufzureißen. Aber so schlimm jener Tag und die Nacht davor auch waren, verbinden sie die beiden auch miteinander, zumal es um etwas sehr Persönliches ging. Es fühlte sich in Ordnung an, der Sache an seiner Seite nachzugehen – sie hatte nicht einmal darüber nachgedacht, Ghost anzurufen, was ihre natürliche Reakion hätte sein müssen. Seitdem hat sie immer wieder mal an Coombs gedacht, aber jedes Mal versucht, sich das auch gleich wieder aus dem Kopf zu schlagen, denn er ist schließlich ein Corpo. (Absurd, wie abfällig sie über Corpos denkt, obwohl sie selber eine war.) Andererseits ist er einer, der bereit und willens ist, das Nötige zu tun, Legalität hin oder her. Alles, was sie von ihm mitbekam, gefiel ihr, aber sie hatte Simon noch nicht verarbeitet – ihn zu verlieren, war der Preis für ihre Ehrlichkeit gewesen. Im Gegensatz zu ihm jedoch ist Coombs kein Civvie, und er weiß von vornherein Bescheid. Und gestern war sie es endlich leid, darüber nachzugrübeln, ob das gut gehen kann, und fühlte sich zu einsam, um nicht endlich anzurufen.

 

Sie haben einen tollen Abend, und sie erfährt auch, dass Fulvia Elswit die kleine Schwester seiner Mentorin war – wovon aber der Arbeitgeber nichts wissen sollte, weil besagte Mentorin gern noch etwas mehr Karriere gemacht hätte, weshalb Coombs versprach, sehr diskret und off the books nachzuforschen. Er darf Mitsuko später nach Hause bringen, und sie landen miteinander im Bett.

 

Dienstag, 26.09.2062

 

Aus heiterem Himmel erhält Ghost eine IM von Pride, die fragt, ob sie sich heute so schnell wie möglich sehen können. Ghost bestellt sie zu einem heruntergekommenen Rohbau, der nie fertiggestellt wurde. Er wartet, sieht aus dem Fenster den Fantasma parken und Pride hochkommen. Sie ist in Rock und High Heels viel zu schick und unpraktisch angezogen für diese Gegend, also ist es ihr wohl wirklich wichtig, sich so schnell wie möglich zu treffen – anderenfalls hätte sie das Treffen verschoben und sich erst mal zu Hause umgezogen.

 

Ghost: Hey. What's up?

Pride: Nothing in particular. Just wanted to check in on you.

Ghost: Just checking in, huh? Glad you could make time for that. Whenever I offer you a gig, you're too busy. (Pride sieht ihn nur an, antwortet aber nicht.) Pride—

Pride: Zuwena.

Ghost: Zuwena, what kind of game are you playing?

Pride: I'm not. Look, I'm not good at... things like these.

Ghost: Talking about "things" now.

Pride: All I'm saying... all I'm asking is if you... maybe... would like to do something. Sometime.

Ghost: Okay, what brought this on?

Pride: What?

Ghost: Lady, you went out of your way to stay out of my way. (Pride sieht ihn nur nach Worten suchend an.) So I figured it's because of something I said or did. Or not, what do I know? And now you wanna do something together? Out of the blue? What are you up to?

Pride: I'm not "up to" anything. Why can't I just ask you a harmless question?

Ghost: Because you've avoided having anything to do with me for, I don't know, half a year? And now you wanna socialize all of a sudden? Knowing you, this is anything but a harmless question. What do you want?

Pride (winkt mürrisch ab): Forget I said anything.

Ghost (verstellt ihr den Weg): No, no, no, you're not getting off this easy. Look, I don't know the rules of the game you're playing, probably 'cause you're making them up as you go, but I'm not a fan of beating around the bush, I'm a fan of speaking your fragging mind. What do you want from me?

Pride: I don't want anything!

Ghost: Stop playing games, just fragging ask!

Pride: Not like this!

Ghost: Like what, then?

Pride: I don't know!

Ghost (nach einer Pause, ruhiger): You're a pain in the ass, you know that?

Pride: Let me out.

Ghost: I'm not letting you go until I know what's your deal. (Pride gestikuliert wütend und beißt sich auf die Lippe.) Talk.

Pride: I don't want to.

Ghost (macht es sich an der Tür "bequem"): All the same to me, I don't have plans until tonight.

Pride: Why are you suddenly so hellbent on knowing what's on my mind?

Ghost: If you want me to work with you, I need to know where I stand with you. If you wanna use me for something I don't know about yet, fine, but fragging say so.

Pride: You... you think I... what?

Ghost: You want something from me, that much is clear. What is it?

Pride (sieht ihn lange an, atmet durch, sieht dann beim Reden auf seine Brust und nicht in seine Augen): I want to spend more time with you. I want to sleep with you every now and then, and I don't want to sleep with anyone else, and I don't want you to sleep with anyone else either. (Ghost sieht sie ausdruckslos an.) There, I said it. (Ghost kratzt sich am Kopf.) Say something.

Ghost: Pri—Zuwena, if this is a scheme to—

Pride (wütend): Jamani mjinga! Unanifikiriaje, kwanini unafikiri hivyo?

Ghost (gestikuliert fragend): What...?

Pride: I want to hit you for thinking this is a scheme.

Ghost: Come here.

Pride: You come here.

Ghost: All right. (Er tritt auf sie zu.) Why did you avoid me?

Pride (zuckt die Achseln): We're colleagues, so to speak. I didn't want to like you... the way I do. I thought that more distance would... change the way I feel, but... Look, I've been trying for half a year to put this out of my mind. Clearly hasn't worked.

 

Ghost sieht sie lange ihre ausweichende Mimik studierend an, und auch wenn sie es gut tarnt, so wie sie es ihr Leben lang getan hat: Sich so zu öffnen, ist ihr ganz und gar unvertraut, während sie aus Selbstschutz durch ihre Körpersprache "Hey, no big deal" zu signalisieren versucht. Er kennt sie nicht gut genug, um einschätzen zu können, wie schnell sie es sich vielleicht wieder anders überlegen könnte, aber er kennt sie garantiert gut genug, um einordnen zu können, dass sie ein halbes Jahr gebraucht hat, sich dazu zu überwinden, sich so angreifbar und verletzlich zu präsentieren. Schließlich zieht er sie langsam an sich heran und küsst sie, und sie umarmt ihn dabei ganz anders als je zuvor. Danach sieht sie ihn geradezu vorsichtig an.

 

Pride: So... is that a yes?

Ghost (schmunzelt): I guess that's a yes.

 

Erneut reagiert sie wie nie zuvor: Sie strahlt, umarmt ihn und lacht dabei leise und erleichtert. Danach fahren sie etwas essen, und Zuwena wirkt glücklich und gelöst, aber sie spricht nicht mehr über sich und Ghost. Die Weichen sind gestellt, alles soll jetzt seinen Gang nehmen. Sie ist nicht der Typ Mensch, der ohne Not über seine Gefühle spricht, sie verachtet Gefühlsduselei sogar. Ghost weiß jetzt, woran er bei ihr ist, da muss sie nicht ständig darüber sprechen. Und woran sie bei ihm ist, wird sie schon askennen, wenn er es sie nicht anderweitig spüren lässt. Kein Grund, darüber bedeutungsschwere Gespräche zu führen. Dabei gesteht sie sich nicht ein, dass nicht darüber zu reden, es nicht klar auszusprechen, es schlicht und ergreifend einfacher macht, sich unterbewusst der Illusion hinzugeben, es sei ja gar nichts Ernstes und Ghost sei ihr gar nicht so wichtig.

 

Mittwoch, 27.09.2062

 

Als Ghost am nächsten Morgen zum Training geht, erfährt er dort, dass Jonahs Frau Brenda gestern Abend ermordet worden sein soll, weshalb er auch nicht hier ist und nicht ans Komm geht. Brenda McManus' war Jonahs Frau und die Schwester von Glenda, Willie Howard Frau – Ehrensache, dass sich Ghost der Angelegenheit annimmt. Er fragt herum und findet heraus, dass um kurz nach acht wohl der Anruf unter 911 eingegangen ist – von einem angeblich aufgelösten Zeugen, der jedoch seinen Namen nicht nannte.

 

Er ruft Kit an und bittet sie, ihre Polizei-Connection die Details herausfinden zu lassen. Nachmittags treffen sie sich, und Kit überspielt Ghost Adresse und Anrufprotokoll, und sie hat noch mehr: Die Cops haben den anonymen Anrufer tatsächlich rasch ausfindig gemacht und mit aufs Revier genommen. Kits Connection besitzt allerdings nicht die Zugriffsberechtigung, Genaueres zu erfahren, sie kam nur an die Infos der Zentrale.

 

Ghost spricht sie darauf an, dass sie eine gemeinsame Bekannte (Kit weiß: Scandal, wer sonst?) letzten Samstag mit einem angeblich richtig gut aussehenden Kerl hat tanzen sehen und dass sich die beiden offenbar sehr gut verstanden. Kit geht nicht darauf ein, sondern ignoriert das Gesagte ungerührt, als hätte Ghost nie etwas erwähnt – was da gerade entsteht, gehört erst mal ihr ganz allein, bis sie sicher ist, dass es so bleibt –, aber sie weiß jetzt, dass sie jederzeit mit Ghost sprechen kann. Aber Ghost hält es ja ebenso: Beide haben neue Partner, von denen sie noch nichts erzählt haben.

 

Ghost fährt zum Tatort, einem kleinen Parkplatz hinter einer Kirche nahe einer Bushaltestelle. In der Gegend findet er eine vollgemüllte Seitenstraße, in der es sich mehrere Squatter wohnlich gemacht haben – die sind also dauerhaft hier. Er fragt herum, wen die Cops hopsgenommen haben, zahlt ein bisschen und wird auf "Mem Smith" verwiesen, ebenfalls ein Squatter, der tagsüber jedoch Gott weiß wo unterwegs ist. Abends sei er aber meistens hier. Die "festen" Squatter haben gestern Abend keinen Tumult und keine Schreie gehört, nur aufgeregte Rufe, die nach "Oh mein Gott!" klangen und vermutlich von Mem Smith kamen. Einer von ihnen, der gerade nicht hier ist, will heute Morgen gesehen haben, wie die Cops Mem schnappten. Da kommt aber ein weiterer Anruf von Kit: Sie hat gerade von ihrer Connection erfahren, dass die Polizei ihren Verdächtigen gerade wieder hat gehen lassen.

 

Also wartet Ghost an der Bushaltestelle, von der aus er die Straße einsehen kann, und genehmigt sich einen Taco vom pünktlich um acht vorbeifahrenden Imbisswagen (der in der AR der Bushaltestelle auch Werbung für sich macht). Er entschuldigt sich telefonisch bei Zuwena, mit der er eigentlich verabredet war, und erklärt ihr kurz, dass eine Verwandte von gleich zwei Freunden ermordet wurde.

 

Endlich lassen sich neue Gestalten in der Seitenstraße ausmachen, und Ghost stößt dort auf Mem Smith. Er glaubt ihm natürlich nicht, dass er sich an nichts erinnern kann, und schleift ihn in die nächste Gasse, wo man ungestörter ist. Der völlig verzweifelte Kerl überzeugt Ghost aber schließlich doch, als er seine Geschichte erzählt: Sein Spitzname "Mem" kommt von Memory – womit man sich darüber lustig macht, dass er sich nichts merken kann –, und Smith nennt man ihn, weil niemand weiß, wie er heißt, nicht mal er selbst.

 

Er war selbstständiger Datenkurier mit teurer Headware, die er aber im Laufe der Jahre immer weiter hat aufbohren lassen. Entweder war es schlechte Hard- oder Software oder Pfusch bei einem Einbau, Austausch oder Update, aber irgendwann begann er, Teile seines Lebens zu vergessen, und die gut bezahlte Arbeit als Datenkurier war vorbei. Ein Gutteil seines zurückliegenden Lebens besteht aus vagen, verwaschenen Bildern und Eindrücken, von denen er oft nicht sicher sein kann, ob das Erinnerungsfragmente sind oder irgendetwas im Trid Aufgeschnapptes. Inzwischen ist es so schlimm geworden, dass er keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen und sich Menschen bestenfalls für ein paar Tage merken kann – ebenso gut kann es aber auch sein, dass er sie sofort wieder vergisst. Ja, die Cops haben ihn mitgenommen und verhört, und ja, vermutlich war er gestern Abend am Tatort, aber er selbst kann sich nicht erinnern, so gern er auch möchte. Zum Beweis spielt er Ghost seine eigenen Sprachnachrichten der letzten Tage vor, denn er spricht immer in sein Kommlink und stellt sich Alarme mit erklärendem Text, wenn es etwas Wichtiges gibt. Seine Nachrichten an sich selbst künden von einem traurigen Leben: "Sonderaktion im K-Mart, ab morgen 5 % auf alle Lebensmittel", "East Eighth Street, übermorgen medizinischer Gratischeck im Manifest-Mobil", "Dirty Dan, dürrer Schwarzer, grauer Bart, große Augen. Hat dir heute zwei Nuyen geliehen, unbedingt zurückzahlen, ist ein anständiger Kerl!"

 

Und schließlich: "26.09., ganz kurz nach acht Uhr abends – da ist auf dem Parkplatz hinter St. Christopher einer Zwergin die Kehle aufgeschnitten worden. Ich muss wohl da gewesen sein, denn meine Stimme ist auf dem Anruf bei 911, ich hab um Hilfe gebeten für die Frau. Die Cops haben an mir kein Blut und keine Waffe gefunden und sagten, das sei ein professioneller Mord gewesen."

 

Auf die Frage, was er dort gemacht haben könnte, antwortet Mem langsam, als müsse er sich konzentrieren. Er geht gern ausgedehnt spazieren, weil er es dabei schafft, an nichts zu denken, indem er alle Eindrücke der Stadt in sich aufsaugt und sich auf Details konzentriert, die er sowieso vergessen wird, aber die Konzentration lenkt ihn davon ab, dass er ein unerträgliches Dasein führt. Dauerhaft eingestellte Alarme mit Sprachnachrichten bringen Regelmäßigkeit in seinen Tagesablauf, da er auch kein Zeitgefühl mehr hat, und abends um acht kommt der Taco-Wagen.

 

Ghost fährt zu Zuwena, die ihn empfängt, wie eine Frau ihren Freund normalerweise empfängt: mit innigem Kuss und Umarmung. Daran, ausgerechnet sie so zu erleben, die er immer als sexuelles Raubtier, aber nie als liebesbedürftigen Menschen wahrgenommen hat, muss er sich erst noch gewöhnen. Sie redet nicht darüber, aber ihr Verhalten macht ganz deutlich, dass jetzt alles anders ist: Sie setzt sich mit ihm hin und fragt ihn ernst nach dem Mord, und er berichtet natürlich davon. Nach wie vor haben weder Jonah noch Willie auf seine Anrufe und IMs reagiert, aber das ist normal: Zwerge sind sehr cliquenhaft und stammesverbunden, sie bleiben in ernsten Situationen unter sich und beziehen Außenseiter erst später ein.

 

Donnerstag, 28.09.2062

 

Ghost macht tagsüber seine Erledigungen, aber Zuwena bestellt ihn per IM ohne Vorwarnung für halb acht mit Mem an die Bushaltestelle von gestern, kennzeichnet sich für ihre Kontakte aber als beschäftigt und nimmt somit keine Anrufe an.

 

Um halb acht sitzt Ghost wie bestellt mit Mem an der Haltestelle, und mit 20 Minuten Verspätung fährt Zuwena vor – unauffällige Alltagskleidung besitzt die anspruchsvolle Afrikanerin gar nicht, aber mit schwarzem Konzernblazer und Lederhose ist sie so "einfach" wie möglich gekleidet. Zuwena askennt Mem, und seine völlig beschädigte und verzweifelte Aura macht ihr klar, dass er die Wahrheit sagt. So freundlich und beruhigend, wie Ghost sie gar nicht kennt, redet sie mit Mem und wirkt Beeinflussen, was ihn unterbewusst ermutigen soll, auf verschüttete Erinnerungen zuzugreifen. Der Imbisswagen kommt, sie gibt Mem einen Taco aus, geht ruhig neben ihm her und erklärt, dass Erinnerungen nicht immer gleich weg sein müssen, sie sind meistens nur nicht erreichbar, können aber hervorgelockt werden mit Geräuschen, Gerüchen und Geschmäckern. Während er seinen Taco isst, wartet sie vor dem Parkplatz auf das Glockengeläut, und als dieses einsetzt, ermöglichen Geschmack und Geräusch von gestern sowie die Beeinflussung Mem endlich, sich zu erinnern: Da waren zwei Zwerge, ein Mann und eine Frau, die miteinander stritten, als Mem seinen Taco essend den Parkplatz passierte. Plötzlich aber machte der Zwerg eine so schnelle Bewegung, dass Mem sie gar nicht sehen konnte, und die Zwergin presste sich beide Hände an den Hals und fiel auf die Knie. In dem Moment sah der Zwerg ihn an. Wie er aussah? Wie ein normaler Zwerg halt – das Alter schwer zu schätzen, die Haarfarbe im schlechten Licht nicht zu erkennen, kurzes Haar, kurzer Vollbart. Er zuckte in Mems Richtung, und Mem rannte panisch los wie von allen Teufeln gehetzt.

 

Das ergibt für Ghost Sinn: Der schnelle Angriff lässt auf einen Reflexbooster tippen, aber der macht Zwerge nicht zu schnelleren Läufern – den dünnen, leichten Mem mit seinen langen Beinen hätte er nicht einholen können, und es war ja sowieso nur ein Niemand von der Straße.

 

Mem staunt über sich selbst. Zuwena bedankt sich freundlich bei ihm und geht mit Ghost allein weiter. Sie sagt nichts dazu, aber alles an ihr macht klar: "Deine Probleme sind jetzt auch meine Probleme. Wenn ich kann, helfe ich dir." Er bedankt sich bei ihr und legt dabei im Gehen den Arm um ihre Schulter, merkt aber, wie sie sich anspannt – auch wenn sie hier gerade niemand von Belang sehen kann, fällt das unter "Öffentlichkeit", und das möchte sie wohl nicht.

 

Ghost kennt sich in der zwergischen Subkultur nicht aus, aber aufs Geratewohl bittet er Kit, Dashiell Spade zu fragen, ob sie sich treffen können. Der sagt zu, und keine zwei Stunden später sitzen Ghost und Zuwena mit dem Privatdetektiv in einer Blues-Bar. Er lobt Kitsune und ihren Kumpel Quicksilver – wenn alle so sind, mit denen Kitsune Umgang pflegt, na, dann lernt er doch gern einen weiteren kennen. Interessant: Ghost wusste nicht, dass Kit auch für Quickilver einen Kontakt zu Dash hergestellt hat.

 

Ghost erklärt ihm die Situation, und Dash ist schockiert: Es gibt nahezu keine Verbrechen unter Zwergen. Dass Menschen einander und andere umlegen, als gäbe es ab dem hundersten Kill einen Preis, ist nichts Neues, doch unter Zwergen passiert so etwas einfach nicht. Die Elfen mögen mit ihren eigenen Nationen so tun, als seien sie die erwählte Rasse schlechthin, aber es gibt keine, die so eine enge Gemeinschaft bildet wie die Zwerge. Ihnen sind dieselben Wertvorstellungen in die Wiege gelegt: Familie, Gemeinschaft, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Vertrauen. Zwerge ziehen es, wenn sie die Wahl haben, jederzeit vor, mit ihresgleichen zu tun zu haben, und bleiben unter sich, weil sie einfach wissen: Ein Zwerg haut einen anderen Zwerg nicht übers Ohr, belügt oder bestiehlt ihn nicht. Die zwergische Subkultur basiert darauf, einander zu helfen und fairen Umgang miteinander zu pflegen. Für kriminelle Elemente hat sie daher keinerlei Verständnis: Als Krimineller wird man quasi aus der Rassengemeinschaft ausgestoßen. Ein zwergischer Mörder wäre in seinem Umfeld erledigt und dürfte auch von engsten Verwandten in der Regel keine Hilfe erwarten.

 

Das kann Ghost sogar bestätigen, denn er weiß aus zahlreichen Gesprächen mit Willie, wie schwer es seit seiner Rückkehr zu seiner Familie vor sechs Jahren war, wieder aufgenommen zu werden. Seine Vergangenheit haben ihm seine Verwandten bis heute nicht verziehen und schließen ihn nach wie vor aus, und selbst auf Glenda wirkt sich das aus, denn sie ist ja die Frau eines Kriminellen und hat ihre Wahl getroffen – solange sie mit Willie zusammen ist, muss sie seine Vergangenheit wohl gutheißen. Das hat Ghost zwar immer unfair gefunden, aber wenn er Dash jetzt so zuhört, ergibt es Sinn – es liegt nicht an besonders verbohrten Verwandten, sondern an der Kultur.

 

Also fragt er Dash, natürlich "rein hypothetisch": Was, wenn es ein Zwerg mit krimineller Vergangenheit (die er schon vor vielen Jahren hinter sich gelassen hat) wäre, der den Mörder findet? Würde das in den Augen seiner Gemeinschaft seine Ehre wiederherstellen? Dash zeigt sich da zuversichtlich. Es käme darauf an, was genau dieser Zwerg angestellt hat, aber wenn er seine Fehler eingesehen und danach lange anständig gelebt hat und dann so etwas erreichte... nun, es würde seinem Ansehen zumindest nicht schaden.

 

Freitag, 29.09.2062

 

Ghost und Zuwena sitzen zum Frühstück in einem Piez in Willies Gegend. Ghost hat ihm eine IM mit absoluter Dringlichkeit geschickt und ihn hierher bestellt und hofft nun, dass er aufkreuzt. Warum sollte er auch nicht? Seine Familie bezieht ihn garantiert nicht mehr als unvermeidbar in die gemeinsame Trauer ein.

 

Willie lässt sich tatsächlich blicken. Ghost spricht ihm sein Beileid aus, stellt Pride vor und erklärt, dass er auf eigene Faust Nachforschungen angestellt hat und sicher ist, dass ein Zwerg der Täter war. Willie lehnt die Vorstellung als komplett absurd ab, das könne er sich nicht vorstellen. Ghost erkundigt sich natürlich danach, ob Brenda irgendwelche Feinde hatte, ob irgendein Syndikat Jonah unter Druck setzt und so weiter, aber Willie fällt nichts ein. Ghost versucht ihm auszumalen, dass es Willie sein könnte, der den Mörder dingfest macht – würde das seine vergangenen Sünden (oder was seine Familie dafür hält) nicht wieder wettmachen? Willie wirkt schicksalsergeben und geknickt, was wenig Wunder nimmt, will aber nicht darauf eingehen. Welche Spuren gibt es denn? Ein Squatter will einen Zwerg gesehen haben, was will das schon heißen?

 

Nachdem Willie wieder gegangen ist, um über alles nachzudenken, hakt Zuwena behutsam nach, dass Ghost und Willie schon viel miteinander durchgemacht haben, hm? Ja, warum? Weil er gelogen hat. Sie las in seiner Aura zuerst Nervosität, dann, als Ghost mit dem zwergischen Mörder herausrückte, sah sie Angst aufsteigen, aber keine abstrakte, sondern eine gewisse Angst um seine Geheimnisse. Seine persönliche und metatypische Veranlagung macht ihn sehr verschlossen, so dass seine Aura nicht leicht zu lesen ist. Daher wirkte sie, während er sich auf Ghost konzentrierte, Wahrheit analysieren – und so ziemlich alles, was er sagte, war unaufrichtig.

 

Sie weiß, dass die beiden sich seit Ewigkeiten kennen und alte Weggefährten sind, und sie weiß auch, dass sie gemeinsam von wo auch immer geflohen sind und dort bis zu ihrer Flucht Partner waren. Nun erwartet sie, dass Ghost ihn in Schutz nimmt oder sie gar fragt, ob sie von ihm erwartet, dass er nur auf ihr Wort hin seinem alten Kumpel misstrauen soll. Stattdessen fragt er sie nur, ob sie sicher ist, und sie bejaht: absolut. Weil sie ahnt, wie schwer es ihm fällt, in Betracht zu ziehen, dass Willie mehr über den Mord an seiner eigenen Schwägerin wissen könnte, als er zugibt, legt sie trotz der Location sogar ihre Hand auf Ghosts. Als sie ihn askennt, wird ihr trotz allem warm in der Magengrube: Trauer und Enttäuschung, was Willie betrifft, aber Vertrauen bei ihr.

 

Ghost fragt frei heraus: Was nun? Zuwena schlägt vor, sich astral Willies Haus anzusehen, wenn Ghost es ihr zeigt, also fahren sie im Fantasma vorbei, Zuwena projiziert sich, und Ghost parkt den Wagen außer Sichtweite. Als stolze afrikanische Stammeskriegerin schwebt sie zu dem schäbigen Haus, dringt ein und findet darin Willie allein vor. Jetzt ist niemand da, vor dem er sich beherrschen müsste, und sie liest in seiner Aura Trauer, Ratlosigkeit, Verzweiflung. Immer wieder ist ihr, als bekäme sie gleich etwas Konkretes zu fassen, aber stets entgleitet es ihr wieder. Da es um Gefühle geht, nicht um rationale Gedanken, ist es schwer, Gewissheit zu erlangen, aber Zuwena ist sich relativ sicher, in Willies Aura zu erkennen, dass die Trauer und Verzweiflung ihren Grund darin haben, dass er selbst Brenda getötet hat, denn da sind auch Schuldgefühle und Scham.

 

Sie kehrt in ihren fleischlichen Körper zurück und berichtet Ghost vorsichtig. Erneut demonstriert er ihr sein Vertrauen, als er ihr Urteil nicht in Zweifel zieht. Da sonst niemand zu Hause ist, will er Willie besuchen, solange er mental angeschlagen ist. Tatsächlich überprüft Ghost sogar den Sitz seiner MK23 im Hosenbund, als er aussteigt. Zuwena begleitet ihn vorsichtshalber astral.

 

Ghost klingelt Sturm, so dass Willie irgendwann entnervt öffnet. Ghost konfrontiert ihn mit seiner Annahme, dass er Brenda ermordet hat. Willie wird wütend, wie er so etwas denken könne, aber Ghost bleibt beharrlich. Zuwena liest währenddessen beide Auren, und sie erkennt erneut, warum sich ihr Herz Ghost ausgesucht hat: Er ist beherrscht, beständig, treu, und sie erkennt seine Verbundenheit dem Zwerg gegenüber und auch sein Mitleid, aber er vertraut Zuwena offenbar wirklich sehr, wenn er ihr Wort über das seines langjährigen Kameraden stellt. Sie sieht, wie enttäuscht er ist: An den Seinen vergreift man sich nicht ohne sehr, sehr guten Grund, und den will er von Willie hören. Wenn er einen hatte, wird Ghost alles tun, was er kann, um ihm zu helfen. Willie fragt erbost: "Und wenn nicht?" Ghost lässt die Frage unbeantwortet und starrt den Zwerg nur an.

 

Auch in Willie erkennt Zuwena diese alte Kameradschaft, aber auch Wut und Selbstgerechtigkeit, mit denen er seine Scham in Zaum zu halten versucht. Mehrmals fordert er Ghost zum Gehen auf, aber der denkt nicht daran. Wenn Willie nicht will, dass sich seine Frau und seine Kinder fragen, warum er hier steht und ihn anstarrt, wenn sie zurückkommen, dann sollte er jetzt auspacken.

 

Willie gibt auf, setzt sich und erzählt, dass er alles versucht hat, was er konnte, ein ehrliches Leben zu führen – aber die Ersparnisse waren bald aufgebraucht, und er fragt sich, womit er seine Frau verdient hat, dass sie bei ihm bleibt, obwohl ihre eigene Familie sie wegen ihm ausschließt. Die Welt ist, wie sie schon immer war: Bist du ein Niemand, kommst du nie ganz über die Runden, ohne Abstriche machen zu müssen, und die Welt tut alles, was sie kann, dafür zu sorgen, dass du aus diesem Kreislauf nie ausbrechen wirst. Wenn er seine Kinder nicht nur von billigem Nutrisoy ernähren wollte, musste er etwas unternehmen. Zurück ins alte Gewerbe konnte er nicht – das hatte er Glenda versprochen, und es heimlich zu tun, wäre viel zu zeitintensiv gewesen, als dass es nicht sofort aufgefallen wäre. Also stieg er in den Drogenhandel ein und arbeitet nun schon seit Jahren für die Milanos. Auch dafür musste er öfter zu ungewöhnlichen Zeiten weg, entschuldigte das aber immer mit seiner Poker-Runde, irgendwelchen Freunden, auch Ghost schob er vor. Brenda lag ihrer Schwester stets in den Ohren, dass sich Willie nie geändert hat, dass er krumme Dinger dreht, obwohl er ihr versprochen hatte, es nie wieder zu tun. Wie sich herausstellte, verfolgte sie ihn, um Glenda zu beweisen, was für ein Scheißkerl er ist, und er leistete es sich, zu unaufmerksam zu sein, ihren Wagen zu bemerken. Sie beobachtete eine Drogenübergabe auf dem Parkplatz hinter der Kirche und stellte ihn, als die Dealer abgezogen waren, zur Rede. Als sie ihm ins Gesicht schleuderte, dass Glenda davor die Augen nicht würde verschließen können, reagierte er, bevor ihm überhaupt bewusst wurde, was er da tat.

 

Äußerlich ist Ghost nichts anzumerken, aber Zuwena liest in seiner Aura, wie bitter enttäuscht er von Willie ist. Dieser fragt schicksalsergeben: "Und was nun?" Ghost entgegnet, er werde heute Abend um acht – zu Brendas Todeszeitpunkt – Jonah die Wahrheit erzählen. Bis dahin habe Willie Zeit, zu tun, was immer er für richtig hält.

 

Ghost: That's the best I can do for you.

Willie: Thought as much.

 

Grußlos kehrt Ghost zum Fantasma und Zuwena in ihren Körper zurück. Er fährt zu seiner Meltdown auf dem Piez-Parkplatz, verabschiedet sich leise von Zuwena und fährt ohne Ziel allein weiter.

 

Am Abend klingelt er daheim bei Jonah und bleibt auch hier beharrlich, bis ein Verwandter öffnet und ihn abwimmeln will, aber Ghost erklärt den Grund seines Besuchs und wird in der vor Zwergen nur so berstenden Wohnung zu Jonah gelassen. Der will kein Gespräch unter vier Augen – was immer Ghost zu sagen hat, sollen alle hören, also packt er aus und erwähnt auch ehrlich, dass er seit heute Vormittag Bescheid weiß, aber Willie bis jetzt Zeit gegeben hat. Das war er ihm schuldig. Die Zwerge respektieren seine Ehrlichkeit, haben sich das aber schon gedacht, denn Willie ist spurlos verschwunden. Von seinen Kleidern über die Zahnbürste bis hin zu Auto und Kommlink hat er alles zurückgelassen und nichts mitgenommen – er war einfach nicht zu Hause, als seine Frau und Kinder zurückkamen, und im Haussystem hatte er nur eine kurze Nachricht für die drei hinterlassen, dass er sie liebt. Ghost weiß, dass niemand Willie Howard je wieder zu Gesicht bekommen wird.

 

Donnerstag, 05.10.2062

 

Kit hat Ghost ins berühmte Formosa Café in West Hollywood außerhalb der Mauer eingeladen, und zunächst unterhalten sich die beiden ein wenig über das Tagesgeschäft. Ghost berichtet davon, wie gut sich Poison schlägt, dass er Orion kennen gelernt hat (und der ihm sogar anbot, mal zusammenzuarbeiten, worauf Ghost aber noch nicht zurückgekommen ist) und so weiter. Schließlich kommt Kit zum Punkt. Sehr nüchtern, ernsthaft und würdevoll berichtet sie, dass sie jetzt mit einem Corpo zusammen ist, der für Winter Systems arbeitet. Nein, er ist nicht korrupt, und ja, sein Arbeitgeber darf nicht erfahren, was seine Freundin so treibt. Sie fand, Ghost sollte das wissen.

 

Ghost: Wow. Thanks for sharing, Mitsuko, but you don't owe—

Kit (entschieden): In fact I do.

Ghost: So he's a kind of... corporate detective, you say?

Kit: He advises prospects and customers on security measures, checks up on existing security, he's doing all kinds of things. Customers hire his branch to find out what they wanna know. Mostly when a security system didn't do what it was supposed to, or to re-evaluate the setup and design after a security breach, but... street stuff, too. (Ghost nickt nachdenklich.) And now you're wondering if someone hired him to learn about us.

Ghost: No. No, not at all.

Kit: Which nobody did. I can vouch for that.

Ghost: I trust you, you know that. I'd be way more worried about Meryl's corpo boyfriend if they hadn't been dating for such a long time by now... than about you. I know you won't lose your head.

Kit: Well... thanks. Still haven't met him. I'm actually curious. And a bit disappointed.

Ghost: You expect her to introduce him to Grumpy Aunt Kit?

Kit (schmunzelnd): Probably not. But it's nice to see that she seems to have found someone for the long haul.

Ghost: She's come a long way. At the risk of sounding like my old man: She's a good kid. About your input... you wouldn't have told me if it wasn't serious. I'm happy for you, Mitsuko. Really am.

Kit: Thank you. I was wondering... I mean, it's none of my business, and you don't have to—

Ghost: Damn, girl, you and your disclaimers. Come right out and say it.

Kit: What's going on with you?

Ghost: You mean, am I seeing anybody?

Kit: Hm-hm.

Ghost: Well, it's been a bit of a dry spell, but actually, yeah, there's someone.

Kit: Yes? Tell me more?

Ghost: Matter of fact, you know her. You beheaded her once. Now, that's something I'd never thought I'd say.

Kit: Oh.

Ghost (schmunzelt): You don't approve?

Kit: No, no, no! It's not my place to approve or disapprove—

Ghost (leicht genervt): Mitsuko...

Kit: Getting involved with someone you work with can turn out to be... tricky.

Ghost: The Fiona situation taught us that, yeah. So? You don't go out there and recruit your potential partners, do you? Come to think of it, that would be damn practical, though. "I feel like getting laid by a chiropractor tonight."

Kit (lächelt nicht): You know what I mean.

Ghost: You didn't choose to get involved with your Winter Systems mystery man, did you?

Kit (seufzt): Touché.

Ghost: I know you don't like her. (Er breitet gleichgültig die Arme leicht aus.) I'm okay with that.

Kit: No, it just... caught me off-guard. I wouldn't have taken her for someone interested in more than a night.

Ghost: Neither would I. Imagine my surprise. Anyway, it's still fresh. We'll see where it goes. So, does your... dammit, you gotta give me a name, I can't keep calling him mystery man.

Kit (schmunzelt): Tommy.

Ghost: Does Tommy know what you're doing?

Kit: Yes. Not in detail, of course, I prefer not to overshare, he prefers not to know what I'm up to.

Ghost: And he's cool with that?

Kit: I'll admit I was worried about that, too. But we met under very... peculiar circumstances. He knew from the get-go, and within a few hours he saw me, you know, work.

Ghost: So I take it he knows about painting the walls red himself.

Kit: He does.

Ghost: Doubt he's allowed to fraternize with criminals, though.

Kit: Of course he isn't.

Ghost: Which is why I won't have the pleasure of meeting him anytime soon, I guess.

Kit: He doesn't even know about you. Well, he does, but he doesn't know your handle. When I tell stories, I make up names. Meryl's Chicklet, Machine's Big Boy, and so on.

Ghost: Who am I?

Kit (lächelt): Gerry. For Geronimo. (Ghost lacht leise,) Hey, I had to come up with something on the fly, it was the first thing that popped into my mind.

Ghost (wird wieder ernst): How are you gonna keep your relationship a secret?

Kit: We haven't quite worked out the details yet. He doesn't live in a corp-controlled environment like I used to in San Fran, and he's allowed to... required to move around freely, actually. It's gonna get trickier as soon as a colleague finds out he's got a new girlfriend and wants to meet her. Of course, being in security, regular screenings are normal procedure. But the ID my apartment's on is pretty solid, and it checks out with my job. Even with my medical history.

Ghost: Mitsuko, their kind of screening is a bit different from getting through the checkpoint to Studio City.

Kit: I'm aware of that. We'll cross that bridge when we come to it. He isn't head of security, you know? His access permission levels are nothing to get excited about. They need him to get out on the street, meet shady people who know things he can't learn in the corporate part of town. They expect him to have less reputable folks in his contacts.

Ghost: Almost sounds like a low-level Johnson.

Kit: He actually does that, too.

Ghost: So you really gave that whole shebang a lot of thought. Looks like you're dedicated to making this work.

Kit: We are.

Ghost (lächelt und zwinkert ihr zu): Good for you.

 

Als er zu Zuwena zurückkehrt, erzählt er ihr, dass Kitsune jetzt über die beiden Bescheid weiß. Er merkt Zuwena an, dass ihr das nicht wirklich recht ist, aber er macht ihr auch klar, dass er sich, da sie zusammen sind, auch zu ihr bekennen wird – entweder oder, dazwischen gibt es für ihn nichts, und wenn sie ihn ein bisschen kennt, sollte sie das nicht überraschen. Er sieht ihr förmlich an, dass sie ihn askennt, und hasst es, das nicht selbst tun zu können, denn sie weiß immer bestens über ihn Bescheid, legt ihr eigenes Inneres jedoch selten offen. Was sie sieht, scheint sie jedoch zu beruhigen, und sie legt nur schweigend den Kopf an seine Schulter.

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