21 - Mona Lisa Overdrive {{ currentPage ? currentPage.title : "" }}

Sonntag, 29.01.2062

 

Die Kleinschieberin Missy Watson hat ein Treffen zwischen Cutty und Coral Buchner in einer Bar arrangiert. Coral ist die Managerin der lokalen Band Mona Lisa Overdrive, die in der hiesigen Rockszene bereits etabliert ist und die Venues beackert. Cutty weiß, dass sie bei einem Indielabel ist, es aber immer wieder Gerüchte über einen Plattendeal gab. Die größte Bekanntheit außerhalb der Szene erlangte die Band in den Lokalnachrichten, als ein irrer Fan aus der ersten Reihe den Leadgitarristen Bluebeard erschoss. Dieser starb auf dem Weg ins Krankenhaus, und die Band verschwand in der Versenkung. Das war 2061, aber inzwischen hat die Band wohl einen neuen Gitarristen und tourt wieder. Angesichts des kurzlebigen Musikbusiness fängt sie vermutlich wieder von vorn an.

 

Die verlebte Mittfünfzigerin Coral versprüht nicht gerade Glamour – Cutty kann mit ihr wenig anfangen, daher gibt es kaum Smalltalk, und man kommt schnell zum Punkt. Es gibt Drohungen gegen die Band. Coral nimmt sie ernst und will für Schutz sorgen, aber das Wolfpack (das viele der Bars und Clubs beherrscht, in denen MLO auftreten) bekam davon Wind, und ein Kerl namens Slider hat verlangt, dass man ihn um Schutz bittet, und will dafür absurd viel Geld sehen. Nun lehnt natürlich jeder ab, bei dem man anfragt, weil sich keiner mit dem Wolfpack anlegen will. Aber Mr. Flintloque habe da doch gute Kontakte, oder?

 

Cutty meint, er werde sehen, was er tun kann, sie solle sich aber keine Hoffnungen machen. (Er hat gar nicht vor, das Wolfpack zu fragen, sondern geht ihm lieber aus dem Weg, man weiß ja nie.) Coral sendet ihm trotzdem die Tourdaten und ein Promo-Video und geht. Cutty macht seine Erledigungen, trifft sich woanders mit jemandem, muss auf ihn warten und vertreibt sich die Zeit, indem er in der AR das Promo-Video anwirft. Er hat von der Band gehört, sie aber nie live gesehen, und jetzt gehen ihm angesichts der Sängerin Neona Jaxx und der Leadgitarristin Enola Choi die Augen über. Bei ihm reicht das voll und ganz, den Ausschlag zu geben, denn diese beiden will er kennen lernen. Der Waschzettel beschreibt MLO als Chrome Rock mit Steelmill-Industrial- und Crunge-Einflüssen, und ja, auch wenn die Musikrichtung nicht ganz die seine ist, klingt die Band ziemlich gut und hat eine Sängerin mit Bühnenpräsenz, Charisma und hohem Wiedererkennungswert. Er ist kein Musikkenner, aber aus denen könnte wirklich etwas werden.

 

Er telefoniert ein bisschen herum und trifft sich im Yellow Jack, Lucky Jack Flynns Irish Pub, mit Lucky Jack. Menschlich kommen sie genauso gut miteinander klar wie damals, und zu Cuttys Erstaunen winkt Lucky Jack ab: Sie werden MLO in Ruhe lassen, er solle sich keine Sorgen machen, kein Problem. Cutty wird misstrauisch, denn tut ein Syndikat einem einen Gefallen, wird es den mit Zinsen wieder einfordern, weshalb er sich ja von dem Wolfpack ferngehalten hat. Auf der anderen Seite ist stadtbekannt, dass Ghosts Team beim Wolfpack ein gutes Standing genießt, und jeder Ganger weiß, wie viel das Team schon für die Gang getan hat – also ist das vielleicht nur eine kleine Geste, weil man gut miteinander kann?

 

Cutty ruft also Coral zurück und bittet um ein Treffen mit der Band.

 

Dienstag, 31.01.2062

 

Das Treffen findet in der Bar vom letzten Mal statt, aber zu Cuttys Enttäuschung hatten ausgerechnet Neona und Enola keine Zeit: Coral kommt nur mit der orkischen Drummerin Brutal und dem Bassisten im Schlepptau, einem schwarzen Brocken von Kerl, der sich witzigerweise nur That Guy nennt und auch im Promo-Material so bezeichnet wird. Der Spitzname ist eine Anspielung auf das Klischee, dass sich niemand genug für den Bassisten interessiert, um sich seinen Namen zu merken. Dabei spielt er per Headware auch das Synthlink und trägt maßgeblich zum Bandsound bei.

 

Cutty verkündet die frohe Botschaft und hakt genauer nach, was die Drohungen betrifft: Sie gehen als Mails auf den Band-Account ein. Ja, Coral hat sie schon überprüfen lassen, aber obwohl sie vom selben Absender stammen, wurden sie aus aller Welt von Wegwerfadressen verschickt. Sie hat sich erklären lassen, dass das einen Decker nur ein müdes Lächeln kostet. Nervöser hat sie gemacht, dass vorletzte Woche die AR im Gang zur Garderobe mit eben diesen Drohungen beschmiert wurde. Da die Venue über kein komplexes Haussystem verfügte, muss der Verursacher also ganz persönlich vor Ort gewesen sein. Das war dann auch der Zeitpunkt, wo man über Schutz nachdachte.

 

Neona (Alissa White-Gluz) kommt rein, sie hat's doch noch geschafft. In Person flasht die bestimmt auftretende blauhaarige Schöne mit der dunklen Stimme Cutty nicht weniger als auf den Konzertmitschnitten: Sie trägt zwar einen schicken Mantel (sie kommt gerade von der Arbeit, denn die Band kann nicht im Ansatz von ihren Auftritten leben), sieht aber auch "in zivil" umwerfend aus. Die Cha-Würfe verlaufen beiderseits gut, und Neona lässt sich auf den neuesten Stand bringen. Cutty gewinnt den Eindruck, dass sie sehr genau weiß, was sie will, und die Bandentscheidungen trifft, manchmal mit, manchmal gegen Corals Willen.

 

Cutty zeigt sich schlagfertig, und als Coral ihn um eine Empfehlung für Schutz bittet (es muss sich ja erst mal herumsprechen, dass das Wolfpack die Band nicht mehr beansprucht, also braucht man Cuttys Hilfe beim Anheuern), bietet er aus einem Impuls heraus kurzerhand sich selbst an, weil er mehr Zeit mit Neona verbringen möchte. (Und Enola hat er ja auch noch nicht kennen gelernt – wenigstens bei einer von den beiden wird er landen können, oder?) Coral meint, einen Straßenmagier könne man sich unmöglich leisten, woraufhin Cutty die Begründung improvisiert, dass er sich beim Wolfpack für den unabhängigen Schutz der Band verbürgt habe, damit nachher niemand "Siehst du, das Wolfpack hätte sie beschützen können" sagen kann, also liege es in seinem Interesse, dass es vernünftig gemacht wird. Cutty, gewohnt gut im Imrpovisieren, kommt in Fahrt, denn jetzt macht er Coral und der Band sogar ein schlechtes Gewissen: Für den simplen Gefallen, den er ihr habe tun wollen, werde er nun semi-haftbar gemacht, er stecke also in dieser Geschichte drin, ob es irgendjemandem passt oder nicht.

 

Coral erklärt ihm die Kosten und die Einkünfte – das haut unmöglich hin, wenn die Band nicht draufzahlen will, um auftreten zu können. Cutty kennt ja den Tourplan und weiß, dass, da alle Mitglieder berufstätig sind, in den nächsten Wochen immer jeden Freitag, Samstag und Sonntag je ein Gig geplant ist. Er schlägt vor, pro Wochenende ¥ 500 zu nehmen – dann bleibt nach Abzug des Anteils für die Managerin für jedes Bandmitglied immer noch ein kleines Plus übrig, und sollte der Unbekannte etwas unternehmen, kann man zuschlagen und das Problem ein für allemal lösen. Für das Geld bekommt die Band zwei erfahrene Shadowrunner – und damit mehr, als sie sich jemals leisten könnte, und Cutty wolle nur hoffen, dass sie sich dafür irgendwann mal erkenntlich zeigt. Zwei Shadowrunner? Ja, klar, er könne ja nicht alles allein im Auge behalten. Es gebe da jemanden, der ihm noch etwas schuldet. (Er baut natürlich auf Billy und hofft, dass sie Zeit hat. Das wenige Geld teilt er gern, denn ihm ist erst mal wichtig, die Frauen kennen zu lernen.) Coral hat keine Gegenargumente mehr, Cutty ist an Bord, und die Bandmitglieder danken ihm für seine "Großzügigkeit". Coral lässt sich erklären, wie er die Band zu beschützen gedenkt, woraufhin er die Barriere erklärt, und da er nicht gleichzeitig schützen und den Angreifer unschädlich machen kann, braucht er einen Kollegen. Nummern werden getauscht, und man verabredet sich für den kommenden Freitag.

 

Cutty ruft Billy an. Nein, eigentlich habe sie dieses Wochenende etwas vor, aber Cutty erklärt die Situation und bettelt sie an, einem armen Kerl dabei zu helfen, bei Traumbräuten zu landen. Sie lässt sich seufzend breitschlagen.

 

Freitag, 03.02.2062

 

Im Vorfeld hat Cutty seinen "Backstage-Pass" aufs Kommlink bekommen und ihn mit Billy geteilt. Sie treffen sich im Hinterhof des Maidenhead in Santa Ana und dürfen rein, um sich drinnen schon mal umzusehen. Die Bühne ist wirklich gerade groß genug, dass alle darauf Platz haben, aber bewegen kann man sich dort dann kaum noch, und die Garderobe ist eine Müllkippe. Aber okay, es werden halt kleine wie größere Clubs bespielt, MLO sind ja nur eine lokale Band.

 

Billy: Don't worry, I did my homework.

Cutty: Cool! (Pause.) Like what?

Billy: Well, for example, I didn't have to look up the Brutal situation. Most def not my kinda wax, but the fuss about her got even through to me.

Cutty: Right! (Pause.) What fuss?

Billy: The allegation MLO just hired her to get brownie points with the ork community? Bluebeard's interview with Mainstay and the backlash?

Cutty: Oh, that! Yeah.

Billy: You didn't do any research, did you?

Cutty: No.

 

Billy seufzt und setzt Cutty auf den neuesten Stand: Mona Lisa Overdrive wurde 2059 von Neona und dem Gitarristen Bluebeard gegründet, nachdem beide schon lange in anderen Bands gespielt hatten und sich kennen lernten, als Bluebeard bei Neonas alter Band als Krankheitsvertretung einspringen musste. Tussaud Records ist ein kleines Indielabel, das Coral Buchner gehört, und die schlug zu. 2060 waren MLO bereits auf dem aufsteigenden Ast und warfen ihren zweiten Gitarristen Marton "Crayfish" Cray raus, weil er ständig mit Exhaust zugedröhnt zu den Gigs erschien, und Enola stieg ein. Die war die deutlich bessere Gitarristin als Bluebeard, übernahm den Lead und schlug ein wie eine Bombe, weil sie mit ihren vertrackten Soli die alten Songs veredelte und daraus quasi ganz neue Songs machte, und in der Szene hieß es, ein Majordeal sei nur noch eine Frage der Zeit. Zu diesem ungünstigen Zeitpunkt verstarb die Drummerin Ricka Rolla an einer Überdosis, und in den lokalen E-Zines machte MLO Schlagzeilen, als sie sehr kurzfristig Aileen Brutus, genannt Brutal, anheuerten, die erst jüngst aus ihrer Trog-Rock-Band ausgestiegen war, weil sie keine Lust auf die ewigen Schlägereien mit dem Publikum hatte. Schnell wurden Vorwürfe laut, die "smoothskins" wollten sich an den Orkmarkt anbiedern. Ein lokales E-Zine, Mainstay, interviewte Bluebard, der seinerseits undiplomatisch den Orks, die diese Anschuldigungen erhoben, Rassismus unterstellte, was in der Szene einige Wellen schlug, aber die Band noch bekannter machte.

 

Anfang 2061 schoss ein irrer Fan während eines Auftritts ohne Vorwarnung auf Enola, weil sie gerade eine neue Beziehung begonnen hatte – dafür sollte sie sterben. Er erwischte aber Bluebeard tödlich, konnte überwältigt werden und kam in den Knast. Die Band drohte an diesem Verlust zu zerbrechen, gab zwar nie ihre Auflösung bekannt, trat aber auch nicht mehr auf. Seit November berichten die lokalen E-Zines von einem Comeback mit dem Gitarristen von Two Steps Beyond, Ryder Valance, und die Yuleterror-Mini-Tournee im Dezember war erfolgreich. Wegen eines Todesfalls in der Familie von Barry "That Guy" Sumich pausierte die Band kurz und wird jetzt wieder Orange County betouren.

 

Cutty: Ryder Valance. These guys and their stage names, right?

Billy: Yeah, I don't know what got into him, Cutlass Flintloque.

 

Nach einem oberflächlichen Check sind sie zufrieden, und bald kommt auch die Band an. Neona ist Billy gegenüber warm und freundlich, aber mit einer Spur mehr Distanz als bei Cutty, was der für sich als gutes Zeichen wertet. Der zweite Gitarrist Ryder Valance (Jord Liddell) wirkt erst mal etwas arrogant und will mit beiden nicht viel zu tun haben. That Guy ist total chill. Die Drummerin Brutal sieht zwar selbst für eine Orkin erschreckend monströs aus, ist aber sehr locker und umgänglich, und ihr fallen bei Billy die Augen aus dem Kopf: "Du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe!" (Cutty muss zugeben, dass Billy für Orkbegriffe wirklich modeln könnte.) Das andere Aushängeschild der Band neben Neona ist die Bassistin Enola Choi (Park Hye Min): Die junge Koreanerin ist bildhübsch, sieht aber total harmlos und brav aus und wirkt in Leder und Nieten ein wenig verkleidet – aber dieser Gegensatz scheint auch der Grund zu sein, warum sie so gut ankommt. Noch verhält sie sich sehr zuückhaltend den Fremden gegenüber. Insgesamt bekommen Cutty und Billy mit, dass die Band immer auf ihr gewogene Journos der E-Zines und vor allem auf Scouts oder gar Agenten hofft.

 

Beim Auftritt nehmen Cutty und Billy getrennt voneinander vor der Bühne Aufstellung und sehen ins Publikum, wobei Cutty, obwohl nicht darauf spezialisiert, hin und wieder askennt, ob ihm eine besonders auffällige Emotion ins Auge sticht. Er kann aber auch nicht umhin, hin und wieder die Show zu betrachten: Kein Wunder, dass Neona und Enola die Aushängeschilder sind – Neona sprüht vor Charisma, beherrscht von fragilem, emotionalem Gesang über Screams bis hin zu Growls die ganze Palette, und die Gitarrenvirtuosin Enola rockt wie die Hölle und wirkt auf der Bühne überhaupt nicht mehr verkleidet, sondern ganz authentisch wie ein bad girl from hell. Jetzt, so nahe dran, elektrisiert ihn auch die Musik, und er bedauert, auf das Publikum achten zu müssen. (Whore, Natural Born Sinner, Beast Within, Blood, Into The Light etc. von In This Moment.)

 

Nach dem Auftritt sind alle recht erschöpft, weil sie schließlich früh aufstehen und arbeiten mussten, aber morgen nach der Show möchte sich die Band mit den beiden zusammensetzen.

 

Samstag, 04.02.2062

 

Cutty und Billy begutachten das Barracuda in Irvine, nehmen wieder die Band in Empfang, und die Show gerät deutlich druckvoller wegen der besseren PA, zumal die Venue auch größer ist und viele alte Fans anwesend sind. Cutty, bei dem sich die Songs langsam setzen, findet immer mehr Gefallen an der Musik und vor allem an Neonas Ausdrucksstärke und ihren variablen Vocals.

 

Nach dem Auftritt mischen sich die Bandmitglieder unter die Gäste. Billy beschwert sich zwar bei Coral, denn zwei Leute können nicht auf fünf aufpassen, wenn die sich verteilen, aber es ist, wie es ist.

 

Zu späterer Stunde, nachdem sie mit genug Fans gesprochen hat, belagert die ganze Band eine Sitzecke.

 

Neona: After a gig like this one you're riding on a high, you know? It's like the afterglow after sex – the climax is slowly ebbing away, you enjoy this warm, fuzzy feeling in your belly, and you're actually burning to go another round, you know?

Cutty (gebannt): Yeah.

That Guy: Right on.

Cutty: Do you guys ever go out? I mean, your schedule's fierce, you're booked 'til Doomsday.

That Guy: Well, you know, we're trying to create buzz for our new album, see if the timing's right to put it out, you know? Ain't always like this.

Enola: Imagine we were famous. Imagine we had an actual tour. That'd be a grind. This is zilch.

Neona (jammernd): I looove to go dancing. Man, I miss it.

Cutty: To stuff like this or to something, you know, more danceable?

Neona: Oh, I'm no taste nazi. None of us is.

Ryder: I am.

Neona: Okay, uh, yeah, actually you are. (Gelächter.) No, there's all kinds of good wax out there.

Cutty: Yeah, but good luck finding a sweet club. I think the thing I hate the most about clubs are these new generation DJs, you know? Like, I don't know, they aren't bringing us together, they divide us 'cause they make shoutouts that just cater to women. Everything's for the ladies. "All the ladies that went to school, make some noooiiise! All the ladies that got a job and don't need a man for anything 'cause they're strong and independent", I'm like: 'What are you doing?" How am I supposed to talk to her when you tell her not to mess with nobody? Especially one club I went to, okay? She would turn me down, and then the DJ would have a shoutout right afterwards. You see, I come on to her really respectful, you know, "I was wondering if you'd like to dance", and she was like: "What? Pfff, get outta my face, you are a loser, ugh, don't talk to me!" And the DJ chimes in: "All the ladies tired of messing with losers, make some noooiiise!" (Er macht ironisch-ergriffene Tanzbewegungen.) Oooh, I love DJ Cockblock, that is my DJ. (Gelächter.)

Billy: So what do you guys do for a living?

Enola: I'm studying. Media science at Cal State L.A.

That Guy: Mechatronic technician.

Ryder (genervt): Seriously?

Brutal: Yeah, go ahead, tell her!

Ryder: Fuck you.

Brutal: He's a hairdresser!

Ryder: I discontinued the training, okay?

Brutal: Trying to become a tattoo artist now. Only thing missing is the talent. (Sie lacht.)

Neona: I work at a bottling plant. Pepsi.

Cutty: The one in Placentia?

Neona: Wow! Yeah, that one. But at the office, not at the workshop.

Brutal: I'm gutting fish down in Huntington Beach.

Billy: So you're from all over the OC?

Brutal: Mostly. The founding members were all from Orange proper, right?

Neona: All Plaza City natives, yeah. But Orange Countians never say "the OC". It's just "OC".

Enola: Why don't you tell us a bit about yourselves? (Cutty lässt sich das nicht zweimal sagen und holt Luft, und Enola wirft schnell ein:): Where are you from, Billy?

Billy: Westchester, close to the Fixx.

That Guy: Talk about some rough neighborhood, girl.

Billy: It's not that bad if you're homegrown.

Cutty (ironisch geheimnisvoll in die Runde): Normally shadowrunners aren't this open around civvies, you know?

Neona: Talk about embarrassing situations after a couple of shots, and you lose all your mystique, right?

 

Nachdem man sich miteinander warm gemacht hat, interessieren sich die Musiker natürlich brennend für die Schatten: Wie muss man sich ein Leben als Shadowrunner vorstellen? (Ryder ist zu sehr bemüht, cool zu wirken, um Fragen zu stellen, aber ihm geht's vermutlich auch nicht anders.) Auch Magie ist natürlich total faszinierend, da alle Magie nur aus dem Trid kennen, so dass Cutty die Band auch in den Hinterhof mitnehmen muss, um mit der Steinschlosspistole Energieblitze auf Dosen und Flaschen zu schießen.

 

Cutty versucht immer wieder, Neonas und Enolas Aufmerksamkeit zu fesseln, aber von der Magie abgesehen interessiert sich Letztere kaum für ihn, Erstere schon deutlich mehr. Sie flirtet ganz klar mit ihm, er weiß nur noch nicht, ob es ein normaler Flirt ist oder schon ein bestimmteres Interesse. Aber wenn er etwas beherrscht, dann die Kunst, an einem Tisch für gute Laune und schnell ausgetrunkene Drinks zu sorgen, und er kommt richtig sympathisch rüber – Billy aber auch, denn beide machen nicht auf cool wie die meisten Runner, sondern geben sich wie ganz gewöhnliche Leute, die halt einen ungewöhnlichen Beruf ausüben. Mit Ryder wird aber keiner der beiden warm, und er ist auch der Erste, der sich verzieht. Die anderen kennen Cutty und Billy noch nicht lange genug, um das offen zu kommentieren, doch es wirkt nicht so, als sei er tief im Bandgefüge verankert – aber immerhin: Spielen kann der Junge.

 

Später, während Cutty noch rätselt, ob Neona eher "normal" mit ihm flirtet oder ihn anbaggert bzw. sich anbaggern lässt, packt That Guy eine Story aus, in der auch Neonas Freund vorkommt. Shit. Natürlich: So eine ist selbstverständlich kein Single. Da sie auf That Guys Einwurf ganz normal reagiert, muss Cutty annehmen, dass dieser interessierte, zugewandte Umgang wohl ihre Art Leuten gegenüber ist, die sie mag, und nichts zu bedeuten hat – oder?

 

Sonntag, 05.02.2062

 

Der Abend verläuft routiniert, und nach dem Auftritt verstreut sich die Band in alle Winde. Cutty bettelt Billy an, auch nächstes Wochenende wieder mit von der Partie zu sein – vielleicht braucht Enola ja ein bisschen länger, um mit ihm warm zu werden? (Er würde sie sofort nehmen, wenn sie sich ihm an den Hals würfe, aber eigentlich ist es Neona, die ihn wirklich interessiert.) Billy schlägt ein, aber nur noch nächstes Wochenende, danach ist definitiv Schluss! Das sind schließlich immer drei Abende, die ihr zur Kontaktpflege und zum Geldverdienen fehlen – ¥ 250 wiegen das nun wirklich nicht auf.

 

Die Woche zieht für beide ganz normal ins Land: Man geht mal mit diesem, mal mit jenem was trinken, hilft hier aus, treibt dort Schulden ein, holt hier etwas ab und bringt es dorthin, sucht jemanden oder knüpft einen Kontakt. Außerdem muss Adrenalinjunkie Billy Möglichkeiten finden, in Bewegung zu bleiben: Parkour, Freeclimbing, Biking, Skating etc. Cutty muss immer wieder an Neona denken, hat aber erstens keinen Grund, sich bei ihr zu melden, und zweitens ist sie in einer Beziehung. Gut, das hat ihn bei Fi auch nicht gestört, aber die ist schließlich seine große Liebe. Bezeichnenderweise seit Freitag, dem 13.01., hatte er keinen Kontakt mehr mit ihr, und das Einzige, was seit Jahren in der Lage ist, seine ständigen eifersüchtigen Gedanken zu exorzieren, sind Liebeleien. Es ist lange her, dass er verliebt war, es wird mal wieder höchste Zeit, und dann passiert es ihm bei noch einer Frau, die er nicht haben kann.

 

Freitag, 10.02.2062

 

Im White Hart am Hart Park in Orange sehen sich Cutty und Billy wieder, die erneut mit einem bloßen Blick signalisiert: Nach diesem Wochenende war's das. Ein Backstage-Check ergibt, dass die AR hier mit obszönen Drohungen vollgeschmiert wurde. Die beiden lassen die AR neu booten.

 

Cutty kann nicht anders, als zu grinsen, als er Neona begrüßt, was die aber nicht mitbekommt, denn die eintrudelnde Band sieht beunruhigt zu, wie sich Coral mit dem Betreiber herumstreitet, weil der plötzlich eine höhere Gebühr für die Nutzung seiner PA fordert als ursprünglich abgemacht. Cutty, ohnehin extrovertiert und dankbar für jede Chance, vor Neona gut auszusehen, verlässt den Backstage-Bereich, betritt die Bühne und greift sich ein Galgenmikro.

 

Cutty: You're waiting for Mona Lisa Overdrive, right?

Publikum: Yeeeaaahhh!

Cutty: I said, you're waiting for Mona Lisa Overdrive, right???

Publikum: YEEEAAAHHH!!!

Cutty: Well, brace yourselves for disappointment, folks. The butterball who runs this joint won't let them use the PA 'cause you guys showed up in such large numbers that his eyes went KA-CHINNNGGG, you know? So now he wants to squeeze a good deal more sugar out of our hard-working virtuosos backstage for the use of his shitty Sony setup. Just letting you know. (Die Menge kocht. Cutty kehrt zum wütend brüllenden Clubbetreiber zurück und meint harmlos:) I don't know, they seem pretty riled up, what do you think?

Betreiber: You fucks won't ever play here again, you son of a bitch!

Cutty: They're about to go nova, and you'll be begging at their doorstep for some scraps. Now get your fat ass out of the way and let them do their thing.

 

Angesichts der nach Mona Lisa Overdrive johlenden Menge hat der Besitzer keine andere Wahl und rauscht wütend ab. Coral fährt Cutty an, dass er sich nicht in ihre Arbeit einmischen soll, sie hatte die Situation unter Kontrolle, aber die Band flaniert mit Lächeln, Yeahs und Schulterklopfern an Cutty vorbei, betritt die Bühne, und die Meute flippt (nun deutlich weniger aggressiv) aus.

 

Während MLO ihren Opener spielen und Billy Position bezieht, sucht Cutty kurz etwas auf seinem Kommlink, läuft dem Betreiber hinterher und überspielt ihm eine Nummer.

 

Betreiber: The fuck is this?

Cutty: This is the number of the Wolfpack's OC chapter. If you have a problem with me, take it to them, they'll happily listen to you. It's Cutlass Flintloque. Make sure you get my name right, okay?

 

Cutty beeilt sich, wieder zur Bühne zu kommen, und er ist gerade mächtig stolz auf sich. Ein besonders zudringlicher Fan will im Laufe des Sets die Bühne stürmen, aber er sieht harmlos und glücklich aus, und für Billy ist es ein Leichtes, ihn wieder in die Menge zu befördern.

 

Nach dem Auftritt stellt sich Neona einem Interview mit RTX (in dem sie natürlich auch nach Cutty befragt wird, das ist schließlich eine tolle Anekdote für den Artikel – sie nennt ihn einen Freund der Band). Danach sehen sie, Brutal und Ryder zu, dass sie nach Hause kommen, aber Neona lobt Cutty noch mal für sein beherztes Eingreifen, das war wirklich eine coole Nummer. Die Art, wie sie mit ihm spricht – das schiefe Lächeln, die dunkle Stimme, die extrovertierte, selbstbewusste Körpersprache, der Fistbump gegen die Schulter –, erinnert ihn überhaupt nicht an Fi, aber Neona ist neben ihr die einzige Frau, die er sich sowohl in abgewetztem Leder als auch in einem schicken Kostüm vorstellen kann und die in beiden Welten eine gute Figur machen würde. Enola und That Guy wollen noch ein wenig bleiben und etwas trinken, aber Enola interessiert sich nach wie vor nicht die Bohne für Cutty, kann aber gut mit Billy. Die signalisiert, dass sie alles im Griff hat (schließlich werden die fünf ja auch nicht nach Hause begleitet), und Cutty macht sich auch auf den Weg, nachdem der Clubbesitzer zähneknirschend "Nichts für ungut, hm?" gesagt hat.

 

Enola und Billy haben gemeinsam, dass sie absolut nichts trinken, was That Guy nur bestaunen kann, der für beide mittrinkt, bis Billy ihn nach Hause schickt – morgen Abend ist der nächste Auftritt im Dark Mirror, da sollte er nicht verkatert erscheinen. Enola und Billy stammen aus komplett unterschiedlichen Welten, unterhalten sich aber angeregt über Gott und die Welt, größtenteils über gescheiterte Beziehungen, aber auch über ihre Begeisterung für Sport, und merken gar nicht, wie die Zeit vergeht.

 

Samstag, 11.02.2062

 

Heute steht der Dark Mirror in Old Towne, Orange City auf dem Programm, kleiner als das White Hart, aber insgesamt angesagter. Es heißt, auch Heidi Dougherty vom renommierten Mainstay-Zine sei im Publikum. Die Setlist ist jeden Abend die gleiche, und inzwischen ist Cutty mit der Musik vertraut. In der ruhigen Phase in der Mitte des Sets spielt MLO das ergreifende Into The Light, That Guy spielt die Synths, Neona singt sich die Seele aus dem Leib, das Publikum lauscht andächtig. Auch Cutty konzentriert sich nicht auf das Publikum, sondern hat nur Augen für Neona, die in ihrem Song völlig aufgeht. Plötzlich werden überraschte und erschrockene Schreie im Publikum laut, und immerhin auf die reagiert Cutty, indem er sofort eine nach vorn gerichtete Barriere aus prasselnder Energie auf der Bühne erschafft. Ein lauter Knall ertönt, und im Publikum bricht Panik aus. Billy klettert auf die Trollrausschmeißerin, um sich einen Überblick zu verschaffen, springt dann in die Menge, wühlt sich mühsam durch, bis sie nicht mehr weiterkommt, rennt auf der Bar entlang, hangelt sich über den Köpfen der Fliehenden über das Gerüst, das die Lichtanlage hält, und erreicht endlich den Ausgang. Der Täter hatte einen mächtigen Vorsprung, aber gerade ist noch in der Ferne jemand zu sehen, der um eine Ecke läuft, also rennt auch Billy los. Die Verfolgungsjagd durch die nächtliche Kleinstadt gerät abwechslungsreich, weil die Straßen unübersichtlich sind. Billy verliert den Kerl, findet ihn dann auf einer Brücke eine Straße weiter unten und legt einen Wahnsinnsstunt hin (Video Verfolgungsjagd 1), um seinen Vorsprung wieder einzuschmelzen.

 

Cutty hat sich inzwischen vergewissert, dass es der Band gut geht. Jetzt muss auch er verschwinden, bevor die Polizei eintrifft. Er bittet die Band, sich mit ihm zu treffen, nachdem die Cops ihre Aussagen aufgenommen haben (und zu behaupten, jemand aus dem Publikum müsse die Barriere geworfen haben).

 

Der Verfolgte pfeift aus dem letzten Loch, und die athletische Orkin kommt immer näher. Nun beginnt er also, aus seiner Schrotflinte ungezielt nach hinten zu schießen, um sie in Deckung zu zwingen. Mit der kleinen Hudson M8A schaut sie vorsichtig um die Ecke, hinter der er verschwunden ist, und sieht ihn hinten in einen Ford einsteigen, der sofort losfährt, aber sie macht mit ihrem Kommlink schnell noch ein Foto davon. Die Lackierung findet sie auffällig, für sie sieht sie nach Gang aus. Das Bild schickt sie Zander, Remy, Sasquatch und Ivory mit der Bitte, es rumzuzeigen, ob irgendjemand die Lackierung erkennt, und ihr Infos über lokale OC-Gangs zu besorgen.

 

Telefonisch finden Cutty und Billy zueinander und warten, bis MLO grünes Licht geben und sich mit ihnen in einer kleinen Eckkneipe treffen. Coral ist völlig zittrig, muss aber selber immer noch die Band beruhigen. Allen geht es gut, der Schuss hat die Barriere nicht durchdrungen, aber so weiß natürlich auch niemand, wem er galt. Die Polizei hat auch eine Schrotpatronenhülse gefunden. Cutty meint, da der Täter noch auf freiem Fuß ist und man nicht weiß, auf wen er es abgesehen hat, sollte heute vielleicht niemand nach Hause, falls er dort wartet, sondern lieber im Hotel einchecken. Man entscheidet sich für das Orange Grove, ein billiges Hochhaus-Hotel.

 

Cutty setzt sich im Foyer natürlich zu Neona und fragt sie, ob ihr Freund herkommen könne, um ihr beizustehen. Sie winkt ab: Er ist Elektroinstallateur auf Montage, und er würde sowieso "Ich hab's dir doch gleich gesagt" um die Ohren hauen, weil er wenig von ihrer Band hält. Okay, klingt nicht nach Romeo & Julia. Cutty ist aber zufrieden mit seiner Nummer vom Vortag: Ihr Freund mag ihre Band nicht, aber er hat sich für ihre Band eingesetzt und sie vor einem Dritten verteidigt.

 

Billy beobachtet währenddessen, wie Coral telefonisch mit verschiedenen Clubbetreibern herumstreitet, weil sie ihr gemailt haben, dass sie den Auftritt canceln, natürlich auch den morgigen. Jedoch kommen auch einige Zine-Anfragen nach Interviews rein.

 

Billy setzt sich zu der apathisch wirkenden Enola, legt ihr aufmunternd einen Arm um die Schulter, und Enola beginnt plötzlich, haltlos zu schluchzen. Das letzte Attentat hat sie schon traumatisiert, und das hier reißt alte Wunden wieder auf. Billy tröstet sie, so gut sie kann.

 

Coral fragt Neona, ob sie morgen Interviews geben würde. Die weiß nicht, ob sie das kann. Coral argumentiert, dass das jetzt natürlich eine furchtbare Erfahrung war, aber niemand will MLO nun noch auftreten lassen – das kann nur PR ändern. Cutty verspricht ihr, aufzupassen, und Neona sagt zu.

 

Cutty ruft Angel an und lässt ihn Corals Kommlink checken, ob Marken darauf liegen – Fehlanzeige. Also kann sie die Zines anrufen, um sie für morgen klarzumachen, die Location in der Nähe wird kurzfristig bekannt gegeben.

 

Billy versucht, aufzustehen, damit Enola ihre Telefonate nicht mitbekommt, aber sie bittet sie, sie nicht allein zu lassen. Okay, Billy begleitet sie auf ihr Zimmer, wo sich Enola auf dem Bett an sie schmiegt, und telefoniert leise via Knopf im Ohr. Mit Zanders und Ivys Infos kommt sie auf die Shifters, eine lokale Gang, die bei den Yaks auf dem Lohnzettel steht. Nun will sie doch aufstehen, aber Enola flüstert bettelnd: "Bitte geh nicht!" Billy läuft ein Schauer über den Rücken, und sie umarmt Enola und bleibt liegen.

 

Sonntag, 12.02.2062

 

Neona sollte für die Interviews natürlich gut aussehen, also muss sie nach Hause. Cutty bietet ihr selbstverständlich in aller Herrgottsfrühe an, sie auf seiner Emperor zu fahren. Er schaut nach, ob die Luft rein ist, und trinkt beim Warten einen Kaffee und sieht sich die kleine Wohnung an, während sie duscht, sich zurechtmacht und ihre Sachen zusammensucht. Ja, sie lebt offenbar mit jemandem zusammen, aber man kann auch erkennen, dass der Typ nicht oft da ist, und die Quicklinks und Abos im Trid lassen auf eine intelligente, vielseitig interessierte Frau schließen.

 

Es kommt schließlich zu einem Moment, in dem die beiden sich nur ansehen – und kurz bevor sie sich annähern würden, fängt sich Neona wieder und fragt sich unnötigerweise laut, wo zum Teufel sie ihren Caballo-Lippenstift liegen gelassen hat. Na ja, denkt sich Cutty, jetzt weiß sie wenigstens definitiv, woran sie bei ihm ist.

 

Billy erwacht von einem Klopfen an der Tür – sie liegt nackt im Bett, und der Zuschauer kann sich den Rest denken. Im Bad hört sie Enola duschen. Rasch zieht sie sich Biker Shorts und Sport-BH an, greift ihr Kommlink, aktiviert den Bildschirm für den kurzen Blick auf den Flur – und sieht einen Haufen bewaffneter Ganger, derer zwei ihre Schrotflinten durchladen. Billy springt weg, die Tür wird zerschrotet, und sie flüchtet athletisch durchs Fenster in das Hotelzimmer nebenan, rennt in den Gang, weicht artistisch den Gangern aus und lockt sie so hinter sich her, damit sie Enola in Ruhe lassen – ihr bleibt aber auch keine andere Wahl, da die Hudson noch im Zimmer liegt. Die Parkour-Verfolgungsjagd geht durchs Treppenhaus und ein weiteres Hotelzimmer, über den Balkon eine Etage tiefer, wieder durchs Treppenhaus, an einem Kabel durchs Fenster (wobei ein zu optimistischer Ganger in den Tod stürzt), wieder eine Etage tiefer, wieder durchs Treppenhaus, an der Fassade die Leiter hoch aufs Dach, über Dächer und Balkone, im Hochhaus daneben durchs Treppenhaus runter, wo Billy einen weiteren Ganger in die Tiefe schicken kann, wieder über Balkone und Dächer, bis sie die verbliebenen drei Verfolger durch einen selbstmörderischen Sprung abschütteln kann, den sie nicht wagen (Video Verfolgungsjagd 2).

 

Sobald sie durchatmen kann, ruft sie Coral an – die wurde schon von Enola alarmiert, die Ganger sind alle Billy gefolgt und haben alle anderen in Ruhe gelassen. Sie kehrt zurück, und Enola umarmt sie außer sich vor Erleichterung und Dankbarkeit.

 

In der kleinen Kneipe von gestern werden vor einem MLO-Backdrop die Interviewer empfangen, und auch wenn Coral einige Fragen abblockt, macht Neona eine so gute Figur, dass sie sich damit vermutlich selbst überrascht. Dabei bringt sie auch unter, dass es schon seit Langem anonyme Drohungen gab, dass MLO aber viel zu heiß aufs Spielen waren, um sich davon abschrecken zu lassen. Nach einem Mordversuch am Vortag ist das etwas, das beim Publikum gut ankommen dürfte, das ahnt Cutty schon jetzt.

 

Während er ihr zusieht, denkt er sich, dass Gefahr ein mächtiges Aphrodisiakum ist, er hat das ja selbst ein paarmal erlebt – und erstens ist er nicht nur deutlich interessanter und offenbar auch zupackender als ihr Freund, sondern zweitens momentan auch noch Neonas Beschützer. Andererseits ist das dem Typen gegenüber unfair. Wiederum andererseits: Das würde den vermutlich auch nicht stören, wenn Neona Cuttys Freundin wäre und er sie wollte. Quicksilver hat's ja auch nicht gestört. Stop, falscher Gedankengang.

 

Die kleine OC-Tour ist mehr oder weniger abgebrochen, jetzt muss man abwarten, wie im Fandom das Echo auf die Wax-Screamsheets ausfällt. Man verabschiedet sich von der Band, und Cutty fragt Neona, ob man vielleicht mal etwas unternehmen möchte. Sie erwidert deutlich: "Cutty, I'm taken." Vielleicht will er es nur glauben, aber er denkt, einen enttäuschten Unterton herausgehört zu haben. Dennoch respektiert er ihr Statement und gibt sich geschlagen.

 

Cutty und Billy diskutieren herum, denn Cutty möchte der Gang einen Besuch abstatten, und Billy ist dagegen, weil sie dafür nicht bezahlt werden. Als sie aber merkt, dass er sich entschieden hat, kann sie ihn unmöglich allein gehen lassen, merkt aber an: "Du findest die eh nicht."

 

Sie hat zwischenzeitlich nämlich herausgefunden, dass in der Life Bar die Schieberin Danyele Velasquez herumhängt, die eng mit den Shifters zusammenarbeitet. Die beiden traben also los zur kleinen Bar mit grellem Schwarzlicht-Grafitti (Video Watchdogs 2).

 

Billy: Let me do the talking.

Cutty: But I am... and you are...

Billy: I grew up in a gang. You too? No? So what are we talking about? Look, we can argue about it when we're done, 'kay? It'll be great!

 

Die beiden betreten die kleine Bar und sehen sich um – nur eine Frau kommt als Danyele infrage, da sie sich an einem Tisch ganz hinten in der Ecke mit viel Kram ausgebreitet hat. (Den Barkeeper braucht man nicht fragen, der würde automatisch "Kenne ich nicht" antworten.) Billy setzt sich also ungefragt zu Danyele (Cutty behält Eingang und Hintertür im Auge), legt ihren Custom Colt auf den Tisch und rät ihr, einen Lieutenant der Shifters herzubestellen. Es gelingt ihr, Danyele einzuschüchtern, und nach einer Viertelstunde taucht Tsuyoi mit ein paar Leuten auf. (Die Gang an sich ist kaukasisch, nur Boss und Lieutenants sind Japaner.) Der junge Japaner gibt sich (wie nicht anders zu erwarten) sehr einschüchternd, als hätten die beiden bereits ihr Todesurteil unterschrieben. Billy weiß, dass er so agieren muss, und hält ihrerseits dagegen, dass sieben seiner Leute nicht mit ihr fertig wurden und er besser vorsichtig ist. Er merkt Billy an, dass auch sie einen Ganghintergrund hat, und sie legt ihre Situation dar: Sie hat mit den Shifters keinen Stress, nur mit jemandem, den sie beschützen, und sie will sicher gehen, dass er keinen weiteren Schaden anrichtet. Dafür, dass die Gang ihr beim Versuch, sie zu töten, den Morgen gründlich verdorben hat, ist sie ihr etwas schuldig. Sie will nur den Schützen von gestern Abend, dann kann man quitt auseinandergehen.

 

Was die Shifters nicht ahnen, ist, dass die beiden Runner Angel hinzugezogen haben, der draußen im parkenden Wagen sitzt und in der AR die Kommlinks von Danyele und Tsuyoi durchforstet. Dabei stößt er auf eine sehr interessante Videodatei, die er auch gleich saugt, und er lässt Cutty wissen, dass sie gehen können. Cutty signalisiert Billy diskret, und die demonstriert Stärke, indem sie einfach vorschlägt, dass Danyele und die Shifters das unter sich besprechen sollten, sie komme morgen wieder.

 

Sie treffen sich mit Angel, und die Gang-Orkin in Sportklamotten lernt den Gang-Ork im schicken mexikanischen Spencer kennen. Er zeigt ihnen die Videodatei: Coral wurde (vermutlich als Absicherung gegen sie) heimlich dabei gefilmt, wie sie Danyele bittet, ein Attentat auf ihre Band zu verüben.

 

Cutty und Billy fahren also zu Tussaud Records (ohnehin ein winziger Ein-Frau-Betrieb in einem Ein-Zimmer-Küche-Bad-Ladengeschäft), und Cutty wirft in der AR das Video an die Wand. Coral bricht ertappt zusammen und packt aus: Das Attentat auf Bluebeard hatte der Popularität von Mona Lisa Overdrive einen gewaltigen Schub verpasst, die Albendownloads schossen in die Höhe, der Aufstieg auf den nächsten Level schien vorgezeichnet – aber die schnelllebige Welt vergisst rasch, wenn man nicht am Ball bleibt, und weil die Musiker so traumatisiert waren und nicht weitermachten, konnte die Band nicht davon profitieren. Als sie nun neu durchstarten wollten, hatte Coral die Idee, dass so etwas ja vielleicht wieder passieren könnte. Und das hat sich tatsächlich ausgezahlt: Ja, die gebuchten Clubs haben alle abgesagt, aber kleinere lokale Spartenmedien haben das Thema aufgegriffen, in der Szene sind MLO das Thema des Tages, und die Interview-Snippets gehen gerade viral. Es hat ja wirklich alles so funktioniert wie gedacht!

 

Coral hatte zuerst die Bedrohungen und die AR-Schmierereien inszeniert, weshalb sie medienwirksam "Schutz" brauchte. Leider mischte sich das Wolfpack ein und bot sich dafür an, und das wollte Coral garantiert nicht linken. Nun musste sie zwar Cutty nehmen, ob sie wollte oder nicht, machte aber aus der Not eine Tugend: Die Attacke sollte ursprünglich daneben gehen, zumal sie á la "Mehr konnten wir uns ja nicht leisten" ja auch inkompetente Bodyguards angeheuert hätte. Mit Cuttys Barriere aber konnte der Schütze vor zahllosen Augenzeugen tatsächlich glaubhaft auf die Band feuern, und die magische Show rundete das aufregende Erlebnis ab – die Mundpropaganda (unterstützt von privat aufgenommenen Videos) fiel ja auch dementsprechend aus und hat das Medieninteresse überhaupt erst so richtig angeheizt.

 

Billy kann sich das fehlende Puzzleteil nur so erklären, dass der Schütze, den sie verfolgt hatte, so sauer auf sie war, weil sie ihm so zugesetzt hatte, dass er sich tags drauf mit ein paar Kumpels bei ihr revanchieren wollte, denn dafür hatte Coral keinen Auftrag erteilt. Vielleicht wollten sie sie gar nicht geeken, sondern nur einschüchtern, denn sie hatten erst zu schießen begonnen, nachdem ihr erster Kumpel in den Tod gestürzt war.

 

Coral bettelt Cutty und Billy an, nicht zu den Cops zu gehen. Die beiden ziehen sich zur Beratung zurück und bestellen dann eilig alle Bandmitglieder her. Nach und nach trudeln sie ein, und man sieht sich schneller wieder als gedacht. Cutty und Billy schildern die Abläufe und argumentieren abwechselnd, dass niemandem damit geholfen wäre, zu den Cops zu gehen, und die Verkauszahlen boomen ja gerade – die Wahrheit aufzudecken würde der Band vielleicht sogar den Todesstoß versetzen. Daher haben sie, wenn das für die Band okay ist, Coral aufgefordert, sie ablösefrei zu einem anderen Label gehen lassen, denn es haben schon mehrere angefragt. Offiziell kann Coral ja sagen, dass das kleine Tussaud Records die Sicherheitsmaßnahmen nicht stemmen konnte. (Die beiden haben sich ihr Schweigen natürlich diskret versilbern lassen, wenngleich sich Tussaud Records wirklich nicht viel leisten kann – das meiste Geld ist in die Promotion, die Tournee und natürlich die Taschen der Shifters geflossen.)

 

Die Musiker diskutieren und einigen sich auf den Vorschlag der Runner. Coral heult wie ein Schlosshund und versichert ihnen, dass sie nicht wollte, dass jemandem etwas geschieht, sie wollte doch nur, dass ihre Schützlinge Karriere machen! Enola kann aber nicht anders, versetzt ihr eine schallende Ohrfeige und geht.

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