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Nach 37 Jahren Beschäftigung mit der zweitschönsten Nebensache der Welt wird es anno 2023 langsam mal Zeit, 22 Jahre Forgotten Realms und 31 Jahre Shadowrun online zu archivieren.

Forgotten Realms: Zum Geleit

Ich bin Ende 1986 mit DSA infiziert und bis 1992 rollenspielerisch sozialisiert worden. Im Sommer 1987 entstand unsere heutige Gruppe, und bereits 1988 faszinierten uns die geheimnisvoll und epischer wirkenden Forgotten Realms, doch das AD&D-Regelsystem hielt uns davon ab, uns wirklich eingehender mit ihnen zu beschäftigen, und für eine Regelanpassung waren wir noch zu jung, zu unerfahren und natürlich auch zu bequem. Von der High Fantasy inspiriert veränderten wir dafür jedoch den aventurischen Hintergrund bis zur Unkenntlichkeit, weil er uns zu hotzenplotzig, bisweilen viel zu albern (Saft, Kraft, Monstermacht, anyone?), vor allem aber schlicht nicht phantastisch genug erschien, und pumpten Versatzstücke der Realms, Krynn, Melniboné, Mittelerde und anderer Welten in den Kessel, bis die Brühe vollends ungenießbar war. Was soll ich sagen, wir waren halt Kinder. Nachdem wir Aventurien (bzw. unseren Spaß daran) also dergestalt zugrunde gerichtet hatten, widmeten wir uns lieber Shadowrun, Earthdawn, Stormbringer, Call of Cthulhu, Mutant Chronicles, Vampire, Werewolf, und, und, und, bis uns die dritte Edition von D&D 2001 endlich erlaubte, uns Hals über Kopf in die Realms zu stürzen, um klassische Fantasy zu erleben. (Bei einem stark angepassten 3.5 nebst Pathfinder-Schützenhilfe ist es seitdem auch geblieben.)

Die Realms hatten wir 1988 in Form der noch sehr viele Freiheiten und weiße Flecken lassenden deutschen Setting-Box kennen gelernt – das war unser Orientierungspunkt, ein wundervolles Sprungbrett für die eigene Phantasie. 13 Jahre später stellten wir beim tieferen Eintauchen in das seitdem viel stärker ausgearbeitete Setting allerdings schnell fest, dass uns die Konzepte, in die wir uns verliebt hatten, immer noch gefielen, aber nur sehr selten die Ausführung. Wir hatten eine lange Entwicklung durchgemacht, und das Bunte, Übertriebene, Abgefahrene, an jeder Ecke Außergewöhnliche reizte uns überhaupt nicht mehr. Nun lernten wir die Vorzüge des bodenständigen, durchdachten, gelebten, mit großen Abstrichen relativ plausiblen Aventuriens erst so richtig zu schätzen. (Bis einschließlich der vierten Edition kaufte ich mir auch alle DSA-Spielhilfen, einerseits zwecks Inspiration, andererseits, um das in meinen Augen reifste, durchdachteste, intelligenteste Rollenspielsetting und damit seinen Verlag zu unterstützen.) Im Laufe der Jahre aventurisierte ich die Realms also, und letztlich machte ich, wie man wohl erkennen kann, vor wenig Halt, da wir mit dämonischen Halbdrachen-Werpinguinen mit dem Vampir-Template ebenso wenig anfangen können wie mit der Erklärung, die fast jedem Ereignis in den Realms zugrunde liegt: "Es war Magie." Ich wollte schauen, ob ich dieser High-Fantasy-Welt etwas mehr Bodenhaftung und Plausibilität verleihen kann, und bislang sind wir mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Dabei habe ich mich natürlich schamlos beim aventurischen Urvater bedient ("geklaut wie ein Rabe" trifft's eher), aber auch bei allerlei anderen Einflüssen, wenngleich ich mich bemühe, nicht einfach nur blind zu kopieren, sondern etwas Neues ins Etablierte einzubetten, so dass es sich anfühlt, als sei es schon immer da gewesen. Nach DSA sind zweifellos die Witcher- und die Elder-Scrolls-Universen die größten Einflüsse, aber auch Age of Wonders hat uns nachhaltig geprägt. Filmisch haben bei uns Robin Hood (die TV-Serie von 1984 und der Film von 1991), Willow und Braveheart die tiefsten Spuren hinterlassen.

Vor allem wird der geneigte Leser darüber stolpern, dass sich Deutsch und Englisch recht fröhlich abwechseln. (Was man bereits an den Abenteuertiteln erkennt, die wir seit den Achtzigern traditionell auf Englisch formulieren, weil es sich unserer Meinung nach für kurze, prägnante Titel besser eignet als Deutsch.) Das liegt daran, dass wir überwiegend bilingual sind, und amerikanisches Rollenspielmaterial ist auf Englisch nun mal deutlich früher (bzw. damals in den meisten Fällen ausschließlich) zu kriegen. Wir reden also von Feats und Saves und Maligard's Morning Ministrations und wissen oft nicht mal, wie die Begriffe offiziell übersetzt wurden.

Hinzu kommt, dass wir uns unsere Abenteuer fast von Anfang an wie Lord-of-the-Rings-artige Blockbuster vorgestellt haben (lange bevor es Lord of the Rings im Kino gab), und weil diese Blockbuster nun mal aus Hollywood kommen und wir das Genre stark mit dem amerikanischen Film assoziieren, schalten wir hin und wieder in den O-Ton. Man darf sich das so vorstellen, als wechselte man im Film einfach kurz die Tonspur. Die weitere Lektüre wird ergeben, dass die Filmhaftigkeit hier beileibe nicht aufhört.

 

Unsere Präferenzen liegen in Sachen klassischer Fantasy irgendwo zwischen der High Fantasy der Realms und der Low Fantasy Aventuriens, mal mehr hier, mal mehr dort. Für graue, tragische Charakterstudien haben wir andere Systeme – hier ist die Welt etwas schöner, sind die Menschen etwas besser und die Charaktere etwas heroischer. In unseren Realms existieren die Bakterien nicht, die dafür sorgen, dass man nach zwei Tagen unterwegs stinkt wie eine Hyäne, die Leute sind grundsätzlich etwas attraktiver, haben ihre Zähne betreffend sehr gute Gene, tragen von Schlägereien selten ernste Verletzungen davon, weisen eine schnelle Wundheilung auf, Wunden heilen meist vollständig ab und ziehen selten lebenslange Gebrechen nach sich, ein Schlag auf den Kopf birgt nicht die Gefahr eines tödlichen Schädel-Hirn-Traumas, lange Haare und Umhänge behindern nicht beim Kämpfen, Frauen müssen sich nicht rasieren, Hygiene ist weit verbreitet, Wasser ist grundsätzlich trinkbar, Flöhe glänzen durch Abwesenheit, kein altgedienter Charakter stürzt wegen eines verhauenen Climb-Checks in den Tod, am Ende siegen meistens die good guys und so weiter – also ziemlich genau so idealisiert wie ein Abenteuerfilm á la Indiana Jones.  Die Welt ist auch Lord of the Rings, aber noch ein bisschen mehr Robin Hood, ist auch Game Of Thrones, aber noch ein bisschen mehr Firefly, ist auch The Elder Scrolls, aber noch ein bisschen mehr Uncharted, und komplexe Beziehungsgeflechte, die irrsinnig viel Raum einnehmen, runden das Ganze ab.

 

Außerdem herrscht eine deutliche ludonarrative Dissonanz vor, der wir uns sehr wohl bewusst sind: Weil die Spielmechanik so viel Spaß macht (und sich die teuren Minis ja auch gelohnt haben müssen ^^), gibt es natürlich regelmäßig gewalttätige Konfrontationen. Kämpfe laufen cinematisch und heroisch ab, wobei die physikalischen Gesetze ihre Gültigkeit behalten, aber eine Idee großzügiger gefasst sind als in der Realität. Betrachtet man jedoch die Regelmäßigkeit der Kämpfe und denkt das Konzept seit 20 Jahren gespielter Charaktere logisch zu Ende, hätte jeder Charakter das Zehnfache der Kämpfe hinter sich, die man überhaupt halbwegs glaubhaft überleben kann, und man würde Massenmörder spielen, die zahllose Leben auf dem Gewissen haben. Daher gilt die Faustregel: Einige Auseinandersetzungen haben langfristige Folgen, aber viele Konfrontationen sind nur für die Dauer des Abenteuers von Belang, wirken sich nicht spürbar aus, finden nie wieder Erwähnung und könnten ebenso gut nie stattgefunden haben. Ohne zwei zugedrückte Augen  funktioniert heroische Fantasy in dieser Hinsicht nicht, wenn man über Jahrzehnte dieselben Charaktere spielt.

 

Schon seit unserer DSA-Zeit schreibe ich die Abenteuer nieder, aber natürlich waren sie nie dazu gedacht, einmal von jemandem gelesen zu werden, der nicht live dabei war, denn es sind ja nur mal mehr, mal weniger detaillierte Inhaltsangaben, bei denen 90 % des Erlebten unter den Tisch fallen. Meine begrenzte Zeit erlaubt mir nicht, alle Abenteuer für fremde Augen umzuschreiben, denn diese Plattform soll uns eigentlich nur als stets verfügbares gemeinsames Archiv dienen. Jedoch hoffen wir, dass zufällige Leser, die über diese Seite stolpern, weitgehend durchsteigen und sich unterhalten fühlen – und vielleicht auch die eine oder andere Inspiration mitnehmen können.

Shadowrun: Primer

Shadowrun hatte ich mir ein paar Jahre lang aus der Ferne angesehen. Cyberpunk und semiwissenschaftlich erklärte High Fantasy? Das Konzept war damals einfach zu absurd für mich. 1992 konnte ich dann aber nicht mehr widerstehen, die Lektüre des blauen SR1-Regelwerks war pure Magie, das Artwork von Jeff Laubenstein prägt mein SR-Bild noch heute, und noch immer lese ich viel lieber das umfangreiche Material der ersten und zweiten Edition als irgendetwas, das danach kam, weil sich die Spielphilosophie und der Stil irgendwann doch spürbar änderten. SR1 und SR2 wohnte noch dieses Anarcho-Flair inne, das im Laufe der Zeit im selben Maße glattgebügelt wurde, wie sich das System professioneller und durchorchestrierter gab.

 

Irrsinnigen Spaß hat es von Anfang an gemacht, aber wir brauchten viele Jahre, bis unsere Abenteuer so objektiv vorzeigbar waren, dass wir auch heute noch mit ihnen zufrieden sind.

 

Wie wir SR spielen, hängt von der Kampagne ab, derer es drei gibt: zwei in Seattle und eine in Kalifornien. Man könnte es sich vielleicht so vorstellen, als seien verschiedene Regisseure am Werk: Das Setting ist immer dasselbe, hat aber jeweils einen eigenen "Geschmack", und man spürt sofort, um welches Team es geht. In Seattle geht es viel dystopischer zu als in Kalifornien, und in der Seattler “A-Gruppe” werden oft größere Abenteuer absolviert, weil wir dort in Sachen Charaktere die schwersten Kaliber haben, weshalb sie oft eine gewisse Blockbuster-Qualität aufweisen. Die Seattler “B-Gruppe” ist mit dem Abenteuer SEVASTOPOL zu Grabe getragen worden, doch bis dahin ging es dort um kleinere Abenteuer mit viel Melancholie, Tragik und Zynismus. In Kalifornien dreht sich alles um dieselben Konzepte, doch geht es dort etwas heiterer und unbeschwerter zu mit mehr Platz für die Verrücktheiten der Shadowrun-Frühzeit.

Allen Kampagnen gemeinsam ist, dass man merkt, dass wir mit amerikanischen Filmen der Achtziger sozialisiert wurden, deren Realität ein kleines bisschen großzügiger gefasst ist und in denen die Logik zugunsten des Styles auch mal ein Auge zudrückt. Gerade SR ist ein Setting, in dem einem Spielleiter eigentlich zu jeder Spieleridee etwas einfällt, das der Spielweltlogik folgend diese Idee zunichte machen müsste. Unauffällige Allerweltsgesichter in unauffälligen Allerweltsklamotten, die ständig ihre Fingerabdrücke und ihre DNA-Spuren beseitigen (und eigentlich dauernd in Hazmat-Ganzkörperanzügen herumlaufen müssten, um vor den Möglichkeiten, die die Gegner haben, gefeit zu sein), sind das Gegenteil dessen, was SR (insbesondere hinsichtlich des Cyberpunk-Aspekts) für uns ausmacht.

 

Wir können nicht abstreiten, mit Lethal Weapon und Die Hard aufgewachsen zu sein, und das merkt man unseren Shadowrun-Abenteuern bis heute an. Andere Einflüsse, die unser SR-Bild und unseren Spielstil geprägt haben, waren – wenig überraschend – Filme wie RoboCop, Total Recall, Blade Runner, The Crow, Dark City oder Akira, aber auch John Woos The Killer und Hardboiled, vor allem aber Spiele wie Shadowrun auf dem Super Nintendo, Deus Ex, Splinter Cell oder GTA 3, und für die Kalifornien-Gruppe waren vor allem Headhunter für den Dreamcast sowie GTA 5 und Mirror's Edge für die Playstation massiv prägend, aus jeweils unterschiedlichen Gründen.

 

Natürlich passt jede Spielgruppe ihr Setting ein wenig an die eigenen Vorlieben und Bedürfnisse an. Earthdawn war nie die Vierte Welt, Metamenschen sind zwar alltäglich, aber längst nicht so zahlreich wie im offiziellen Setting, die Matrix sieht bei uns immer technisch und abstrakt aus (Oldschool-Cyberpunk), Otaku, Technomancer oder SURGE hat es nie gegeben, einige Weltereignisse haben wir ignoriert oder geändert (Horizon wurde früher gegründet, Tempo wurde früher eingeführt, L.A. wurde nie überflutet etc.), Orks sind nicht so kurzlebig wie im Original, Watcher und Shedim glänzen durch Abwesenheit, Schamanen beschwören keine Elementar- und Magier keine Naturgeister, und vor allem ist uns ein vernünftiger Retcon lieber als dieses "Nicht Fisch, nicht Fleisch"-Prinzip, mit dem die alte Matrix durch die neue ersetzt wurde. Wir spielen SR2 mit dickem Hausregel-Katalog und importierten SR5-Matrixregeln.

 

Das erste Abenteuer fand 2049 statt, das aktuelle Jahr ist 2063.

Musik: Musik ist bei uns ein gewaltiger Faktor - ohne sie geht gar nichts. Neben Hunderten von Film- und Spiel-Soundtracks dröhnen in Seattle u. a. Depeche Mode, Evanescence, The Sisters of Mercy, Jan Johnston, Linkin Park, Fury In The Slaughterhouse oder Rob Zombie aus den Boxen und in Kalifornien u. a. The Offspring, Social Distortion, The Exies, SR-71, The Quireboys, CHVRCHES, Solar Fields oder Smash Mouth. Die wichtigsten Scores sind für Seattle alle Deus-Ex-Teile, MGS 1-3, Splinter Cell, The Crow oder so ziemlich alles, was James Newton Howard in den Neunzigern komponiert hat, und für Kalifornien die Bond-Film- und Spiel-Soundtracks von Richard Jacques, Kevin Kiner und Thomas Newman, Richard Jacques’ Headhunter, Mirror’s Edge oder The Bourne Quadrilogy.

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