22 - Ikaruga {{ currentPage ? currentPage.title : "" }}

Freitag, 24.02.2062

 

Cutty erhielt gestern nach fast zwei Wochen aus heiterem Himmel ein "Hey." per IM von Neona und verabredete sich mit ihr für heute im Olive Lawn Memorial Park in La Mirada auf halber Strecke zwischen Pico Rivera und Orange, um im verdorrten und zugemüllten, aber immerhin sonnigen Park spazieren zu gehen. Sie berichtet erst mal vom neuen Label, das MLO gesignt hat, aber interessant wird es erst später. Sie sagt es nicht direkt, aber Cutty kann dem Gespräch entnehmen, dass sie sich viele Gedanken über ihre Beziehung gemacht hat, und er denkt, dass sie, bevor sie sie beendet, sicher sein will, dass Cutty ernste Absichten hat. Das ist eine ziemliche Verantwortung für den verantwortungslosen Sonnyboy, aber er möchte es wirklich versuchen und zeigt sich von seiner besten Seite.

 

Billy erzählt Adonis von Enola, und der Zuschauer begreift, dass Billy und Adonis einen Deal haben: Fängt sie etwas mit einem Kerl an, ist es aus zwischen ihnen, aber eine Beziehung zu einer Frau darf sie führen. Adonis weiß, dass Billy ihn genauso liebt und braucht, wie er ist, aber er kennt auch seine Unzulänglichkeiten: Er ist nicht intellektuell stimulierend, Emotionales fällt ihm sehr schwer, er kann nur der harte Baum von einem Kerl sein, der sein Mädchen wirklich liebt. Man merkt, dass Billy schon zuvor Beziehungen neben Adonis hatte, und nun macht sie es offiziell, dass sie sich in Enola verliebt hat – und Enola sich in Billy. Dies ist jedoch die erste Nicht-Orkin, mit der Billy etwas anfängt, für sie also auch absolutes Neuland.

 

Freitag, 03.03.2062

 

In der Northern Crescent hat es etwas länger gedauert, da sich dort ein Shadowrun ergeben hat. Vor ein paar Tagen aber sind Ghost und Kestrel zurückgekehrt, und Ghost hat seine Kontakte informiert und sich für heute Abend mit Pride zum Essen verabredet. Sie erscheint in einer herzanfallbegünstigenden modernen Kleid-Stiefel-Combo, die ihm kurz die Sprache verschlägt. Sie testen einander ab, und erst als Ghost deutlich macht, dass er mehr möchte, macht auch sie klar, dass sie nach Hause will.

 

Neona hat sich seit dem Spaziergang nicht mehr gemeldet, und Cutty sieht zu, dass ihm nicht langweilig wird. Heute kriegt er von seiner Verabredung jedoch eine kurzfristige Absage und textet spontan Meryl, ob die etwas vorhat. Die textet zurück, dass sie mit ein paar Leuten in die Fat Cat fährt, eine Bar in Pasadena, aber er könne ja gern auch vorbeikommen. Er macht sich also zurecht und düst los. In der Bar findet er Meryl auf der kleinen Tanzfläche, die im Party-Kleid auch eine tolle Figur macht. Sie tanzt mit irgendeinem Trottel, also gesellt er sich dazu, drängt ihn leicht zur Seite, tanzt an seiner Stelle und fragt Meryl, ob sie nicht lieber mit einem richtigen Kerl tanzen möchte. Sie zieht den Trottel wieder an sich heran, legt die Arme um seinen Hals und meint spitzbübisch, das tue sie doch. Noch denkt Cutty, dass sie ihn mit dieser Pfeife ärgern und aufziehen möchte, aber sie zeigt ihm, wo die anderen sitzen, und tanzt weiter.

 

Cutty geht zum Tisch – einige kennt er vom Sehen, andere nicht –, stellt sich vor, kommt gewohnt sympathisch rüber und sieht sofort, es sind alle jeweils zu zweit hier. Das wäre eine der vielen Gelegenheiten, bei denen er automatisch an Star denkt und sie sich an seine Seite wünscht, aber sie wechselt sich inzwischen mit Neona ab. Meryl und der Typ kommen zurück, und Cutty sieht erstaunt, dass sie sich an den Fingern halten. Wie bitte? Meryl, zu der ihm ihre Ares Alpha, schmutzige Witze, Motoröl und Wüstenstaub einfallen, mit diesem schlaksigen Hering in seinem langweilig-biederen "Heute mach ich mich mal ganz modern schick"-Konzernoutfit? Wen will sie damit verarschen?

 

In Zuwenas Wohnung lehnt Ghost von vornherein Getränke ab (nicht, dass sie ihm wieder etwas unterjubelt, auch wenn es wirklich effektiv war), und die erste Runde verläuft so wild wie beim ersten Mal. Zum Auftakt der zweiten Runde aber geht Zuwena unvermutet langsam und sinnlich vor und zögert alles endlos lange hinaus – Ghost ging nicht davon aus, dass sie so etwas überhaupt mag, aber vielleicht tut sie es ja nur, weil sie denkt, dass es ihm gefällt? Als sie danach nebeneinander daliegen, sieht Zuwena ihn länger nachdenklich an, winkt auf sein Nachhaken hin aber ab.

 

Verspätet trudelt endlich auch Epiphany in der Fat Cat ein, nun neben Cutty die einzige Partnerlose. Sie war offenbar schon vorgewarnt, auch wenn sie Lee erst jetzt persönlich kennen lernt. Zu späterer Stunde, als alle schon leicht einen getankt haben, sitzen Meryl und Epiphany nebeneinander, und natürlich fragt sie nach Lee. Meryl erzählt grob, was Ende Januar abging und dass Lee untertauchen musste.

 

Meryl: A week later he texted me and asked if he could express his thanks by inviting me to dinner. Normally I would've declined without a second thought. He's not my type, like, at all, and a fucking corpo on top?

Epiphany: Couldn't help but notice.

Meryl: It's obvious, isn't it? Yeah, so... Anyway, I really liked him from the get-go. Don't know why, but I said yes. And guess what, I had a grand night. He cracked me up constantly, I had no idea how funny this dorky guy could be. And I had no idea that a guy can be confident without all this macho bullshit. He knows who he is and what he wants, but he doesn't have to let the world know by making a big deal out of it. And he's extremely quick in adapting to new situations. Lee just doesn't get worked up at all, come what may. My polar opposite.

     The next morning when I noticed he crossed my mind, I thought: 'Not that as well!' I kept my distance, but he kept texting, the persistent little fucker. What can I say? I know we aren't a good match, but you know what? Fuck it. I like him, I'm having a grand ol' time, and he's doing me the world of good, you know?

Epiphany: Good for you, girl. I'm happy for you. Here's to lasting relationships, right?

 

Cutty ist neidisch: Selbst Dauersingle Meryl hat jetzt jemanden, den sie ihren Freunden vorstellt. Zugegeben, wenn man erst mal etwas Zeit mit ihm verbracht hat, wirkt Lee gar nicht mehr so linkisch und tatsächlich witzig und sympathisch, aber Cutty gibt den beiden keinen Monat, sie stammen aus zu unterschiedlichen Welten. Wie oft hat er sich bei seinen Phantasien mit Star vorgestellt, er würde mit ihr angeben und andere Männer neidisch auf sich machen können? Aber was ist mit all jenen, die er kennt, die "uncool" wirkende Partner haben? Meryl kann mit Lee garantiert nicht angeben – im Gegenteil, die Leute fragen sich, was die denn mit so einem will –, aber weiß Lee dann nicht umso mehr, dass es Meryl um ihn geht, völlig egal, was andere denken?

 

Cutty überlegt, dass er sich jetzt normalerweise an die einzige Unbegleitete ranmachen würde, also Epiphany, aber er hat darauf einfach keine Lust und wünscht sich, Neona wäre hier. Oder Star. Star wäre auch toll. Verdammt, eine von beiden!

 

Samstag, 04.03.2062

 

Als Ghost aufwacht, hat sich Pride bereits fertig gemacht. Es habe sich etwas ergeben, sie müsse eilig los, Ghost wisse ja, wo alles ist. Er wundert sich nicht darüber: In ihrem Metier ergibt sich ständig etwas Dringendes. Erst als er sich fertig macht, wird ihm langsam klar, wie unerhört es ist, dass sie irgendjemanden in ihrer Wohnung allein lässt. Sie! So wichtig kann nichts sein. Selbst wenn sie sich in Ruhe zurechtgemacht hat wie beim letzten Mal und erst dann ein Anruf oder eine Mail kam, hätte sie dennoch Ghost auf jeden Fall geweckt, um mit ihm zusammen die Wohnung zu verlassen, geduscht oder nicht.

 

Pride sitzt in ihrem Fantasma und denkt genau dasselbe, aber aus anderer Perspektive: Sie ist wütend auf sich selbst, dass sie Ghost an ihrem Rückzugsort allein gelassen hat, das würde sie in der Tat niemals tun. Aber bis zuletzt hatte sie gedacht, sich normal verhalten zu können, und ergriff erst im letzten Moment die Flucht vor Ghost, als sie fürchtete, dass sie es nicht schafft. Sie verachtet all diese willensschwachen Tussis, mit denen ein Kerl nur einmal ins Bett gehen muss, und schon können sie nicht mehr klar denken. Ihr passiert so etwas nicht, sie ist zu stark dafür.

 

Und dann passierte es ihr doch – Ende Januar. Glücklicherweise legten sich die wiederkehrenden Gedanken an Ghost im Laufe der Wochen wieder, und als er zurückkehrte und sie einlud, war sie inzwischen wieder sicher, dass das nur eine vorübergehende Spinnerei war. Sie stellte sich auf die Probe, alles lief gut – und im Bett verlor sie die Kontrolle über ihre Gefühle. Genau wie all die anderen schwachen Weiber!

 

Donnerstag, 09.03.2062

 

Gestern rief Neona Cutty zu seiner Überraschung zum ersten Mal seit dem 24.02. an und will ihn heute Nachmittag nach der Arbeit zu Hause besuchen. Er lebt ja im Trailer Park, weshalb ihm das zumindest ihr gegenüber unangenehm ist, aber sie bestand darauf, also räumte er auf und empfängt sie nun. Neona meint, wenn Cutty ihr näher kommen wolle, müsse sie ihn schon ganz kennen lernen und nicht nur ein bisschen, oder? Cutty hakt nach, und ja, Neona hat sich von ihrem Freund getrennt, brauchte aber Zeit für sich. Und jetzt? Mal sehen, wohin die Reise geht. Sie spazieren durch den Trailer Park, und am Straßenverkauf gefallen ihr ein paar T-Shirts. Cutty will sie ihr kurzerhand schenken, aber sie lehnt ab und erwirbt selber nur eins. Beim Weitergehen erklärt Cutty ihr, dass er genug Geld hat, um jahrelang auf der faulen Haut zu liegen, wenn er wollte. Warum er dann hier lebe? Na ja, weil eine Wohnung immer auch an eine ID gebunden ist, und fliegt die auf, ist auch die Wohnung weg. An Orten wie diesem ist das egal: Hier ist niemand gemeldet, Strom und Wasser gibt's illegal, er kann sich darauf verlassen, dass ihm diese Zuflucht nicht um die Ohren fliegen wird. Andere SINlose suchen sich die schönste Wohnung, geben ordentlich Geld aus – und verlieren sie mit Pech drei Monate später wieder, weil die ID verbrannt ist. Hier kann ihm das nicht passieren.

 

Neona hat nichts dagegen, dass er ein Krimineller ist, sie findet das sogar okay, da sie selber in einer Gegend aufgewachsen ist, in der Kriminalität ganz normal war. Neona fragt ihn nach früheren Beziehungen, und er meint scherzhaft, ob das ein Bewerbungsgespräch wird. Neona entgegnet, dass das Leben zu kurz ist, um seine Zeit bewusst zu verschwenden. Wenn sie sich auf etwas einlässt, dann voll und ganz, und das wünscht sie sich auch vom Gegenüber. In ihrer letzten Beziehung hat das überhaupt nicht funktioniert, und das möchste sie nicht noch mal erleben. Wenn Cutty diese Ernsthaftigkeit Angst mache, dann sei er nicht stark genug für Neona.

 

Cutty imponiert das, und er ist ihr gegenüber weitgehend ehrlich (lässt jedoch Star aus – wenn er ehrlich von ihr erzählte, könnte er ja nie eine neue Beziehung eingehen) und fasst viele Erlebnisse in Worte, über die er noch nie auch nur einmal bewusst nachgedacht hat. Dabei merkt er an vielen Stellen, dass er nicht gut wegkommt, nimmt sich dann präventiv in Schutz, um keine Verantwortung zu übernehmen, merkt, wie das dann wieder wirkt, und wird von Neona genau darauf festgenagelt. Sie resümiert, dass der Bursche, der nie eine richtige Beziehung hatte, weil ihm das zu anstrengend war, nun eine richtige Beziehung mit einer Frau eingehen will, die keine halben Sachen möchte. Cutty profitiert oft von seinem unschuldigen "Man kann ihm nicht böse sein"-Charme – man lässt ihm so viel durchgehen, das man bei anderen niemals akzeptieren würde –, aber Neona bleibt hartnäckig und nimmt ihn in die Verantwortung, und er antwortet ehrlich mit Ja.

 

Cutty erinnert sich daran, wie ihn Star Mitte 2060 besuchte, nachdem sie ihn am Vortag auf der Party im Badezimmer überfallen hatte, und wie aus ihm heraussprudelte, wie er für sie empfand. Das muss ihm jetzt auch gelingen, denn bisher hat er Neona nur Gründe gegen ihn geliefert. Er fängt damit an, was ihm an ihr so gefällt, merkt aber, dass sie das gerade so rein gar nicht interessiert.

 

Cutty schwenkt also um und erzählt in lockerem, untheatralischem Ton vom Runnerleben. Man kennt viele Leute, aber nur eine Handvoll näher, und auch die kommen und gehen. Man ist gut damit beraten, jedem zu misstrauen, und das wird einem auch immer wieder vor Augen geführt. Die Schatten sind kalt und erbarmungslos, und man hat nur selten wirklich menschliche Kontakte. Das ist wohl eine Weile lang okay, meint er, aber langsam kommt er wohl in das Alter, in dem er es schwieriger findet, einfach keinen Menschen um sich herum zu haben. Bekannte? Jede Menge. Kumpels? Einige. Freunde? Eigentlich keine. Partner? Nie gehabt.

 

Dafür gab er immer der bösen Welt und den Leuten darin die Schuld – aber vielleicht sollte er damit anfangen, bei sich etwas zu ändern? Ja, es gab Frauen, die er unbedingt wollte und die ihn nicht wollten, und das hat er ihnen stets sehr übel genommen. Aber vielleicht haben sie ja gesehen, was er nicht an sich sehen wollte, und sind deshalb auf Abwehr gegangen? Er erwähnt Star jetzt insoweit, dass er unterbewusst immer eifersüchtig auf sie und Ghost gewesen sei, weil sie etwas hatten, das er nicht hatte und wohl auch nicht haben konnte. (Er beruhigt sich damit, dass es nicht komplett gelogen ist, aber es bleibt eben nur ein kleiner Teil der Wahrheit.) Weil er sich so etwas wünschte, aber gar nicht bereit war, dafür etwas zu ändern, um damit überhaupt erst mal die Frauen auf sich aufmerksam zu machen, mit denen das möglich gewesen wäre, landete er eben immer bei Tussis, mit denen nichts lief außer Sex, oder bei verletzten Charakteren, mit denen von vornherein gar keine normale Beziehung möglich war. Vielleicht hatte er sich die unterbewusst auch immer ausgesucht? Denn dann musste er ja nichts an sich ändern und konnte auf andere neidisch sein.

 

Cutty staunt über sich selbst: Da ist eine Frau, die ihm zuhört und ihn fordert, und plötzlich formuliert er Dinge, die sich wie neue Erkenntnisse anfühlen, aber er hätte sie ja nicht formulieren können, wenn er all das nicht insgeheim wüsste, nicht wahr?

 

Cutty: Well, that's a first. I've never tried to impress a girl by presenting myself in the worst possible light.

Neona: You think that's what you're doing?

Cutty: Well, I don't want you to think of me as a whiny loser. I want you to think I'm a cool dude.

Neona: The cool dudes you're thinking of only exist in the trid. Actual cool dudes know they're not that cool, but try to be better. (Sie streichelt im Gehen seinen Rücken.) You're doing fine.

 

Sie verbringen ein paar Stunden miteinander, und später begleitet sie ihn nicht zurück zu seinem Trailer, sondern gibt ihm nur einen Kuss auf die Wange, und er soll sich melden.

 

Freitag, 10.03.2062

 

Cutty könnte jetzt wie immer genau das Falsche tun und sich ein paar Tage Zeit lassen, um sich interessant zu machen und sich unverbindlich zu geben, aber er textet Neona gleich morgens, wünscht ihr einen erträglichen Arbeitstag und fragt, ob Mona Lisa Overdrive am Abend auftreten. Abends fährt er ins Carousel und wohnt zum ersten Mal einem MLO-Auftritt als Fan im Publikum bei, so dass er sich voll und ganz auf die Band und Neona konzentrieren kann. Sie flasht ihn total: Was für eine Frau! Er hat in den letzten fünf Jahren keine einzige erlebt, die Star je hätte Konkurrenz machen können, aber Neona fasziniert ihn. Sie hat vielleicht keine Modelmaße und ist "nur" hübsch statt schön, aber sie hat was im Kopf, ist emotional erwachsen, sehr selbstbewusst, spielerisch im Umgang, aber fest in ihrer Haltung, versteckt ihre verletzliche Seite nicht, beschützt sie aber deutlich, ist direkt und frei heraus, ohne plump zu sein, wirkt in Leder und Nieten ebenso natürlich wie im Kleid, und auf der Bühne ist sie eine Macht.

 

Nach dem Auftritt wird Cutty von der Security durchgelassen, und es gibt ein großes Hallo mit der Band – Billy hat sich ja immer blicken lassen, da wurde es Zeit, dass es Cutty auch mal wieder tut! Moment, was? Billy mit ihrem E-Trance-Zeug, die mit MLOs Musik so rein gar nichts anfangen kann, besucht öfter deren Gigs?

 

Neona und Cutty bleiben im Club und müssen in einer Sitzecke wegen der Lautstärke eng zusammenrücken, um einander zu verstehen, und es kommt endlich zum ersehnten Kuss, womit sie sich auch den Rest des Abends beschäftigen. Dennoch fahren sie wieder getrennt nach Hause.

 

Neona lässt Cutty lange daran arbeiten, sie zu erobern. Das ist er nicht gewohnt, aber es fühlt sich gut an, denn inzwischen ist er sich sicher, dass er nicht wie so oft das Interesse verlieren wird, sobald er sie hatte – er wünscht sich wirklich, dass hieraus mehr wird. Hätte er einen engen Freund, mit dem er darüber sprechen könnte, könnte dieser ihn fragen, ob Cutty nicht nur Star auf Neona projiziert, also sozusagen die Nächstbeste erobert, und das wiederum in der unbewussten Hoffnung, Star damit exorzieren zu können – aber so einen hat er nicht.

 

Sonntag, 19.03.2062

 

Im Nuevo Paraiso in El Monte findet ein Straßenfest statt, an dem auch Angel und seine Freundin Benita teilnehmen. (Er macht das, was Ghost nicht hinkriegt: Er trennt Job und Privatleben konsequent, seine Freundin kennt niemand außerhalb seines Barrios.) Nach viel meet and greet setzt sich Pachuco mit Angel zusammen. Bei El Matarife ist ein anonymer Kunde auf dem OP-Tisch verstorben. Auf seinem Kommlink fand Pachuco eine IM vom Morgen des Todestages mit einigen interessanten Infos, einer Kommnummer und einer LTG-Adresse. Angel kauft ihm das Kommlink auf Verdacht ab.

 

 

 

 

Donnerstag, 23.03.2062

 

Ghost hat gerade einen Nachbarn in seinem neuen Viertel besucht, als ihm ein blutjunger Ganger über den Weg läuft, der ihn schikanieren will. Ghost lässt sich nichts gefallen, der Ganger greift ihn mit einem Messer an, und Ghost schlägt ihn krankenhausreif, checkt sein Kommlink (das dieser Amateur aktiviert hatte, um seine Heldentat zu filmen), ruft die Nummer unter "Boss" an, filmt den Burschen und sagt ihm, wer er ist. Er lebt nun schließlich hier und kann sich nicht von so kleinen Verlierern (die Hardy Brawlers, abgeleitet von der Hardy Street, wo die Gang gegründet wurde) auf der Nase herumtanzen lassen. Der Boss entschuldigt sich – der Bursche habe ganz offensichtlich nicht gewusst, wem er ans Bein pissen kann und wem nicht – und bestellt Ghost zu einem Treffen. Dieser macht zuerst seine Hausaufgaben und erfährt, dass die Hardy Brawlers für einen kleinen Yakuza-Clan arbeiten. Na toll.

 

Ghost bewaffnet sich vorsichtshalber, mogelt sich in ein an den Treffpunkt angrenzendes Wohnhaus und sieht aus dem Fenster den Hinterhalt. Er öffnet es, legt an und ruft hinaus, dass die Burschen immer noch den klügeren Weg nehmen können, doch obwohl sie viel Deckung in seiner geplanten Ankunftsrichtung gehabt hätten, nun aber keine, eröffnen die kleinen Junkies tatsächlich das Feuer. Ghost tötet in einer Handlung zwei, bevor der zweite dran ist, bekommt was auf den Pelz, das Panzerjacke und Orthoskin komplett schlucken, legt in der zweiten Handlung einen weiteren um, kriegt nun Schaden ab, den er nicht kompensieren kann (doch Schadenskompensator und Schmerzeditor erledigen ihren Job), und erschießt in der dritten Handlung den Vorletzten. Der Letzte ergreift danach die Flucht. Ghost springt runter, sammelt alle Kommlinks ein und ruft Angel an.

 

Cutty und Neona stehen am Nachmittag auf der Santa Monica Pier und schauen auf das kleine Stück gesund aussehenden Ozeans hinaus – aber hinter dem Zaun mit den Filteranlagen erstreckt sich natürlich unübersehbar die toxische Brühe.

 

Cutty: What's your actual name?

Neona: Total garden name. Nina Jackson. Yours?

Cutty: Elliot.

Neona (lachend): No wonder you changed it.

Cutty: Yeah, ha ha, very funny. (Er grinst aber.)

Neona: Elliot who?

Cutty: Officially we're going with Ames, though we know that ain't it. Never knew my parents. A guy and his preggo wife checked in under the name Ames at the Beachway Inn Motel in Arroyo Grande, and then they skipped and left behind a baby boy. The morning after they checked the IDs, but of course they were forged. Got sent to the orphanage in San Luis Obispo where a random name generator picked Elliot. So, Elliot Ames.

Neona: With that starting point it's little wonder you got involved in the shadows.

Cutty: Should've told that to the juvenile court judges. They sure would've gone easier on me then.

Neona: Guess you were a regular?

Cutty: Yep. And get this: Every guest of the state gets checked out astrally once or twice at some point, but somehow these idiots managed to miss my gift everytime.

Neona: So how'd you find out?

Cutty: It wasn't terribly pronounced like with what you see on the trid, you know, with the spontaneous combustion or telekinesis or whatever. I just started to feel... I don't know. Hitting puberty, sometimes the energy around me started to feel differently, I... can't explain. But I knew. So when I got out, I went to Oceano, some run-down former beach resort town. I'd met a guy at the juvie who knew how to get in contact with pirates there, so I went and let them know, "Hey! Here's a teen with the gift! Go for it while stocks last, first come, first served!"

Neona: So you became an actual pirate?

Cutty: Aye, matey.

Neona: How'd you end up in L.A. then?

Cutty: Vouched for the wrong people who fucked up big time. Well... to be completely honest, I'd fucked up several times before on my own with no outside help whatsoever, so the air had grown pretty thin for me at that point anyway, but... Vouching for outsiders who ended up almost starting a gang war in my name, you know... I was lucky my boss didn't geek me then and there. I'd become untenable, they couldn't let people associate me with O'Malley's Empire anymore. The best he could do for me was kick me out. So I came to the plex, in search for greener pastures.

Neona: When was that?

Cutty: '57.

 

Angel knackt die einfachen Kommlinks (die Hardy Brawlers haben wirklich nicht viel Wert auf Datenschutz gelegt) und findet allerlei Kontakte, teilweise sogar mit Klarnamen. Eine Überprüfung der japanischen Namen macht klar, dass es kein Gerücht war, dass die Hardy Brawlers für die Yaks arbeiten. Ghost hasst niemanden so sehr wie sie, muss aber einen Weg finden, jetzt nicht auf dem Speiseplan der Japaner zu landen. Dafür, dass Angel alles Geldwerte, das er findet, behalten kann, deckt er ins Kommlink eines Mr. Hiranuma. Über seine Einträge, IMs und Kontaktinfos (natürlich alles auf Japanisch, aber kein Problem für Angels Übersetzungsapps) streckt er seine Fühler aus, stößt auf einen von den Yaks in Auftrag gegebenen Diebstahl ausgerechnet in El Monte, seinem eigenen Turf. Dieses wird natürlich von den Larragas kontrolliert, die Yaks haben hier nichts zu suchen. Angel verständigt Ghost, der ihn beauftragt, für den Diebstahl Beweise zu finden, die überzeugend genug sind, um nicht fingiert sein zu können. Angel legt also los, und das simple System ist ein Kinderspiel. Die Kameraaufzeichnung wurde rechtzeitig abgeschaltet – eine simple AR-Manipulation reicht hier vollauf. Aufs Geratewohl fährt er am frühen Abend mit seinem alten Eurocar Scirocco dorthin.

 

Nachdem Cutty Neona auf seiner Emperor nach Hause gebracht hat, landen sie endlich miteinander im Bett.

 

Angel sieht sich vor Ort die Icons in der AR an, und tatsächlich findet er unter anderem schräg gegenüber eine Kamera, die eine Lieferantenauffahrt bewacht. Er schaltet sich drauf und sieht, dass sie bei unverändertem Winkel einen Teil des Diebstahls aufgezeichnet haben könnte. Also deckt er ins System des Handwerksbetriebs und sieht sich den gewünschten Zeitraum an. Den Van kann er lediglich teilweise sehen, nicht gut genug, um etwas Verwertbares zu erkennen, und nur hin und wieder begibt sich jemand an den Rand des Sichtfelds der Kamera, aber wie es der Zufall will, tut es am Ende tatsächlich jemand, den man gut erkennen kann, nachdem das Bild vergrößert und geschärft wurde. Er zeigt es der greisen Abuela Inés, die hier einfach jeden kennt, und sie identifiziert ihn als Gonzalez Gonzalez, genannt GonGon, ein unbedeutender Kleinkrimineller. Da sie weiß, in welchen Bars er meistens rumhängt, fährt Angel in die Richtung und ortet schließlich sein Kommlink. Darauf findet er in der Historie mehrere Telefonate mit der Nummer von Mr. Hiranuma. Er kopiert sie und sichert sie diskret mit einem Editier- und Löschschutz (der aber die Ausführung von Editier- und Löschbefehlen vortäuscht) und erstattet Ghost Bericht.

 

Ghost ruft also die Nummer von Mr. Hiranuma an (es geht jedoch eine Frau ran), erklärt dieser die Situation und bittet um ein Treffen. Später wird er per IM in die Gravity Bar in Inglewood bestellt.

 

Unterwegs liest er eine IM-Antwort von Pride. Sie hatte sich seit ihrer letzten Nacht vom 03. auf den 04.03. nicht mehr gemeldet, seine Anrufe nicht entgegengenommen und nicht auf IMs reagiert, so dass er überzeugt ist, dass sie denkt, dass er irgendetwas falsch gemacht hat. Jetzt, über zwei Wochen später, schreibt sie lapidar zurück, dass sie einfach nur mit der Verzauberungsarbeit eingespannt sei, baut aber auch keine Brücke für weiteren Kontakt.

 

In der Gravity Bar trifft sich Ghost mit einem jüngeren Japaner (inkl. "unauffälliger" Begleitung im Hintergrund), dem bereits zwei Glieder seines linken kleinen Fingers fehlen. Ghost ist schwer aus der Ruhe zu bringen und stets hochprofessionell, aber hier erkennt ihn der Zuschauer kaum wieder, als er mit einem Blick auf den Finger anmerkt, dass der Kerl eigentlich zu jung sei, um schon so viel Mist gebaut zu haben – da schicke ihm Mr. Hiranuma ja einen richtigen Profi. Er gebärdet sich überhaupt nicht so diplomatisch wie sonst, sondern so, wie man sich eine Messerklaue, die man nur zum Töten gebrauchen kann, eben vorstellt: durch ständige unterschwellige Bedrohung mittels Körpersprache, Mimik und Tonfall. Ghost spielt keinerlei Respekt vor, als er dem Japaner die Situation wie einem Handlanger erläutert und verdeutlicht, dass man es, da er angegriffen wurde, dabei bewenden lassen sollte. Der junge Japaner ist offenbar deutlich mehr Ehrerbietung gewöhnt und bedroht Ghost relativ offen. Ghost ist noch viel weniger wiederzuerkennen, als er sich vorlehnt und in äußerst deutlichen Worten erklärt, dass dieser kleine Hosenscheißer es gern versuchen dürfe, und beschreibt, wie er ihn daraufhin zuzurichten gedenkt, so dass selbst seine Hurenmutter Probleme hätte, seinen Kadaver zu identifizieren. Der Yak ringt erkennbar um Fassung und geht wortlos.

 

Freitag, 24.03.2062

 

Angel war bislang nicht dazu gekommen, sich um das von Pachuco gekaufte Kommlink zu kümmern, aber heute Morgen ist es soweit. Die LTG-Adresse gehört zu einem offensichtlich privaten System, das aber sehr gut gesichert ist. Also begibt er sich vorsichtshalber in eine von Pachucos Höhlen und geht via Kabel heiß in die VR, kriegt im schwer vereisten System aber richtig auf die Mütze. Er ergreift die Flucht, aber nicht mit leeren Händen, denn nachdem er die wahllos geraubten Files entschlüsselt und gesichtet hat, stößt er auf ein Dossier namens "Ikaruga" (japanisch für den Maskenkernbeißer). Es schildert detailliert die physische Location (Monobe International hier in L.A.), das Zielsystem inkl. IC sowie den exakten Zeitpunkt der Lieferung einer Box und des geplanten Diebstahls derselben. Das ist wirklich professionelle Vorbereitungsarbeit für einen Run, in die Zeit und Geld geflossen sind, und das bedeutet, die Beute ist wertvoll. Angel überlegt hin und her, sagt sich "Scheiß drauf" und taucht trotz erhöhter Mindestwürfe erneut in die VR, diesmal aber kalt, weil selbst ein mittlerer körperlicher Schaden ihn umbringen würde. Jetzt kennt er den Weg durch das System, profitiert vom bisher Erreichten, greift erneut auf die Datei zu und ändert dort unauffällig sämtliche Daten, so dass sie nach wie vor plausibel aussehen, aber natürlich unverwertbar sind, vor allem aber verlegt er das Datum des geplanten Diebstahls um einen Tag nach hinten. Außerdem legt er noch eine falsche Spur, um das System glauben zu lassen, dass er nach ganz anderen Dateien gesucht und gezielt darauf zugegriffen hatte. Dabei aber gibt ihm das IC den Rest, und er kann gerade noch mit körperlich und geistig über S fliehen.

 

Das angepeilte Zeitfenster für den Raub liegt in den frühen Morgenstunden des Ostermontags, denn für den Ostersonntagabend wird die Anlieferung erwartet. Heute ist Karfreitag. Auch wenn wer auch immer schon viel Zeit in die Vorbereitung investiert hat, bleibt vermutlich zu wenig für die Umsetzung übrig, und dass man sich blind auf nicht verifizierbare Daten verlassen muss, stimmt für einen kostspieligen On-spec-Run auch nicht gerade optimistisch. (Angel kann schlecht in den Monobe-Host decken, um das zu überprüfen.) Obendrein weiß man nicht, wer diesen Diebstahl ursprünglich geplant hat, kann also auch nicht einschätzen, wie gut er war. Wenn die Manipulation inzwischen aufgeflogen ist, läuft man geradewegs in eine Falle. All das drückt den Preis dieser Informationen massiv, er würde so kurzfristig über einen Schieber nicht viel Gewinn damit machen, wenn er das Dossier denn überhaupt loswürde.

 

Also ruft Angel Ghost an und unterbreitet ihm sein Angebot: Angel will einen vollen Anteil, auch wenn er selbst nicht teilnehmen wird, weil er zu lädiert ist.

 

Der Initiator dieses Diebstahls weiß, dass am Ostersonntag eine Lieferung ankommt: Eine codierte Box (deren Code dem Initiator aber offenbar nicht vorlag) wird in Regal CE23, Position 241 eingelagert, und diese soll gestohlen werden. Zu diesem Zweck wurde im Monobe-Terminkalender bereits die Ankunft eines GMC-4201-Sattelschleppers von Yokogawa Inc. aus San Francisco für den Ostermontagmorgen, 02:00 Uhr, angelegt. Yokogawa Inc. ist ein japanisches Sicherheits- und Transportunternehmen, und im Dossier ist die Kennung enthalten, die der LKW senden muss, um erkannt und eingelassen zu werden. Erst wenn sich die Diebe der Box bemächtigen, wird Monobe darauf aufmerksam, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Da es ständig mal eine Panne gibt oder ein Fehler gemacht wird, bleibt ein unplanbares kleines Zeitfenster, die Box zum LKW zu schaffen, doch spätestens dann muss man sich den Fluchtweg freikämpfen.

 

Ghost überlegt: Monobe erwartet einen GMC-4201-Sattelschlepper mit Yokogawa-Lackierung – wenn man so etwas nicht organisieren kann, platzt der Run von vornherein. Angel hat bereits Vorarbeit geleistet: Yokogawa ist nicht in L.A. ansässig, und bei Monobe wird man glauben, der LKW komme aus San Fran, um die Ladung abzuholen. Damit besteht auch keine Chance, kurzfristig einen Yokogawa-LKW zu stehlen, denn Yokogawa wird ja gar keinen zu Monobe schicken – das steht ja nur in deren Kalender. Das könnte man zwar schon arrangieren, aber das wäre ein Run für sich, und es bestünde die Gefahr, dass Monobe erfährt, dass ein Yokogawa-Truck gestohlen wurde.

 

Ghost müsste diesen Run ablehnen: Viel zu unsicher mit zu vielen Fragezeichen. Aber in der Phase, in der er sich gerade befindet, zieht er tatsächlich in Betracht, das Ding durchzuziehen. Uniformen wären kein Problem: Overalls und Caps kann Ghost schnell von einer Connection besorgen lassen, um sie dann mit dem Yokogawa-Logo zu versehen. Das wird auf Verdacht schon mal in seiner Größe in Auftrag gegeben, er wird sich dann noch mal melden, wenn er alle Maße hat.

 

Er ruft Stu, Dakota und ein paar andere Connections an und bittet sie, zu sehen, ob in Sachen LKW was zu machen wäre. Solange kein grünes Licht kommt, kann man den Run vergessen. Damit wird Ghost natürlich später auf sich aufmerksam machen, weil sich herumsprechen könnte, dass er kurz vor dem Raub genau so einen GMC kaufen wollte, aber das ist nicht zu ändern, es bleibt zu wenig Zeit für Subtilität und Geduld.

 

Nun telefoniert er natürlich herum, wer Zeit hätte. Von Kestrel weiß er, dass er ohnehin gerade nicht in der Stadt ist. Kitsune ist selbstredend die Erste, die er kontaktiert, aber die muss ihm mitteilen, dass sie gerade einen Run in Sacramento durchzieht, und erst auf sein Nachhaken hin gibt sie zu, dass sie mit Star, Silver, Machine und Stu unterwegs ist. Ghost kritisiert, dass Stu nichts gesagt hat (Stu aus dem Hintergrund: "You didn't fucking ask, did ya?"), aber nun weiß er, wer nicht zur Verfügung steht.

 

Stu wäre seine erste Wahl als Fahrer gewesen, Machine hätte er für schweres Sperrfeuer angeheuert, und Kit hätte sich von selbst verstanden. Alle drei vom neuen Traumpaar vor der Nase weggeschnappt, herzlichen Dank auch.

 

Das Osterwochenende ist spielfrei, also kann Neona ihre Zeit mit Cutty verbringen, und sie macht ihre Beziehung offiziell, indem sie ihren Leuten ihren neuen Freund vorstellt. Die beiden gehen also mit That Guy und seiner Freundin Mittagessen, und dabei erfährt Cutty auch, dass Enola mit Billy zusammen ist. Das hätte er sich niemals vorstellen können: Billy, die große, athletische Orkin, und die zierliche Menschenfrau Enola? Neona und Cutty hecken aus, sich am Samstagabend mit Enola und Billy zu treffen, damit die beiden Neonas Neuen "kennen lernen". Ein Anruf von Ghost kommt dazwischen. Als er fragt, ob Cutty jemanden kennt, der den Zauber Fahrzeugmaske beherrscht (falls niemand einen GMC-4201 besorgen kann), geht Cutty lieber vor die Tür und ruft Minerva an. Ja, den hat sie tatsächlich im Repertoire, aber sie arbeitet nie außerhalb ihrer Komfortzone. Cutty jedoch hat ja noch den Zauberspeicher, mit dem ihn die Chandaris bezahlt hatten – damit könnte man einen ähnlichen LKW in einen GMC verwandeln.

 

Mercury wäre auch verfügbar – längst nicht auf Stus Niveau, aber immerhin kennt Ghost sie und vertraut ihr, und das ist eine Menge wert.

 

Ghost mag Poison, aber sie hat noch nie einen großen Profi-Run durchgezogen, käme also nicht in die engere Auswahl. Er würde ihr durchaus gern eine Chance geben, aber nicht gleich bei so etwas. Jedoch braucht er Firepower für die Extraktion, und die Heavies, die er angerufen hat, haben entweder so kurzfristig keine Zeit oder gleich abgelehnt, weil niemand sagen kann, wie viel dabei herausspringt. Also ruft er Poison an und macht klar: Wenn sie Rivet an Bord bringt, ist sie auch dabei.

 

Poison trifft sich also mit Rivet im Razor's Edge und bekniet sie – das wäre das Sprungbrett für Poisons Karriere! Seit Mitte Juni 2061 kennt sie Cutty, im November 2061 lernte sie Mercury kennen, Mitte Januar 2062 absolvierte sie ihren ersten kleinen Gig unter Ghost. Dies wäre die Chance, ihm zu zeigen, dass sie keine Angst vor den großen Nummern hat und dabei genauso zuverlässig funktioniert wie bei den kleinen. Rivet kennt natürlich Ghosts guten Ruf, aber nicht ihn persönlich, und wie die meisten Runner arbeitet sie nicht gern mit Unbekannten, und dass jemand mit Ghosts Ruf einen Run mit so vielen unsicheren Infos in Erwägung zieht, ist auch ungewöhnlich. Jedoch steckt sie selber gerade in Geldnöten, da sie bei Koz & Boz einiges an Cyberware hat updaten und austauschen lassen, und da sie ihrer besten Freundin so eine gewichtige Bitte nicht abschlagen möchte, sagt sie zu.

 

Ghost weiß, dass der Diebstahl heiß wird, und will nicht am falschen Ende sparen. Viper hat zwar am Wochenende etwas vor, sagt das aber ab, um mit von der Partie zu sein: für Geister, Spruchabwehr und Heilung. Ohne einen Decker vor Ort geht es aber auch nicht. T-Byrd nimmt grundsätzlich nicht in Person an irgendetwas teil, und die anderen Decker, die Ghost von früher kennt, sind nicht mehr im Biz oder lehnen sofort ab, als sie von den Risiken hören, ohne eine klare Bezahlung zugesichert zu bekommen. Angel gelingt es, Twinkle anzuheuern, eine Deckerin, mit der schon zusammengearbeitet hat. Nicht seine erste Wahl, aber auch keine schlechte – und die Einzige, die zugesagt hat,

 

Mit Ghost, Mercury, Rivet, Poison, Cutty, Viper und Twinkle nebst Angel als Nichtteilnehmer muss der Gewinn durch acht geteilt werden, und der LKW wird Einiges kosten. Wenn die Beute nicht wertvoll genug ist, dass bei jedem eine ordentliche Summe hängen bleibt, wird das Ghosts Ruf massiv beschädigen, weil er sich auf die Vorarbeit von Unbekannten verlässt, ohne die Ertragsspanne zu kennen, doch wenn der Diebstahl gelingt und genug abwirft, wird man das natürlich als Husarenstück ansehen. Normalerweise würde er sich niemals auf so etwas einlassen, aber zuerst Fiona und dann die durch die Yaks hochgekochte Erinnerung an seine Flucht aus Seattle – er will die Sache einfach durchziehen, um den Schmerz zu betäuben.

 

Am Abend begibt er sich mit Meryl im strömenden Regen zu einem Rohbau in der Nähe des Monobe-Compounds und sieht sich diesen von dort aus live an (CP 2077, Save 3 (Gimme Danger), 103:10). Danach fahren die beiden die möglichen Fluchtrouten ab und checken mögliche Verstecke, um die Ladung umzuschlagen. Meryl erwähnt, dass Focus auch ein ziemlich guter Decker sei und bessere Jobs gebrauchen könne als die, mit denen er gerade von seinem Schieber ausgenutzt wird, aber solange er noch nicht auf sich aufmerksam gemacht hat, sieht Ghost nicht, warum er ihm die Steigbügel halten sollte. Er meint, Focus solle sich erst mal etablieren, dann könne er sich vorstellen, Angel zu fragen, ob der dem Burschen mal auf den Zahn fühlt.

 

Währenddessen schlafen Jack und Fiona in einem Hotel in Sacramento miteinander. Fi wirkt wild und leidenschaftlich, und als sie fertig sind, verabschiedet sie sich spielerisch und lächelnd ins Badezimmer – wo sie sofort weinend zusammenbricht und sich bemüht, dabei keinen Ton von sich zu geben. Nackt sitzt sie auf den kalten Fliesen, umschlingt ihre Knie und wiegt sich vor und zurück, um sich zu beruhigen.

 

Sie gehört zu den hochfunktionalen Depressiven: Man merkt ihnen nur selten etwas an, das Schauspiel sitzt nahezu perfekt, jeder kauft die gut gelaunte, herzliche Fassade sofort und lässt sich von ihrer scheinbar positiven Ausstrahlung anstecken. Doch sobald Fiona sich tatsächlich mal gut fühlt, Zuversicht entwickelt, gegenüber Jack die Gefühle verspürt, die sie immer verspüren möchte, weiß sie, dass sie nach diesen kurzen Hochphasen bald wieder brutal abstürzen und sich hassen wird.

 

Fiona und Jack führen eine scheinbar ganz normale Beziehung: Sie unternehmen viel miteinander, gehen herzlich und liebevoll miteinander um und arbeiten auch sehr gut miteinander, und nach außen hin sind sie ein absolutes Traumpaar, weil sie optisch und vom Typ her fabelhaft zueinander passen. Fiona weiß, dass Jack sie liebt, und sie möchte ihn so sehr zurücklieben können – doch es gelingt ihr nicht. Immer wieder gibt es Gelegenheiten, manchmal sogar ganze Tage, an denen sie glaubt, es zu können, weil es sich so anfühlt, wie es sich anfühlen sollte, aber das belastet sie danach nur umso mehr, denn diese Gelegenheiten zeigen ihr: Sie könnte Jack lieben und mit ihm glücklich werden – nur eben unter anderen Umständen, nicht unter diesen. Zum einen ist da ihre Natur, die sie vor ihm geheim hält und die sie seit so langer Zeit so unerträglich schwer belastet, auch wenn sie sich das nahezu nie anmerken lässt. Und zum anderen ist da Ghost. Was sie, als sie ihn kennen lernte, für komplett unmöglich gehalten hätte, hatte sich schnell von ganz allein ergeben: Er erwies sich als ihre große Liebe. Sie hatten so viel miteinander durchgemacht, und nachdem sie lange Zeit seine größte Stütze sein musste, wurde er ihre – umso mehr, seit sie die Wahrheit über sich kennt. Es vergeht kein Tag, ohne dass Fiona viele Male an ihn denkt und ihn sich an ihre Seite wünscht. Sie wusste immer, dass sie ihm blind vertrauen konnte, und misstraute ihm doch jedes Mal, wenn ihr Vertrauen auf die Probe gestellt wurde. Ghost stand sogar nach dem Seitensprung, den sie ihm gestanden hatte (und der nicht mal der erste war, was er bis heute nicht weiß), an ihrer Seite, obwohl sie sicher gewesen war, dass er das nicht ertragen würde. Und als er Abstand suchte, um sich und diesen Seitensprung unter einen Hut zu bekommen, was er nur ihr zuliebe zu tun bereit war, redete sie sich ein, dass er sie sitzen lässt, und suchte ihr Heil sofort bei Jack.

 

Lief es damals bei ihrem "Verdacht", Ghost gehe fremd, denn nicht genauso? Anstatt Beweise zu finden oder schlicht mit Ghost zu sprechen – Zurredestellung hätte schnell Klarheit gebracht, im Falle von Restmisstrauen mit simplem Askennen –, hatte sie sofort Revanchesex mit Cutty. Und diesmal, anstatt mit Ghost zu sprechen, "missverstand" sie ihn auf eine Weise, zu der er ihr nie zuvor irgendeinen Grund gegeben hatte, und flüchtete sich zu Jack. Wenn das nicht wie programmiertes Verhalten wirkt, Ausdruck von Personafix und Konditionierung, was dann?

 

Ihr Weg ist gepflastert mit gebrochenen Herzen. Neben vermutlich so manchem anderen vor allem Monty, Cutty, Ghost und auch Jack, nicht erst in Zukunft, sondern schon jetzt, denn sie kann sich nicht vorstellen, dass er nicht darunter leidet, zu wissen, dass er ihr nicht dasselbe bedeutet wie sie ihm. Natürlich reden sie nicht darüber. Jack denkt vermutlich, durchs Nichterwähnen können Fionas Narben heilen, anstatt immer wieder aufgekratzt zu werden und von Neuem zu heilen beginnen zu müssen, und je weniger er bewusst wahrnehmen muss, dass sie noch immer Ghost liebt, desto besser. Fiona wiederum hat weder die Kraft noch den Mut, selbst das Gespräch zu suchen. Wozu auch? Um Jack noch deutlicher vor Augen zu führen, welcher Illusion er sich hingibt? Es ist so unfair ihm gegenüber, ihn auf etwas warten zu lassen, das nicht eintreten wird, obwohl Fiona ihm täglich durch Lächeln, Umarmungen und Küsse suggeriert, dass er nicht vergebens wartet. Sie wirkt natürlich und gelöst, oft auch glücklich, weil sie so gemacht ist, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen bei ihr wohl und von ihr geliebt fühlen. Dafür wurde sie designt.

 

Es gibt Nächte, in denen sie den Sex genießen kann, und es gibt Nächte, in denen sie nur mechanisch funktioniert – jedoch ohne Jack den geringsten Unterschied spüren zu lassen, während sie sich fühlt, als erfülle sie nur einen Dienst, wissend, dass sie auch dafür gemacht ist. Es ist ihr Design, Wünschen zu entsprechen oder sie zu erfüllen. Wenn sie bei Jack miteinander schlafen und leise sein müssen, damit Chandra nichts hört, stellt sich Fiona manchmal vor, dass es nicht Chandra ist, die selig ein paar Räume weiter schläft, sondern Ghost. Dass sie leise ist, damit er nicht mitbekommt, wie sie ihn betrügt. Und so sehr sie Jack auch lieben möchte, fühlt sie sich doch oft schmutzig dabei. Es gab Nächte, in denen sie mitten im Liebesspiel bei diesen Gedanken zu weinen begonnen hatte. Jack nahm sie nur in den Arm und tröstete sie, aber er fragte nie. Vielleicht, weil er sich vor der Antwort fürchtete und besser damit leben konnte, sie wenigstens nicht hören zu müssen, oder vielleicht, weil er Fiona gegenüber so endlos rücksichtsvoll ist, ihr Zeit geben und sie nicht bedrängen will.

 

Und das ist das Schlimmste: Sie hat hier einen der wenigen Guten erwischt. Jack ist ein wirklich anständiger, feiner Kerl, den Fiona ihrer Meinung nach nicht verdient. Die Menschen, die die beiden von außen wahrnehmen, denken, die beiden passen total gut zueinander, aber er verdient eine, die ihn wirklich liebt und nicht nur benutzt. Fiona tut genau das, und ihm das von vornherein gesagt zu haben, macht es keinen Deut besser.

 

Samstag, 25.03.2062

 

In der Nacht auf Samstag knacken vermummte Attentäter das Magschloss und schleichen sich mit Nachtsicht durch Ghosts stockdunkle Wohnung, um dann mit schallgedämpften MPs den Schlafenden im Bett zu zersieben. Jedoch erwischen sie nur zerknüllte Decken, denn was sie nicht wussten, ist, dass Ghost auf einer Matratze im Keller geschlafen hat und von einem billigen Bewegungsmelder geweckt wurde, den er im Flur aufgestellt hatte. Schon ist er oben und wirft ein paar CS-Granaten in die Wohnung. Mit Gasmaske dringt er ein und erledigt alle Attentäter mit dem Tomahawk, und er versucht nicht mal, einen am Leben zu lassen, um ihn zu verhören – so kaltblütig hat man ihn schon lange nicht mehr erlebt. Dem Letzten, der röchelnd am Boden liegt, weil ihm mit dem Tomahawk die Kehle aufgerissen wurde, sieht Ghost reglos beim Ersticken zu, während seine Gasmaske seinen Gesichtsausdruck verdeckt.

 

Sie haben absolut nichts bei sich, das sie identifizieren könnte, aber alle drei sind Asiaten. Es ist klar, dass Mr. Hiranuma sie geschickt hat – damit hat Ghost gerechnet, und er war darauf vorbereitet. Hätte Mr. Hiranuma ihn ernster genommen, hätte er Nägel mit Köpfen machen können.

 

Barney bestellt die eingeweihte Müllabfuhr, mit der Ghost die Leichen beseitigt. Es ist immer noch mitten in der Nacht, als Stu anruft: Brubaker kann einen (natürlich ungeriggten) GMC besorgen, jedoch aus der Baureihe 4001. Via AR zeigt er ihm die Unterschiede, und Ghost findet, dass sie klein genug sind – wenn man schon Zugriff auf eine Fahrzeugmaske hat, würde Ghost sich die lieber für die Flucht aufsparen. Der LKW kann sofort aus dem PCC aufbrechen. Die Umlackierung könnte in Redemption stattfinden (Ghost hätte sonst Paul Hunsaker beauftragt, den er schon vorgewarnt hat), Brubaker würde alles in einem Aufwasch erledigen und für den uralten LKW mit gefälschter Zulassung, Transport, Umlackierung, Logo und Betankung ¥ 45.000 verlangen. Das ist wahnsinnig viel für einen mehr als 20 Jahre alten Truck, aber schließlich kommen die falschen Papiere, die Grenzüberquerung und einige aufgehaltene Hände hinzu, die Profit machen möchten. Ghost vertraut nicht darauf, etwas Besseres zu finden, denn der GMC muss ja auch noch nach L.A., also gibt er grünes Licht.

 

Danach schickt er an die Adresse, die Angel durch Deduktion als die von Mr. Hiranumas "Vorgesetzten" identifiziert hat, eine Mail mit dem belastenden Material und der Anmerkung, dass er sicher ist, dass Mr. Hiranuma einen unerlaubten Alleingang durchgezogen hat und dass es furchtbar wäre, wenn die Larragas dächten, dass seine Aktionen den Willen des ganzen Clans repräsentieren. Das war deutlich und klar genug, und er geht davon aus, dass Mr. Hiranuma bald von der Bildfläche verschwinden wird. Ghost sagt sich, er hatte seine Chance, aber eigentlich passt so ein Vorgehen nicht zu ihm. Es dürfte wohl eher so sein, dass er das Bedürfnis hatte, sich an Yak-Abschaum zu rächen, um seine Wut an jemandem abzureagieren, der es verdient.

 

In einer seit Jahrzehnten verrottenden Fabrik, die als Treffpunkt dient, trifft sich das Team am Morgen: Ghost, Mercury, Rivet, Poison, Cutty, Viper und Twinkle, und Angel ist via Kommlink zugeschaltet. Erst mal macht man sich miteinander bekannt, denn Rivet und Twinkle kennt ja fast niemand. (Poison zu Mercury: "That's Viper? That's your healer?" – "Yeah." – "He's creepy as fuck!") Rivet, mehr Maschine als Zwergin, macht einen professionellen Eindruck, und Twinkle wirkt mit ihrem albernen Robo-Knuddeltier zwar noch sehr jung, mädchenhaft und kindisch, aber Ghost vertraut Angel, wenn er sagt, dass sie was auf dem Kasten hat.

 

Zu von McHugh's mitgebrachtem Frühstück erklärt Ghost die Modalitäten: Angel hat den Run besorgt (und dabei schon ordentlich Federn gelassen, aber das muss ja niemand wissen) und Ghost hat ihn vorbereitet und vor allem vorfinanziert. Daher bekommen die beiden je einen Anteil der Beute, dann werden die Kosten abgezogen, und der Rest teilt sich, was übrig bleibt. Damit können alle leben.

 

In der AR hält Ghost eine Präsentation, überspielt die Daten auf alle Kommlinks und bespricht den Run in allen Einzelheiten. Danach macht sich Cutty auf zu Hecate's Corner in Echo Park und lässt Minerva den Zauberspeicher mit Fahrzeugmaske aufladen, und Ghost und Meryl fahren nach Redemption, um den GMC abzuholen.

 

Während ihrer Downtime auf dem Run sitzen Star und Kitsune in einem Café in Sacramento, und Kit fragt vorsichtig, ob alles in Ordnung ist, aber Star lenkt immer wieder von sich ab, indem sie sich nach Simon erkundigt. Er denkt, Kit ist auf einer Fortbildung in Sacramento. ("Das ist so oldschool, Mitzy. Wo werden denn heute noch Fortbildungen in Person statt via AR gemacht?" – "In dem Land, in dem mir Simon das abkauft.") Kit wiederum will nicht auf Stars Frage eingehen, wann Kit ihm reinen Wein einschenken will. Star bedrängt sie nicht weiter, muss sie doch selber schuldbewusst daran denken, dass Jack die Wahrheit über sie nicht kennt. Zur Erleichterung beider werden sie von Stus Anruf unterbrochen: Es geht los.

 

Cutty und Neona hatten sich für den Abend ja mit Enola zum Tanzen verabredet und überraschen sie und Billy damit, dass Cutty Neonas Neuer ist. Dieser zieht Billy damit auf, was denn das "Du hast ja keine Ahnung, wie schön eine feste Beziehung ist, ich liebe meinen Kerl und er mich"-Gequatsche damals sollte. Später unterhalten sich Neona und Enola darüber, wie merkwürdig es ist, dass sie jetzt beide jemanden haben, um dessen Leben sie ernsthaft bangen müssen.

 

Ghost macht viele Erledigungen und hält sich so beschäftigt. Als er gerade auf dem Motorrad unterwegs ist, sieht er aus heiterem Himmel eine "Sorry, dass ich so wenig Zeit habe,  aber wir sollten uns mal wieder treffen"-IM von Pride. Er ruft zurück, aber sie geht nicht ran.

 

Schnitt auf das Innere des durch die Nacht rasenden Ford Bison: Silver ist schwerstverletzt, mehrere Schüsse haben seinen Bauch getroffen, und nur ein Traumapatch hält ihn noch am Leben. Kit redet auf ihn ein, nicht aufzugeben und an Chandra zu denken, während Star mit der Heilschamanin telefoniert, zu der sie wollen, damit die schon vorbereitet ist. (Sie hatten für alle Fälle schon einen Straßendoc an der Hand, aber Silver ist zu schwer verletzt.) Star beschreibt und filmt die Wunden und merkt dabei, dass sie natürlich besorgt ist, das aber professionell unterdrücken kann – so wie ihr das bei jedem gelingt, nur nicht bei Ghost. Sie gesteht sich in diesem Moment endlich ein, was sie schon immer wusste: Sie wird sich nie in Jack verlieben. Jetzt übernimmt sie Kits Part und redet ihm warm und liebevoll zu, ganz so, als wäre sie die besorgte Geliebte, die sich ihrem Liebsten gegenüber ihre Angst nicht anmerken lassen will und für ihn stark und zuversichtlich ist. Dabei denkt sie bitter, wie gut sie doch funktioniert.

 

In einem heruntergekommenen Motel hat die Heilschamanin – ausgerechnet eine Trollin – gewartet und bereits eine Plastikplane über das Bett gelegt. Stu und Machine tragen Silver hinein, wobei alles mit Blut vollgeschmiert wird. Mit viel Glück gelingt es ihr, den Schaden tatsächlich auf M runterzudrücken, aber der Entzug haut sie ziemlich um. Silver hat viel Blut verloren und schläft sofort ein.

 

Star hat sich draußen auf dem Parkplatz zwischen zwei Autos gehockt, aber Kit sucht sie und hört ihr Weinen. Sie eilt hinzu und versucht unbeholfen zu trösten, aber Star gibt zu, dass sie nicht wegen Jack weint. Ja, sie ist endlos erleichtert, dass er leben wird – aber so, wie sie es auch bei Kit wäre. Und nun hasst sie sich gerade wieder selbst: Wie eiskalt muss man sein, eine Beziehung mit so einem tollen Mann zu führen, um den sie jede Frau beneiden müsste, und nicht vor Angst um sein Leben zu vergehen? Schlimmer noch: An einen anderen zu denken und sich zu wünschen, er wäre hier?

 

Sonntag, 26.03.2062

 

Silver wird zum ursprünglich vorgewarnten Straßendoc gebracht, damit der sich um den Restschaden kümmert und ihm Medikamente zusammenstellt. Der Run war ein glatter Fehlschlag, die Beute ist ihnen entwischt, und sie haben nur für die Garantiezahlung gearbeitet. Ja, natürlich passiert das manchmal, aber für Fiona passt es ins Bild, denn schon bei der Annahme dachte sie sich skeptisch: 'Ob Ghost diesen Auftrag annehmen würde? Ich weiß ja nicht...'

 

Ohne groß zu überlegen, ruft sie am Morgen Ghost an – seit dem 07.01. haben sie nicht mehr miteinander gesprochen. Ghost sieht den eingehenden Anruf, reagiert aber nicht und hört nur Stars Bitte, sich mal zu melden, die sie auf die Mailbox spricht.

 

Der Tag vergeht in L.A. ereignislos, und wer kann, schläft vor. Gegen Mittag und am Abend versucht Star es noch mal, doch Ghost ignoriert auch diese Anrufe. Später trifft sich das Team, geht noch mal die vorbereiteten Standorte der Fluchtwagen und den Plan durch, zieht sich die gefälschten Yokogawa-Overalls an und fährt los.

 

Montag, 27.03.2062

 

In gedämpft spannender Szenerie nähert sich der LKW dem Compound und sendet seine gefälschte Kennung. Das ist jetzt die Probe aufs Exempel, ob die, die diesen Run vorbereitet hatten, ihr Handwerk verstanden – und ja, das Plascrete-Tor öffnet sich. Mercury kennt das Gelände inzwischen auswendig und nimmt den Weg zur dem gewünschten Tor nächstgelegenen Parkbucht und parkt rückwärts an der Laderampe ein. Ghost und Twinkle spielen die Rollen der Yokogawa-Arbeiter. (Ghost findet sich mit seinen Körpermaßen selbst zu auffällig und hätte dafür gern Kit gehabt, die viel harmloser wirkt, aber auch im Nahkampf herrscht. Immerhin gleicht die kleine, zierliche Twinkle den Eindruck etwas aus.) Twinkle scannt die AR, während sie das Lager betreten und zum Regal CE23, Position 241 unterwegs sind. Das Gelände ist riesig, und natürlich wären hier normalerweise zahllose Leute unterwegs, um 02:00 Uhr in der Nacht von Ostersonntag auf -montag jedoch nicht. Am Lagereingang werden sie noch einmal kontrolliert, aber ihr Auftragsfile deckt sich mit der Monobe-Agenda, also werden sie durchgelassen – wer den Run vorbereitet hat, hat also ganze Arbeit geleistet, denn die List ist bis heute nicht aufgeflogen.

 

Dank der Baupläne finden sie ihren Weg im Schlaf, zumal Twinkle ihn in der AR ohnehin gekennzeichnet hat. Um an die gewünschte Box in den gigantischen Regalen zu kommen, ist der Verladeroboter nötig, der mit dem Code der Ware gefüttert werden muss. Twinkle hijackt ihn und steuert ihn via AR auf Regal CE23, Position 241 – die Box misst anderthalb mal zwei Meter. Twinkle hijackt also einen Hubwagen, während das Monobe-System gerade meldet, dass ein Artikel ohne Berechtigung entfernt wurde.

 

Zügig laufen Ghost und Twinkle neben dem Hubwagen her, als sie auch schon von einem Lagermitarbeiter abgefangen werden. Wie zuvor besprochen besteht Ghost darauf, keinen Fehler gemacht zu haben, und lenkt ihn solange ab, wie Twinkle braucht, die drei Kameras, in deren Sichtfeld sie sich befinden, zu hijacken und Standbilder zu senden. Auf ihr Signal hin schlägt er den Mann bewusstlos und versteckt ihn in einem Regalfach. Weiter geht's durch das riesige Lager. Schnitt auf Mercury, die ruhig wartend am Steuer sitzt und vorbeifahrenden Arbeitern zunickt, und Rivet, Poison, Cutty und Viper, die sich im Laderaum bereithalten.

 

Ghost und Twinkle nähern sich der Laderampe, die aber von zwei bewaffneten Kongardisten bewacht wird – auch damit hatten sie gerechnet. Bereits bei der Annäherung übernimmt Twinkle nach und nach die Kameras, in deren Sichtfeld sie sich jetzt oder gleich befinden, und die Gardisten kommen näher und fragen, ob Sakaguchi-san die beiden nicht gefunden hat – nein, warum, wer ist das? Es folgt dasselbe Spiel, Ghost will ihnen in der AR seinen Auftrag zeigen, nähert sich und legt los. Gegen die Panzerung ist das schon deutlich schwerer, aber mit seinem ganzen Kampfpool und Edge legt er beide schlafen, ohne dass geschossen wird, weil die Gardisten die Waffen nicht bereitgemacht hatten.

 

Twinkle hijackt nun das Tor zur Laderampe, das langsam hochfährt, und die beiden wissen, dass das System jetzt in den stillen Alarm geht, weil es nicht weiß, was transportiert werden soll, da ja die Rampe zugänglich gemacht wird. Eine Aufklärungsdrohne kommt herangesaust, die Twinkle mit einem Kurzschluss lahmlegen kann, und Ghost gibt den Befehl zum Sichern, denn er und Twinkle sind ja unbewaffnet.

 

Rivet und Poison springen aus dem LKW und sichern in beide Richtungen, Cutty und Viper halten sich noch bereit, und während Ghost, Twinkle und Hubwagen sich nähern, fliegen weitere Drohnen heran, nun auch bewaffnete. Die Schaltkreise von einer kann Twinkle noch frittieren, aber da sie nur via AR agiert, ist sie zu langsam für alle, und das Geballer geht los. Rivets LMG macht aus den Drohnen Kleinholz, während Poison Ghost und Twinkle entgegenläuft, sie absichert und Ghost Waffe und Granatengürtel zuwirft. Schon rollen Gardentransporter an, und die Gardisten beziehen militärisch geschult Stellung. Cutty erschafft eine Barriere, Ghost wirft Granaten, um die einen unten zu halten und die anderen zu einem Positionswechsel zu zwingen, und Rivet richtet hier ein wahres Blutbad an – vielleicht war es doch nicht so schlecht, dass Machine nicht abkömmlich war, denn die Zwergin ist eine Macht und dabei auch noch schnell. Der erste sich manifestierende Geist kriegt es mit Vipers Herdgeist zu tun, um die nächsten kümmert sich Cutty mit gesteigerten Reflexen und Geisterblitzen, und Viper liefert Spruchabwehrwürfel für die Angriffe der magischen Security. Währenddessen verlädt der Hubwagen die Box in den LKW, den Mercury so geschickt geparkt hat, dass er zu zwei Seiten von anderen LKW gedeckt ist, aber Monobe ist auch nicht blöd: Zwei weitere kommen jetzt angefahren, um den GMC einzukesseln. Mercury feuert vom Sitz aus mit dem Granatwerfer und kann beide LKW vom Kurs abbringen.

 

Hinten drohen die Gardisten jedoch, die Verteidiger in die Zange zu nehmen – ihre Reaktionszeit lag beim absoluten Minimum dessen, das Ghost eingeplant hatte, und es wird brutal: Cutty musste die Barriere fallen lassen, um sich um alle Geister kümmern zu können, und als Twinkle ihre Deckung verlässt, um hinten einzusteigen, wird sie angeschossen. Die anderen schaffen es, Rivet deckt den Rückzug, aber auch die Gardisten setzen Granatwerfer ein und erwischen die Zwergin frontal und sprengen sie förmlich. Der wegen der Verkleidung ungepanzerte Ghost wird ebenfalls schwer erwischt, kriegt das dank Schadenskompensator und Schmerzeditor aber nicht so richtig mit und übernimmt die Verteidigung nach hinten, als der LKW losfährt, schnell assistiert von Poison, die gerade ihre beste Freundin hat sterben sehen. Sie müssen hinten offen fahren, um die Gardisten niederzuhalten, damit sie den Truck nicht beschädigen, und trotz ihrer Schmerzen muss sich die blutende Twinkle auf den Beifahrersitz kämpfen, um die Torkontrolle zu übernehmen.

 

Sie schafft es, der LKW verlässt das Gelände, aber die Drohnen fliegen mit und beharken ihn, und aus der hinteren Öffnung hat man kein Schussfeld. Mercury weist Twinkle an, das Lenkrad zu halten (mit Autopilot würde der LKW zu langsam), schießt aus dem Fahrerfenster und holt tatsächlich mit mehr Glück als Verstand eine Drohne vom Himmel. Daraufhin lässt sich die zweite zurückfallen, um die sich Poison und Ghost kümmern. Jedoch haben sich auch zwei Chrysler-Nissan POs an ihre Fersen geheftet. Poison schießt mit vollautomatischem Feuer mehrere Streifen leer, und Ghost versucht es mit Granaten, aber es ist unglaublich schwer, die Explosion zu timen – eine nach der anderen geht daneben, und die POs schaffen es, am LKW vorbei- und aus der Schusslinie zu kommen. Mercury reagiert blitzschnell und kann zumindest einen beim Überholen in einen Eckladen krachen lassen. Inzwischen ist Cutty mit vorn, hält das Lenkrad, weil Twinkle bewusstlos zusammengesackt ist, und Mercury lehnt sich aus dem Fenster und verschießt ihre letzten Granaten. Mit dem Granatwerfer ist das schon einfacher, und der PO wird zerschrotet.

 

Unter einer Unterführung aktiviert Cutty den Zauberspeicher, und der LKW verändert Typ, Form und Lackierung, und Meryl wechselt die Kennung. Hinten lindert Viper unter erschwerten Bedingungen Poisons Beinschuss ein wenig, wird aber schon wegen Twinkle nach vorn geholt und stellt fest, dass sie bereits verblutet ist – ein Schuss hat die Arterie im Oberschenkel getroffen.

 

Während Mercury einen der vorbereiteten Umschlagpunkte ansteuert, sackt hinten Ghost zusammen. Weil ihn schwere Verletzungen kaum beeinträchtigen, ist niemandem aufgefallen, wie hart es ihn erwischt hat: Er liegt tatsächlich im Sterben. Poison versucht, die Blutungen zu stoppen, der LKW hält, und Mercury übernimmt kurzerhand das Kommando: Poison steigt mit Twinkles Leiche, Ghost und Viper aus, damit dieser Ruhe für die Heilung hat und damit sich Poison um Twinkles Leiche kümmern kann, und Cutty und sie schaffen den LKW wie geplant unter der Fahrzeugmaske nach Redemption.

 

Die Aufgekratztheit legt sich bald, und Cutty kommt zur Ruhe. Nachdenklich betrachtet er Meryl von der Seite, die konzentriert auf die Straße sieht – das ewige Nesthäkchen (ironischerweise, da sie nicht viel jünger als er selbst ist) wirkt seit einiger Zeit wirklich erwachsener. Jeder hat seinen Rhythmus im Leben, der eine erreicht diesen Punkt schon früh, der andere spät. Cutty vielleicht nie. Meryl ist dort jedenfalls angekommen.

 

Er staunt, als er Stars Anruf bemerkt, und weil es ein paar Stunden bis Redemption sind, geht er ran, verzieht sich aber vorsichtshalber nach hinten, um von Meryl nicht gehört zu werden. Star versucht seit bald 24 Stunden, Ghost zu erreichen, und weil er vor ein paar Tagen Leute für einen Run suchte, dachte sie sich, dass er vielleicht auch mit Cutty gesprochen hat. Leichthin – unüberlegterweise etwas zu leichthin, aber so kompensiert er die Tode und die eigene Lebensgefahr der letzten Stunde, und vielleicht will er unterbewusst auch austesten, wie Star reagiert – berichtet er, dass es Tote gab und dass es Ghost sehr schwer erwischt hat und Cutty nicht weiß, ob er noch lebt und, falls ja, ob er durchkommt. Ja, Cutty kann die Panik in Stars Stimme hören, denn sie will alles wissen. Natürlich geht das nicht am Kommlink, aber sie verlangt, dass er sich sofort meldet, sobald er etwas weiß, sie werde in etwa sechs Stunden in L.A. sein.

 

Viper hasst es, dass es immer die am schwersten Vercyberten sind, die er heilen muss, aber jetzt geht es unübersehbar um Ghosts Leben. Zwischen Müllsäcken behandelt er ihn und investiert alles an Edge, das geht, und nach einer Minute wird Ghosts fast nicht mehr wahrnehmbarer Atem normaler, und die Lider flackern. Der ausgelaugte Viper stöhnt und legt sich kurzerhand neben Ghost, um den Schwindel zu bekämpfen. Poison ist heilfroh, dass Ghost es geschafft hat – der Kampf um sein Leben hat sie von Rivets Tod abgelenkt. Jetzt schafft sie Twinkles Leiche, Ghost und Viper in den Fluchtwagen.

 

Star gibt natürlich Kit Bescheid, dass sie früher abreist – sie weiß selbst noch nicht, was Kit Jack sagen soll, aber es geht nicht anders. Kit meint, sie werde die Wahrheit sagen: Ghosts Leben steht auf dem Spiel. Star versucht unterwegs mehrfach, Cutty zu erreichen, aber auch der geht nicht mehr ran – er ist schlicht während der Fahrt eingeschlafen. Billy hat Meryl natürlich angerufen und sie informiert, dass Ghost überlebt hat, aber Meryl weiß ja nicht, dass Cutty mit Star gesprochen hatte, und hat daher keinen Grund, sich bei ihr zu melden. Und so fährt Star die lange Strecke nach L.A. und hat schrecklich viel Zeit, einen vielleicht toten Ghost zu betrauern – der Schmerz ist nicht zu ertragen, erst recht, nachdem sie so auseinandergegangen sind. All ihre Fehler, ihre Ungerechtigkeiten brechen über sie hinein. Ja, das ist die Gefahr in diesem Leben, aber nicht in der Nähe zu sein, nicht mehr mit ihm in Verbindung zu stehen und daher nur durch Zufall davon zu erfahren, macht es viel schlimmer. In jeder anderen Konstellation wäre sie live dabei gewesen und hätte helfen können, anstatt Hunderte von Meilen entfernt zu sein und in völliger Ungewissheit, ob Ghost überhaupt noch lebt, über die Interstate zu jagen. In ihrer Verzweiflung kommt sie nicht darauf, auch mal Meryl anzurufen.

 

Poison hat den verletzten Ghost zu Dr. Prospero chauffiert, in dessen Vorzimmer der erschöpfte Viper auf der Couch pennt. Dank Vipers guter Vorarbeit muss nichts durch neue Cyberware ersetzt werden, aber die Orthoskin wird nach zahlreichen Verletzungen bald mal erneuert werden müssen. Der Straßendoc beendet die Behandlung, verklebt die Wunden und geht nach nebenan, um die Medikamente zu holen. Die Chance nutzt Ghost, Poison sein Beileid wegen Rivet auszusprechen, sie aber auch aufzubauen: Er hat sie unter den schlimmstmöglichen Umständen erlebt, unter denen sie die Ruhe bewahrt und gut gekämpft hat, und damit weiß er nun alles über sie, das er wissen muss. Das war gute Arbeit.

 

Cuttys Kommlink hat sich wegen des Ruhepulses automatisch auf lautlos geschaltet, so dass er noch selig schläft, als Meryl ihn weckt. Der LKW wird in Freds Garage unter einer Thermoplane versteckt, die Kiste entladen und gewaltsam geöffnet: Mithilfe von Fotos und Matrixrecherche können Meryl und Cutty die Ladung als Flugzeugbauteile identifizieren – grundsätzlich ein paar Tausender wert, aber da viele andere fehlen und sie alleine nicht zu gebrauchen sind, schwer zu verkaufen. Interesanter wird es, als Meryl mit dem Schweißgerät drangeht und ein Geheimfach enttarnt, darin eine strahlungssichere Metallbox, die Fred mit speziellem Gerät öffnen muss, und darin ein verschlüsselter Chip. In Meryls Quattro fahren sie wieder zurück nach L.A., um sich mit Angel zu treffen.

 

Poison tritt den schwersten Gang von allen an und sucht das Razor's Edge auf, um Sailor mitzuteilen, dass ihre Tochter tot ist. Dabei bricht Poison selbst schluchzend zusammen, denn sie hat nicht nur ihre beste Freundin verloren – sie ist auch noch indirekt schuld an ihrem Tod, weil sie sie angebettelt hatte, mitzumachen, da Ghost nur dann auch Poisons Teilnahme gestattet hätte. Sie bittet Sailor heulend um Verzeihung, aber die bringt es nicht über sich. Nicht viel später sackt Sailor mit einem Herzanfall zusammen, und Remy fährt sie schnellstmöglich ins Krankenhaus. Poison ist fertig mit den Nerven und muss von Silke getröstet werden.

 

Jetzt erst fällt Cutty ein, dass er ja Star hatte zurückrufen wollen. Meryl informiert ihn, dass Ghost verletzt ist, aber überlebt hat. Er ruft Star an, und sie faltet ihn zusammen, was daran so lange gedauert hat. Sie ruft Ghost erneut an, und einige Stunden später ruft er sie schließlich zurück. Bemüht neutral fragt sie, ob sie sich treffen können, und er nennt ihr die Adresse der alten Fabrik, zu der er sich nun ohnehin auf den Weg macht.

 

Dort trifft sich der immer noch schwer lädierte Ghost mit Angel, denn die Verschlüsselung war auch Teil des Dossiers, und er hat die Beute: den kompletten Bauplan eines Flugzeug-Prototypen namens Ikaruga, entwickelt von Monobe. Das Team, das den Diebstahl ursprünglich organisiert hatte, musste Zugriff auf einen hochrangigen Monobe-Mitarbeiter haben, der mit einer normalen 0815-Lieferung den Chip konzernintern aus Japan schmuggelte, damit er überhaupt in Reichweite kommt. So weiß Monobe noch nicht mal, dass der Prototyp, an dem sie arbeiten, jetzt auf dem Markt landen kann. Angel konnte die Baupläne nur als Laie betrachten, vermochte aber auch mit seinen semi-intelligenten Knowbots nichts wirklich Revolutionäres daran zu finden, das den Markt aufwirbeln würde – hier ging es wohl nur um Industriespionage.

 

Ghost will keine Risiken mit der falschen Wahl des Schiebers eingehen und macht nach Absprache mit Angel ein Treffen mit Darius Coburn klar. Er weiß, Hemingway wird mit seinen Kontakten einen Preis erzielen, den kein anderer Schieber, den Ghost kennt, auch nur ansatzweise heraushandeln könnte, aber er wird sich natürlich auch einen deutlich höheren Anteil sichern, was das Ganze wieder ausgleicht. Jedoch würde sich Ghost damit bei ihm für die vergangenen Aufträge revanchieren und sich für künftige empfehlen, und mal mit etwas Interessantem an ihn herangetreten zu sein, anstatt nur Aufträge zu empfangen, würde sein Standing im Fixx verbessern.

 

Fiona trifft in für ihre Verhältnisse geradezu dezentem Look (Paket Casual 28) in der Fabrikhalle ein. Sie sind hier sowieso fertig, also geht Angel. Das Treffen in der alten Fabrik mit den zahllosen eingeworfenen Fenstern, dem schwebenden Staub im Sonnenlicht und dem Knirschen von Steinchen oder Scherben bei jedem Schritt passt zu den Ruinen ihrer Beziehung. Fiona geht eilig auf Ghost zu, aber der wendet sich diskret ab, und schon spürt Fiona Tränen in ihre Augen treten. Ausgerechnet Ghost weicht vor einer Berührung von ihr zurück. Fiona erkundigt sich nach seinen Verletzungen, Ghost wiegelt ab, und es geht so hin und her, bis sie das Kernthema erreichen.

 

Ghost: The job I got offered gave me a reason to put some distance between us. Thinking about it made me realize that that might help me with coming to terms with... what I needed to come to terms with. The timing was bad, I had to decide on the spot, otherwise Mr. Johnson would've kept looking. That's the only reason I did it by commlink. I've never run away from you before. Why would you think I'd do it then?

     Regardless, I shouldn't have accepted. I take responsibility for that mistake. Also for the mistake of putting my thoughts into words poorly. I was preoccupied with my... my failure to be for you what you needed me to be. And I wanted to be the best I could be for you. Apparently I failed to make that clear somehow. I take responsibility for that, too.

     But that's where my responsibility ends. Have I ever raised doubts about my devotion to you? Have I ever in four years treated you badly? Argued with you over nothing just to put you down? Taken you for granted? In four years, how many times have I changed something about myself for you? Do I need to go into detail?

Fiona beginnt leise zu weinen und schüttelt nur zu Boden sehend den Kopf.

Ghost: Especially the last year. All our talks? With me doing most of the talking? All my efforts to show you my commitment to you, and how little I give a frag how you became the woman you are? (Er wird lauter und erregter.) I hate having to blow my own horn here, but seeing how lowly you think of me it seems I have to: I busted my ass trying to get you out of that black hole! A whole fragging year I worked my balls off! (Jetzt wird er richtig wütend.) But one comm call, one fragging comm call, and all of that suddenly isn't worth shit anymore? One comm call, and you take a poor wording of mine as an excuse to send me packing? How much do you have to want the separation yourself to... to take this away from a call I gave you to let you know what I was about to do because I loved you? (Fiona schluchzt nun leise.)

     If, for whatever reason, you had really misunderstood me so fragging hard, you could've dug deeper. If not in that conversation, maybe the day after. Or the day after that. None of that. Complete radio silence. Instead of giving me a call to clear up what everybody else would've known was a misunderstanding, you worked on "coming to terms" with the separation you'd made up and put the blame on me for. And while I was out there trying to fix a problem you had caused, you already got rid of me and dove head first into a new relationship. (Er wird wieder ruhiger.) I don't know. Did it get too hard? Too uncomfortable with me not knowing how to deal with it? Is that what drove you away?

Fiona (schluchzend, man versteht sie kaum): I don't know.

Ghost: Nobody who knew me from back home would've ever imagined that I'd put up with cheating one day. But I worked on myself to cope with that and, you know, absolve you of all responsibility. You of all people should've known what that meant for me, how fragging hard it was to abandon my principles. Just for you. And while I'm busy doing that for you, you go and flush all we had down the crapper. Makes me think that Jack was that one night stand back then. You fell in love but didn't wanna feel guilty about ending our relationship, so you looked for an easy way out?

Fiona (schluchzend und verzweifelt den Kopf schüttelnd): Oh my god, Ghost...

Ghost: Doesn't matter anymore. I don't even wanna know.

     Everytime you have a problem with me – and me not even knowing that you do –, you throw yourself into someone else's arms. You remember when you thought I was cheating on you? Didn't think much of it once we cleared things up, but knowing what I know now, I've actually been wondering: Did you go and sleep with somebody else back then? (Fiona schluchzt noch haltloser, was man sowohl als Eingeständnis als auch als "Wie kannst du das nur denken?" interpretieren kann.) At least that time it couldn't have been Jack. Hooray for crumbs of comfort.

Fiona (die die ganze Zeit bitterlich geweint hat und so schluchzt, dass sie kaum ein Wort verständlich herausbringt): Can you... can you please... forgive me?

Ghost: How am I gonna do that, what do you think?

Fiona: We could... we could... talk and...

Ghost: Seems talking isn't one of your strong points – you never do when you need to the most. What good's a talk gonna do now that everything's gone to shit?

Fiona (schreiend): My whole life went to shit when I found out about myself!

Ghost (laut): Stop hiding behind that! (Wieder ruhiger:) You know, when you had that one night thing... if nothing else, I get how it got to that point. Everything you'd learned was still fresh, the emotional turmoil, confusion, whatever. I get it. I don't get the motivation for starting a fragging relationship a year later.

Fiona: I could... Please let me ex—

Ghost: I don't wanna get it. You asked me to get over your one night stand, and that was fragging hard to do. But this... this is way out of bounds, no matter what you're going through.

Fiona: Do you... do you still... have... feelings for me?

Ghost: What difference does it make at this point?

     I realize you're in a dark place. Sorry I couldn't get you out of there. I tried. Great Manitou, I tried. But what do you want me to do? I don't have an obligation to let you ride roughshod over me time and again because you could get even more depressed if I don't. That's not how this works. It wasn't my job to make you better. It was my job to help you get better. I did my job as best as I could. Can't do yours. Start getting used to being held accountable. Your depression doesn't give you a free ride to screw up however you want, you know?

     I've changed so much for you. I've given you all I had to give, but clearly that wasn't enough. And if no change is ever gonna be enough, if I'm always asked more... at some point I'd have to stop being the man I am and become someone completely different. And if that's what I gotta do, if that's what it takes to be with you, I'm obviously not the man you need. Or even want me to be.

     I'll be seeing you around.

 

Ghost geht tatsächlich und lässt die schluchzende Fiona zurück. Sie hatte es Anfang Januar geschafft, Ghost davon zu überzeugen, dass er es versaut hatte. Heute lief es genau andersherum: Er machte ihr klar, dass sie es versaut hatte – und dass er ihr keinen Freibrief ausstellen würde, nur weil sie depressiv ist. Sie hat den Mann, auf den sie sich doch immer hatte verlassen können, verloren. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, ist das Gefühl am schmerzhaftesten, dass ausgerechnet der Einzige, den sie wirklich will, auch der Einzige ist, der der designten Kombination ihrer Reize, die sie so sehr an sich verabscheut, jetzt gerade ganz prominent widersteht und der Aussicht, mit ihr zusammen sein zu dürfen, nicht alles unterordnet. Das macht die Liebe, die er immer für sie empfand, für ihr Bauchgefühl wahrhaftig: Nach Fionas Überzeugung ist er als Einziger nicht ihr Opfer, sondern würde sie auch lieben, wenn sie nicht so designt worden wäre, genau das auszulösen.

 

Dienstag, 28.03.2062

 

Ghost präsentiert Coburn in der AR (von Angel überwacht) die Dateien, damit Hemingways Decker ihre Echtheit verifizieren kann, und bietet sie zum Kauf an. Nach Rücksprache mit dem Chef und etwas Geschacher landen die beiden bei ¥ 375.000.

 

Ghost kann sich nicht noch mehr verbiegen, nur damit Fiona keine Verantwortung übernehmen muss, das ist ihr klar geworden. Wenn sie lernen will, mit sich zu leben, muss sie auch zu ihren Handlungen stehen, ob sie nun aus ihrer Konditionierung oder aus ihrer Depression resultieren.

 

Sie hatte geglaubt, ihr Tief nicht allein durchqueren zu können, hatte geglaubt, dafür einen Partner zu brauchen, es ohne eine solche Stütze nicht zu schaffen. Warum sie Ghost so massiv missverstand und warum sie nicht nachhakte, wenn sie doch glaubte, er hätte so eine tiefgreifende Entscheidung getroffen und teile ihr das mal eben per Kommlink mit, was ganz und gar gegen seine Art geht, hat sie bis heute nicht verstanden. Wollte sie ihn unterbewusst vor sich selbst beschützen und nahm ein Missverständnis als Vorwand, weil sie sich nicht selbst von ihm trennen konnte? Oder fühlte sie sich so schuldig, dass sie sich selbst bestrafen wollte, indem sie Ghost so versteht, dass er tut, was sie verdient – nämlich sich von ihr trennt? Oder war es so, wie Ghost annahm? Dass seine Schwierigkeiten, so zu tun, als sei sie nicht fremdgegangen, ihr ihren Fehltritt immerzu vor Augen führten und dazu, dass sie sich damit noch schlechter fühlte? "Missverstand" sie ihn deshalb so sehr, um davor zu fliehen und sich zu jemandem zu retten, dem sie nicht jeden Tag ansehen konnte, wie sehr sie ihn verletzt hatte?

 

Doch hat die Beziehung mit Jack irgendetwas für irgendjemanden besser gemacht? Nein. Sie einzugehen hatte bedeutet, die Tür zu Ghost zu schließen, ganz offensichtlich für immer; und sie zu führen hat ihr nur an zahllosen Kleinigkeiten immer wieder ihre Verzweiflung und ihren Selbsthass vor Augen geführt, beides eher noch verschlimmert als gelindert. Eine Identitätskrise und eine Depression sind kein Tal, das man nur lange genug durchschreiten muss, um am Ende für sein Durchhaltevermögen belohnt zu werden.

 

Fiona besucht also Jack, der inzwischen auch wieder in L.A. ist, aber noch immer seine Verletzungen auskurieren muss. Er weiß, was die Stunde geschlagen hat, als er sie sieht, und fragt sie, ob sie zu Ghost zurückgeht. Nein, es sei offenbar an der Zeit, endlich aufzuhören, andere in ihre Probleme mit hineinzuziehen, ohne dass sie ihr bei deren Lösung helfen können. Sie müsse jetzt allein sein, denn vermutlich könne sie nur dann bewältigen, was sie belastet. Fi bittet Jack um Entschuldigung dafür, dass sie ihn dazu benutzt hat, sich von ihren Problemen abzulenken und ihnen lieber aus dem Weg zu gehen und zu hoffen, dass derjenige an ihrer Seite sie schon irgendwie verschwinden lassen wird. In einer anderen Welt hätte sie Jack geliebt – aber in dieser kann sie es nicht, so sehr sie es sich auch gewünscht hatte, und sie will ihn nicht länger quälen.

 

Als sie sich von Chandra verabschiedet, nimmt das junge Mädchen das schon deutlich weniger gefasst als ihr Dad auf und schreit Fi an und wünscht sie zum Teufel. Fi weiß, dass sie es nicht so meint, und geht. Auch für Chandra ist es schwer, denn ihrem Dad zuliebe hat sie versucht, sich nie anzumerken zu lassen, wie sehr der Albtraum aus dem Verlust sowohl ihrer Mutter als auch der Hälfte ihres Körpers sie traumatisiert hatte. Nun war da endlich ein Mutterersatz, und jetzt löst er sich einfach so in Luft auf. Später, als Jack mit ihr darüber redet, kann er Fi nur in Schutz nehmen: Sie hat ihm nichts vorgemacht, ihn gewarnt, dieselben Argumente ins Feld geführt wie Chandra – aber wegen ihrer eigenen Probleme war sie zu schwach, den entschlossenen Jack abzuwehren, wünschte sie sich doch so sehr eine starke Schulter zum Anlehnen, und er drängte sie ihr ja geradezu auf. Er hatte wirklich geglaubt, mit der Zeit würde die Gewöhnung aus dem Schein Sein machen, aber es hat nicht funktioniert – und das ist niemandes Schuld.

 

Fi bucht einen Flieger, packt viele Koffer und lässt sie vom Shuttleservice holen – sie hat nicht vor, allzu bald zurückzukehren. Weil sie keine Kraft mehr dazu hat, über die Situation zu reden, verabschiedet sie sich telefonisch von Kit und verspricht ihr, sich immer wieder mal zu melden. Wohin sie wolle? Von allem hier so weit weg wie möglich. Europa klingt gut, oder?

 

Samstag, 08.04.2062

 

Ghost hängt in Santa Monica mit Spirit und ein paar anderen Forty Thieves rum, und dem Zuschauer wird klar, wie die Geschichte aus deren Sicht abgelaufen war: Jack hatte wegen Fionas Freundschaft zu einigen Forty Thieves ein paar der Ganger getroffen, wurde aber nicht akzeptiert. Niemand opponierte offen gegen ihn, aber die meisten mochten Ghost, einige schuldeten ihm sogar etwas, und er war ihnen allen weggenommen worden (da er keinen Kontakt mehr zu ihnen pflegte, um Fi nicht in die Quere zu kommen). Ghost war authentisch: Ex-Ganger, Profi-Runner, durch und durch von der Straße, und er interessierte sich aufrichtig für die Forty Thieves und hatte ihnen geholfen, so wie er auch anderen Straßenkids half. An Jack hingegen schrie alles "Konzern!", und das fand die Gang nicht gerade sympathisch, zumal er als der Grund dafür angesehen wurde, dass der Kontakt zu Ghost abgebrochen war. Allen Thieves war immer klar gewesen, dass Ghost und Star sich durch Ghosts oder Stars Tod voneinander "trennen" würden und nicht eher – eine der ganz wenigen Konstanten in dieser wechselhaften, schnelllebigen Welt. Stattdessen eine ganz profane Trennung, für die dieser Jack verantwortlich sein musste, denn er war ja schon so kurz danach am Start gewesen. Niemand war böse, als sich Fi wieder von Jack trennte.

 

Cutty präsentiert seinen tollen Fang Neona im Rockin' Chair seinen Dewley-Kumpels, und Gator ist begeistert und meint diskret zu ihm, das sei die Beste seit dem Model vorletztes Jahr. Die hier ist doch schon wieder eine, die viel zu schlau und zu hübsch für ihn ist, so viel Glück verdient Cutty gar nicht! Cutty verpflichtet ihn, Fi niemals in Neonas Beisein zu erwähnen.

 

Billy geht mit Enola aus, schläft danach mit ihr und hilft ihr tröstend durch die Nacht, weil sie wegen ihrer Traumata wieder eine schlechte Phase hat. Hier sieht man gut, dass sich Billy mit ihren zwei Beziehungen ganz verwirklichen kann: Bei Adonis lebt sie ihre devote Seite aus, die man ihr gar nicht zutraut, und bei Enola ist sie die Mütterliche, die Starke, die ihr Mädchen beschützt.

 

Kitsune, äußerlich beherrscht wie eh und je, ist innerlich in Panik, denn sie sitzt gerade mit Simon in ihrem kleinen Apartment und schenkt ihm reinen Wein ein: Sie heißt nicht Manami Kawamura, sondern Mitsuko Nishida, und sie ist keine kleine Bankangestellte, sondern eine Ki-Adeptin und eine Shadowrunnerin. Simon fällt aus allen Wolken, muss aufstehen, geht gestikulierend auf und ab, während Kit stoisch sitzen bleibt, die Schimpftirade über sich ergehen lässt und sich darauf vorbereitet, Simon zu verlieren. Nachdem dieser sich abreagiert hat und nachhakt, erklärt sie, dass es immer schwerer wurde, die Wahrheit zu sagen, je ernster es zwischen ihnen wurde – aber irgendwann musste es sein. Sie sitzt würdevoll da und lässt sich wenig anmerken – selbst als sie ihn gehen und leise die Tür hinter sich schließen hört...

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