73 - A Dark Wedding {{ currentPage ? currentPage.title : "" }}

Musik: Robin Hood, The Three Musketeers, Highlander

 

1375 DR, Year of Risen Elfkin: In Zazesspur wird der Schatz zur Royal Bank of Zazesspur gebracht, und der Papierkram dauert ewig, da Fleece festlegen muss, dass nur sie die volle Kontovollmacht hat und wer außer ihr jeweils wie viel abheben darf. Die anderen reservieren im Wainwright District einen Tisch in Angbar's Anvil und laden ihre Sachen im Ordenshaus ab, das sie ordentlich durchlüften – Urun Rockfist macht hier einmal im Monat sauber, ansonsten wird es ja nicht benutzt, denn Gilborn darf im Tempel leben, und ganz allein möchte Jaq nicht im Ordenshaus wohnen. Hier finden sie einen unter der Tür durchgeschobenen Brief, in dem Vala Valkazar ihre Errungenschaften preist und herzlich jeden einlädt, der kommen möchte, um sich feiern zu lassen, und dazu eine Adresse hier in Zazesspur, wo eine Antwort abgegeben werden kann. Fleece hat die Nase vom Reisen erst mal voll, und sie weiß, den anderen geht es ebenso. Nach allem, was sie durchgemacht haben, sollte ihnen etwas Ruhe vergönnt sein.

 

Natürlich werden Jaq und Gilborn informiert und zum Anvil bestellt, wo es ein großes Hallo und Festessen gibt. Die Taverne ist zwar geräumig und sauber, aber dunkel und nicht so urig und gemütlich wie zum Beispiel der Freudenquell, sondern eher schmucklos und zweckmäßig, aber wenn man betrunken ist, möchte man es nicht allzu weit nach Hause haben, und das ist nun mal die bisher einzige Taverne in der Nähe, die Spider, Zhai und Skaar akzeptiert.

 

Gilborn kommentiert Ashes Tod nicht (Fleece vermutet, dass er geradezu erleichtert sein dürfte), doch Jaq nimmt ihn bedauernd zur Kenntnis. Sie war nicht mit Ashe befreundet, aber sie waren einander näher gekommen, und er tat ihr ehrlich leid.

 

Sie sind nicht mehr so zahlreich, wie sie mal waren, aber neben J'avo und Gilborn sind alle acht aktiven Mitglieder der Gemeinschaft der Ersten Sonne hier: Fleece, Jewel, Spider, Zhai, Max, Skaar, Raif und Jaq. Natürlich gibt es auch feierliche Toasts auf die Gefallenen (Theon, Cordian, Rhoedry und Ashe, und auf Raifs Bestreben hin auch auf Milandre) und die Gegangenen (Jendara, Vardis, Brannon, Kithain und Raveena). Natürlich ruft niemand dazu auf, auf Nefirti, Raina oder Tulwood anzustoßen. Der Alkohol fließt in Strömen, und Fleece wird wehmütig. Was für eine Reise, die für Jewel, Spider und sie 1366 DR begann. Seit neun Jahren sind sie jetzt gemeinsam unterwegs, und vermutlich ist es nur Tymora zu verdanken, dass sie für ihre Dummheit, sich auf ihr erstes Abenteuer einzulassen, nicht mit einem schrecklichen Tod bestraft wurden. Sie waren naive Niemande, die sich nicht hätten träumen lassen, die zukünftige Königin von Tethyr, hochrangige Adlige von Tethyr und Cormyr oder mächtige Handelsfürsten von Amn und Waterdeep zu treffen. Wie sehr fehlen Fleece jetzt neun Gefährten, die sie so gern hier hätte, um mit ihnen das gemeinsam Erreichte zu feiern – denn auch die, die in Waterdeep nicht mit dabei waren, haben ihren Teil beigetragen, weil in der Gemeinschaft jeder jedem mehrmals das Leben gerettet hat.

 

Die Suche nach diesen mythischen Schlüsseln (die letztlich gar nicht mythisch waren, aber von Nyx so inszeniert wurden) hatte diese Gruppe zusammengeschweißt, doch Fleece hatte immer auch über ein Danach nachgedacht, weil sie nie wollte, dass die Gruppe nach der Beendigung dieses durch halb Faerûn führenden Abenteuers auseinanderbricht. Nun sind sie für ihre Maßstäbe unermesslich reich, aber nicht, wenn man jeden Einzelnen betrachtet – als Gruppe allemal, doch die Individuen sind mit ihrem jeweiligen Anteil "nur" noch wohlhabend. Und jetzt sitzen sie hier, ohne Aufgabe, ohne Ziel. Fleece meint, ja, sie könnte jetzt jeden auszahlen, wer das möchte, soll es nur sagen. Aber sie würde sich freuen, die Gemeinschaftskasse auch weiterhin zu führen (wobei es eigentlich Max ist, der schon vor Ewigkeiten die Buchführung übernommen hat, denn er macht garantiert keine Fehler und ist froh, auf Reisen mal was zu tun zu haben), weil das bedeuten würde, dass die Gemeinschaft der Ersten Sonne weiterexistiert.

 

Fleece erzählt davon, wie der naive Traum vom Reichwerden viele hier zusammengebracht hat, aber die wirklich bedeutenden Dinge haben sie getan, weil sie dank ihrer Reisen von Schlüssel zu Schlüssel gerade zur rechten Zeit am rechten Ort und durch ihre Erfahrung auch in der Lage waren, einen Unterschied zu machen. Zarandas Schwertzug hatte nichts mit den Schlüsseln zu tun, ebenso wenig die Verteidigung Riatavins und die Befreiung der Sklaven, die Verteidigung von Brost und die Rettung der Ilmatraner in Chessenta. Das sind die Dinge, wegen denen sich ihre Namen im Volk herumgesprochen haben, das sind die Dinge, deretwegen sie geliebt und geachtet und sogar von Teilen des Adels respektiert werden. Sie brauchen keine Schlüssel und das Versprechen eines Schatzes, um weiterzumachen, nicht wahr?

 

Max zerstört die romantische Stimmung jäh mit nüchterner Sachlichkeit: Natürlich will er seinen Anteil, deshalb hat er sich das alles ja angetan, und damit wird er sich ein Plätzchen an der Königlich Tethyrianischen Akademie der Arkanen Künste zu Zazesspur sichern, um in Ruhe studieren zu können. (Fleece macht Max klar, dass ein Teil seines Anteils an seinen Sohn Andorax gehen wird.) Von Raif, Spider, Zhai und Skaar weiß Fleece mit Sicherheit, dass kein anderes Leben für sie infrage kommt. Jewel befindet sich nach wie vor in einer schwierigen Phase, auch wenn Fleece denkt, dass das Schlimmste überstanden ist und sie sie von den wichtigsten Punkten hat überzeugen können. Dennoch: Ob Jewel ihren Platz an Nightscars oder an ihrer Seite sieht, vermag Fleece nicht zu sagen. J'avo ist nur wegen Fleece hier und wäre der Letzte, der sich als Mitglied der Gemeinschaft bezeichnen würde. Jaq hat in dieser Gruppe ihr neues Leben gefunden, und auch wenn sie immer die Skeptischste und Vorsichtigste war, vertraut Fleece Jendaras Einschätzung, dass sie Blut geleckt hat und nicht damit zufrieden wäre, vor sich hinzustudieren, wie sie es mangels Alternativen im letzten halben Jahr getan hat. Gilborn hat es sich in Chessenta verdient, als Mitglied der Gemeinschaft bezeichnet zu werden, doch er selbst sieht sich nicht so, sondern als Mephalit und Chaunteaner – und fragt sich unübersehbar oft, was er bei diesen Abenteurern zu suchen hat und ob er seiner Herrin woanders nicht nützlicher wäre.

 

Jaq fragt Max leise, ob er das mit der Akademie ernst meine. Ja, natürlich, warum? Jaq erwidert nichts, denkt sich aber lächelnd, dass sich Max das Dabeibleiben durch die räumliche Nähe offen hält, ob bewusst oder unterbewusst – denn warum sonst sollte er nicht wieder nach Calimshan zurückgehen, nun, da er hat, was er angeblich wollte? Bemerkenswerterweise hat er ja nicht einmal kommentiert, dass im Gegensatz dazu, wie man sich einen Drachenhort vorstellt (und sei er noch so bescheiden), bis auf eines keine magischen Bücher darin waren, wegen derer er ja überhaupt erst daran interessiert war.

 

Am nächsten Tag bekämpft Fleece ihren Kater mit einem Interventivum und begibt sich zum Haus der Freys. Sie muss selber wieder mit den Tränen kämpfen, als sie Aron die Nachricht von Ashes Tod überbringt. In jeder anderen Situation wäre es sogar ein Lacher, dass Morgulas' erste Reaktion die Frage ist, was mit der Leiche geschehen ist. Aron hingegen schaut nur verständnislos drein – sie steht unter Schock, die Information hat sie noch nicht ganz erreicht.

 

Als nächstes geht es im Garden District zu den Hallen des Lichts. Fleece weiß nicht, dass Naneetha inzwischen wieder in Amt und Würden ist und bereits versucht hat, mit der Gemeinschaft Kontakt aufzunehmen, aber niemanden angetroffen hat. Erneut nahm die Priesterin das persönlich, und sie hat ohnehin viel Zeit gehabt, ihre Frustration zu hegen und zu pflegen. Daher empfängt sie Fleece zwar nicht unfreundlich, aber auch nicht herzlich, und das entgeht der Bardin nicht. Innerlich wird diese sofort wütend: Die Gemeinschaft war Neethas riesige Chance auf eine beschleunigte Karriere, und solange sie dabei war, übte sie großen Einfluss auf sie aus – und Fleece half ihr sogar noch dabei. Doch Neetha erwies sich als so einer Aufgabe noch nicht gewachsen und musste zur Strafe Demut lernen. Dafür kann die Gemeinschaft nichts, verdammt noch mal! Dementsprechend ironischer, als Fleece geplant hatte, teilt sie ihr mit, dass sie vermutlich nicht über alle Maßen bedauern wird, von Velaryon Ashemarks Tod zu hören, aber Spider und Zhai sind noch am Leben – mit dieser inhaltlich unnötigen Anfügung unterstreicht sie, dass sich Neetha auch deren Tod wünscht. Die Priesterin spricht kühl ihr Bedauern aus, erkundigt sich nach Raif, die beiden tauschen sich grob aus, und Fleece hat ihren Höflichkeitsbesuch damit erledigt. Neetha aber geht gleich zu ihrem Donator Lumini und drängt darauf, die Gemeinschaft der Ersten Sonne um Assistenz bei was auch immer zu bitten, denn jetzt ist sie gerade hier – wer weiß, wie lange?

 

Raif kauft sich ein neues Pferd, das er Trickster nennt, und hat sich noch lange nicht daran gewöhnt, dass er ein gutes, trainiertes Pferd nebst Ausstattung für knapp hundert Goldmünzen erwerben kann, ohne sich um den Preis scheren zu müssen.

 

Im Ordenshaus schreibt Fleece einen Brief an Jen, in dem sie von Ashes Tod, Jewels Rückkehr und dem Schatz berichtet und Jen bei der nächsten Gelegenheit einlädt, ihren Anteil abzuholen. Außerdem schreibt sie auch eine Antwort an Valkazar, in der sie sich bedankt, ihn aber auf später vertrösten muss, bis sich alle von den Strapazen genug erholt haben, um eine weitere beschwerliche Reise anzutreten. (Natürlich könnte man die Fährsteine benutzen, aber Fleece möchte jedem ermöglichen, mitzukommen, der will, und sie haben nur 14 – und von denen hieß es bei der Übergabe ja, dass sie erst mal eine Weile reichen müssen.) Den Brief gibt sie am Folgetag an der Adresse ab und kann sich denken, dass die Hausfrau insgeheim für die Janessarim arbeitet.

 

In den nächsten Tagen besucht sie Caldaia im Tempel und schenkt ihr waterdhavisches Parfüm. Sie staunt, wie viel mehr Caldaia inzwischen wie eine echte Sune-Geweihte wirkt, und bekommt es daher nun sogar hin, sich ihr anzuvertrauen, was ihre eigenen Sorgen und Nöte betrifft: Immer die Zuversichtliche zu sein, die Stärke und Trost spenden muss, ohne selber jemanden dafür zu haben, geht an die Substanz und hat Fleece viel Kraft gekostet.

 

Fleece besucht auch Geiron Hawkwinter, dessen Eltern sie ja inzwischen kennen gelernt hat, und die Thargreves, wo sie erfährt, dass Laeral inzwischen Paval Demavends Frau geworden ist.

 

Auch Raif sucht den Sune-Tempel auf, weil er Caldaia wiedersehen möchte. Sie lebt mittlerweile seit einem Jahr hier, und auch er merkt ihr das an. Mit ihrem noch längeren Haar, Schminke, Schmuck, Rosentätowierung und den wunderschönen Kleidern ist sie ohnehin eine Klasse für sich, aber ihr inzwischen gewonnenes Selbstbewusstsein macht den entscheidenden Unterschied. Raif hat sich auf dem Weg zum Tempel nicht erlaubt, sich einzugestehen, dass er nicht nur mit ihr reden will, und ist ehrlich beschämt, als sie ihn fragt, ob er mit ihr schlafen möchte. Bei fremden Sune-Priesterinnen ist es unerheblich, aber bei einer persönlichen Freundin ist Raif durchaus bei dem Gedanken unwohl, dass sie dasselbe auch für andere Männer tun würde, mal ganz abgesehen davon, dass er vermutet, dass ein Teil von ihr wohl immer noch zu Jen gehört. Doch ist es nun Caldaia, die ihm geübt die Scheu nimmt und sich völlig natürlich verhält. Nein, sie muss hier mit niemandem schlafen, aber sie kann es, wenn sie möchte. Jetzt ist Raif so ehrlich, zuzugeben, dass er sich das wünschen würde. Jedoch erwidert Cal, dass sie das heute in der Tat nicht möchte, aber vielleicht ein andermal, wenn Raif mehr nach einem Gebet an Sune und weniger nach ihr selbst ist. Raif ist perplex und kommt sich vorgeführt vor, aber erneut nimmt Cal ihm die Scham. Sie muss es nicht aussprechen, aber sie macht anderweitig deutlich, dass sie keine Gespielin ist, wenn ihm mal der Sinn nach Sex steht. Sie ist eine Priesterin, für sie ist Beischlaf Gebet und kein Zeitvertreib. Stattdessen lädt sie ihn ein, im Tempelgarten zu entspannen und innerlich zur Ruhe zu kommen.

 

Eines Tages sitzt Neetha bei ihrem Vater Raxan, ihrer Schwester Bethana und deren Mann und beschwert sich sowohl über die Gemeinschaft der Ersten Sonne als auch über ihre Kirche, die sich auf ihren Rat, sie erneut zu vereinnahmen, noch nicht weiter gerührt hat. Als sie zurückkehrt und durchs Tempelschiff geht, sieht sie von hinten Raif auf einer der Bänke sitzen. Ein unwillkürliches Strahlen macht sich in ihrem Gesicht breit, aber sie ist froh, dass er sie nicht sehen kann – so hat sie Zeit, sich wieder zusammenzureißen und würdevoll an seine Bank zu treten. Als er sie aber ansieht und aufsteht, drohen die Gefühle sie dennoch wieder zu übermannen. Raif nimmt sie ruhig in den Arm, bevor beiden einfällt, wo sie sich hier gerade befinden, und sich rasch wieder lösen.

 

Nach einem Schnitt spazieren sie langsam an der Front des großen Tempels entlang und unterhalten sich. Raif hatte sich mit dem Besuch Zeit gelassen, weil er bezüglich Neetha uneins mit sich ist. Auf der einen Seite konnte er von allen immer am besten mit ihr, und zu wissen, dass sie in ihn verliebt war, machte es ihm ohnehin unmöglich, sie nicht zu mögen – und sie haben auch viel gemeinsam erlebt, das sie miteinander verbindet. Andererseits ist sie sehr schwierig, selbstgerecht und unberechenbar, und was im Spätsommer 1373 DR nach ihrer Abreise aus Esmeltaran geschehen war, hat einen tiefen Keil zwischen sie getrieben. Illuminatus Pandur Elboron sieht von oben aus dem Fenster und beobachtet seine Enkelin mit dem Abenteurer.

 

Fleece, die viel Zeit mit Jewel verbringt, sieht sie ein wenig aufblühen: Der Frühling geht in den Sommer über, sie sind weit weg von dunklen Erinnerungen an Cormyr und Waterdeep, und auch wenn ihr klar ist, dass sie in Undermountain ohne Fleece viele Male aufgegeben hätte, hat Jewel begonnen, auf ihre irrsinnigen Leistungen stolz zu sein und das auch zu zeigen. Sie, die sich in der Gruppe immer zurückgehalten hat, weil sie sich nicht zu sehr binden wollte, tritt jetzt bestimmter als Mitglied der Gemeinschaft der Ersten Sonne auf – das hat Zhai viele Jahre früher geschafft, aber Fleece freut sich unglaublich, nimmt sie das doch als gutes Zeichen sowohl für Jewels mentale Verfassung als auch dafür, dass ihre älteste Freundin an ihrer Seite zu bleiben plant, und sei es nur fürs Erste. Jewel denkt auch laut über einen Besuch in Greenshade nach, um Kithain wiederzusehen.

 

Das Renommee der Gemeinschaft bleibt nicht folgenlos: Dame Jhessail wird in den Gond-Tempel eingeladen, wo die gnomische Ratsherrin und Tempelvorsteherin Samonne Whitebrow ihr einen Auftrag unterbreitet: Nach dem Ippensheir vom 01. bis zum 12. Mirtul entsandte der Tempel die Sucherin des Sechsten Grades Sarelka nach Darromar, um eine Lieferung abzuholen, aber sie ist nicht zurückgekehrt. In drei Tagen wird der Sucher des Zehnten Grades Griscoe Shacklebolt aufbrechen, um die Lieferung abzuholen, und der Tempel erbittet erstens Geleitschutz und zweitens die Suche nach Sarelka und deren sichere Heimkehr. Natürlich sagt Fleece zu.

 

Nasmal Bartaen hat mit Whitebrow geplaudert und so erfahren, dass sie die Gemeinschaft der Ersten Sonne anzuheuern gedenkt. Diese Information spielt er Illuminatus Elboron zu. Dieser veranlasst einen Donator Lumini, Naneetha mit einem Auftrag der Kirche zu entsenden. Da es gerade absolut nichts von Belang zu tun gibt, wählt er Geleitschutz für eine priesterliche Ablösung.

 

Naneetha freut sich, da ihr Drängen offenbar Gehör gefunden hat. Im Ordenshaus trifft sie niemanden an, weiß aber, dass sie sich beeilen soll, und fragt sich daher in der Nachbarschaft zu einem kleinen Teehaus durch, in dem Raif und Jaq etwas trinken gegangen sind. Freundlich, aber bestimmt bittet sie Jaq um etwas Privatsphäre, so dass Jaq – die weiß, wie wenig Neetha von ihr und ihrer Profession hält – sich zurückziehen muss. Als sich herausstellt, dass Neetha nichts Privates von Raif wollte, sondern einen Auftrag für die Gemeinschaft hat, fragt dieser angepisst, warum dazu ein Mitglied der Gemeinschaft nicht am Tisch sitzen darf. Neetha merkt, dass sie sich erst wieder langsam auf die Gruppe einstimmen muss und dass es ein Fehler war, Jaq wegzuschicken, auch wenn sie selbst sie am liebsten nach Calimshan zurückkehren sähe. Jedenfalls unterbreitet sie die Bitte der Hallen des Lichts, eine Jungpriesterin nach Sunshire zu geleiten, wo sie den alten Priester ablösen soll. Da es sich nicht um jemand Wichtigen handelt, genügt eine Handvoll Begleiter vollkommen.

 

Raif: Who's supposed to go anyway? You hardly approve of anyone in the Fellowship. Who do you not find fault with, hm? Fleece? Me? Can't think of anybody else.

Neetha: You lie everytime you merely introduce yourself. Adorning oneself with borrowed plumes is a sin, Raif Merryn.

Raif: And there we go again. Neetha, there aren't any Bowgentles around anymore, and I'm not claiming I'm descended from Silverymoon's Bowgentle – who nobody knows down here anyway, so no harm done.

Neetha: A lie is a lie, Raif. Its wrongness doesn't depend on how much damage it causes.

Raif: So the original Bowgentle was a liar, too? Because he chose this name instead of the one his parents gave him?

Neetha: Strictly speaking, yes. Concealing your identity by using a name you gave yourself may at the best of times be a venial sin, but is a sin nonetheless.

Raif: I see. When Fleece introduces herself as Fleece, she's a liar, too, right?

Neetha: Not if she's trying to hide who she is.

Raif (etwas aufgebracht): Neither am I! (Neetha sieht ihn fragend an.) There was a bard that used to come through our village every now and then. Not a magic-user, just the usual traveling storyteller. He was pivotal in Fleece's decision to leave Chandler's Cross and become a bard herself. Left a big impression on me, too. He told so many stories, but I remember most vividly the stories about Bowgentle. To me Bowgentle summed up what I'd kept dreaming about: No matter where you come from, you follow your dreams somewhere else, give yourself a new name and rearrange your stars, give your life a makeover. Bowgentle had done it, and when I decided to do it, too, it seemed only fitting at the time to use that name myself. Probably wouldn't do it today, but damn it, I was thirteen.

Neetha: So you stuck by it.

Raif: Yes. It's got way more meaning to me than my own family name.

Neetha: Well, it shouldn't. It stands for a very serious sin: Leaving your place in the divine order and denying who you were supposed to be.

Raif: Well, you condemn me for wanting to improve my lot. The older priests in your church used to be Lathandrians in those days – and would've commended me for it. In fact, some did. (Die beiden sehen einander schweigend an. Beide wissen, er hat Neetha mit einem wunden Punkt – dem geringen Alter ihrer Kirche – ausgehebelt. Raif weiß nur nicht, wie übel sie ihm das gerade nimmt, also kehrt er zum Ursprungsthema zurück.) So... out of all the members of the Fellowship only Fleece meets your strict standards, right?

Neetha: Nobody's without flaws. Not even her.

Raif: Not even you.

Neetha: Not even me.

Raif: Anyhow. Who of the folks it despises does the church of Amaunator want to conscript?

Neetha: Please take caution with your tone, Raif. We all need to make do with what we're given. Even my church.

Raif: Funny, isn't it, that a Fellowship that consists of so many people your religion dislikes is famous for doing such heroic, selfless feats, hm?

Neetha: Why, of course. It's lead well.

Raif (schnaubt): And yet you don't approach Dame Jhessail alone, but the Fellowship, because you want them to render their services to you. (Neetha holt Luft, Raif fährt leicht erregt fort.) How's that supposed to make us feel? To be used by a church that holds us in this scant regard?

Neetha: I'm not here to talk philosophy, Raif. I'm here to formally ask for your assistance in matters of the church. Can the Halls of Light count on the helpfulness of the Fellowship?

Raif: Can the Fellowship send whoever the Fellowship sees fit?

Neetha: You'll have to answer that question for yourself, I'm afraid.

Raif: Well, then I'll be sure to forward your request to our leader.

 

Als sich Fleece und Raif im Ordenshaus wiedersehen, tauschen sie gleich ihre Neuigkeiten aus. Zwei Aufträge an einem Tag, zuerst die Stadt und dann die Kirche Amaunators, das ist kein Zufall. Und natürlich möchte Fleece Letztere nicht brüskieren, wofür sich Raif aber ausspricht. Er betont, wie befreit sich die Gemeinschaft nach Naneethas und Casmars Weggang fühlte, und fragt, warum man sich das jetzt erneut antun sollte. Fleece jedoch hat keine Lust auf diese Diskussion und überlegt, wen sie Neetha an die Seite stellen könnte. Raif hat ja Recht: Fast alle scheiden aus diesem oder jenem Grund aus. Die Kirche Amaunators verdammt Spiders bloße Existenz rundheraus, und in geringerem Maße gilt das auch für Zhai. Sie lehnt ferner die Profession von Jewel und Jaq ab und die Vergangenheit von J'avo, und Skaar ist in ihren Augen nur ein unzivilisierter Ungläubiger. Max wäre respektabel, würde allerdings nicht mitmachen, und Graywinter – der ja darauf bestanden hatte, einen "Auftrag" zu absolvieren – kann sie Neetha ganz gewiss nicht vor die Nase setzen. Das würde maßlos eskalieren, denn auch seine bloße Existenz ist in Amaunators Augen kriminell, und da Amaunator in Waterdeep kaum angebetet wird, würde Graywinter keinerlei Respekt für Naneetha aufbringen, obwohl er mit seiner Gabe von Natur aus gegen das Gesetz verstößt.

 

Fleece entschließt sich um des lieben Friedens willen, die beiden Priesterinnen zu begleiten – aber sie werden damit leben müssen, dass auch J'avo mitkommt. Für den anderen Auftrag bittet sie also Raif, pro forma für den respektablen Anschein das Kommando zu übernehmen und Graywinter mitzuschleppen. Raif ist generell nicht scharf auf eine Führungsposition und beklagt sich, aber Fleece macht ihm klar, dass Neetha insofern Recht hat, dass es in der Gemeinschaft der Ersten Sonne seit Jendaras Weggang nur noch drei respektable Mitglieder gibt, nämlich die Ordensmitglieder: Sie selbst, Max und Raif. Diese legitimieren den ganzen Rest, der schon viel weniger respektabel ist. Fleece kann sich auch Schöneres vorstellen, als mit Naneetha zu reisen, aber sie kann sich nicht zweiteilen, und wen sollte sie Raif an die Seite stellen, wenn er Neetha übernähme? Also soll Raif den Auftrag des Gond-Tempels ausführen und Fleece den von Neetha.

 

Am nächsten Tag sitzt Fleece in ihrem "Büro" mit Jaq und Jewel am Schreibtisch: Jaq wühlt sich durch behördlichen Papierkram, und Fleece spielt auf ihrer Khitara (Ezio's Family von Lucas Gitano Family), als es unten klopft. Jaq geht hinunter, öffnet und fragt die Unbekannte, was sie möchte. Die fragt zurück, ob Fleece da sei, woraufhin Jaq fragt, wer sie ist. Anstatt zu antworten, ruft die Frau ruppig ins Hausinnere hinein, welcher Idiot eigentlich auf die großartige Idee gekommen sei, so eine dumme Hinterwäldlerschlampe zur Ritterin zu schlagen. Fleece eilt die Treppe hinab und reißt die Frau laut lachend in ihre Arme – es ist Raveena Vambril!

 

Raveena: Sieh dich an! Im feinsten Zwirn wie eine noble Lady!

Fleece (wischt sich Tränen aus dem Gesicht, lacht aber): Und du siehst wie immer aus, als wärst du morgens im Freudenhaus aufgewacht und hättest deine Arbeitskleidung von gestern angezogen.

Raveena (lacht): Ich dachte, ich dreh durch, als ich das hörte. Eine Ritterin! Du!

Fleece: Wer hätte es sonst werden sollen? Sir Spider hat nicht denselben Klang.

Raveena: Ich habe die verrücktesten Geschichten gehört, Fleece. Die können nicht wahr sein.

Fleece: Raveena, was in aller Welt machst du hier?

Raveena (schnaubt grinsend): Hab im Ships' District von Dame Jhessail und Captain Corthala gehört und gesagt: Davon überzeuge ich mich besser selbst. (Sie klopft Jaq kumpelhaft gegen die Schulter.) Nichts für ungut, eh?

 

Jaq ist ein wenig konsterniert ob des unmöglichen Benehmens, aber den Namen Raveena kennt sie natürlich – sie hatte die Gemeinschaft im Frühsommer 1371 DR verlassen, ganz kurz bevor Jaq dazustieß. Jewel kommt runter, begrüßt Raveena und geht hinunter in den Keller, um Getränke zu holen, damit es Jaq nicht muss und sich dabei wie eine unwichtige Dienstbotin vorkommt, wofür diese ihr dankbar ist.

 

Fleece setzt sich mit Raveena unten an den großen Tisch, und sie müssen sich erst mal darauf einigen, wer zuerst was genau erzählt, denn beide platzen vor Neugierde. Fleece setzt sich durch und will erst mal wissen, wohin Raveena damals so heimlich verschwunden war und was sie seitdem getrieben hat. Raveena erzählt in groben Zügen und in neutralem Tonfall, dass sie das Abenteurerleben als selbstmörderisch empfand, daher als Matrosin auf einem Handelsschiff anheuerte und dabei geblieben ist. "Was dachtest du denn? Dass ich mir für Zaranda die Eingeweide durchbohren lasse und danach einfach wieder Leute kaltmache?" Fleece lächelt gerührt, fragt sich aber insgeheim, ob das wirklich wahr ist.

 

Raveena wechselte von Schiff zu Schiff, und Jahre später hörte sie im Hafen von Zazesspur von Dame Jhessail Scarpe und der Gemeinschaft der Ersten Sonne. Jedoch hatte diese keinen festen Wohnsitz, es gab also gar keine Chance, Kontakt aufzunehmen. Erst Anfang dieses Jahres, als sie erfuhr, dass die Gemeinschaft inzwischen ein Haus in Zazesspur besitzt, hat sie sich durchgefragt und mal vorbeigeschaut, aber es war niemand da. Ihr letztes Schiff war gerade an ein Handelskonsortium verkauft worden, das die Matrosen nicht mit übernahm, aber da von ihren alten Freunden niemand zu Hause war, heuerte sie auf einem Kahn an, der nur zwischen Port Kir und Zazesspur pendelt, und jetzt versuchte sie es halt wieder – mit mehr Glück als beim letzten Mal. "So, genug von mir, was ist mit den anderen?" Jetzt muss Fleece durchatmen, was Raveena nicht verborgen bleibt. Theon ist tot, ebenso Cordian, Ashe, Rhoedry, Nefirti, Raina und Iari, und Theons und Iaris Sohn Malphas wächst in Manshaka auf. Gegangen sind von denen, die Raveena kannte, Jen, Vardis und Kithain. Von der alten Garde sind nur noch Fleece, Jewel, Raif, Spider und Zhai übrig.

 

Das trifft Raveena offenbar härter als erwartet. Sie war immer die Schwarzmalerin, immer davon überzeugt: Das geht jetzt schief. Wegen der irrsinnigen Gefahren, die die Karotte vor der Nase in Form eines angeblichen Schatzes nicht wert war, verließ sie die Gruppe ja – da ist es nur folgerichtig, wenn sich ihre Befürchtungen im Nachhinein auch bewahrheiten. Doch Fleece weiß ja selbst, wie das ist, wenn sie an Gathalimae, Mace, Loras, Tobold oder Théah denkt: Solange sie nicht weiß, dass sie tot sind, leben sie noch. Raveena kann es nicht glauben. Sie hatte angenommen, dass sich Theon mit Iari und ihrem gemeinsamen Kind zurückgezogen hatte und deshalb niemand von einem Priester Lathanders in der Gemeinschaft der Ersten Sonne wusste.

 

Fleece muss natürlich alles erzählen, was sich in den letzten vier Jahren ereignet hat, und das dauert Stunden. In der Zwischenzeit kommen J'avo, Zhai und Skaar zurück, die außerhalb der Stadt unterwegs waren, und Raveena sieht zum ersten Mal im Leben einen Goliath und lernt den Südseepiraten kennen, mit dem sie viel gemeinsam hat und zu dem sie Fleece beglückwünscht. Noch etwas später kehren Raif und Spider ein, und es gibt ein noch größeres Hallo. Raveena konnte schon nicht fassen, wie sehr sich Fleece verändert hat, die ganz kurz nach Raveenas Abgang die Führung der Gruppe übernehmen musste, und jetzt auch noch Raif, der in seinem edlen schwarzen Leder und mit dem Vollbart und seinem Gebaren viel erwachsener als früher wirkt. Er und Spider sind die Einzigen, die immer gewusst haben, warum Raveena sie verlassen hatte, und so signalisiert er mit seinem Gesichtsausdruck die Frage, aber sie winkt nur ab – sie hat keine Lust, davon zu erzählen, schon gar nicht in immer größerer Runde. Als sie hört, dass Raif zwei Kinder hat, gibt sie ihr Bestes, so zu tun, als freue sie sich für ihn, aber er merkt ihr an, dass es ihr weh tut.

 

Fleece muss nicht moderieren, also ist sie gruppendienlich und spielt gut gelaunte Hintergrundmusik, um die Gespräche zu begleiten, und sorgt auch für Lacher, wenn sie an bestimmten Stellen, wenn jemand etwas erzählt, plötzlich eine komödiantische Passage oder einen ironischen Tusch spielt. Da man dank des Alkohols bald Lust zu tanzen hat, ziehen sie kurzerhand in Angbar's Anvil um. (Ohne Spider, Zhai und Skaar hätten sie den Weg in den nördlichen Market District zum schicken Hanging Garden auf sich genommen, aber sie ahnen, dass sie mit denen nicht reinkommen.) Raveena, Fleece, Raif, Jewel, J'avo, Jaq, Spider, Zhai und Skaar machen trotz der nüchternen und schmucklosen Location aus der Situation das Beste, Fleece spielt zum Tanz auf, und dank ihres neuen Zaubers aus New Olamn, Unseen Orchestra, hat sie quasi ihre Begleitband dabei. Den anderen Gästen gehen die Augen und Ohren über, und schnell werden sie dank Invoking the Passions angesteckt.

 

Nach viel ausgelassenem Feiern, Singen, Tanzen und Trinken ist man zu später Stunde ordentlich besoffen, und die schweren Vier-Augen-Gespräche kommen auf den Tisch, zu denen man nüchtern nicht in der Lage wäre. Raveena gesteht Fleece, dass sie damals schwanger war. Nach Almraiven zurückzukehren und die schwangere Iari zu sehen, gab den Ausschlag: Sie wollte nicht, dass irgendjemand sie oder ihr Kind durchfüttern muss, und sie wollte es auf jeden Fall behalten, und das konnte sie in diesem gefährlichen Leben nicht. Die heimliche Flucht rührte nur daher, dass sie wusste, dass Fleece sie breitschlagen würde, wenn sie die Chance bekäme, also gab sie sie ihr gar nicht erst. Ihr Kind verlor sie jedoch kurz vor der Geburt. Raveena fiel in ein tiefes Loch und lebte von ihrem (damals nicht sehr hohen) Anteil, und als dieser aufgebraucht war, musste sie wieder arbeiten. Sie verschwendete keinen Gedanken daran, zu ihren Freunden zurückzukehren, sondern heuerte wieder an und lebte ein unwichtiges, sinnloses Matrosenleben. Seitdem hat sie sich tausendmal gefragt, was wohl gewesen wäre, wäre sie nicht schwanger geworden – oder nicht gegangen.

 

Raveena ist besoffen genug, um die Dämme brechen zu lassen und sich so richtig bei Fleece auszuheulen, die sich fragt, ob das hier vielleicht das erste Mal seit vier Jahren ist, dass sie jemanden hat, bei dem sie das kann – sie sind einander so vertraut, haben so viel miteinander ausgestanden, dass es sich anfühlt, als sei gar keine Zeit vergangen. Raveena leidet darunter, nicht zu wissen, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hat – es sollte doch die richtige Entscheidung für ihr Kind sein. Warum ist sie für ihr Opfer, diese Gruppe zu verlassen, in der sie Dinge von Belang tun konnte, so bestraft worden, indem ihr ihr Kind weggenommen wurde? Wie hätte sie da noch unter die Augen ihrer Freunde treten können? Das kam nicht infrage. Sie hat so sehr versucht, sich an das belanglose, leere Leben, das sie seither führt, zu gewöhnen, aber wer einmal dieses hier geführt hat, kann das nicht mal eben vergessen, nicht einfach wieder in die Bedeutungslosigkeit zurückkehren. Fleece nimmt Raveenas verheultes Gesicht in die Hände und versichert ihr ernst, dass sie hier immer einen Platz haben wird.

 

Sturzbetrunken ist vieles schnell versprochen, sagt sich Raveena am nächsten Morgen, als sie schwer verkatert im Keller des Ordenshauses auf einem Strohlager erwacht, während Jaq und Jewel in der Kellerküche das Frühstück zubereiten. Doch oben am Frühstückstisch meint Fleece beim Kaffee leichthin, dass Raveena ja vielleicht Lust auf ein kleines Abenteuer habe – ganz unverbindlich. Diese ziert sich, weil sie nicht erwartet hatte, so mit offenen Armen empfangen zu werden. Seit ihrer Trennung haben diese Abenteurer richtig Karriere gemacht und sind in Tethyr zu Berühmtheiten geworden – Raveena war davon ausgegangen, dass sie sich ihr nicht mehr verbunden fühlen würden, weil sie inzwischen so viel mehr erlebt und geleistet haben, das sie mit Raveena eben nicht teilen. Sie meint, sie lege sich hier ins gemachte Bett, während andere in den letzten vier Jahren nicht von der Seite der Gruppe gewichen sind, aber Fleece unterbricht sie: Niemand denke das von ihr, und sie habe jedes Recht, hier zu sein – einmal ein Mitglied der Gemeinschaft, immer ein Mitglied der Gemeinschaft. Raveena überspielt ihre Rührung (Rührseligkeit ging ihr schon immer auf die Nerven, erst recht bei sich selbst) und meint, der Pott, der zwischen Port Kir und Zazesspur pendelt, komme vermutlich auch ohne sie klar.

 

Max ist mit seinen Studien beschäftigt, und sogar Gilborn bildet sich im Chauntea-Tempel fort. Jewel sieht bei beiden Aufträgen keine Notwendigkeit, mitzukommen, und Fleece vertraut ihr die Repräsentation der Gemeinschaft an. (Sie ist eine stadt- und gesellschaftskundige Elfe, bei der man andere Maßstäbe als bei Menschen anlegt, und dass sie eine professionelle Diebin ist, weiß ja niemand.) Jewel reagiert erstaunt angesichts der Tatsache, wie viel "Ärger" Fleece mit ihr hatte, bedankt sich aber für das Vertrauen. Raveena lässt Fleece wissen, dass sie gern mal wieder alte Zeiten aufleben lassen würde: Ja, sie würde gern mitkommen, egal, wohin. Fleece weiß, wie sehr sie und Naneetha aneinandergeraten würden, und schickt sie mit Raif mit. Zu ihrer Überraschung meint aber auch Zhai, dass sie mal aussetzen werde. Fleece war fest davon ausgegangen, dass sie sich freuen würde, mit Raif (und nun auch Raveena) mal wieder auf Reisen zu gehen. Sie ahnt nicht, dass Zhai, obwohl sie das tatsächlich liebend gern täte, nicht noch mehr Zeit mit Graywinter verbringen möchte. Sie hasst es, dass er eine so starke Wirkung auf sie hat – eine anziehende und eine einschüchternde, eine schlimmer als die andere –, und möchte sich noch weiter "entwöhnen". Dass Geiron Hawkwinter sie eingeladen hat, bietet ihr einen guten Vorwand – wer wollte etwas gegen eine Dunkelelfe sagen, die Umgang mit dem Lieblingsneffen der Gräfin von Calimmon pflegt?

 

Raveena kennt Fleece zwar schon lange, aber sie jetzt im "normalen" Umgang mit den anderen zu erleben, zeigt ihr doch eine ganz andere Frau als früher – damals grundlos, heute mit Recht selbstbewusst, und wer hätte je gedacht, Fleece würde eines Tages verantwortungsvoll sein? Auch strahlt sie warme Autorität aus, die Raveena ihr früher niemals zugetraut hätte, und im Gegensatz zu Theon, der sich damit immer schwer tat, führt sie tatsächlich – und jeder erkennt ihre Führung als etwas ganz Natürliches an. Wie merkwürdig ist das denn? Fleece geht ebenso liebevoll und freundlich mit ihren Gefährten um wie die mit ihr, aber was sie sagt, wird getan. Daran wird sich Raveena erst noch gewöhnen müssen.

 

Tags drauf treffen sich Raif, Raveena, Jaq, Spider und Skaar am Stadttor sowohl mit Graywinter als auch mit dem lebhaften gnomischen Gondar Griscoe Shacklebolt und der ungepflegt und versoffen aussehenden Kutscherin Gulda, die das Fuhrwerk für die Waren steuert. Der überraschte Raif lässt sich von Griscoe aufklären, dass die Gnome Gond ebenso verehren wie die Menschen, nur dass sie ihn Nebelun nennen – die Kirche Gonds ist eine der wenigen im faerûnischen Pantheon, der auch Nichtmenschen angehören.

 

Raveena interessiert sich auf Anhieb deutlich mehr für den Zauberer, und dieser flasht sie wie so viele andere mit seinem Aussehen und seinem Charisma. Sie scheint ihm auch zu gefallen, denn die Spitzen, die sie austauschen, sind schon nicht ohne, und beide spielen in den nächsten Tagen "hard to get". In den Phasen des Zappelnlassens und Ignorierens – er sie oder sie ihn – hat Raveena also ausreichend Zeit, mit Raif und Spider darüber zu reden, wie schön es ist, mal wieder zu Pferd mit Freunden unterwegs zu sein. Da bis auf Skaar alle beritten sind, hat dieser hinlänglich Gelegenheit, sich körperlich zu verausgaben. Die knapp 400 Meilen entlang der Ithal Road zur Hauptstadt sollten in unter einem Tenday zu bewältigen sein. Unterwegs erklärt der freundliche Griscoe, dass die Priesterschaft Gonds in Grade eingeteilt ist: Als frischgebackener Geweihter beginnt man im Zwölften Grad und arbeitet sich vor bis zum Ersten. Was Sarelka abholen sollte, darf er nicht sagen.

 

Ein Running Gag wird auch, dass Gulda, nicht die Hellste und daher auch nicht fähig, ihre Chancen einzuschätzen, sich unübersehbar nach Raif und Graywinter verzehrt und beide massiv anbaggert. Der Zauberer verhöhnt sie brutal, so dass selbst sie bald eingeschüchtert merkt, dass sie bei ihm nicht landen kann, und sich auf Raif konzentriert, der Graywinters Grausamkeit natürlich nicht aufbringt – was sowohl Raveena als auch Spider amüsiert.

 

Natürlich führt die Straße an der berühmten ausgebrannten Ruine von Castle Tethyr vorbei, und nicht weit davon entfernt kehrt man im Gasthaus an der Straße ein. Die Stimmung ist gelöst, was nicht zuletzt an Raveena liegt, der Raif förmlich ansieht, wie sehr sie dieses "Genau wie früher" genießt, nur dass es im Gegensatz zu früher nicht geradewegs ins nächste selbstmörderische Abenteuer geht, sondern nur zu einem ganz normalen Auftrag. Sie liefert sich mit Graywinter einen heißen Schlagabtausch, bei dem jedem Zuschauer klar ist, dass die beiden einander an die Wäsche gehen werden, und bald ziehen sie sich auf Raveenas Zimmer zurück.

 

Am nächsten Morgen fällt Jaq Raveenas Verhalten Graywinter gegenüber auf – zwar interagieren sie kaum, aber sie sieht oft zu ihm rüber, und etwas scheint sie zu beschäftigen.

 

Raveena kennt Jaq längst nicht gut genug, um sich ihr anzuvertrauen, und mit Raif könnte sie niemals darüber reden, aber der Zauberer lässt ihr keine Ruhe. Sie steht auf dominante Männer, aber er war schon hart an der Grenze, und sie war sich ehrlich nicht sicher, ob er aufgehört hätte, hätte sie "Stop!" gesagt. Gleichzeitig haben sie dieses Ausgeliefertsein und die Ungewissheit extrem angeturnt. Hat er sie zu seinem Spielzeug gemacht, weil sie ihn spüren ließ, dass sie darauf steht, oder ist er grundsätzlich so? Kaum ein (zivilisierter) Mann geht normalerweise beim ersten Mal so ran, wenn er sein Gegenüber noch nicht kennt – sie hatte genug, um das zu wissen. Außerdem hatte sie selber nicht von sich gedacht, so viel Spaß daran zu haben, so devot zu sein. Jetzt aber fühlt es sich im Rückblick pervers für sie an, dass das, was sie mit so viel Leidenschaft erfüllte, vielleicht mit einem ignorierten "Nein!" zu einem Albtraum geworden wäre. Sie sagt sich rein logisch, dass er das nicht gewagt hätte, weil ihn spätestens am nächsten Morgen Raif auseinandergenommen hätte, aber die Unsicherheit bleibt – und gleichzeitig das Verlangen nach mehr. Aber diese Art Sex ist unterwegs nicht möglich, dafür bräuchte es das nächste Gasthaus.

 

Ein paar Tage später treffen sich Fleece und J'avo mit Naneetha und ihrer jungen Kollegin, Grelaith Gavaudon. Wäre das Gewand nicht, würde man sie nicht für eine amaunatorianische Priesterin halten: Sie ist etwas schüchtern, aber freundlich, neugierig und umgänglich. Neetha wiederum wusste nicht, dass J'avo tatsächlich immer noch mit von der Partie ist, und fühlt sich vor den Kopf gestoßen. Nun ist er zwar edel gewandet, aber soweit es sie betrifft, kann man einer Ratte auch eine Schleife umbinden, es bleibt eine Ratte. Schon fürchtet sie, dass er Fleece gewiss davon erzählt hat, was sie auf der Rückreise aus Cormyr in Amn getan hatte und wofür sie sich noch immer in Grund und Boden schämt, und unbewusst gibt sie ihm sogar die Schuld dafür, dass das jetzt für sie wieder auf dem Tisch landet und sie sich ständig fragen muss, was Fleece weiß – und dafür verachtet sie ihn noch mehr als ohnehin schon. Davon abgesehen führt seine Anwesenheit ihr auch wieder vor Augen, dass ihr Wunsch, er möge so schnell wie möglich verschwinden, einfach übergangen wurde, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, dass ihre Meinung nicht zählt. Sie ist eine Priesterin Amaunators, und so respektiert man ihre Wünsche? Pikiert merkt sie an, überrascht zu sein, dass es ihn so lange an der Seite der Gemeinschaft gehalten hat, worauf Fleece erwidert, dass er, soweit es sie betrifft, nicht nur an der Seite der Gemeinschaft steht, sondern ihr angehört – das konnte sie sich einfach nicht verkneifen.

 

Der Kutscher Darwayn lenkt die Kutsche mit Neetha und Grelaith, Fleece und J'avo reiten vorneweg. Sie erfahren, dass die junge Grelaith gerade erst ihre Weihe hinter sich hat und nun als neue Dorfpriesterin in Sunshire arbeiten und den alten Luminifer Partholon ablösen soll, der seine letzten Jahre bei seiner Familie in Zazesspur verbringen möchte. Sunshire trägt seinen passenden Namen nicht zu Unrecht, denn dort kam der spätere Heilige St. Owilmar zur Welt, weshalb der Dorftempel natürlich ein Lathander-Tempel war (und seit der "Machtübernahme" umgeweiht wurde).

 

Es geht am Nordufer des Sulduskoon entlang und einige Meilen vor dem Zufluss des Hawkwing's Brook ins Hochland der Starspire Mountains. Der letzte Teil der kurzen Reise verläuft zäh, da die Kutsche den steilen Trampelpfad kaum bewältigen kann und nur langsam vorankommt.

 

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Im kleinen, idyllischen Bergdorf Sunshire sieht man nicht oft Besuch, und dann auch noch zwei reiche Reiter und zwei amaunatorianische Priesterinnen. Fleece staunt, wie sehr sich die Leute über die beiden Geweihten freuen, denn da Partholon hier schon seit Jahrzehnten der Geweihte ist, verkörpert er quasi die gesamte Götterwelt, soweit es das abgeschiedene Dorf betrifft.

 

Partholon (Gene Wilder) ist zwar noch rüstig, aber tatsächlich schon ziemlich alt – er hätte längst in den verdienten Ruhestand gehen können. Der Priester wirkt gütig, bescheiden und unglaublich freundlich, und Fleece verliebt sich Hals über Kopf in seine ruhige Art und seinen leisen, feinen Humor – Partholon könnte nicht weiter von dem entfernt sein, wie man sich einen Amaunatorianer vorstellt. Auch J'avo merkt das leise an. Fleece erklärt ihm, dass Lathander der wiedergeborene Amaunator gewesen sein mag, aber Amaunators Kirche ist der Tyrs viel ähnlicher als der Lathanders. Neetha empfing ihre Weihe, als die Kirche bereits etabliert war – die meisten Priester dagegen gehörten den Kirchen Lathanders, Tyrs und Siamorphes an und ließen sich umweihen, und die bei Weitem größte war die Lathanders. Da sollte es nicht überraschen, auch genug freundliche, aufgeschlossene Geweihte zu finden.

 

Man schaut sich den Tempel an und erfährt, dass der Gong uralt ist, und der ursprüngliche Schläger ist schon lange verschollen. Um den Haushalt kümmert sich der alte Roryn, dessen Kinder wie auch die Partholons in die Stadt gezogen sind. Roryn ist jedoch dessen komplettes Gegenteil: brummig, grantig und auf herrliche Weise respektlos. Dennoch wirken die beiden vertraut wie ein altes Ehepaar, und Fleece fragt sich, ob da vielleicht mehr im Spiel ist.

 

Beim gemeinsamen Abendessen im Tempel erzählt Partholon frei heraus, wie schwierig die Zeit der Umstellung für ihn war, als Lathander ihm nicht mehr antwortete, aber stattdessen Amaunator. Doch er ist der Wahrer der Ordnung, und nichts hält die Welt so zusammen wie diese – daher ist Partholon dankbar dafür, sein Geweihter sein zu dürfen. Für die Menschen in Sunshire ist das ohnehin nicht so sehr von Belang: Als Dorfgeweihter ist man Mädchen für alles und repräsentiert alle guten Götter.

 

Fleece merkt, dass Partholon auf Neetha nicht dieselbe Wirkung hat wie auf sie selbst: Die Priesterin ist höflich und freundlich, aber auch diskret distanziert, wertend, beurteilend, als wolle sie für die junge Grelaith einen Gegenpol zu Partholon bilden, der die Welt so viel entspannter und nachsichtiger sieht als sie selbst. Ferner nimmt sie spürbar Anstoß an Roryns brummiger Art, und auch wenn sie ihn in diesem Tempel, in dem sie nichts zu sagen hat, nicht zurechtweisen kann, wenn es der Tempelherr nicht tut, versucht sie Grelaith doch immer wieder subtil zu demonstrieren, dass man sich in Gegenwart von Geweihten nicht so zu verhalten hat – als Geweihter ist man schließlich jemand. Als sie obendrein vernimmt, dass Roryn Partholon bei seinem Umzug nach Zazesspur begleiten soll, wird auch Neetha misstrauisch.

 

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Am nächsten Morgen leitet Partholon die Morgenandacht und stellt Grelaith dabei seiner Gemeinde vor. Weil dies sein letzter Tag ist, platzt der kleine Tempel aus allen Nähten, ganz Sunshire ist da, um von seinem geliebten Priester Abschied zu nehmen. Neetha findet die Andacht nicht zeremoniell genug, viel zu sehr in freier Form, kann aber natürlich nichts sagen. Danach verabschiedet sich jeder Dörfler persönlich von Partholon, und es ist schon Mittag, als es endlich losgehen kann. Grelaith schlägt den Gong zur Mittagsandacht, wie sie es gelernt hat, aber hier auf dem Dorf hat man mittags anderes zu tun.

 

Die wichtige Ithal Road nach Darromar weist genügend Gasthäuser auf, so dass man je nach Reisegeschwindigkeit nur alle zwei Nächte oder seltener im Freien übernachten muss. Daher waren Raif, Spider, Raveena, Jaq, Skaar und Graywinter abermals eingekehrt, aber Raveena fühlte sich bei dem Versuch, Graywinter ihr Interesse zu signalisieren, gehemmt, und letztlich nahm er sich ein Schankmädchen, das sich ihm nur so an den Hals geworfen hatte. Raveena konnte nicht verhehlen, eifersüchtig zu sein, und brachte Raif grob zum Schweigen, als er darüber scherzte. Nun aber erreichen sie Darromar wohlbehalten. Jetzt muss man mit Spider und Skaar natürlich ohne Fleeces Hilfe an den Torwachen vorbeikommen. Raif weist Graywinter darauf hin, dass er nichts mit ihm zu tun haben will, wenn er nicht sein Schwert versteckt – er transportiert es schließlich auch eingepackt, obwohl er denkt, dass es ihm als Mitglied des Ordens der Ersten Sonne gestattet sein müsste, es zu tragen. Meistens kommt es ja nicht mal dazu, dass man überhaupt gefragt wird, denn Kleider und Aussehen machen Leute – aber mit diesen Begleitern garantiert nicht, und nach einem Ritter sieht hier auch niemand aus.

 

Die Torwachen behandeln Raif, der offensichtlich von Stand ist, respektvoll, wollen Spider und Skaar aber keinen Zutritt gewähren. Jaq, die sich mit Serene Visage belegt hat, bequatscht die Wachen aber mit ihrem Auftrag für den Gond-Tempel – Griscoe bezeugt dies ja – und ist erfolgreich: Alle, die nicht von Stand sind, müssen versprechen, ihre Waffen in ihrem Gasthaus zu hinterlegen.

 

Gesagt, getan, man richtet sich im Temple Quarter im Cold Moon Inn ein und will den Abend in einer Taverne verbringen, da es schon kurz vor Torschluss ist. Aber der "Riese" wird nirgends eingelassen. Bei der dritten Taverne reicht es Raif, und verärgert tut er, was er eigentlich nicht leiden kann: Er spielt die Promi-Karte. Nun freut sich der Wirt plötzlich, sie bewirten zu dürfen, und auch von den Gästen gibt es Reaktionen. Die Abenteurer bekommen sogar mit, dass Spiders Name hier bekannt ist, weil er die selbstmörderische Rettungsaktion aus der brennenden Villa durchgezogen und Illeena rausgeholt hatte. Er läuft zwar immer so gut vermummt wie möglich in der Öffentlichkeit herum, legt nun aber das Mundtuch ab, und siehe da, nun, wo sie ihn erkennen, wollen einige Mutige dem Tiefling sogar ein Ale ausgeben (auch wenn die meisten nervös auf Abstand bleiben).

 

Raveena ist nach wie vor verblüfft von solchen Reaktionen. In Zazesspur hat man sich fast schon an die Gemeinschaft gewöhnt und akzeptiert sogar zähneknirschend die Exoten, aber hier in Darromar sind die Helden nie wieder gewesen, und sie kann sich noch immer nicht vorstellen, wie es sein muss, dass man etwas Bemerkenswertes getan hat, sein Leben weiterlebt, sich die Legende darüber verselbstständigt und man ihr bei seiner Rückkehr begegnet. Sie glaubt auch, Graywinter den "Das will ich auch"-Gedanken ansehen zu können. Ihm gefällt eine Schankmaid, und seine eindeutigen Blicke machen ihr seine Wünsche klar, die offenbar auch auf Gegenliebe stoßen. Raveena ist klar, dass sie ebenso wenig etwas mit ihm anfangen will wie er mit ihr, aber dass er sich sofort nach der Nächsten umsieht, nimmt sie schon etwas persönlich.

 

Stadtgespräch ist, dass in wenigen Tagen ein Turnier und eine große Hochzeit des Grafensohnes Taral Grannox mit einer Adligen aus den Purple Hills ansteht. Daher ist in Darromar auch jede Menge los.

 

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Am nächsten Tag begleiten Raif und Spider Griscoe zu der Händlerin, bei der Sarelka eingekauft hat, wo sie erfahren, dass es hier um große Mengen Schwefel ging. Die Händlerin wirkt nicht, als habe sie etwas zu verbergen, als sie erzählt, dass Sarelka samt Gehilfen hier war, wie viel sie gekauft hat und dass die Händlerin so viel Schwefel erst wieder bestellen müsste, wollte man dieselbe Menge noch mal kaufen. Sarelka wird sich kaum auf dem Heimweg verirrt haben, also was ist geschehen?

 

In drei Grüppchen (Raif und Spider, Raveena und Graywinter sowie Jaq allein, während Skaar gelangweilt im Cold Moon Inn warten muss) klappern sie vom Südtor aus die Gasthäuser im Caravan Quarter ab und fragen überall nach einer alten Gondar, bleiben aber erfolglos. Nicht wissend, wie viel Zeit sie in Darromar verbringen werden, besuchen Raveena und Graywinter auch den Queen's Market, von wo Raveena versonnen aus der Ferne den Faerntarn betrachtet. Darin sitzt also das Königspaar, für das sie damals Theon zuliebe in den Krieg gezogen ist.

 

Abends treffen sie sich wieder: Sie haben nicht mal das Gasthaus finden können, in dem Sarelka untergekommen war. Plötzlich hat Jaq eine Idee: Wenn man schon so namhaft ist wie die Gemeinschaft der Ersten Sonne, warum sollte man sich nicht an die Obrigkeit wenden?

 

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Am folgenden Tag geht Jaq also einfach zur Stadtwache und stellt sich als Mitglied der Gemeinschaft der Ersten Sonne vor, und wie sie sich erhofft hat, rennt sie damit offene Türen ein, denn in den drei Jahren, seit die Gemeinschaft das letzte Mal hier war, ist auch hier ihr Ruhm gewachsen. Schließlich haben die Helden Darromar damals aus dem Griff eines Hochstaplers befreit, der sich als Erzpraetor des Amaunator-Tempels ausgab und der Stadt weismachte, die Schwarze Wut sei ausgebrochen, und obendrein eine Verschwörung aufgedeckt, so dass sogar Herzog Hembreon hierher kam, um sie zu belohnen. Ihre übrigen Heldentaten haben sich außerdem natürlich auch hierher herumgesprochen.

 

Die Garde unterstützt Jaq also, indem sie ihr jemanden mitgibt, der sie ins Caravan Quarter begleitet, und dort findet sie den Wächter, der sich daran erinnern kann, dass die Gondar samt Gehilfen und beladenem Fuhrwerk die Stadt auch wieder verließ. Er hat Gerüchte gehört, dass sie Schwefel kauft, um Schwarzpulver herzustellen. Jaq fällt auf, dass ein Gardist um Unauffälligkeit bemüht den Raum verlässt, aber was soll sie schon sagen oder gar machen? Vermutlich will er nur einen Kameraden holen, weil jemand aus der Gemeinschaft hier ist.

 

Die im Caravan Quarter stationierte Gardehauptfrau Rellion verrät Jaq, dass es etwa eine Tagesreise westlich von Darromar eine Burgruine gibt, in der sich hin und wieder Banditen einnisten. Die Garde hat dieses Nest schon einige Male auszuheben versucht (mal erfolgreich, mal mussten sie sich angesichts zu starker Gegner zurückziehen, und als sie mit Verstärkung zurückkamen, war die Ruine leer), aber die Banditen kommen einfach immer wieder – es ist ein zu guter Stützpunkt, doch die Garde hat nicht das Personal, eine unbedeutende Ruine dauerhaft zu besetzen. Rellion beschreibt, wie man sie von einem Meilenstein samt Wegweiser aus findet.

 

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Die Gruppe bricht inklusive Griscoe und Gulda früh am Morgen auf und reist zügig. Gegen Abend merkt sie, dass sie es entgegen ihrer Hoffnung nicht vor Einbruch der Dunkelheit schaffen wird – ohne Griscoes Fuhrwerk hätte das vielleicht anders ausgesehen –, als leise weit entfernte Schreie und Kampfgeräusche an ihre Ohren dringen. Bevor Jaq zur Vorsicht mahnen kann, prescht Raif los, Skaar sowieso, und dann auch Spider, Graywinter und mit einem genervten "Verdammt!" zuletzt Raveena. Jaq bleibt vorsichtshalber beim Gespann.

 

Sie erreichen im feurigen Abendrot den schwer bewachten kleinen Wagenzug, den sie vor ein paar Tagen überholt hatten: Die Wachen wehren sich tapfer gegen eine große Horde Banditen, inmitten derer sogar zwei Trolle kämpfen, ein unglaublich massiver, martialisch aussehender und ein schlanker, umso größerer. Ohne Rücksicht auf Verluste reitet Raif am Rand entlang und holt einige Banditen von den Beinen, und dank sehr guter Ride-Checks spielt Trickster mit, obwohl er kein Streitross ist. Spiders Ghost scheut schon von Weitem, so dass er absteigt und mit Sneak Attacks den mit den Wachen beschäftigten Banditen den Garaus macht. Raveena zögert: Sie ist das einfach nicht mehr gewohnt, und eine gute Reiterin war sie auch noch nie. Aber sie kann ihre Freunde natürlich nicht im Stich lassen, also steigt sie ab und mischt mit. Graywinter bleibt hoch zu Ross, feuert aber aus sicherer Entfernung Kampfzauber ab, die die tiefen Schatten erhellen. Trolle sind oben im Norden ein viel größeres Problem als hier unten, und er weiß, dass er ihnen am meisten weh tun kann, beharkt sie also mit Feuer. Der eine oder andere Bandit reagiert und wechselt zum Bogen, aber Graywinter bleibt in Bewegung und wird nicht getroffen.

 

Raif kennt seine Qualitäten: Mit den Trollen legt er sich nicht an, sondern dünnt lieber die Reihen der menschlichen Banditen aus, wobei Spider und Raveena versuchen, in seiner Nähe zu bleiben. Mit großer Verspätung erreicht Skaar das Schlachtfeld (er ist zwar gerannt wie ein Irrer, aber mit Pferden kann er wahrlich nicht mithalten), gönnt sich auch keinen Durchatmer, sondern legt sich gleich mit dem massiven Troll an. Das war natürlich zu befürchten, und als Trickster seinen Reiter abwirft, weil ein Check misslingt, tötet Raif seinen Angreifer und springt Skaar bei, sogleich auch Spider. Bei aller Liebe: Raveena widmet sich weiter den menschlichen Gegnern. Graywinter unterstützt den Kampf gegen den Troll weiter aus der Ferne, denn die Wunden, die er schlägt, kann der Gegner nicht regenerieren.

 

Der schlanke Troll tötet gerade einen Wächter und erkennt, dass sich das Blatt gewendet hat: Die Verluste sind jetzt schon zu groß und ein Sieg inzwischen viel zu ungewiss. Laut ruft er zum Rückzug in den Wald. Der martialische Troll scheint davon nicht begeistert zu sein, geht aber in die Defensive und will sich zurückziehen. Skaar ist das natürlich egal, gekämpft wird bis zum Tod, also setzt er nach und achtet nicht auf Raif, der ihn zurückruft. Der Troll fegt Skaar aber mit einer starken Attacke von den Beinen und setzt seinen Rückzug fort. Raif wirft sich Skaar entgegen, als sich dieser aufrappelt, und versucht ihn mit Spider lange genug festzuhalten, um ihm zu sagen, dass Skaar, wenn er ihm allein folgt, von der Übermacht getötet wird. Der Goliath gibt nach, wirft aber wütend seine Keule auf den Boden. Noch vor einem Jahr wäre er nicht zu halten gewesen, aber er hat viel gelernt.

 

Raif sieht sich um, wo er noch helfen kann, und fragt, wer diese Leute sind. Eine Offizierin weist ihn ruppig zurecht, das sei nicht seine Angelegenheit – womit sie sich weit aus dem Fenster lehnt, denn sie weiß ja nicht, wen sie vor sich hat, auch wenn Raif zwar praktische, aber immer noch hochwertige Reisekleider trägt. Vom Pferd aus fährt Graywinter sie schneidend arrogant an: "A little respect if you please, woman!" Raif verdreht innerlich die Augen, dass dieser eingebildete Bastard die Situation eskalieren zu lassen droht, aber Intimidate sitzt: Seine Arroganz und Schärfe lassen sofort jeden an einen Adligen denken oder, da der Akzent fremdartig klingt, doch wenigstens an einen wichtigen Mann, der Widerrede nicht gewohnt ist und auch nicht tolerieren muss, und widerwillig neigt die Offizierin knapp den Kopf und murmelt scheinbar eine Entschuldigung.

 

Inzwischen ist aber schon eine junge Edeldame (Christa Théret) in einem teurem Kleid aus der Kutsche gestiegen – ihre Kammerfrauen konnten sie nicht davon abhalten. Natürlich hat sie aus der Kutsche heraus alles gesehen, stellt sich Raif und Graywinter als Lady Glenith Harmlyn vor und bedankt sich für die Hilfe, die offensichtlich ihrer aller Leben gerettet hat. Sie ist durchaus ansehnlich, aber nicht auffallend hübsch, doch im Gespräch wirkt sie durch ihre ruhige, trotz der jungen Jahre würdevolle Ausstrahlung recht sympathisch. Man bekommt den Eindruck von einer jungen Adligen, die ihre Position in der Welt ernst nimmt: Es geziemt sich nicht, die Retter nicht respektvoll zu begrüßen, da es der Anführer des Wagenzugs gerade nicht kann, weil er verwundet wurde. Diesen stellt sie als Sir Zavion Randaluth (David Suchet) vor. Die raue Offizierin zieht ihm gerade das Kettenhemd über den Kopf, um seine Wunde zu begutachten.

 

Graywinter steigt ab und verneigt sich selbstsicher lächelnd, womit er jeden Anschein von Demut aus der höflichen Geste nimmt, aber Raif verneigt sich amnisch und küsst geübt Lady Gleniths Hand, womit er bestätigt, was seine Kleider versprechen. Danach wendet er sich Sir Zavion zu. Auf dem Weg zu ihm murmelt ihm Spider zu.

 

Spider: Don't even think about it.

Raif: About what? (Spider sieht zu Lady Glenith.) What?

Spider: You know perfectly well what I mean.

 

Sir Zavion hat einen üblen Streitkolbenhieb abbekommen, der ihm die rechte Schulter gebrochen hat. Raif verabreicht ihm einen Heiltrank, der die gröbsten Schäden beseitigt. Lady Glenith lässt inzwischen ihr Reitpferd fertig machen und weist die Wachen an, die Verwundeten in der Kutsche zu transportieren. Als sie jedoch erfährt, wie viele das sind, wird ihr klar, dass zwei Drittel ihrer Bedeckung getötet oder kampfunfähig gemacht wurden. Spider holt Griscoe und Gulda, damit die Leichen auf das Fuhrwerk geladen werden können. Danach empfiehlt Raif dringend, nicht hier zu lagern, sondern noch mit Beleuchtung weiterzureisen. Es versteht sich von selbst, dass man jetzt erst mal für die sichere Reise der Dame sorgen wird. Natürlich wird ein schneller Reiter entsandt, der Geleitschutz aus Darromar holen soll.

 

Im Schein der Fackeln reitet Raif neben Lady Glenith und erfährt, dass sie aus Fairfields kommt, das die Helden auf ihrer Reise nach Darromar passiert haben.. Sie ist die künftige Frau von Taral Grannox, kennt ihren baldigen Gemahl aber noch gar nicht, und nun reist sie mit ihrer Mutter, Lady Nithra Harmlyn, zur großen Hochzeit. Ihr Vater ist im Reklamationskrieg gefallen, daher ist ihre Mutter auf eine gute Verheiratung ihrer Tochter angewiesen. Aus der Stadt Darromar kam kein Geringerer als der Ratsherr Sir Zavion Randaluth, um für ihre sichere Reise zu sorgen.

 

Von der Gemeinschaft der Ersten Sonne hat Glenith bereits gehört, und sie freut sich, sie mal kennen lernen zu dürfen. Jetzt ergeben der Tiefling und der "Riese" Sinn für sie.

 

Nichts an der Situation kommt Raif merkwürdig vor. Das waren keine abgerissenen Hungerleider, sondern professionelle Räuber, und nur solche, dazu noch in so großer Zahl, können hoffen, mit gerüsteten und geübten Wachen wie diesen fertig zu werden. Es war offensichtlich, dass der schwer bewachte Wagenzug einen Adligen und seine Güter transportiert, und im Gegensatz zu Händlern, bei denen es sinnvoll ist, ihnen Angst zu machen, damit beide Seiten kein Leben verlieren, ergeben sich Ritter nicht mal so eben. Also haben die Banditen das Überraschungsmoment ausgenutzt und brutal angegriffen, um alle zu töten, sich die Reichtümer zu greifen und für den Adligen ein Lösegeld zu verlangen. Das hätte ja auch fast funktioniert.

 

In kompletter Dunkelheit wird ein provisorisches Lager errichtet, aber da ein Bürgerlicher nur so viel Kontakt wie nötig mit Adligen haben sollte, werden weitere Gespräche mit Glenith unterbunden. Sir Zavion bedankt sich für die Verarztung. Er wirkt würdevoll und distinguiert, und Jaq stellt ein wenig Herablassung gegenüber den Abenteurern fest, die er jedoch gut kaschiert. Dass er ihnen aber zusichert, in der Stadt entsprechend entlohnt zu werden, zeigt, dass er sie mit Söldnern gleichsetzt und den "Handel" damit als abgeschlossen betrachten wird.

 

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Während Lord-Mayor Ternan Grannox (Mehmet Scholl), seine schöne, aber kühle Gemahlin Brenna (Alexandra Popescu) und ihre Kinder frühstücken, tritt ein Bote ein und berichtet vom Überfall. Man habe seine Lordschaft nicht wecken wollen, aber natürlich bereits einen Tross entsandt, Lady Glenith sicher in die Stadt zu holen. Ternan ist entsetzt, während sich Brenna sogleich fragt, ob das ein zufälliger Überfall war.

 

Glücklicherweise unterblieb ein weiterer Angriff in der Nacht, und schon am Vormittag kommt den Reisenden ein berittener Tross entgegen, der sie nach Darromar geleitet. In der Stadt weist Sir Zavion die Gardisten an, die Abenteurer zu entlohnen, nickt noch einmal und geleitet die Kutsche weiter, ohne dass sich Glenith verabschieden könnte. Die Abenteurer sind halt Niemande, das ist ein ganz normales Verhalten – ohne Dame Jhessail gibt es hier nun mal niemanden auf Augenhöhe. Dennoch fällt es Raif schwer, das zu schlucken, denn er hat sich schon oft in gehobenen Kreisen aufgehalten, hat dort viel bewegt und ist auch dementsprechend besser behandelt worden. Normal behandelt zu werden, fällt ihm nun schwer zu akzeptieren. Ohne zu überlegen, schlägt er die Bezahlung aus, mit der er sich nur noch mehr wie ein Söldner fühlen würde. Raveena knurrt ihn an, dass er es vielleicht zu Reichtum gebracht hat und darauf verzichten kann, sie aber nicht. Graywinter besteht provokativ darauf, entlohnt zu werden – notfalls von Raif, da dieser ja die Bezahlung verhindert hatte. Angepisst legt sich Raif mit ihm an und knurrt, dass er sich besser an die Spielregeln der Gemeinschaft gewöhne, wenn er beabsichtigt, sich ihr weiter aufzudrängen, und Raveena geht dazwischen, weil sie merkt, dass beide streitlustig genug sind, um es eskalieren zu lassen.

 

Es liegt auf der Hand, dass die Banditen, die Gleniths Wagenzug überfallen haben, dieselben sein müssen, die sich in der Ruine eingenistet haben. Graywinter meint, wenn sie schlau sind, wissen sie, dass Darromar ihr Versteck jetzt ein weiteres Mal ausräuchern wird, und verschwinden von dort. Griscoe aber bekniet die Helden, es doch wenigstens zu versuchen, denn sie müssen doch Sarelka finden. Raif stimmt zu, der Proviant wird kurz aufgestockt, und es geht wieder zurück auf die Ithal Road.

 

Ternan, außer sich vor Sorge, geht auf und ab, als endlich Sir Zavion und die Harmlyns eintreffen. Endlos erleichtert begrüßt er seine Gäste, und Sir Zavion berichtet von dem brutalen Überfall ohne Vorwarnung.

 

Fleeces kleine Reisegruppe erreicht ohne Zwischenfälle Zazesspur, und auch wenn Neetha sie wegkomplimentieren möchte, begleitet Fleece Partholon bis zu den Hallen des Lichts. Unterwegs ist die Vermutung zur annähernden Gewissheit geworden, dass Partholon und Roryn ein Paar sind, auch wenn sie es nicht konkret an irgendetwas festmachen kann. Sie weiß nur, dass die beiden so ungleichen alten Herren gut beraten sind, es weiterhin so gut zu tarnen, denn nach den "zügellosen" lathandrischen Zeiten sitzt Amaunator am Ruder, der solcherlei "Verirrungen" rundheraus ablehnt, da sie angeblich der guten Ordnung entgegenstehen. Sehr herzlich verabschiedet sich Fleece von den beiden und kehrt mit J'avo zum Ordenshaus zurück.

 

17. Flamerule 1375 DR

 

Nun, da die Abenteurer wissen, wie weit es von Darromar aus ist, reisen sie noch etwas zügiger. Unterwegs schmieden sie natürlich Pläne: Jaq wird sich und Spider als hartgesotten aussehende Söldner maskieren, die in Darromar von dem Überfall gehört haben und denken, dass diese Banditen erstens große Dinger drehen und zweitens ihre Verluste ausgleichen müssen. Daher trennen sie sich auch bald: Griscoe bleibt bei Fuhrwerk und Pferden, und Raif, Raveena, Skaar und Graywinter schleichen im Unterholz weiter hinter den anderen beiden her.

 

Seine Hochwohlgeboren Graf Grannox (Kevin Costner) trifft im Rathaus ein, denn natürlich wurde auch er informiert. Sein Neffe Ternan entschuldigt sich geknickt bei ihm dafür, dass er für Lady Gleniths Sicherheit nicht garantieren konnte. Der Zuschauer lernt den Grafen als zurückhaltend, wortkarg und diplomatisch nur durchschnittlich begabt kennen. Er nimmt Nithra und Glenith mit auf den Grafensitz Loranse.

 

Die Ruine ist im lichten Wald schon von Weitem zu sehen, und da es sich um keine geschliffene Burg handelt, ist sie noch gut benutzbar. Jaq und Spider werden natürlich schon weit davor abgefangen. Schnell belegt sich Jaq noch mit Menacing Visage, um besonders viel Eindruck zu machen, und die beiden werden eingelassen. Ihre zahlreichen Narben und Gesichtstätowierungen künden von ihrem Geschäft, die abgenutzten Rüstungen und schartigen Waffen ebenso – daher kommt auch niemand auf die Idee, sie sich erst mal im Kampf beweisen zu lassen. Der barsche Herivale hat keinen Grund, Verdacht zu schöpfen – so finster und brutal wirkende Gestalten arbeiten garantiert nicht als Maulwürfe für die Stadtgarde. (Auf die Idee kommt hier sowieso niemand. Warum auch?) Sie erfahren, dass die Bande von Kul Tiras und Kul Katura angeführt wird, den beiden Trollen. Kul Tiras leckt noch seine nicht regenerierbaren Wunden, aber sie werden Kul Katura vorgeführt. Der Troll wirkt natürlich nicht gebildet, aber doch beängstigend gerissen, als er ihnen auf den Zahn fühlt. Natürlich fragt er, was in der Stadt erzählt wird, und Jaq berichtet, um Vertrauen zu schaffen, das Naheliegende: dass dort ein Kommando zusammengestellt wird, um die Ruine auszuräuchern.

 

Glenith hat bereits ihre Schwiegereltern in spe kennen gelernt, Malcor und Minhiriath, und nun trifft sie beim gemeinsamen Abendessen auf Burg Loranse (Burg Kreuzenstein) westlich von Darromar auch auf ihren Zukünftigen. Er ist jünger als sie, weder hübsch noch hässlich, weder clever noch dumm, in jeder Hinsicht sehr durchschnittlich. Außerdem befindet sich noch ein Gast am Tisch, die Amnierin Melvet Tormaril (Merve Boluğur), die sich als überaus charmant, witzig und unterhaltsam herausstellt und das Tischgespräch quasi beherrscht. An den Blicken von Minhiriath sieht man aber, dass sie zur Kenntnis nimmt, dass sich ihre künftige Schwiegertochter viel sittsamer und demütiger als der amnische Gast verhält und doch gleichzeitig dezent selbstbewusst und geistreich, und weil Taral noch sehr schüchtern und Malcor ohnehin nicht der geborene Partyhengst ist, moderiert sie ein wenig das Tischgespräch, indem sie versucht, die beiden einzubeziehen.

 

Kul Katura lässt Herivale die beiden Neuzugänge für die Nacht unterbringen, morgen wolle man dann mal sehen, was sie auf dem Kasten haben. Die zwei warten noch etwas ab, bis das Lager weitgehend ruhig geworden ist, Jaq macht beide unsichtbar, und sie schleichen los, um sich in der weitläufigen Ruine umzusehen.

 

Ihre Würfe verlaufen ganz gut, aber ohne Ortskenntnis müssen sie aufs Geratewohl losziehen und haben Pech, dass sie nicht die richtige Richtung einschlagen und viel würfeln müssen – jedoch durchgehend erfolgreich, auch wenn es ein paarmal knapp wird.

 

In einem Hof finden sie tatsächlich eine alte Dame in abgerissenen, aber priesterlichen Gewändern, die in einen notdürftig "bequem" eingerichteten eisernen Käfig gesperrt wurde, daneben ein Wagen und in einem angrenzenden Bereich Tische und ein krudes "Labor". Jaq lässt die Unsichtbarkeit fallen, und die alte Gondar ist trotz ihrer Lage herrlich unbeeindruckt, trocken und abgeklärt (Stimme von Sian Thomas). Die Illusionen sind längst verflogen, und Jaq macht ihr klar, dass sie sie retten will, und versucht sich am Schloss. Es ist natürlich nur ein einfaches, aber trotzdem dauert es bei Jaq etwas länger, während Jewel es mit einem Handstreich geknackt hätte. Wie sich herausstellt, kommt Sarelka ein-, zweimal im Jahr nach Darromar, um Schwefel aus einer nahe gelegenen Mine zu kaufen, den es in Zazesspur nicht in dieser Reinheit gibt. Irgendwie muss sich in der Stadt herumgesprochen haben, dass daraus Schwarzpulver gemacht wird, und das wiederum ist durch die Unterwelt auch an die Ohren dieser Bande gelangt, die natürlich mit dem Black Quarter Handel treibt. Die Trolle fingen Sarelka ab, töteten ihre Begleiter, verschleppten sie und wollten, dass sie Schwarzpulver für sie herstellt. Also dachte sie sich schwer zu kriegende Zutaten aus, von denen sie weiß, dass es selbst mithilfe eines alchimistisch begabten Kontakts in Darromar (sollten diese Räuber einen haben) lange dauern wird, sie zu kriegen. Die nicht sehr weltgewandten und naiven Räuber haben aber schon mal etwas für Sarelka eingerichtet, das sie für ein "Labor" halten.

 

Den ganzen Schwefel können sie jetzt natürlich nicht mitschleppen. Sarelka hat freilich kein Move Silently, also muss es sehr langsam und vorsichtig vorangehen, zumal Jaq auch alle Unsichtbarkeitszauber aufgebraucht und sich nur ihre Invisibility Sphere aufgespart hat. Ein Persistent Image hätte sie zwar auch, aber da es nur ein paar Minuten hält und niemand nach Sarelka schaut – wie sollte sich diese Greisin auch befreien wollen? –, wäre das Vergeudung. Als das Gelände es verlangt, setzt sie die Invisibility Sphere ein, und Tymora ist mit Sarelka: Die untrainierten Würfe gelingen, Spider lockt die Torwachen mit Geräuschen ins Unterholz, und sie schaffen es aus der Burg, treffen auf die anderen und kehren gemeinsam zu Griscoe zurück. Der ist außer sich vor Erleichterung, Sarelka unverletzt zu sehen. Niemand hat Lust, für eine Ladung Schwefel die Burg anzugreifen, also zieht man sich zurück, so weit man in der Dunkelheit kann. Plötzlich aber erblickt man in der Ferne schwachen Feuerschein auf der Straße. Spider pirscht allein vor, kehrt aber mit der Info zurück, dass Soldaten aus der Stadt gekommen sind, vermutlich, um im Morgengrauen die Banditen anzugreifen.

 

Gemeinsam halten sie also offen auf das kleine Zeltlager zu und lernen Edmun Allant kennen, einen Edlen, Sohn von Ternans großer Schwester, der das Kommando übernommen hat, weil es für Ternan eine Sache der Familienehre war, diesen Übergriff nicht auf sich beruhen zu lassen. Edmun ist mit Anfang zwanzig noch jung und obendrein Städter, so dass er auf Abenteurergruppen wie die Gemeinschaft mehr hält als der Großteil des Adels, und er zeigt sich entsprechend beeindruckt, dass diese Glücksritter gerade eine Gond-Geweihte aus dem Banditenlager geholt haben. Bei heißem Tee tauscht man sich aus, und nun erfährt man auch von Sarelka, dass sie während ihrer Gefangenschaft so manchen Gesprächsfetzen aufgeschnappt hat, woraus sich das Bild ergibt, dass der Überfall auf den Wagenzug ein Auftrag von außen war und kein Zufall. Raif meint, er könne nicht für alle sprechen, aber er selbst werde morgen früh gern helfen, die Banditen dingfest zu machen. Einer nach dem anderen schließt sich an, so dass auch Raveena zähneknirschend mitmacht, aber knurrt, warum sie immer und überall vorn dabei sein müssen.

 

18. Flamerule 1375 DR

 

Im Morgengrauen schleichen sich die Helden und Soldaten an, doch tatsächlich haben die Banditen in der Nacht das Lager geräumt, vermutlich, als sie Sarelkas Flucht bemerkt haben. (Sogar den Schwefel haben sie mitgenommen, vermutlich um ihn billig zu verscherbeln.) Da auch Ranger dabei sind, ist die Spur leicht zu verfolgen, aber wer weiß, wie weit sie wegführt? Edmun verzichtet auf ein langwieriges Katz-und-Maus-Spiel: Das haben sich diese Räuber schon oft mit der Garde geliefert, beide Seiten kennen das inzwischen zur Genüge: Die Banditen kennen verschiedene Verstecke, teilen sich in kleineren Gruppen auf sie auf, um es Verfolgern schwerer zu machen, und vereinigen sich zu einem verabredeten Zeitpunkt wieder.. Also geht es zurück nach Darromar. Unterwegs meint Edmun, er werde Raif und die Gondar gleich mit ins Rathaus nehmen, denn wenn sie nur bei der Garde aussagen, versandet diese Information auf dem Dienstweg garantiert irgendwo.

 

Gesagt, getan, und so wird Raif am Abend neben Sarelka und Griscoe dem Lord-Mayor Ternan Grannox vorgestellt. Als dieser im Gespräch erfährt, dass es Raifs Leute waren, die Glenith retteten, ist er hocherfreut, denn Sir Zavion hatte nur von "Abenteurern, die entsprechend für ihre Dienste entlohnt wurden" gesprochen, damit war die Sache erledigt. Ob sich Ternan noch irgendwie für die Dienste, die ihm geleistet wurden, bedanken könne? Raif erwidert, dass die Gemeinschaft der Ersten Sonne hoffentlich nicht für Söldnertum bekannt sei, sondern dafür, auch ohne Aussicht auf Entlohnung das Rechte zu tun – es sei ihm eine Ehre gewesen.

 

Ternan hält inne. Raif hat diplomatisch bekannt gegeben, wen er repräsentiert, und er weiß, dass Ternan weiß, dass es die Gemeinschaft der Ersten Sonne war, die die Verfehlungen seines Vaters indirekt ans Licht brachte. Der umgängliche Lord-Mayor scheint nicht recht zu wissen, was er sagen soll, was Edmun erstaunt (der wohl nicht minutiös über die Geschehnisse informiert wurde). Ternan gewinnt sein Lächeln wieder, geht um seinen Tisch herum, drückt Raif die Hand und lächelt ihn ehrlich wirkend an, als er sich bedankt – für alles. Ein Blick zwischen ihm und Edmun hält diesen zurück, als die beiden gehen wollen. Edmun meint, er komme gleich nach.

 

Edmun: Was genau war das eben, Onkel?

Ternan (kehrt auf seinen Stuhl zurück): Frühling 1372 DR. Die Gemeinschaft der Ersten Sonne hat gerade die Schlacht von Milvian Bridge entschieden und die Rebellenstädte vor den Goblins beschützt. Herzog Hembreon entsandte sie daraufhin nach Darromar, und du weißt, was im Frühling 1372 DR hier los war.

Edmun: Ja...

Ternan (sucht Schreibzeug zusammen): Als der Habicht seine Zelte abbrechen wollte, gedachte er, sich für... irgendetwas zu rächen, von dem ich nichts weiß. Er legte Feuer in Gallowglass Hall, in dem sowohl mein Vater als auch dessen junge Braut verbrennen sollten. Die Gemeinschaft der Ersten Sonne rettete beide vor dem Flammentod. (Er beginnt nun zu schreiben und schnaubt humorlos lächelnd.) Und tötete nebenbei noch den Habicht und seine gedungenen Mordbrenner und erlöste so ganz Darromar aus deren Griff.

     Durch die Ankunft des Herzogs und der Luminifacta Assumbar geriet alles unters Brennglas, jeder wollte genauestens erforschen, wie es dazu kommen konnte, dass sich ein gemeiner Mörder wie der Habicht die Hauptstadt des Reiches untertan machen konnte. Und wie sich herausstellte, war mein geehrter Vater der Schlüssel dazu.

     Ich nahm ihm nicht übel, dass er nach dem Tod meiner Mutter in so hohem Alter noch mal heiratete. Aber ich wusste nicht... niemand wusste, dass sie... (Er verharrt in Gedanken.)

Edmun: Onkel?

Ternan (sieht auf den sich ausbreitenden Tintenfleck, den er durch das Nichtwiederaufnehmen des Federkiels verursacht hat): Einerlei. (Er schreibt und redet dabei weiter.) Die Verdienste der Gemeinschaft der Ersten Sonne um Darromar sind groß. Die Luminifacta kehrte das natürlich unter den... behandelte die Angelegenheit diskret. Kein großes Zeremoniell, keine Danksagung, auf dass jeder so bald wie möglich vergessen möge, wie leicht ein götterloser Mörder die Kirche Amaunators... (Er räuspert sich.) Jedenfalls sind die Leistungen dieser Gemeinschaft hier ein wenig in Vergessenheit geraten, aber sicher nicht bei jedem im gleichen Maße. Wie stünde ich da, wenn ich sie wie Vagabunden behandelte? Ein Empfang im Rathaus wäre das Mindeste gewesen. Bitte sorg dafür, dass ein Bote nach Loranse hinausreitet und meinem Onkel... diesen Brief... übergibt. (Er macht den Brief fertig und überreicht ihn.) Oh, und bitte finde heraus, wo die Abenteurer logieren, ja?

 

Die Helden sitzen nun fürs Erste in Darromar fest, denn wie ihnen die Händlerin gesagt hatte, dauert es mindestens einen halben Tenday, bis sie neuen Schwefel beschaffen kann. Es gäbe freilich auch andere Quellen, aber Sarelka besteht wegen seiner Beschaffenheit und Reinheit auf diesem und wird morgen eine neue Lieferung in Auftrag geben. Da in der Stadt wegen der bevorstehenden Festivitäten einiges los ist, will man es sich gut gehen lassen. Allein durch Skaar sind die Abenteurer nicht zu übersehen, und auch wenn er damals nicht bei der Befreiung Darromars dabei war, spricht sich doch hier und da im Kleinen herum, zu wem er gehört.

 

Jaq hat die "Anstandswartezeit" hinter sich gebracht und versucht nun vorsichtig, etwas mehr über Graywinter herauszufinden. Sie weiß, dass Zauberer wegen ihrer Seltenheit manchmal gegen nur geringes Entgelt von Akademien aufgenommen werden, aber sie weiß natürlich auch, dass man im einfachen Volk Angst vor unerklärlicher Magie hat – und erst recht vor Kindern mit unheimlichen Fähigkeiten, die sie den Erwachsenen überlegen machen. Graywinters abblockenden Antworten und seiner Miene entnimmt Jaq, dass er wohl keine angenehme Kindheit hatte.

 

Malcor sitzt in seinem Arbeitszimmer und arbeitet sich mit seinem Sekretär durch Papierkram, während Minhiriath stickt, als ein Bote den Brief überbringt. Darin bittet ihn sein Neffe Ternan, die Gemeinschaft der Ersten Sonne gebührend zu würdigen, da sie es war, die seine zukünftige Schwiegertochter gerettet hat – und dass der Überfall vielleicht kein Zufall war.

 

19. Flamerule 1375 DR

 

Am Morgen betritt also ein Bote das Cold Moon Inn und übergibt den Abenteurern eine Einladung auf Burg Loranse. Raveena ist Feuer und Flamme: Scheiß auf fremde Federn, sie ist Teil einer Gruppe, die auf eine echte Grafenburg eingeladen wird! Natürlich hat sie nichts Passendes anzuziehen, und ein Einkaufsbummel mitsamt Schneiderei würde zu lange dauern. Sie bettelt Jaq an, ihr illusionär zu helfen, und die stimmt zu. Gleichzeitig fragt sich Raveena, ob dem Grafen tatsächlich der Sinn danach steht, Leute wie Spider und Skaar zu empfangen. Raif winkt barsch ab: Wenn Spider nicht willkommen ist, gehen sie eben alle wieder. Raif, Graywinter und tatsächlich sogar Spider werfen sich in Schale, da sie vorsorglich auch gute Kleider eingepackt haben, und reiten los.

 

Schon weit vor der Burg – jenseits davon befinden sich bereits die Zeltlager der ersten Gäste, die nicht in der Stadt gastieren wollen – werden sie von berittenen Gardisten abgefangen, denn die bewachen Glenith, die gerade ausreitet. Sie freut sich, ihre Retter wiederzusehen, und begleitet sie zur Burg. Raif erkundigt sich nach ihrem Eindruck ihren zukünftigen Gemahl und dessen Familie betreffend, weiß aber, dass sie so oder so nur Gutes erzählen wird. Auf dem Weg sehen sie viel geschäftiges Treiben, denn die Burg wird auf die Hochzeit und das begleitende Turnier vorbereitet, mit dem sie gefeiert wird. Die Tribünen stehen schon, es fehlt nur noch der Schmuck.

 

Mit Nägeln im Mund und hochgekrempelten Ärmeln zimmert Malcor mit den Arbeitern an den Esstischen mit, als Minhiriath ihn holt, er soll sich bereitmachen, die Gäste sind gleich da.

 

Im wunderschönen Burghof wird Raif auf eine eindeutig amnisch gekleidete Dame aufmerksam, die auf einer Bank sitzt und liest, und sie auf die äußerst originellen Besucher, aber sie rührt sich nicht.

 

Im Vestibül wartet bereits ein Adliger auf eine Audienz, den Glenith als Sir Vendrick Thartle vorstellt, Lord Sheriff der Harde Abermare. Er ist bass erstaunt, solche Gestalten zu sehen, und fragt, warum er nicht informiert wurde. Die Verachtung für diese Abenteurer ist ihm deutlich anzusehen, aber hier hat er leider nichts zu sagen. Er zieht es nun vor, draußen zu warten.

 

Endlich werden die Abenteurer in den Rittersaal gebracht, wo Malcor und Minhiriath sie standesgemäß auf ihren Thronen sitzend empfangen – Etikette ist Etikette. Die Situation ist ungelenk und von Pausen peinlichen Schweigens erfüllt, und Skaar langweilt sich schrecklich. Gerade Malcor scheint nicht recht zu wissen, was er sagen soll, woraufhin immer wieder Minhiriath etwas sagt, um die Stille zu füllen. Jaq, scheinbar in ein hübsches, aber nicht zu übertriebenes Kleid gehüllt, löst die Anspannung, indem sie das Wort ergreift und äußerst charmant und witzig auftritt, was zumindest Glenith grinsen lässt. Jaq lässt sehr eloquent durchblicken, dass in der Gemeinschaft so viele Kulturen vertreten sind, dass sich für jede Etikette einer findet, der sie beherrscht und genießt – aber die anderen passen sich stets gern an. Einem Profi von kleinauf wie Minhiriath ist keine Reaktion anzusehen, die sie nicht zeigen will, und Malcor nickt nur. Jaq gewinnt den Eindruck, dass dieser rau und tough wirkende Mann tatsächlich schüchtern ist. Den Umgang mit Adligen ist er gewöhnt, aber wie er diese Abenteurer anfassen soll, scheint er nicht zu wissen. Ihr ist klar, dass viele Adlige verächtlich auf Leute wie sie herabsehen. Sie denkt nicht, dass Malcor dazugehört, aber sollte er ein Verehrer Shiallias sein, würde ihr einleuchten, warum er sich mit wurzellosen Glücksrittern schwer tut.

 

Auch wenn sie gerade im Rittersaal eines Grafen stehen, muss Raif doch daran denken, welch weiten Weg die einst so zaghafte, zögerliche Jaq zurückgelegt hat, die nur aus sich herauskam, wenn sie fremde Rollen spielte, als sie selbst aber immer scheu und verkrampft wirkte – und nun ist sie es, die einem viel bedeutenderen Mann die Anspannung zu nehmen versucht. Raif hat genau vor Augen, wie Fleece es gemacht hätte: offensiv, selbstbewusst, überaus charmant, aber auch so dominant, wie es ihr Gegenüber eben zulässt. Jaq hingegen wirkt viel weicher, und auch ihre Selbstironie hat einen anderen Geschmack als die Fleeces, wirkt lockerer und sich so glatt. Durch ihren Charme macht Jaq sich und ihre Freunde für Malcor zugänglich, demonstriert gleichzeitig mit ihrem gehobenen Wortschatz aber auch, dass das Grafenpaar keine Angst haben muss, mit niveaulosen Strauchdieben auf Tuchfühlung zu gehen, und hofft, auch die deutlich "klassischer" wirkende Adlige Minhiriath überzeugt zu haben, dass man sich dieser Gäste nicht schämen muss – denn nur dann haben sie die Chance, nicht nach fünf Minuten wieder gehen zu müssen.

 

Minhiriath macht klar, dass sie in dieser Ehe nicht nur die brave Frau im Hintergrund ist, indem sie nun umschreibt, dass es jeden göttertreuen Menschen viel Überwindung kosten dürfte, einen Tiefling im eigenen Haus zu empfangen. Spider reagiert butterweich und erwidert, dass ihre Bereitschaft, es dennoch zu tun, Zeugnis ihrer Qualitäten ablege. Skaar, der im Hintergrund durch den Saal schlendert und die Jagdtrophäen an den Wänden betrachtet, mischt sich gelegentlich ungefragt ein, wo es hier Bären dieser Größe gibt. Raif ist heilfroh, dass sich Graywinter entgegen seiner Befürchtung sehr zurückhält und nicht wie üblich in den Vordergrund drängt – er ist clever genug, zu wissen, dass ihn das mehr kosten würde, als es ihm brächte.

 

Fleece würde zahllose Ansatzpunkte finden, unauffällig die Heldentaten der Gemeinschaft einzustreuen, aber weder Jaq noch Raif funktionieren so, und das Grafenpaar stellt keine Fragen danach – weil es schon genug weiß oder weil es sich nicht für Abenteureranekdoten interessiert? Raif kommt darauf zu sprechen, dass Sarelka Gespräche belauscht hat, nach denen der Überfall im Auftrag von jemandem durchgeführt wurde – ob sie jemanden wüssten, der diese Hochzeit verhindern möchte?

 

Minhiriath bittet die Gäste, noch mal im Burghof zu warten. Unter vier Augen bespricht sie mit Malcor die Situation. Da die Info nicht von unzuverlässigen Abenteurern stammt, sondern von einer gefangenen Gondar, ist sie ernst zu nehmen. Nun wollten sich die beiden ein Bild von den Abenteurern machen. Dass sie ihr Handwerk beherrschen, weiß bereits jeder – aber kann Graf Grannox es sich leisten, mit ihnen assoziiert zu werden? Ist ihr Potenzial so groß, dass er einen Tiefling in seinem Namen handeln lässt? Minhiriath tut sich schwer damit. Die Leistungen der Gemeinschaft in Darromar sind unbestritten, aber zu ihr gehören ihres Wissens nur zwei respektable Mitglieder von Rang, und beide sind nicht hier. Haus Grannox hat seine eigenen Leute und wird der Sache sicher allein auf die Spur kommen. Malcor widerspricht: Jeder weiß, diese Abenteurer sind Tymoras Günstlinge. Wie sonst wäre es zu erklären, dass sie, ganz zufällig von außen kommend, nicht nur den sicheren Tod seiner künftigen Schwiegertochter verhinderten, sondern auch noch herausfanden, dass er in Auftrag gegeben wurde? Wenn Glenith jemand nach dem Leben trachtet – oder viel wahrscheinlicher: einfach nur die Hochzeit zu verhindern versucht – und er es dieser Gemeinschaft verdankt, dass es eine Hochzeit überhaupt geben kann, wäre er dumm, ihre Dienste nicht zu beanspruchen. Er lässt Sir Vendrick kommen und beauftragt ihn damit, den Mittelsmann zu spielen. Sir Vendrick ist spürbar unbegeistert, muss sich aber fügen.

 

Raif hat im Burghof aus purer Neugierde die Gelegenheit genutzt und ist zu der Amnierin hinüberspaziert, vor der er sich elegant verbeugt.

 

Raif: Bitte gestattet mir, mich vorzustellen. Ich bin Raif Bowgentle aus Eshpurta. Euer Diener.

Melvet: Ihr klingt nicht gerade nach Eshpurta.

Raif: Meine ersten Jahre außerhalb von Amn haben meine Sprache geprägt, aber seid versichert, Amn prägte alles andere an mir.

Melvet: Melvet Tormaril aus Riatavin. Sehr erfreut.

 

Ihre Checks überrollen Raif, der sowieso für diese Art Frau sehr empfänglich ist. Sie ist nicht so klassisch hübsch wie zum Beispiel Elisheva, sondern hat ein eher "niedliches" Gesicht, aber Mimik, Gestik, Ausstrahlung und Auftreten machen sie zu einer charismatischen Erscheinung. Das selbstbewusst Kecke, Augenzwinkernde, Diebische, Fordernde gefällt ihm sehr, aber Bluff läuft, und er lässt sich nichts anmerken. Raif fragt sie, was sie hierher verschlägt, doch Melvet hält sich bedeckt und dreht die Frage um, worauf wiederum Raif ausweicht. Ein schneidender Pfiff von Raveena signalisiert ihm, dass er herkommen soll.

 

Damit hat sie sich natürlich daneben benommen, was den dazugestoßenen Sir Vendrick in seiner Meinung bestätigt. Er sei beauftragt worden, die Gruppe dabei zu unterstützen, herauszufinden, wer Lady Glenith nach dem Leben trachtet.

 

Graywinter (süffisant): Ach? Ich kann mich gar nicht daran erinnern, darum gebeten worden zu sein.

Raif (eilt hinzu und lächelt freundlich): Es ist uns natürlich eine Ehre, etwas für den Grafen tun zu dürfen.

Spider: Zunächst wäre eine Legitimation des Grafen hilfreich, damit wir keine Zeit damit verschwenden, Menschen davon zu überzeugen, mit uns zu reden.

Sir Vendrick (sieht ihn entgeistert an): Eine schriftliche Ermächtigung kommt ja überhaupt nicht infrage! Wer vermag zu sagen, wozu sie missbraucht werden könnte?

Jaq (freundlich): Sollten wir unsere Zusammenarbeit wirklich mit einer Geste des Misstrauens aufnehmen?

Graywinter (ironisch hilfreich): Falls Ihr nicht dazu befugt seid, uns etwas Schriftliches auszustellen, fragt doch vielleicht den Grafen um Erlaubnis?

Jaq: Master Graywinter. (Sie gestikuliert sachte á la "Lass gut sein".) Es ist nicht recht, den edlen Herrn gemeinsam so zu bestürmen. Auf ein Wort, wenn es Euch beliebt?

Jaq verneigt sich mit demütig niedergeschlagenem Blick und deutet mit ihrer Körperhaltung eine Einladung an. Sir Vendrick funkelt noch einmal den gelassen lächelnden Graywinter an und geht mit ihr ein paar Schritte.

Jaq: Ich bin gewiss, Ihr seid zu beschäftigt mit den Vorbereitungen auf Hochzeit und Turnier, um Euch auch noch mit Leuten wie uns aufzuhalten. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen Euch und uns ist die, dass wir alle die Familie des Grafen glücklich und sicher sehen möchten. Ich bitte Euch, Sir Vendrick: Helft uns, Euch zu helfen.

Sir Vendrick: Diese vertrauliche Anrede habt Ihr das letzte Mal benutzt, ist das klar? (Jaq ist perplex, weil sie nicht weiß, was sie falsch gemacht hat. Sir Vendrick fährt höhnisch fort.) Heißt es nicht, Eurer Gemeinschaft seien keine Grenzen gesetzt, wenn sie sich etwas vorgenommen hat?

Jaq (minimal kühler): Unsere Gemeinschaft besteht aus einer tethyrianischen Ritterin, die nicht hier ist, und keinem einzigen weiteren Tethyrianer – was sie nicht daran gehindert hat, der Krone Dienste zu leisten. Bitte erspart mir und Euch die beschämende Notwendigkeit, darauf hinweisen zu müssen, dass niemand es für nötig hielt, uns zu fragen, ob wir uns eine Gegenleistung wünschen. Die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen befehligt werden, die nicht Eure Vasallen sind, könnte man für unangebracht halten.

 

Sie sieht Sir Vendrick seine Überraschung an: Er muss sich beherrschen, nicht auszuflippen. Nicht genug damit, dass diese Vagabunden sich nicht herumkommandieren lassen, jetzt maßen sie sich auch noch an, ihn beschämen zu wollen. Mit ihrer gehobenen Wortwahl hat Jaq ihm jedoch diplomatisch demonstriert, dass sie nicht auf den Kopf gefallen ist, den schmalen Grat, auf dem sie wandert, als solchen erkennt und die Balance zu halten versteht.

 

Sir Vendrick (funkelt sie an): Schert Euch ans Werk und wagt nicht, mit leeren Händen zurückzukehren.

Sir Vendrick geht brüsk ab, Melvet schwebt aus dem Hintergrund hinzu.

Melvet: Die korrekte Anrede lautet Lord Sheriff oder Mylord. Sir Vendrick nur für Adlige.

Jaq: Aber er ist doch ein Ritter...?

Melvet: Die Tethyrianer machen es komplizierter, als es sein muss. Das Königspaar hat die Baronien abgeschafft, aber die Gebiete müssen ja weiter verwaltet werden, was ein Graf nicht leisten kann. Daher setzt er Amtsleute ein. Der Amtstitel wiegt, solange er getragen wird, schwerer als die Ritterwürde, daher ist Sir Vendrick ein Lord, solange er im Amt ist. Der einzige Unterschied zum Baron von ehedem ist der, dass er seine Herrschaft nicht vererben kann. Macht Euch nichts daraus. Auch ich habe das auf die harte Tour lernen müssen. (Sie zwinkert vertraulich.) Sir Vendrick kann wenig Zuneigung erübrigen für Calishiten, Amnier, Nichtadlige, Nichtmenschen – eigentlich für gar nichts, das nicht Sir Vendrick heißt oder über ihm steht.

Jaq: Ich kann meine Herkunft wohl nicht verbergen.

Melvet: Sie mag in Tethyr unpraktischer sein als die meisten anderen, aber der amnischen ergeht es auch nicht viel besser.

Jaq: Ihr seid sehr freundlich. Bitte erlaubt mir, mich vorstellen. Ich bin Jaqeera aus Memnon.

Melvet: Dinlemedar getirdim obayan elinden olmushtur, ve shehadat Melvet Tormaril benim amishtir Riatavin yakin evdenilar. Iyidir alamiyorsun ginash, nedir?

Jaq (sehr erfreut): Ushaklar ederim eren yagir sashila. Arabassini antalorum, diryessa sana chahia azurlari sen kudar saldiri azinash vardir.

Melvet: Assil kanalimda denerim konyadan.

Raif (tritt sich räuspernd hinzu, die anderen folgen langsam): Ohne mich aufdrängen zu wollen, aber... hilft er uns?

Jaq: Ich fürchte, die guten Wünsche des Grafen sind uns Ansporn, Unterstützung und Lohn genug.

Raif: Verdammter Bas— (Er unterbricht sich wegen Melvet.)

Melvet: In ganz Darromar spricht niemand Alzhedo, Master Bowgentle. Vielleicht solltet Ihr "olardiran" (Bastard) benutzen. (Sie lächelt noch über ihre Schulter und geht.)

Spider (taucht hinter Raif auf, der ihr hinterhersieht): Denk nicht mal daran.

Raif: Oh, bitte!

Raveena: Weißt du was? Ich hätte nicht schlecht Lust, den feinen Herrschaften den Mittelfinger zu zeigen.

Skaar: Ich habe Hunger.

Raif: Du hast keinen Hunger, Skaar. Raveena, unser Ruf ist hart erarbeitet. Zu hart, um ihn aufs Spiel zu setzen, weil wir uns ungerecht behandelt fühlen.

Raveena (angriffslustig): Ach? Wie wär's, wenn sich diese Pinkel verdienen würden, dass die Gemeinschaft der Ersten Sonne ihrem Ruf gerecht wird, hm?

Skaar: Ich habe Hunger!

Raif: Du trägst dein Amulett, verdammt noch mal, du hast keinen Hunger! Raveena, glaubst du, mir gefällt das?

Raveena: Mir fehlen vielleicht vier Jahre, aber selbst ich habe genug erlebt und verdammt noch mal auch geleistet, um mich nicht wie Pöbel herumkommandieren zu lassen.

Raif: Hast du das auch deinem Kapitän gesagt, als du wieder angeheuert hast?

Raveena (klappt die Kinnlade runter): Was fällt dir ein?

Skaar: Können wir jetzt gehen?

Raif: Skaar!

Raveena (wütend gepresst, weil sie schreien möchte, im Burghof aber nicht kann): Ich kenne meinen Platz, Raif. An Bord einer Kogge ist das der einer Matrosin. An eurer Seite ist das der einer Frau, die den beschissenen Gauntlet überlebt hat, die Nekropolis in Mullorand—

Jaq (hilfreich): Mulhorand.

Raveena (funkelt sie nur an, wieder zu Raif): Einen achtmal verfluchten Vulkanausbruch und, als sei das alles noch nicht genug, den verfickten Leuchtenden Süden mit seiner Scheißhitze und seinen Scheißleuten, die keinen Deut besser sind als die hier, aber offenbar auch keinen Deut schlechter!

Raif (wirft die Arme in die Luft): Was für ein Vergleich! Zauberst du als nächstes ein paar Dämonen aus dem Ärmel? Sie behandeln uns unserem Stand entsprechend, Raveena, wir sind Niemande!

Graywinter (schneidend, während er locker einen Arm zwischen Raif und Raveena hält): Leute. (Zu Raveena:) Du willst üppige Belohnungen, Ansehen, die Akzeptanz der Herrschaften, so dass du dich ihnen ebenbürtig fühlen kannst, und sei es nur für den Moment? (Raveena will ihn anblaffen, aber Graywinter fährt fort.) Das will ich auch. (Raveena hält überrascht inne, weil sie mit Hohn gerechnet hatte.) Doch ohne dass dir jemand die Schwertklinge auf die Schulter legt, funktioniert das nicht. (Zu beiden:) Ihr werdet immer ihre Laufburschen sein, egal wie sehr ihr euch auch anstrengt. Sie lernen von kleinauf, den gemeinen Pöbel zu verachten, und was du auch versuchen magst, diesen Stallgeruch wirst du nie los. Sie wittern ihn auf zehn Meilen gegen den Wind.

Raif (weiß nicht recht, was er erwidern soll): Was weißt du schon davon?

Graywinter (schnaubt spöttisch lächelnd): Dachte der große Weltenbummler Bowgentle, in Waterdeep wäre das anders? Unser Adel hat dem hier nur voraus, dass er zwar viel kultivierter, aber auch noch weit arroganter ist. (Zu Raveena:) Finde dich damit ab, dass du Pöbel bist und bleibst. Erwarte keine Besserstellung, nur weil du etwas geleistet hast, das dennoch nie an das heranreichen wird, was den Adel auszeichnet und die... die Grundlage seines Selbstverständnisses bildet: zum Herrschen geboren worden zu sein.

Raveena: Ausgerechnet du willst hier Bescheidenheit predigen?

Graywinter: Weit gefehlt, Vambril. Bilde dir so viel du kannst auf alles ein, was du jemals erreicht hast. Aber dann sei das auch. Du bist es nicht nur, wenn ein Höhergestellter deine Besonderheit zur Kenntnis nimmst, du bist es immer und brauchst ihre Anerkennung nicht. Du brauchst ihre Gunst, ihren Einfluss, ihr Geld, aber nicht ihre Anerkennung. Hol dir die besser von denen, die verstehen, wovon du redest. Diese adligen Hurensöhne werden es nie.

Jaq (überspielt das anschließende Schweigen): Und was machen wir jetzt?

Raveena: Diese Schleimscheißer schauen vermutlich aus einem Fenster auf uns herab und denken, wir müssten uns geehrt fühlen, dass sie uns überhaupt für sie arbeiten lassen. Kostenlos.

Skaar: Gehen wir jetzt endlich?

Graywinter: Warum sehen wir nicht, was wir tun können? Und wenn wir in eine Sackgasse laufen, können wir immer noch sagen, dass die Untersuchung aus eigener Tasche zu bezahlen leider unsere momentanen Möglichkeiten übersteigt.

Raveena (schnaubt): Und was versprichst du dir davon?

Graywinter: Diese Leute haben schrecklich offensichtlich wenig Übung darin, fremdes Personal zu beschäftigen. Wenn wir etwas finden, können wir sie damit beschämen, wie wenig ihnen die Aufklärung des Mordversuchs wert ist. Da ihr hier ja einen halbwegs guten Namen genießt, und sei es nur im Volk, werden sie sich diese Blamage kaum leisten wollen.

Skaar (gespielt aufgeregt deutend): Oh, seht mal da! Ein Burgtor! (Er strahlt in die Runde.) Da kann man durchgehen.

 

Das löst die Anspannung, und die meisten müssen lachen. Also kehren sie zu ihren Pferden zurück. Glenith hat ihnen tatsächlich von einem Fenster aus zugesehen. Nun tritt Taral zu ihr, noch grün hinter den Ohren, und fragt, was die da unten tun. Glenith meint, diese Leute haben unvorstellbare Heldentaten geleistet, und der Herzog der Golden Marches schwört so sehr auf sie, dass sie als seine persönlichen Günstlinge bekannt sind. Vermutlich, so Glenith, sind sie es nicht gewohnt, wie Handlanger behandelt zu werden. Taral winkt gleichgültig ab: Hätten sie sich anständige Arbeit gesucht, müssten sie sich auch nicht einbilden, etwas Besseres zu sein als ein Schmied oder ein Wagner – die leisten wenigstens etwas. Glenith sieht Taral wenig begeistert hinterher.

 

Die Gruppe beratschlagt in Darromar. Man könnte sich hier überall nach den neuesten Gerüchten aus dem Adel umhören, aber die Helden wissen, dass diese Gerüchte selten zuverlässig sind und nur wenig Wichtiges bis ins Volk durchsickert. Die Spreu vom Weizen zu trennen, dürfte ohne gute Kontakte kaum möglich sein. Ansonsten bliebe nur, noch mal die Burgruine in Augenschein zu nehmen, ob die Banditen vielleicht irgendetwas zurückgelassen haben, das die Gardisten übersahen.

 

Um das im Tageslicht tun zu können, brechen sie noch heute auf, campieren draußen und reisen am nächsten Tag weiter, so dass sie nachmittags ankommen.

 

20. Flamerule 1375 DR

 

Hier laufen sie gut getarnten Rangern in die Arme, die Darromar zur Beobachtung zurückgelassen hat. Zwar haben die Helden nichts Schriftliches, aber wie gesagt machen Kleider Leute, und die Namen, die sie nennen können, machen sie glaubwürdig. Die Ranger vermelden Ruhe und erlauben ihnen, sich umzusehen.

 

In der friedlichen Waldidylle wirkt die Ruine nicht bedrohlich, sondern ehrwürdig – das war offenbar mal eine wirklich schöne Burg. Jewel würde die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen finden, aber leider ist sie nicht hier. Skaar hat überhaupt keine Geduld dafür und will in der Zwischenzeit schauen, ob er ein Reh schießen kann. Die anderen Abenteurer teilen sich auf und spazieren durch das riesige Areal. Mit einem "Schön, dich dabei zu haben" eröffnet Raif ein hübsches Gespräch mit Raveena in friedlicher Atmosphäre unter vier Augen. Das meiste, was sie sagen könnte, behält sie für sich, aber Raif weiß auch so, dass sie es liebt, wieder mit ihren Freunden vereint zu sein.

 

Man findet allerlei Müll, den die Banditen zurückgelassen haben, doch nichts Nützliches. Eine ganze Stunde zieht ins Land, bis Raif im schrägen Sonnenlicht aus dem Augenwinkel kurz etwas am Boden aufglitzern sieht: eine fast ganz in die Erde getretene Silbermünze – amnischer Prägung... Als Raveena zurückkommt, lässt er sie in seiner Tasche verschwinden, ohne etwas zu sagen.

 

Sie wurde hier nicht deponiert, um gefunden zu werden, dessen ist er sicher: Es war der blanke Zufall, dass die Sonne richtig stand und er eine Reflexion sah, beileibe nicht prominent genug. Aber wenn er sie vorzeigte, wären Raveena und Graywinter eifrig darauf bedacht, sie zu präsentieren, um vor dem Grafen ihren eigenen Wert zu beweisen – und Raif ahnt, welche Kettenreaktion das hinsichtlich Melvet auslösen könnte. Kul Tiras' und Kul Katuras Bande ist groß und recht professionell, kommt viel herum, macht also auch Beute aus fremden Ländern. Da sollte es nicht verwundern, wenn auch amnisches Geld dabei ist, nicht wahr?

 

Als die Schatten der Mauern zu lang werden, um im Zwielicht noch etwas zu sehen, bricht die Gruppe die ziellose Suche ab.

 

21. Flamerule 1375 DR

 

Am nächsten Abend kehrt sie mit leeren Händen nach Darromar zurück. Natürlich lässt die Münze Raif keine Ruhe. Was, wenn doch...? Dann hätte er ein Indiz zurückgehalten und würde sich mitschuldig machen. Unter einem Vorwand entschuldigt er sich (um allein noch mal nach Loranse zu reiten), doch Spiders Blick bleibt ihm nicht verborgen. Dieser passt ihn natürlich beim Pferdestall ab und fragt, wohin des Wegs. Raif beichtet und erklärt seine Überlegungen. Spider kann sie nachvollziehen, warnt ihn aber auch: Frauen, die ihm gefallen, sind oft Raifs toter Winkel, er sollte sich nicht um den Finger wickeln lassen und sich sicher sein, dass er nicht nur einen Vorwand sucht, mit Melvet zu reden, sondern ihr wirklich auf den Zahn fühlen will.

 

Gemeinsam reiten sie mit Fackeln zur Burg. Glücklicherweise sind die Wachen informiert und lassen sie ein. Der Burghof ist für morgen bereits festlich geschmückt. Raif kann natürlich nicht heimlich mit Melvet sprechen, also muss er nach ihr fragen. Zu seiner Überraschung kommt sie mit offenem Haar und schon für die Nacht gekleidet in den Hof hinaus (Amnier sind deutlich weniger zugeknöpft als Tethyrianer), begleitet von einem amnisch gewandeten Herrn, der sich als Juberic Gane vorstellt. Sie versichert ihm, dass alles in Ordnung ist, und er geht auf Sichtweite weg, ebenso wie Spider, während sich Melvet und Raif setzen.

 

Melvet: Was verschafft mir die Ehre Eures überraschenden Besuchs zu so origineller Stunde?

Raif: Mistress Tormaril, ich sorge mich, dass allzu voreilig jene, die Amn nicht gerade in hohen Ehren halten, mit dem Finger auf Euch zeigen könnten, sobald etwas im Argen liegt.

Melvet: Wer das tun möchte, sucht sich eher einen Grund, als auf einen zu warten.

Raif: Manchmal verselbstständigen sich die Dinge. Ich möchte nur sicher gehen, keinen Bären aufgebunden zu bekommen, wenn mir jemand etwas über Euch... Ihr wisst schon... "anvertrauen" will.

Melvet: Welch interessante Art, "Erzählt mir alles Wissenswerte über Euch" zu sagen. Gönnt Ihr einer Dame keine Geheimnisse? (Raif schmunzelt, erwidert aber nichts.) Also begebt Ihr Euch direkt zur Quelle.

Raif: Wer wüsste besser über Euch Bescheid als Ihr selbst?

Melvet: Ich könnte Euch erzählen, was immer mir in den Sinn kommt.

Raif (macht eine "Stimmt schon"-Geste): So misstrauisch wir auch gegen die Aufrichtigkeit derer sein mögen, die mit uns sprechen, so glauben wir doch stets, dass sie gegen uns wahrer sind als gegen andere.

Melvet (überrascht und erfreut): Ihr lest Esravun?

Raif: Leider nein. Aber ich bin viel mit einer Bardin unterwegs, schnappe dies und das auf und merke mir, was mir nützlich erscheint, um gelehrter anzumuten, als ich bin.

Melvet (lacht herzlich): Was wollt Ihr wissen?

Raif: Was ist der Grund Eures Aufenthalts auf Loranse?

Melvet: Mein Mann steht in guter geschäftlicher Beziehung mit Graf Roaringhorn, der so freundlich war, ihn zur Hochzeit mitnehmen zu wollen. Da mein Mann aber die Geschäfte nicht so lange vernachlässigen kann, vertrete ich ihn hier, um die Großzügigkeit des Grafen zu würdigen.

Raif: Hm. (Er sieht in Richtung Juberic Gale.) Ich hatte angenommen...

Melvet: Eine Dame ist gut beraten, nicht allein zu reisen. Master Gane hat ein Auge auf meine Sicherheit – damit mein Mann beruhigt schlafen kann.

 

Einerseits erwähnt sie öfter als nötig ihren Mann, andererseits lässt ihre Körpersprache, offen und natürlich und Raif halb zugewandt, die Interpretation zu, dass sie mit ihm flirtet – aber eben nicht deutlich genug. Raif kann nur eins mit Sicherheit sagen: Ja, die weiß, wie's geht. Er bringt in Erfahrung, wie lange sie unterwegs war und seit wann sie hier ist (sie ist im Gefolge Holver Roaringhorns angereist, des Grafen von Valashar), aber auf eingehendere Fragen antwortet sie nicht, soweit sie die Geschäftsbeziehung betreffen – die müsse Raif schon dem Grafen stellen, nicht ihr. Er erkundigt sich auch nach dem Befinden von Glenith und der Familie, aber auch da gibt Melvet nur höfliche Antworten. Schließlich kommt er auf die Abspaltung Riatavins von Amn zu sprechen. Melvet bremst ihn, dass sie zu später Stunde nun eigentlich nicht auch noch über Politik sprechen wollte, aber Raif möchte herausarbeiten, wie Melvet hier wahrgenommen wird. Riatavin gehört doch nun zu Tethyr, also warum die Vorbehalte?

 

Melvet entgegnet, dass vier der fünf mächtigsten Familien Riatavins (abgesehen von dem vom Königspaar eingesetzten Adel) natürlich amnisch sind, und seit der Herrschaft des Shoon-Imperiums gibt es ja ständig Reibereien zwischen Amn und Tethyr – der eine ist des anderen Lieblingsrivale. Das verwundert auch nicht, könnten die Kulturen doch kaum unterschiedlicher sein. In Tethyr gibt es daher genug Adlige, die einen Einfluss amnischer Familien auf die Politik befürchten, nun, da Zweige von ihnen tethyrianische Untertanen geworden sind. Dabei hat es schon immer Vermischungen gegeben. Was glaube Raif wohl, woher der Krimmevol Court in Darromar seinen Namen hat? Nun sei es aber spät genug geworden, morgen werde schließlich ein anstrengender Tag, und so verabschiedet sie sich zur Nachtruhe.

 

Raif muss sich eingestehen, dass Melvet es ihm wirklich angetan hat – aber sie spielt vermutlich nur mit ihm. Wie dem auch sei, jetzt ist er auch nicht schlauer als zuvor.

 

22. Flamerule 1375 DR

 

Am nächsten Tag ist halb Darromar auf den Beinen, denn heute wird geheiratet. Raveena zickt ein wenig herum, dass man vermutlich eingeladen worden wäre, wäre Dame Jhessail hier, genießt aber ansonsten den Trubel. Ja, für Fleece wäre das hier ein Riesenerlebnis, das sie genießen würde – ohne sie sind die Abenteurer nur Zaungäste wie alle anderen Bürger auch. Sie mischen sich unter die Leute, schlagen sich an den Ständen der Straßenverkäufer die Bäuche voll und beobachten schließlich die Prozession der Adligen zum Amaunator-Tempel. Stargast ist König Haedrak höchstpersönlich, aber nicht in seiner Funktion als König, sondern in der als Duke-Protector und direkter Lehnsherr Malcors, da ja schließlich der künftige Graf heiratet. Nachdem die Zeremonie im Tempel begonnen hat, wird auch draußen zum Gebet gerufen, und Raif fällt wieder auf, wie schnell die Kirche Amaunators in so wenigen Jahren ihren Einfluss ausgebaut hat und inzwischen das gesellschaftliche Leben bestimmt. Haben sich die Menschen so sehr nach einem Symbol der Ordnung gesehnt, das die kleinen Kirchen des Tyr und der Siamorphe ihnen nicht bieten konnten?

 

Raveena passiert übrigens im Gedränge etwas, das Helden eher selten zustößt: Sie wurde beklaut und hat es nicht bemerkt. Sie schmerzt das besonders, auch wenn Raif ihr das Geld ersetzen will – es war schließlich ihres und kein Almosen.

 

Hier und da kommt man ja immer mit den Menschen (zumindest den aufgeschlosseneren) ins Gespräch, und Raif wird tatsächlich zweimal gefragt, warum seine Leute keine Ehrengäste da drinnen sind. Er schützt gute Laune vor und meint leichthin, seine Gemeinschaft lege auf so viel Brimborium keinen Wert.

 

Drinnen sind die meisten Adligen der Crown Lands persönlich (oder per Stellvertreter) vertreten, so natürlich auch die Grafen Zelphar Thann und Dancon Riklass, Zorans Vater. Nach der Eheschließung verlässt die Prozession den Tempel wieder und trennt sich von Haedrak – als Lehnsherr hat er der Hochzeit seinen Segen gegeben, aber als König kann er nicht auf jeder Festivität und jedem Turnier sein, das würde nur Neid hervorrufen. Außerdem zwingen ihn Amtsgeschäfte eh zur Abreise.

 

Auf dem Weg nach draußen meint Graf Roaringhorn (David Morrissey) zu Malcor, dass er sich darauf freue, endlich mal die Haudegen von der Gemeinschaft kennen zu lernen. Etwas perplex antwortet Malcor, die seien gar nicht eingeladen. Roaringhorn fragt ihn, ob das sein Ernst ist – die Helden von Riatavin, Darromar und Brost, die seiner Schwiegertochter das Leben gerettet haben, sind nicht eingeladen? Er schüttelt leise lachend den Kopf und geht weiter. Malcor lässt sich "unauffällig" zurückfallen und beauftragt seine Ritterin Dame Lorana Kath, sofort diese Abenteurer ausfindig zu machen.

 

Die Abenteurer verbringen den Nachmittag auf den Straßen, schauen Barden oder fahrenden Puppenspielern zu, reden aber auch mit den Leuten, um zu hören, was sie über die Heirat, ihre Adligen oder die Gäste denken. Natürlich gibt es zahllose Gerüchte, und die meisten treffen vermutlich nicht mal ansatzweise zu, zumal auch wirklich haarsträubende darunter sind: Die Harmlyn aus Fairfields ist schwanger, deshalb musste schnell eine Hochzeit her, Roaringhorn betet Bane an und ist gerade dabei, den gutmütigen Malcor umzudrehen, und so weiter.

 

Eigentlich kehren sie nur ins Gasthaus zurück, um sich fürs abendliche Ausgehen umzuziehen, aber hier wartet Dame Lorana Kath bereits seit ein paar Stunden: eine grimmige Mittfünfzigerin, einäugig und einbeinig, aber gerüstet und mit einer stabilen Beinprothese versehen. Jaq hat bei ihren Unterhaltungen mit den Städtern sogar schon von ihr gehört: Sie sei eine mehrfach ausgezeichnete Kriegsheldin, die wegen ihrer Verdienste vom Grafen immer noch für verantwortungsvolle Aufgaben eingesetzt wird, auch wenn sie nicht mehr kämpfen kann. Einige sehen in ihr sogar einen Sheriff in einer der Harden, falls ein Platz frei würde.

 

Dame Lorana wirkt, als teile sie die Geringschätzung der meisten Adligen für solche Vagabunden, aber sie führt ihren Auftrag aus und "befiehlt" zwei vorzeigbare Mitglieder der Gemeinschaft zur Feier auf Loranse. Damit bleiben nur Raif und Jaq. Raif legt seine teuerste Garnitur an, die er für alle Fälle mitgenommen hat, und Jaq hat mit einer Schicht von Masks immer vorgesorgt und kann im cormyrianischen Abendkleid erscheinen. (Sie hat schlauerweise das Kleid einer reichen Händlerin "kopiert", um keinen ungewollten Fehler zu begehen, indem sie wie eine Adlige aussieht.) Enttäuscht wünscht Raveena den beiden "viel Spaß" und Spider Glück: "Ein Amnier und eine Calishitin inmitten lauter tethyrianischer Adliger. Seht Euch vor, dass sich auf Loranse kein Mord ereignet. Ihr werdet automatisch die Schuldigen sein."

 

Burg Loranse ist dem festlichen Anlass entsprechend geschmückt und stark beleuchtet, und das Zeltlager zwischen Burg und Stadt ist in den letzten Tagen deutlich angewachsen. Dame Lorana führt die beiden in den nun vor Menschen berstenden Rittersaal, der von der breiten Tafel an den Grafenthronen beherrscht wird, und in U-Form wurden weitere Tafeln angefügt, so dass die Mitte zum Tanz frei bleibt.

 

Raif und Jaq bekommen Plätze ganz weit hinten an einer der letzten Tafeln zugewiesen, an denen die wichtigsten unadligen Städter sitzen. Die Tische bersten unter den reichhaltigen Speisen, aber im Laufe des Essens bekommen Raif und Jaq mit, dass es hier anders als in Amn im Anschluss keine Stehparty geben wird – hier bleiben die Gäste auf den ihnen zugewiesenen Plätzen sitzen. Das kann ja heiter werden...

 

Sie sehen hier so ziemlich jeden, mit dem sie bisher Kontakt hatten: Ternan, Brenna und auch die Allants sitzen natürlich an der Familientafel, und auch Sir Zavion ist hier, die Grannoxes und Harmlyns sowieso. Die Kamera zeigt auch kurz einen interessierten Blick von Edmun zu Glenith und ein scheues Lächeln von ihr zu ihm.

 

Raif und Jaq verstehen weder genug von Politik (und von Lokalpolitik schon gleich gar nichts) oder von Wirtschaft, um sinnvoll an den Tischgesprächen teilzunehmen, die sich nur um den Weizen- oder den Wollpreis drehen, die Vergabe von Konzessionen, wer handelt mit wem, warum kann man den und den nicht unterbieten, was halten die Prospektoren von dem möglichen Zinnvorkommen dort und dort. Die Patrizier sind nicht weniger versnobt als die meisten Adligen und belächeln die Abenteurer nur. Der reiche Tuchhändler Raumarl Ulzander (Sebastian Blomberg) führt Raif sogar vor, als der sich zu beteiligen versucht, und verweist ihn erfolgreich in seine Schranken, was dieser widerwillig schluckt. Als Ulzander später erneut einen Scherz über Raifs politische und wirtschaftliche Ahnungslosigkeit macht, erwidert dieser: "Oh, Master Ulzander, there's no doubt in my mind that I know as little about trade as you do about fighting." Eisige Stille kehrt ein, und der Tisch beschließt stillschweigend, Raif zu ignorieren, aber jetzt ist Ulzander brüskiert und lenkt die Aufmerksamkeit komplett auf Raif, indem er ihn bittet, doch mal davon zu erzählen, wie man den Handel in Amn handhabt.

 

Das dient natürlich dazu, ihn so richtig zu blamieren, aber Raif hat genug Erfahrungen in gesellschaftlichen Situationen gesammelt, um jetzt nicht ins Stammeln zu geraten. Alle Aufmerksamkeit des Tisches ruht auf ihm, so dass Jaq ihn nicht zur Zurückhaltung mahnen kann, so sehr sie auch möchte. Am liebsten würde Raif Ulzander die Arroganz aus dem Gesicht prügeln, also markiert er sein Revier stärker, als er eigentlich geplant hatte: "Ach, wisst Ihr, Master Ulzander, das letzte Mal, dass ich mit Rennard Cormond oder Lizaia Nashivar oder Aura Coprith sprach, ging es eigentlich nicht um banale Krämerbelange. Wenn ihr euch dafür interessiert, wüsste ich einen fliegenden Bauchladenhändler, der bis zur Sothilis-Invasion in Trademeet gearbeitet hat. Ich weiß nicht, wo er seitdem abgeblieben ist, aber der hatte einfach alles."

 

Raif hätte Ulzander nicht härter ins Gesicht schlagen können, ohne ihn anzufassen, und sogar vom nächsten Tisch aus hören einige zu. Ulzander verbittet sich Raifs Ton, worauf Raif sofort erwidert, er verbittet sich seinen.

 

Die überall vertretenen Diener halten natürlich auch ein Auge auf die Gäste, und so bittet der Zeremonienmeister zum Tanz, indem er die Braut fragt, welchen sie sich wünscht. Nachdem Taral und Glenith also eröffnet haben, sieht Raif durch die auf die Tanzfläche strömenden Menschen, wie Melvet ihm von schräg gegenüber zulächelt. Aufgestachelt von der Auseinandersetzung denkt er sich "Scheiß drauf", geht hinüber und fordert sie auf. Diebisch lächelnd fragt sie, ob er mit cormyrianischen Tänzen vertraut sei. Nein, aber das ist ihm jetzt egal, er wird tun, was alle anderen tun, so schwer kann's nicht sein.

 

Er kennt diesen Gruppentanz nicht, aber dank seines hohen Skills macht er keine schlechte Figur und Melvet auch nicht. Gleichzeitig tanzen auch Raveena und Graywinter ausgelassen in einer Taverne, in der die Hochzeit ebenso gefeiert wird wie im Rest der Stadt. Die Atmosphäre ist natürlich eine völlig andere: Wo auf Loranse jeder falsche Tanzschritt missbilligend beäugt wird, machen sich die Tavernenbesucher einen Spaß daraus, zu sehen, wer zu besoffen ist, die Schrittfolgen noch hinzubekommen.

 

Auf Loranse wird zum Paartanz aufgespielt, und nach kurzer Absprache tanzen Raif und Melvet ihn amnisch. Raif ist klar, dass er damit (vermutlich überwiegend unangenehm) auffällt, aber er weiß, wer er ist, und er hat zu viel geleistet, um vor denen, die er für Niemande hält, immer wieder seine Würde runterschlucken zu müssen. Er ist stolzer Amnier und stolzes Mitglied des Ordens der Ersten Sonne, und das darf jeder sehen, denn Darromar ist ihm verdammt noch mal zu mehr Dank verpflichtet, als ihm achtlos ein paar Brotkrumen zuzuwerfen. Er ist nur froh, dass Melvet so bereitwillig mitmacht – hat sie hier etwa auch nichts zu verlieren?

 

Von ihrem Platz so weit hinten kann Jaq leider die Reaktionen der wichtigen Gäste nicht erkennen: zu weit weg, zu verdeckt. Skeptisch beobachtet sie Raifs und Melvets Tanz.

 

Man hat niemanden an der Stirntafel anzusprechen, wenn man nicht selbst angesprochen wird, doch genau das geschieht: Ein offenbar bedeutender Gast – er sitzt schließlich direkt neben Graf Malcor, obwohl er von allen an dieser Tafel am dezentesten gekleidet ist – winkt Raif zu sich. Das Gesicht wirkt mit seiner breiten Nasenwurzel und den tiefliegenden Augen nicht unbedingt auf den ersten Blick sympathisch, kommt Raif aber vage bekannt vor. Im letzten Moment erkennt er ihn (es ist ja schon sechs Jahre her, dass er ihn ein-, zweimal flüchtig sah), verneigt sich und begrüßt Graf Roaringhorn mit Namen. Gespräche unter vier Augen sind auf diesen Festen nur unter Gleichrangigen möglich. Hier kann Roaringhorn also nur über den Tisch hinweg ein paar Worte mit dem stehenden Raif wechseln. Er redet ruhig, aber freundlich.

 

Roaringhorn: Master Bowgentle! Ihr kennt mich?

Raif: Wir sind vor und nach der Schlacht von Crown's Gap ein-, zweimal aneinander vorbeigelaufen, Mylord. Ihr erschient mir als ein Mann, den ich mir merken muss. (Er erntet Gelächter an der Tafel.)

Roaringhorn: Schön, Euch mal kennen zu lernen. Ihr habt mir vor vier Jahren mal eine ziemlich böse Zecke aus dem Pelz gepflückt.

Raif: Euer Lordschaft waren zu der Zeit in Cormyr. Wärt Ihr es nicht gewesen, hättet Ihr es selber getan.

Roaringhorn: Und Ihr vor drei Jahren.

Raif: Auf Wunsch Seiner Herzöglichen Hoheit, ja, Mylord.

Roaringhorn (nickt und sieht ihn drei Sekunden lang nur an): Nehmt Ihr am Turnier teil?

Raif: Dazu fehlt mir die Ritterwürde, Mylord.

Roaringhorn: Aber Ihr werdet hier sein?

Raif: Wenn das Euer Wunsch ist, werde ich es.

Roaringhorn: Das ist es. Wir haben zu reden, Master Bowgentle. Aber jetzt widmet Euch wieder Eurer Gesellschaft. Sie ist deutlich hübscher als ich.

 

Raif grinst, verneigt sich noch mal und ist entlassen. Damit hatte er nicht gerechnet. War das Zufall oder wollte Roaringhorn Raifs Position stärken? Dieses kurze Gespräch (allein sein bloßes Zustandekommen und auch der Inhalt) hat Raifs Ansehen hier enorm gut getan. Er wurde von einem Grafen angesprochen, konnte unterbringen, dass er mit ihm gemeinsam im Reklamationskrieg gekämpft und an der Entscheidungsschlacht um Erlkazar teilgenommen hat, wurde für einen erwiesenen Dienst gelobt, von dem hier vermutlich die Wenigsten wissen, und konnte erwähnen, dass er wichtig genug ist, vom Königreich nach Cormyr entsandt zu werden. Leider fand das alles zu weit von Raifs Tisch entfernt statt, als dass Ulzander und die anderen Händler dort etwas mitbekommen hätten. Sei's drum, es wird sich zu ihnen herumsprechen.

 

Er tanzt noch einen Tanz mit Melvet, doch da sie beide ihre festen Plätze haben, können sie sich nicht richtig unterhalten und kehren letztlich zu ihren Tafeln zurück. Sobald es schicklich erscheint, verlassen Raif und Jaq die Festivitäten. Da Raveena und Graywinter noch feiern, kann man sich erst am nächsten Morgen austauschen.

 

Raveena schleppt Graywinter auf ihr Zimmer ab, und sie verausgaben sich miteinander. Diesmal wird es live gezeigt: Die sonst so selbstbewusste, spröde, schnoddrige Raveena wird gegen die Wand gedrückt, am Haar festgehalten, geschlagen (nicht hart, aber die Haut rötend), leicht gewürgt – inzwischen kann sie ihren Liebhaber einschätzen und merkt, dass er die Kontrolle nicht verliert, jeden Klaps, jeden Griff so dosiert, dass er gerade nicht zu hart gerät. Dieser Eindruck erlaubt Raveena vollends, sich ihm hinzugeben. (Hierbei entstand, obwohl das gar nicht geplant war – aber die Ähnlichkeiten sind rückblickend nicht abzustreiten –, der Running Gag "50 Shades of Graywinter".)

 

23. Flamerule 1375 DR

 

Die Gruppe unterhält sich darüber, was sie mitbekommen hat. Raveena und Graywinter können berichten, dass Graf Malcor Grannox beliebt ist, weil er als ruhig, vernünftig und anständig gilt, aber auch, weil die Grannoxes eine alte tethyrianische Familie sind – im Gegensatz zu Fremden, die mit Titeln belohnt wurden wie der Waterdhavian Zelphar Thann von Rivershire, der Cormyrianer Holver Roaringhorn von Valashar und viele andere. Die Menschen haben wohl vergessen, dass sie die Ten Black Days of Eleint ihren eigenen Adligen zu verdanken hatten.

 

Roaringhorn war spöttisch als "Bettelgraf" bekannt, weil er mit Valashar die ärmste Grafschaft von ganz Tethyr übertragen bekommen hatte. Das hat sich mit der Sezession der Ländereien um das reiche Riatavin grundlegend geändert, und das hat sicherlich Begehrlichkeiten hervorgerufen. Wo die feinen Pinkel Roaringhorn zuerst als Geringsten unter ihresgleichen belächelten, neiden sie ihm nun die hinzugewonnene Geldquelle nebst Gebiet, denn Valashar ist damit zur größten Grafschaft des ganzen Reiches geworden. Dass sich das noch nicht so prominent ausgezahlt hat, liegt an den immensen Schäden, die die Goblins angerichtet haben.

 

Gemeinsam schlendert die Gruppe über das riesige Gelände außerhalb der Stadt: Jedes Turnier ist ein kleines Volksfest, und wenn ein Graf es ausrichtet, dementsprechend größer. Die Bürgerlichen halten ihre eigenen Wettbewerbe ab (Bogenschießen, Ringen, Weitwurf etc.) und sorgen für das musikalische Rahmenprogramm, aber die Hauptattraktion sind natürlich die ritterlichen Disziplinen: Zweikampf mit unterschiedlichen Waffen, Lanzenstechen, Tjoste und Buhurt. Im gemeinen Volk blüht das Wettgeschäft, und Kenner fachsimpeln über die Techniken bekannter Turnierritter.

 

Sogar Graywinter hält sich mit bissigen Kommentaren zurück und saugt alles auf – der culture clash ist doch sehr groß. Dies ist die Zurschaustellung des Rittertums, das es in Waterdeep nicht gibt.

 

Raif fragt sich nach dem Valashar-Lager durch und bittet dann einen Pagen, dem Grafen Bescheid zu geben. Er nimmt an, dass er irgendwo warten soll, aber stattdessen kommt der Page zurück und nimmt ihn mit. Roaringhorn zeigt sich erstaunt, dass Raif allein kommt, aber der wusste nicht, wen der Graf sehen will, und mit Spider und Skaar wäre er sowieso aufgehalten worden. Der Graf stellt kurz seinen Sohn Glaster vor (der gerade seine Rüstung angelegt bekommt, weil er tjosten wird, sobald die Bahn eröffnet wird) und spaziert dann mit Raif gemächlich durchs Lager. Raif weiß, dass Roaringhorn gewiss viel von seinem Herzog über die Gemeinschaft der Ersten Sonne gehört hat, und natürlich wird Hembreon ihm alles über Cormyr erzählt haben – da gibt es vermutlich nichts, was Roaringhorn nicht weiß. Dennoch bittet er Raif, von Cormyr zu berichten, also tut Raif das, und natürlich erwähnt er auch Chessenta, wenngleich er nicht selbst dabei war.

 

Roaringhorn: Stellt Euch vor, das wäre nicht Chessenta gewesen, sondern, sagen wir, die Grafschaft Lathmarch, und nicht 1373 DR, sondern 1367 DR. Was denkt Ihr, wie sehr man Euch heute dafür feiern würde?

Raif: Chessenta ist auch für mich sehr weit weg. Ich verstehe, wenn darüber nicht so viel geredet wird. Zumal hier ja sowieso nur Gerüchte ankommen, die vermutlich nicht mehr viel mit dem zu tun haben, was tatsächlich geschehen ist. Und was schert es den Schäfer aus Ithmonn, was tausend Meilen entfernt vonstatten geht?

Roaringhorn: Mh.

Raif: Dasselbe gilt für Cormyr. Wir haben es ja nicht des Ruhmes wegen getan.

Roaringhorn: Und das Miststück Indimber habt Ihr auch nicht des Ruhmes wegen auffliegen lassen?

Raif: Seine Hoheit brauchte uns dafür nicht. Während wir Beweise für ihre Untreue in Darromar fanden, fand der Herzog sie auf Ghaston Grey.

Roaringhorn: Bescheidenheit ist ein zweischneidiges Schwert, Master Bowgentle. Sie erweckt einen vertrauenswürdigen Eindruck, wenn sie gut dosiert wird, aber zu viel davon, und man traut Euch nichts mehr zu.

Raif (schmunzelt): Keine Sorge, Mylord. Ich tendiere eher zu dem Versuch, Vertrauen zu erwecken. Bisweilen mehr, als mir lieb sein kann.

Roaringhorn (lacht leise): Ich habe es immer bedauert, nicht persönlich da gewesen zu sein. Musste meinen eigenen Lehnsherrn und ein paar Abenteurer meine Arbeit erledigen lassen.

Raif: Es ist sicher nicht leicht, zu versuchen, zwei Königreichen gerecht zu werden.

Roaringhorn: Denkt Ihr, ich war deshalb in Cormyr? (Er stellt sich wie ein ganz normaler Bürger an einem Imbissstand an.)

Raif: Ihr seid mir keine Rechenschaft schuldig, Mylord. Mich geht es auch überhaupt nichts an.

Roaringhorn: Schon wieder so bescheiden. Der Herzog hat Euch anders beschrieben.

Raif (grinst): Ich bin nicht Dame Jhessail.

Roaringhorn: Master Bowgen—Euer Name ist mir zu lang. Erlaubt Ihr mir, Euch Raif zu nennen?

Raif: Gewiss, Mylord.

Roaringhorn: Und ich bin keine darromarsche Hofschranze. Graf genügt.

Raif: Sehr gern, Graf.

Roaringhorn: Raif, ohne Hierarchien funktioniert hier nichts. Der Hochadel kann sich nicht mit Gemeinen verbrüdern, schon gar nicht mit solchen wie Euch. Der Herzog hat mutig gereizt, und Ihr habt ihm ein gutes Blatt dafür gegeben. Aber auf Dauer kann er keine Niemande bevorzugen. Der Ritterschlag war Lohn und Anerkennung, aber er macht die Dinge auch einfacher.

Verkäufer (erkennt Roaringhorn nicht, da er in Zivil herumläuft): Was darf's sein?

Roaringhorn: Ogerspieß. (Er sieht Raif an.)

Raif: Hexenpeitsche.

Roaringhorn: Dass er Dame Jhessail in den Ritterstand erhoben hat, heißt nicht, dass er nicht jeden einzelnen Eurer Namen kennt – und über jeden etwas erzählen kann. Aber als Herzog kann er sich nicht über Gebühr mit Gemeinen abgeben. Mit einer Ritterin schon.

Raif: Nun, ich, äh... danke Euch für Eure offenen Worte. (Roaringhorn zahlt, beide nehmen ihre Snacks entgegen und gehen essend weiter.) Ihr seht Seine Hoheit gewiss eher wieder als wir. Wollt Ihr ihm ausrichten, dass Dame Jhessail es wirklich gehasst hat, sich zwischen der Gemeinschaft und ihm entscheiden zu müssen? (Er grinst.) Sie liegt uns immer noch mit ihm in den Ohren.

Roaringhorn: Wird ihn freuen zu hören. Und dabei belassen wir's dann auch. Die Gerüchte werden ja endlich ein bisschen leiser.

Raif: Wer es wagt, sie in unserer Gegenwart zu äußern, muss uns Rede und Antwort stehen.

Roaringhorn (berührt Raif sachte am Arm, um ihn langsamer werden zu lassen, weil sie die anderen gleich erreicht haben): Unter uns. Denkt nicht schlecht von Graf Grannox.

Raif: Es steht mir nicht zu, mir irgendein Urteil—

Roaringhorn: Spart Euch mal das untertänige Gewäsch. Wir wissen beide, dass Ihr eine Menge von Euch haltet. Soweit ich das beurteilen kann, zu Recht. Was Indimber mit diesen götterlosen Banditen ausgeheckt hatte, diente dazu, den Namen Grannox untragbar zu machen. Dass sein großer Bruder am Ende mit runtergelassenen Hosen dastand, war nicht einfach für Malcor. Ihr habt dabei geholfen, Valsin die Hosen runterzulassen, und so gern Malcor es vielleicht auch vergessen möchte, Ihr erinnert ihn daran. Deshalb tut er sich schwer mit Euch.

 

Raif nickt nur, und Roaringhorn begibt sich mit ihm für ein paar Minuten zu Spider, Jaq, Raveena, Skaar und Graywinter, um jeden mal kennen zu lernen, muss dann aber zurück, um sich für die Tjoste bereit zu machen.

 

Die Abenteurer treiben sich noch eine halbe Stunde herum und finden sich dann hinter den Absperrungen ein, um der Eröffnung der Spiele zuzusehen. Auf der mit Girlanden geschmückten Tribüne sitzen die Grannoxes und Harmlyns, und zur Feier der Hochzeit obliegt es nun Taral, das Turnier zu eröffnen. Er bedankt sich für das zahlreiche Erscheinen zu diesem schönen Anlass und dankt Amaunator, dass er ihm diese Frau geschickt hat – so sei es nur recht, mit ihr gemeinsam die Spiele zu eröffnen. Er bittet Glenith, sich zu erheben, tauscht mit ihr den Becher, prostet, beide trinken und setzen sich wieder, die Fanfaren ertönen, der Herold macht sich bereit, die erste Paarung bei der Tjoste auszurufen... und Taral bricht auf seinem Stuhl zusammen. Auf der Grafentribüne herrscht ein heilloses Durcheinander, auch die Menge gerät in Aufruhr, irgendjemand schreit "Mord, heimtückischer Mord!", und schon ist der Teufel los.

 

Der völlig verzweifelte, durch den Schock desorientiert wirkende Malcor muss von zwei Mann von Taral weggezogen werden, damit die für das Turnier bereitstehende Ilmatranerin den Burschen behandeln kann, aber das Gift hat zu schnell gewirkt: Er ist tot. In den Gesichtern von Ternan, Brenna, Edmun und allen anderen ist nichts als aufgelöste Bestürzung zu lesen, und Minhiriaths Beine versagen ihr den Dienst. Glenith steht mit tränennassem Gesicht und offenem Mund immer noch zitternd da – sie steht unter Schock, und Sir Zavion führt sie behutsam weg.

 

Das Turnier ist damit vorbei, bevor es begonnen hat, und Gardisten lösen die Menge auf, so dass auch die Helden in die Stadt zurückkehren. Jaq betont unterwegs, dass sie gesehen hat, dass Taral – möglicherweise als Zeichen seiner "Liebe" und "Verbundenheit", die er mit der Geste signalisieren wollte? – den Becher mit Glenith getauscht hat, also dürfte sie das eigentliche Ziel gewesen sein. Graywinter entgegnet, dass der Mordanschlag auf sie fingiert gewesen sein könnte, um alle in die Annahme zu versetzen, dass ihr jemand nach dem Leben trachtet. Wenn dann ein anderer aus dem Becher trinkt, der doch für sie bestimmt war – zum Beispiel, weil er im Vorfeld mit der Suggestion belegt wurde, das zu tun, oder weil jemand aus der Menge magisch seine Handlungen steuerte –, wäre sie der unverdächtigste Mensch von allen und obendrein die Witwe des Nachfolgers des Grafen von Ithmonn.

 

Raif sieht ihn verblüfft an. Wie in aller Welt kommt man auf solche Ideen? Graywinter erwidert, er stamme aus Torils Hauptstadt der Intrigen – allenfalls Amn könne Waterdeep in dieser Hinsicht das Wasser reichen. Besser, im Zweifelsfall zu kompliziert zu denken als nicht kompliziert genug. "Wartet's nur ab, schon bald werden sie eine Spur finden – die hat sie dann nämlich schlauerweise auch schon gelegt. Wetten, dass sie über das Gift den Schuldigen ausfindig machen?" Raveena winkt ab, das gehe sie sowieso nichts an. Ohne Belohnung könne sie auch keinen Auftrag erkennen, sollen sich die Adligen doch darüber die Köpfe zerbrechen.

 

24. Flamerule 1375 DR

 

Schon am nächsten Morgen taucht Glaster Roaringhorn im Cold Moon Inn auf und teilt mit, dass nun Melvet Tormaril als die Drahtzieherin gilt – mehr weiß Glaster auch noch nicht, aber sein Vater bittet die Gemeinschaft um Hilfe, ihre Unschuld zu beweisen. Raif, Jaq und Graywinter begleiten ihn nach Loranse, der Rest bleibt hier, um nicht zu viel Aufsehen zu erregen.

 

Wegen des Chaos stehen die Tribünen, Absperrungen und Buden noch so da wie gestern, als ginge das Turnier bald los. Graf Roaringhorn sitzt wie ein einsamer Zuschauer auf den Rängen der wichtigen Gäste, und beim Näherkommen raunt Graywinter Raif zu, dass ihn nicht wundern würde, wenn er mit Glenith unter einer Decke steckt – als Melvets Begleiter, mit dem sie gereist ist, wäre es ein Leichtes, ihr das Gift unterzujubeln. "Oder denkst du, er wollte gestern mit dir sprechen, weil er unbedingt mal den berühmten Raif Bowgentle kennen lernen musste?" Raif winkt nur sauer ab.

 

Roaringhorn berichtet, dass sich Lord-Mayor Ternan Grannox bereit erklärte, seinem am Boden zerstörten Onkel die Ermittlungen abzunehmen. Er ließ das Gift untersuchen, und die Spur soll irgendwie zu Juberic Gane geführt haben. Melvet wurde unter Zimmerarrest gestellt, bis Gane sie entlastet – er wird gerade im Folterkeller peinlich befragt.

 

Roaringhorn: Natürlich wird er am Ende das sagen, was der Folterknecht hören will – das tun sie alle. Und man will hören, dass Melvet die Auftraggeberin ist, denn sie hat hier keine Freunde außer Malcor und mich.

Raif: Natürlich tue ich, was ich kann. Aber dazu muss ich von Graf Grannox beauftragt werden, denn sonst kann ich nicht viel erreichen.

Roaringhorn: Malcor ist in tiefer Trauer um seinen einzigen Sohn versunken, Mann! Er hat kein Interesse daran, jemanden zu entlasten, der es vielleicht ja doch war.

Raif: Glaubt Ihr das?

Roaringhorn: Nein.

Raif: Graf, ich kann nicht dem Lord-Mayor ohne irgendeine Befugnis ins Handwerk pfuschen. Wenn ich das tue, sitze ich schneller in der Zelle neben Gane, als ich Amaunator sagen kann, das wisst Ihr.

Roaringhorn: Mein Wort hat hier kein Gewicht! Eher ist es so, dass man mich argwöhnisch beäugt, weil ich die Amnierin angeschleppt habe. Warum wende ich mich damit an Euch, was denkt Ihr?

Raif (atmet durch, nickt dann): Wenn sich etwas Neues ergibt, lasst es uns bitte wissen. Es wird immer jemand im Cold Moon Inn sein. (Er verneigt sich und geht. Im Gehen gepresst-wütend zu Graywinter, ohne ihn anzusehen:) Wenn du mir jetzt damit kommst, dass ich keine Entlohnung verlangt habe, durchbohre ich dich an Ort und Stelle.

Graywinter: Mitnichten, Bowgentle. Ohne eine abgesprochene Bezahlung ist es keine Transaktion, sondern ein Gefallen – und danach dürfte sich der Auftraggeber in spe großzügiger zeigen, als er es bei einem Handel getan hätte.

Raif: So? Eben steckte er noch mit Glenith unter einer Decke.

Graywinter: Dann arbeiten wir eben für den Bösewicht. (Süffisant:) Das macht das, was wir tun, ja nicht falscher, hmmm?

Raif: Oghma, schenke mir Geduld...

Graywinter: Oghma muss dir noch eine ganze Menge mehr schenken, wenn du dieses Kind schaukeln willst.

Jaq (deeskalierend): Vielleicht sollten wir uns dennoch an den Lord-Mayor wenden.

Graywinter: Nein. Bowgentle versteht sich gut mit Allant. Mit ihm als Fürsprecher wird der Lord-Mayor vielleicht gewogener sein, uns gewähren zu lassen.

 

Die drei sind glücklicherweise gut gekleidet – so kommen sie zu Pferd in der Stadt schneller voran, ohne Schwierigkeiten wegen Verkehrsgefährdung zu bekommen. In Darromar fragen sie sich also nach Edmun durch, Jaq belegt sich mit Serene Visage und bearbeitet ihn. Er ist zuerst komplett dagegen, weil er die Amnierin für schuldig hält, aber Jaq sät so gekonnt Zweifel, dass sie ihn schließlich überzeugt. Gemeinsam treten sie ohne Termin vor Ternan, der freundlich, aber bestimmt meint, er habe gerade wahrlich Wichtigeres zu tun. Doch schon wieder fallen die Würfel bei Jaq fabelhaft, und der Zauber wirkt auch auf Ternan. Gut, wenn es unbedingt sein müsse. Er lässt Sir Zavion kommen, der berichtet, dass das Gift so schnell gewirkt hatte, weil zwei für sich schon tödliche Pilzextrakte verwendet wurden: Schattenkappe und Kräuseltrichterling. Ersterer kommt in dieser Gegend nicht vor, Letzterer ist offenbar einheimisch, aber schwer zu finden. Sir Zavion entsandte also Ermittler zu den Alchimisten der Stadt. Einer gab an, in der Tat vor Kurzem Schattenkappenraspel an einen Ausländer verkauft zu haben, der Kleidung nach. So viele gebe es hier davon ja nicht, meint Sir Zavion, also wurde er mit auf die Burg Loranse genommen, es gab eine Gegenüberstellung, und der Alchimist identifizierte zweifelsfrei Juberic Gane. Die drei lassen sich die Adresse des Alchimisten geben und dürfen auch runter ins Verlies.

 

Hier führt der Ratsherr und Justiziar Hargath Merault (Anton Lesser) die peinliche Befragung durch, und der nackt auf die Folterbank gebundene Juberic Gane sieht schrecklich durch die Mangel genommen aus. Merault ist kühl und sachlich, aber auch überrascht, dass sich hier jemand von außen einmischt, doch Edmun bürgt dafür, dass sie Ternans Erlaubnis haben. Ganes Geständnis wurde bereits aufgenommen, jetzt ist der Folterknecht nur noch dabei, die Motive seiner Herrin zu erörtern. Nicht mal Graywinter macht eine seiner arroganten Bemerkungen – der Anblick dreht jedem den Magen um, und Gane wäre dem Tode geweiht, ließe man die Ilmatranerin nicht immer wieder seine Wunden lindern.

 

Gane ist völlig fertig und nicht ansprechbar, er antwortet nicht auf Raifs Fragen, sondern fleht nur immer wieder: "Macht, dass das aufhört!" Raif weist Merault darauf hin, dass der Tempel Amaunators über die Möglichkeit verfügt, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden, aber Merault lässt ihn abblitzen: Er werde nicht mit einem Durchreisenden strafphilosophische Fragen erörtern. (Raif weiß selbst, dass der Tempel dazu nicht da ist. Die Justiz soll auch ohne ihn funktionieren, er leitet lediglich an, und Liturgien zur Wahrheitsfindung werden in erster Linie in kirchlichen Angelegenheiten angewendet.)

 

Um nicht gehört zu werden, muss Raif mit Graywinter Wange an Wange flüstern: Er bittet ihn, hier zu bleiben, was der Zauberer zunächst verächtlich ablehnt, aber Raif erklärt, dass das Geständnis ja bereits ordentlich aufgenommen wurde – nun darf es bei der Folter keinen "Unfall" geben, und die Anwesenheit eines Dritten könnte das erschweren. Graywinter sagt nichts, nickt aber schließlich.

 

Raif und Jaq eilen zu Elgrim's Elixirs und befragen den Alchimisten. Jaq weiß, wie einfach es ist, wie jemand anderes auszusehen, und fragt, wie der Mann geklungen hat. Durch Nachhaken arbeitet sie heraus, dass Elgrim nichts Besonderes an seiner Aussprache aufgefallen ist, er also wie jemand von hier geklungen haben muss. Sie erklärt Raif, dass Gane vielleicht einen amnischen Akzent hat, und falls nicht, klingt er jedenfalls garantiert nicht wie ein Einheimischer. Raif meint, der Übeltäter müsste daran gedacht haben, aber Jaq widerspricht: Dazu ist neben Deceptive Facade ein weiterer Zauber nötig, der die Stimme ändern und einen Akzent darüber legen kann: Mimicry. Vielleicht beherrschte der Täter diesen Zauber nicht, oder vielleicht hielt er ihn nicht für nötig, da es ihm nur auf die amnischen Kleider ankam.

 

Das sind nur Indizien, das reicht alles nicht, aber sie müssen es versuchen. Also kehren sie ins Rathaus zurück und platzen in Ternans Arbeitszimmer, wo sie auch Sir Zavion, Merault und zwei weitere Ratsherren antreffen, die diesen Fall gerade diskutieren, denn Merault ist zufriedengestellt: Ganes Angaben, wann Melvet ihn womit beauftragt und was er wo wann getan hat, ergeben Sinn.

 

Jaq muss leider ohne Serene Visage auskommen. Sie und Raif tragen ihre Argumente vor: Mit Würfen von 27 und 26 erregen sie genug Interesse, um jeden Punkt ausführen zu können. Raifs Sense Motive verläuft katastrophal, aber bei Jaq fällt eine natürliche 20. Sir Zavion wirkt auf sie, als wolle er den Fall ungeachtet offener Fragen schnell abschließen, und sie merkt, dass er sich "Warum reden wir mit diesen Niemanden überhaupt?" fragt. Merault bleibt immer noch undurchschaubar, und Ternan wirkt unschlüssig, beeinflussbar und hin- und hergerissen.

 

Jaq setzt also geschickt nach: Melvets Schuld müsse doch angesichts ihres Standes – nicht von Adel, aber in Riatavin sehr angesehen und zum Patriziat gehörend – zweifelsfrei nachgewiesen werden, denn sollte sie unschuldig verurteilt werden, würde sich das auf die Beziehungen zwischen Riatavin und dem Rest des Reiches auswirken, vielleicht sogar darüber hinaus, da die Tormarils auch in Amn ansässig sind und die Hinrichtung politisch instrumentieren könnten. Sir Zavion entgegnet kühl, dass jeder weiß, dass die Tormarils nur im Kielwasser der Krimmevols schwimmen, dass Melvet eine geborene Krimmevol ist und dass ihre Familie immer noch eine Rechnung mit Darromar offen hat. Das sagt den beiden leider nichts, weshalb sie darauf nichts erwidern können. Jaq schwenkt also darauf um, dass die Lösung zu einfach und zu bequem ist. Merault verweist auf das Geständnis, und Raif erwidert, dass ein Gefolteter alles sagt, was die Schmerzen aufhören lässt. Jaq fragt, warum Gane offen als Amnier erkennbar die Zutaten für ein Gift kaufen sollte, so dumm kann man doch gar nicht sein, wenn man es andererseits schafft, Gift unbeobachtet in den Becher der Braut zu geben. Ist er nun also ein Profi oder ein Stümper? Hat man überhaupt die Diener befragt, die eingeschenkt und serviert haben, hat man nachvollzogen, durch wie viele Hände die Becher gingen, hat man die Leiche auf den Nachklang von Magie untersucht?

 

Ja, antwortet Sir Zavion, Letzteres wurde sofort getan, es war keine Magie erkennbar, und für den Anlass gab es mit Hirsch und Hinde speziell geschmückte Becher für Braut und Bräutigam. Raif hat mit Diplomacy erneut versagt, aber Jaqs Wurf überzeugt Ternan. Bevor er es sich anders überlegen kann, sagt er, er wolle nichts überstürzen. Sir Zavion bedrängt ihn, dass er zwar selbst ein Interesse daran hat, dass der Übeltäter bestraft wird, denn auch er wäre fast getötet worden, wenn nicht... Er bringt es nicht über sich, auszusprechen, dass ihm die Abenteurer das Leben gerettet haben, also beendet er den Satz nicht und fährt fort, dass er auch ganz objektiv betonen müsse, dass der Lord-Mayor freiwillig die Ermittlungen übernommen habe, dabei aber auch die Pflicht eingegangen sei, seinem Onkel schnelle Ergebnisse zu liefern. Jaq nutzt diesen Ansatzpunkt: Die amnischen Gäste erreichten Loranse am Morgen des Tages, an dessen Abend der Überfall stattfand, Juberic Gane reiste offen mit Melvet Tormaril an. Da sie als Drahtzieherin ja offenbar niemand anderen hat, so dass sie ihn zwecks Kauf der Giftzutaten schicken musste – wobei er nicht mal Gelegenheit hatte, lokale Kleider anzuziehen –, soll er es also geschafft haben, ungesehen sofort nach Ankunft in die ihm fremde Stadt zu reiten, in der Unterwelt umgehend einen Kontakt zu der größten Räuberbande der Grafschaft herzustellen und den Auftrag (nebst Bezahlung) zu erteilen?

 

Darauf fällt nicht mal Sir Zavion etwas ein, und sogar Merault räumt ein, dass das ein überlegenswertes Argument ist. Raif setzt mit einer guten Idee nach: Um alle Zweifel zu beseitigen, könnte man sich an den Amaunator-Tempel wenden. Wäre ein Scherenschleifer, ein Kaufmann, sogar ein Ratsherr ermordet worden, bliebe das zwecklos, aber im Falle eines ermordeten Grafensohns könnte man doch wenigstens mal fragen, oder? Ternan rutscht "Wie stehen wir denn da, wenn wir unsere eigene Gerichtsbarkeit nicht durchsetzen können?" heraus. Gesagt ist gesagt, das kommt nicht infrage.

 

Inzwischen stößt Graywinter dazu, denn jetzt soll Gane sich erst mal erholen, und gerade wurde ein Dämonenbeschwörer dingfest gemacht und soll nun befragt werden, also hat man Graywinter aus der Folterkammer geworfen, denn das geht ihn nichts an. Raif bittet darum, mit Melvet sprechen zu dürfen. (Sie steht auf Loranse unter Zimmerarrest, wird aber von Ternans Gardisten bewacht.) Ternan lässt einen Passierschein ausstellen.

 

Die drei machen einen Umweg über das Temple Quarter und informieren im Cold Moon Inn die anderen. (Skaar langweilt sich zu Tode.) Raif möchte nicht mehr Aufsehen als nötig erregen, bedankt sich bei Jaq für ihre großartige Leistung und möchte mit ihr und Spider zu dritt zur Burg.

 

Graywinter: Spider? Ah ja. Kein Aufsehen erregen, hm?

Raif (wütend): Es geht hier um das Leben einer sehr wahrscheinlich Unschuldigen. Könnten wir vielleicht einmal das Streiten sein lassen?

Graywinter: Aber gewiss doch. Ich bin ein verständiger Mann und nur aufs Herz, aber nicht auf den Kopf gefallen. Und du bist nicht Dame Jhessail, Bowgentle. Du willst, dass ich bleibe? Gern. Überzeuge mich.

 

Raif schluckt seine Wut runter und erklärt genervt, dass Spider über Möglichkeiten verfügt, die hier sonst niemand hat, und Raif weiß selbst noch nicht, ob er sie braucht. Sie hauen zu dritt ab, und Graywinter bestärkt Raveenas Frustration mit der Einflüsterung, ob sie merke, dass nur die Mitglieder der Gemeinschaft der Ersten Sonne aufbrechen...

 

Der verzweifelte Ternan mehrt sich bei Brenna darüber aus, wie widersprüchlich die Beweise sind, die auf Melvet Tormaril hindeuten, und klagt, dass er nicht weiß, was er tun soll. Sie bestärkt ihn darin, eine harte Hand zu zeigen, denn bei dem Mord am Sohn des Grafen schaut nicht nur der lokale Landadel hin, sondern auch der Duke-Protector wird sich nach seiner Rückkehr kundig machen. Sie gibt ihm wieder Sicherheit und Selbstbewusstsein. Er nickt, atmet durch und lässt Merault rufen.

 

Zu dritt reiten die Helden zur Burg, werden mit dem Passierschein eingelassen und zu Melvets Zimmer gebracht, aber nur einer darf rein, also geht Raif. In Melvets Gesicht steht Angst geschrieben, als die Tür aufgeht, und dann Überraschung, aber sofort ist sie wieder würdevoll gefasst. Er erklärt ihr gleich, dass er versucht, ihre Unschuld zu beweisen, merkt aber, dass sie sich fragt, ob das ein Trick ist. Raif bittet sie, ihm zu erklären, warum der Name Krimmevol hier nicht wohlgelitten ist.

 

Melvet erzählt, dass der einst in Ithmong ansässige Zweig der aus Amn stammenden Krimmevols eng mit dem Stadtherrn Jaelian Gallowglass verbandelt war. Zuerst unterstützten die Ithmong-Krimmevols Zaranda, als diese Ithmong einzunehmen versuchte, aber später, als sie zu verlieren drohte, schlugen sie sich auf die Seite von Jhannivar. Dafür wurden Lord Jyordan und sieben weitere Familienmitglieder hingerichtet, und der Rest wurde ins Exil geschickt. In Riatavin jedoch gehören sie neben den Bhaerkantos, Tormarils, Jashires und Copriths zu den fünf größten Landbesitzerfamilien. Ein echter Krimmevol würde sich gewiss so bald nicht wieder nach Darromar wagen, aber Melvet, als Tochter von Mundal (der dritte Bruder des Patriarchen) eine geborene Krimmevol, hat Wenlan Tormaril geheiratet und repräsentiert diesen nun. Dass sie zu den Krimmevols gehört, ist kein Geheimnis, und mit der neuen Familienzugehörigkeit "erlischt" offiziell ja die alte, und damit ist dem Anschein Genüge getan.

 

Auf die Frage, welche Geschäfte ihr Mann mit Grannox und Roaringhorn macht, will sie nicht antworten. Gut, dann anders: Ob sie mit diesen Geschäften auch Ithmonn zu erreichen versuche? Nein. Und vielleicht später? Vielleicht. Ob sie irgendjemanden wüsste, der einen besonders starken Groll gegen die Krimmevols hegt oder vielleicht gegen sie persönlich? Nein. Kann sie bestätigen, dass Gane hier war, während er angeblich in Darromar gewesen sein soll? Ja. (Nicht, dass das etwas brächte.)

 

Sie ist zu gefasst, hat vielleicht auch noch gar nicht begriffen, in welcher Gefahr sie schwebt, also ergreift Raif sie bei den Schultern und erklärt ihr schonungslos, wie übel Juberic Gane gefoltert wurde, damit er zugibt, was man ihm in den Mund legte. "Sie wollen dich als Mörderin überführen, koste es, was es wolle, begreifst du das?" Sie erschrickt, die Fassung bröckelt, und sie beginnt zu schluchzen. Entweder ist sie eine fabelhafte Schauspielerin, oder das ist echt. Raif möchte Letzteres glauben, aber er kommt auch hier nicht weiter. Entweder weiß sie nichts, das ihn weiterbrächte, oder sie verrät es nicht. Er verspricht ihr, zu tun, was er kann, und geht wieder.

 

Als Raif, Spider und Jaq aus einem Fenster auf den Burghof runterschauen, während Raif berichtet und sie sich die Köpfe zerbrechen, sehen sie Merault mit Gardisten und einer Kutsche mit vergitterten Fenstern den Burghof betreten. Allen ist klar, dass sie gekommen sind, Melvet in die Stadt zu holen. Jaq atmet tief durch und spricht es aus: Noch können sie Melvet hier rausholen, aber dann muss es jetzt sein. Raif ist erleichtert, dass er sie nicht darum bitten muss. Sie verleiht ihm ihr Aussehen und sich seins, ahmt mit Mimicry seine Stimme nach, sie gehen wieder zu den Gardisten, weil "Raif" noch etwas vergessen habe, und "er" darf noch mal rein. Melvet steht am Fenster und sieht ebenfalls, was die Stunde geschlagen hat. "Raif" fragt sie, ob sie fliehen will, und sie stimmt zu. Jaq setzt also ein Persistent Image von Melvet an den Tisch, macht Melvet unsichtbar, klopft wieder und macht die Gardisten selbst auf die Illusion aufmerksam, weil "Melvet" einfach nicht antwortet.

 

Die Gardisten gehen rein und Melvet hinter "Raif" unsichtbar auf den Gang, aber es dauert, bis sich einer überwinden kann, eine Dame von Stand zu berühren – und damit fliegt die Illusion auf. Auf dem Gang wiederum löscht Jaq derweil Melvets Unsichtbarkeit, belegt sie mit der Deceptive Facade von Spider und macht diesen unsichtbar, denn der kommt problemlos auf eigene Faust aus der Burg. Nun sieht also noch kurz Raif aus wie Jaq, Jaq wie Raif und Melvet wie Spider, aber Jaq löscht ihre eigene und Raifs Deceptive Facade wieder.

 

Niemand darf die Burg verlassen, alles wird abgeriegelt, und das Trio bietet natürlich seine Hilfe an. Weil die Gemeinschaft nie an die große Glocke hängt, dass Jaq Illusionistin ist, ist das kein Allgemeinwissen, und obendrein war es Raif, der Melvets Zimmer betrat und nun aussagt, dass sie schon beim ersten Besuch nicht auf ihn reagiert habe, was er aber für kühle Distanz gehalten habe, als wolle sie nicht mit ihm sprechen, auch wenn er auf sie eingeredet habe, dass sie das schuldig aussehen lasse. Und es war Raif, der die Illusion auffliegen ließ – also hat niemand einen Grund, ihm zu misstrauen. Obendrein spricht niemand freiwillig mit Spider, so dass sich Melvet auch nicht verraten kann. Nachdem Raif also seine Aussage zu Protokoll gegeben hat, wird er von Roaringhorn abgefangen, der ja ebenfalls Gast von Malcor ist, und schützt dieselbe Ratlosigkeit vor, da er wirklich niemandem trauen kann.

 

Im Burghof geht er mit den anderen beiden von sich aus auf Merault zu, weil er gelernt hat, wie man sich am unverdächtigsten macht. Er spricht mit ihm auch noch mal über den Vorfall, den Merault als Schuldeingeständnis wertet.

 

Raif: Wenn man unschuldig ist, aber alles gegen einen spricht, kann man schon verzweifelt genug sein, seinen eigenen Kopf zu retten. Aber wisst Ihr, was ich für wahrscheinlicher halte? Wenn ich Recht habe und Gane bei Elgrim's Elixirs eine Illusion war, dann deutet diese Illusion vielleicht auf denselben Verursacher hin. Wäre es nicht möglich, dass der eigentliche Drahtzieher verhindern will, dass Mistress Tormaril eine Chance bekommt, ihre Unschuld zu beweisen? Würde sie ermordet und die Leiche versteckt, würde niemand mehr nach dem tatsächlichen Mörder suchen, nicht wahr?

 

Das gibt Merault zu denken, und Raif ist stolz auf sich, so gute Argumente improvisiert zu haben. Natürlich dürfen die drei als Unverdächtige und ins Vertrauen Gezogene, die schließlich an der Aufklärung des Verbrechens mitarbeiten, ungehindert die Burg verlassen.

 

Es hat sich ausgezahlt, dass Jaq so gut vorbereitet war, denn so viele Deceptive Facades bereitet sie normalerweise nicht vor, das tut sie nur, seit sie in Darromar ist. Spider macht die drei auf halber Strecke von einem Busch aus auf sich aufmerksam – durch den Schattengrund war er subjektiv eine Stunde unterwegs gewesen, aber in der materiellen Ebene natürlich lange vor ihnen da. Melvets Illusion läuft ohnehin ab, also belegt Jaq sie mit ihrer letzten Deceptive Facade für heute, einem unscheinbaren Burschen, der nun hinten bei Raif aufsitzt.

 

Die Gemeinschaft der Ersten Sonne hat sich gerade massiv strafbar gemacht, und das liegt jedem schwer im Magen. Sie biegen in der Stadt nicht nach Westen ab, sondern überqueren die Ith Bridge und steuern im Black Quarter das Ith-Side Inn an, wo Raif ein Zimmer anmietet und Melvet dort unterbringt. Sie darf es natürlich nicht verlassen. Jetzt, da die Illusion und die Anspannung von ihr abfallen und ihr klar wird, wie knapp sie einer möglichen Hinsichtung entronnen ist, fragt sie, ob die Abenteurer auch Gane da rausholen können. Raif schüttelt bedauernd den Kopf, und Melvet möchte allein sein, legt sich hin und weint.

 

Im Gastraum stecken Raif, Spider und Jaq die Köpfe zusammen: Skaar verplappert sich zu leicht, er sollte hiervon nichts wissen. Graywinter traut niemand, insofern kann auch niemand ausschließen, dass er zum Rathaus läuft und sich eine Belohnung holt, und sei es heimlich. Und Raveena ist ohnehin gerade bei den beiden. Es reicht, wenn Raif, Spider und Jaq Bescheid wissen und es für sich behalten. Aber wie sollte man dann regelmäßige Abwesenheiten erklären?

 

Sie kaufen kurz ein paar Lebensmittel für Melvet, und während Jaq im Black Quarter bleibt, um Kontakte zur Unterwelt zu knüpfen, kehren Raif und Spider zum Cold Moon Inn im Temple Quarter zurück. Hier ist aber inzwischen vor ein paar Stunden Griscoe aufgetaucht: Der Schwefel ist da, es kann zurück nach Zazesspur gehen. Glücklicher konnte es für Raif gar nicht laufen – nun erinnert er daran, dass er immer noch bei Roaringhorn im Wort steht. Ja, die Verdächtige mag spurlos verschwunden sein, aber Raif sei weiter von ihrer Unschuld überzeugt und gehe davon aus, dass sie sich nur in Sicherheit bringen wollte. Er kann nicht sagen, ob Raveena Lunte riecht, sie sieht ihn zumindest skeptisch an.

 

Jedenfalls, so Raif, sollten sie sich aufteilen: Die einen begleiten Sarelka, Griscoe und Gulda zurück nach Zazesspur, die anderen versuchen, den wahren Täter zu ermitteln. Raveena meint schnippisch, dass er doch schon längst geplant habe, wer was übernimmt. Raif versucht zu argumentieren: Skaar ist auf der Straße am besten aufgehoben, der Umgang mit Adel ist nichts für Raveena, und mit Graywinter wäre auch magisch für die Sicherheit der Ladung gesorgt. Graywinter möchte aber auch lieber hier bleiben, doch Raif erinnert ihn scharf an den Deal: Er wollte einen Kontrakt mit der Gemeinschaft ausführen, und wenn sie danach nicht findet, dass er eine Bereicherung war, werde er brav gehen. Nun, der Kontrakt bestand von Anfang an darin, Sarelka und die Ladung wieder nach Hause zu bringen. Graywinter muss sich mit seinen eigenen Worten schlagen lassen.

 

25. Flamerule 1375 DR

 

Am Morgen begleitet Raif die Abreisenden zum Nordtor, und Raif nutzt den Weg, um mit Raveena zu reden. Sie hat sich mittlerweile abgeregt und muss selber zugeben, dass das die beste Aufteilung ist. Sie und Skaar können hier in Darromar ja überhaupt nichts Sinnvolles beitragen, und das ärgert sie am meisten, denn sie wäre gern nützlich gewesen. Raif beruhigt sie, dass sie nach vier Jahren nicht zu viel von sich erwarten sollte – oder dass auf dem Ith plötzlich ein Hochseeschiff auftaucht, das nur Raveena steuern kann. Sie verabschieden sich voneinander, den beiden Gondar und Gulda, und diese sechs werden nun tatsächlich ahnungslos nach Zazesspur zurückkehren.

 

Jaq hat inzwischen ein paar einfache Kleider zum Wechseln besorgt, die Raif Melvet vorbeibringt, während Jaq wieder die Tavernen im Black Quarter bearbeitet. Melvet ist in ihrem dunklen Zimmer mit ihrer Verzweiflung allein. Zwar versucht sie, sich zu bedanken, weil ihr sehr klar ist, welchen Verrat diese Helden Tethyrs für jemanden begehen, den sie gar nicht kennen, aber bald verfällt sie erneut in Hoffnungslosigkeit, denn was soll sie jetzt allein und mittellos in Feindesland tun?

 

Nachdem Raif wieder gegangen ist (das Zimmer hat ja ein junger Bursche bezogen, der Wirt denkt sich also seinen Teil), fragt er sich wieder, ob Melvet ihn benutzt. Manchmal ist ihm klar, dass hübsche Frauen, erst recht solche in einer Notlage, seine absolute Achillesferse sind, und manchmal will er das nicht wahrhaben, aber gerade ist er wieder skeptisch. Alles, was auf Melvet hindeutet, ist so wackelig, und vieles konnte widerlegt oder zumindest in Zweifel gezogen werden, aber er hat keinen Verdächtigen. (Aus dem Bauch heraus tippen er und Jaq auf Sir Vendrick Thartle, aber beiden ist klar, dass sie das nur tun, weil er so ein Widerling ist.) Und wer weiß schon, ob Melvet ihm alles sagt, das sie sagen könnte?

 

Er passiert Spider, der von einer Straßenecke aus vorsichtshalber das Ith-Side Inn im Auge hat, und stellt sich neben den hockenden Raif an die Wand.

 

Raif: Du siehst Gardisten anrücken und trittst selbstverständlich beiseite, um ihnen Platz zu machen. Jedermanns Reaktion auf den Anblick der Obrigkeit wäre, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Aber ich erhebe mich darüber. Ich weiß es besser.

Spider: Es war Jaqs Idee.

Raif: Sie sprach es nur aus, um es mir zu ersparen, weil sie wusste, dass ich es wollte. Die Stadt will Recht sprechen, und ich bilde mir nicht nur ein, das besser zu können, ich nehme mir das Recht auch noch. Was wissen schon Advokaten und Justiziare? Ich bin Raif Bowgentle, ich erledige das.

Spider: Ich glaube kaum, dass das in dem Augenblick dein Ansporn war.

Raif: Das ist unser Ansporn. Unser Selbstverständnis, schon immer gewesen. Ob Neetha, ob Vater Fenring, ob Mutter Esbern – sie alle werfen uns immer unseren Hochmut vor. Theon hat die Saat ausgebracht, und sie ist prächtig aufgegangen, oder? Alles, was geschieht, machen wir zu unserem Problem, weil wir meinen, es besser zu können als die, deren Problem es sein sollte.

Spider (lässt sich ebenfalls in die Knie sinken): Wir können es besser. Und wir wissen es besser. Wir sind so viel gereist, haben so viel gesehen, so viel erlebt – niemand in Darromar kann da mithalten. Sie tun, was sie tun, so gut sie es vermögen. Aber das ist in diesem Fall eben nicht besonders gut. Wir sehen, wofür sie blind sind.

Raif: Tun wir das wirklich? Der Lord-Mayor, Sir Zavion, Merault... das sind doch keine Volltrottel.

Spider: Sie sind vermutlich gut in dem, was sie jeden Tag tun. Ich bezweifle, dass wir ihnen etwas vormachen können, wenn es darum geht, Falschmünzerei aufzudecken oder das Maß mit manipulierten Gewichten, Unterschlagung, Vorenthalt des Tempelzehnts – das beherrschen sie zweifellos besser als wir. Doch sie sind befangen. Alle miteinander.

Raif: Befangen?

Spider: Egal, wohin du gehst: Als Außenseiter bist du jeder Gesellschaft von vornherein suspekt. Geschieht ein Verbrechen, sehen sie zuerst zu dir. Sie möchten lieber glauben, dass ein Fremder, der die eigenen Werte gewiss nicht teilt, etwas Böses tut und nicht der eigene Nachbar. (Er lässt das Gesagte kurz atmen, da er aus erfahrener Perspektive sprach.)

     In Tethyr mögen sie die Amnier nicht besonders, und in Darromar können sie obendrein ganz speziell die Krimmevols nicht ausstehen. Glaubst du, der insgeheime Wunsch, dass es der gewesen sein möge, dem man es zutraut, spielt keine Rolle? Hinzu kommt, dass ein so prominentes Verbrechen schnell zu sühnen das Ansehen gewiss stark mehren würde. Jeder muss sich hier vor irgendjemandem rechtfertigen, warum er wann was getan oder nicht getan hat. Der eine will es schnell zu Ende bringen, um die Ordnung wiederherzustellen, der andere will mit dem Finden des Schuldigen Ruhm ernten, einerlei, ob es der tatsächliche Schuldige ist.

Raif: Das mag ja alles sein, aber verdammt, Spider, wir haben Verrat begangen.

Spider (nachdenklich): Ja. Ja, das haben wir. Also sorgen wir dafür, dass das für uns nicht am Galgen endet, hm? Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir uns schon jemanden aussuchen, dem wir auf den Zahn fühlen. (Raif sieht ihn nur matt an.) Glenith. Sie hat ein Motiv, sie profitiert.

Raif: Ja, wenn sie schwanger ist, und niemand kann das nach einer Nacht mit Sicherheit sagen.

Spider: Ist sie es nicht, wird sie als Witwe eines Grafensohns eine gute Partie abgeben. Vielleicht hat sie aber auch ein empfängnisverstärkendes Mittel genommen und hofft auf den baldigen Tod von Graf und Gräfin, um als Vormund für ihr Kind die Grafschaft zu übernehmen.

Raif: Wenn es ein Junge ist. Ein Mädchen hätte keinen automatischen Anspruch, den müsste die Krone bestätigen – gegen den Willen des lokalen Adels? Unwahrscheinlich. Haedrak würde eher das Lehen neu vergeben oder einen Verwalter einsetzen, bis das Mädchen alt genug wäre, zu heiraten.

Spider: Könnte sonst noch jemand genau das im Sinn haben? Der einzige Thronfolger ist tot. Sollte Malcor sterben, wäre das Lehen führungslos.

Raif: Das ergäbe nur Sinn, wenn sich bereits jemand in Position gebracht hätte, der in dem Falle die eindeutige Wahl wäre, oder? (Spider breitet ahnungslos die Hände aus.) Bei Siamorphes Gnade, ich kenne mich mit diesem Adelszeug doch auch nicht aus.

Spider: Wenn wir Roaringhorn als Verdächtigen eliminierten, könnten wir ihn fragen.

Raif: Steckte er dahinter... was hätte er zu gewinnen?

Spider: Vielleicht hat er neben Glaster auch noch eine Tochter? Möglicherweise noch nicht ganz im heiratsfähigen Alter, noch nicht versprochen? Vielleicht wollte er, dass Taral sie heiratet. Der Becher hatte ja eigentlich Glenith gegolten.

Raif (wirft frustriert die Arme in die Luft): Wir wissen nichts und kennen uns nicht aus.

Spider: Vorschlag zur Güte: Wir besuchen Glenith. Ist sie schuldig, machst du sie nervös mit unklaren Andeutungen, dass du eine Spur hast. Ist sie unschuldig, kann sie dir Fragen beantworten. Vielleicht sogar solche, die außerhalb von Loranse niemand beantworten kann.

 

Obwohl es langsam dunkel wird, reiten sie abermals zur Burg hinaus, doch Spider wartet am Burgtor. Es gibt eine Diskussion mit dem Kastellan, der Anweisung hat, nicht zuzulassen, dass die Grafenfamilie belästigt wird. Also wendet sich Raif an Roaringhorn. Dieser meint, er sei aus Respekt vor Malcors Verlust hier. Natürlich gibt es viel Getuschel, weil er die angebliche Mörderin hierher gebracht hat, aber niemand würde ihn ernsthaft anklagen – indem er prominent zu Gast beim Vater des Ermordeten bleibt, solidarisiert er sich mit ihm und tritt gleichzeitig dezent den Gerüchten entgegen. Roaringhorn will warten, bis Malcor seine Privatgemächer verlässt und bereit ist, zu reden.

 

Raif bittet ihn um Hilfe. Er gibt zu, dass er im Nebel herumstochert, sich aber erhofft, dass Glenith Interna kennt, die weiterhelfen könnten. Natürlich merkt er Roaringhorn keine besonderen Reaktionen an. Der Graf wendet sich also an den Kastellan und erreicht, dass dieser Glenith zumindest fragt, ob sie Raif empfangen möchte.

 

Sie stimmt zu und empfängt ihn in einem gemütlichen kleinen Salon. Raif kann ihr keine Reaktion anmerken, die Anlass zur Skepsis gäbe, und dass sie so gefasst wirkt, wundert ihn nicht: Sie war von vornherein jemand, der sich auch inmitten von Toten und Verwundeten würdevoll und kontrolliert gebärdete. Raif bleibt durchgehend freundlich und respektvoll, macht ihr aber klar, dass sie ein Motiv hatte und somit als verdächtig gelten muss. Er grillt sie also sachte und sehr subtil mit höflichen Nachfragen, wann sie was getan oder gesehen hat. Das Gespräch bleibt völlig ergebnislos, und Raif kehrt in den Burghof zurück, wo er mit Spider eine halbe Stunde wartet, und siehe da, ein Bote macht sich bereit, auszureiten. Spider hält ihn auf, indem er ihn sachte am Bein berührt, als obliege es ihm und Raif, zu kontrollieren, wer kommt und geht – unter diesen Umständen wundert das den Boten nicht, aber er darf nur sagen, dass er für Haus Grannox eine Botschaft zu überbringen habe.

 

Natürlich lassen sie ihn ziehen, denn Spider hat ihn mit Trail of Haze belegt: Der Bote zieht nun eine nur für Spider sichtbare Schattenspur hinter sich her, die er auf Meilen verfolgen kann. So fühlt sich der Bote sicher und unverfolgt, während er nach Darromar reitet. Die beiden zahlen den Nachtzoll und verfolgen die Spur ins Temple Quarter – nicht weit, denn schon vor dem Krimmevol Court endet sie in einem Haus. Raif ist gut gekleidet, also klopft er kurzerhand, und eine Dienstmagd öffnet: Es ist das Haus der Allants. Er lässt Edmun auf die Straße rufen und setzt ihn unter Druck – er weiß, dass er eine Botschaft von Glenith erhalten hat, und wenn er nicht will, dass das im Rathaus weiter erörtert wird, sollte er besser auspacken. Edmun ist völlig eingeschüchtert und zeigt sogar den Brief vor. Spider liest ihn auf der dunklen Straße, während Edmun Raif aufgelöst erklärt, dass er als Familienmitglied (seine Mutter ist die Nichte von Gleniths Schwiegervater) Glenith am Tag des Mordes tröstete, weil es sonst niemand tat. Er gesteht, dass er sich auf Anhieb in sie verliebt und etwas Dummes getan hat: Er hat ihr seine Adresse gegeben, und sie soll ihm Nachricht zukommen lassen, wann immer sie etwas braucht. Und nun hat sie einfach nur Angst vor den Abenteurern, die sie für schuldig zu halten scheinen, und bittet Edmun, mit ihnen zu reden. Spider nickt – der Brief bestätigt Edmuns Aussage.

 

Raif lässt die Schultern hängen: Wieder ein Schuss in den Ofen. Edmun bittet ihn inständig, nichts zu verraten, denn er hat seine Befugnisse meilenweit überschritten, aber Raif winkt nur ab: Natürlich wird er niemandem etwas verraten. Da Raif sich enttäuscht auf einen Brunnenrand setzt, übernimmt Spider und bittet Edmun, Augen und Ohren im Rathaus offen zu halten – die Gemeinschaft ist nach wie vor von der Unschuld der Geflohenen überzeugt und sucht den wahren Täter.

 

Raif reitet allein ins Black Quarter, um nach Melvet zu sehen. Sie schläft offenbar bereits, aber als er sich rausschleichen will, bittet sie ihn, zu bleiben. Sie verbringen die Nacht miteinander. Eine Stimme in Raifs Hinterkopf sagt ihm, dass er Melvets verzweifelte Lage ausnutzt, aber er ignoriert sie. Später fragt Raif erneut nach, in welcher Beziehung sie zu den Grafen Grannox und Roaringhorn steht, aber sie entgegnet, dass auch ihre missliche Lage sie nicht von ihrer Pflicht zur Verschwiegenheit entbindet. Im Gegenzug fragt sie Raif, warum er das alles für sie tut. Raif erzählt kurz von der Gemeinschaft der Ersten Sonne und dem Gerechtigkeitssinn, den sie entwickelt hat. Sie hat schon so manches Unrecht verhindert – aber das ist nur die halbe Wahrheit.

 

Raif: Die ganze Wahrheit ist... Wenn du nicht die Wirkung auf mich hättest, die du hast, oder wenn du ein Mann wärst oder eine alte Dame... hätte ich dich nicht aus der Burg geschmuggelt. Ich wäre immer noch von deiner Unschuld überzeugt und würde versuchen, dem Henker zuvorzukommen, aber... ich hätte nicht die Ordnung für dich verraten.

Melvet (sieht ihn lange an): Danke für deine Ehrlichkeit. (Sie hängen beide einen Moment ihren Gedanken nach.)

Raif: Was erwartet dich zu Hause?

Melvet: Willst du mich davor auch retten? (Lächelnd, aber ernsthafter:) Kein böser Mann, der mich schlägt, falls du das meinst. Aber auch kein besonders kluger. Keiner, der imstande wäre, die Geschäfte zu führen. Seine Mutter wollte einerseits das Familienerbe bewahren, wusste andererseits aber auch, dass ihr Sohn das Geschäft ruinieren würde, also bat sie Familie Krimmevol um eine gute Frau für ihn – und die Wahl meiner Familie fiel auf mich. Glücklicherweise weiß mein Mann sowohl, was er an mir hat, als auch um seine eigenen Unzulänglichkeiten: Ich bin die Herrin im Haus und kümmere mich um die Geschäfte, er kümmert sich um die Kinder. Hast du Kinder?

Raif (schnaubt lächelnd, weil es noch immer so unglaublich ist): Ja. Zwei.

Melvet: Ich auch. Wo sind sie?

Raif (atmet schuldbewusst durch): Bei ihren Müttern. Ich weiß, wie das klingt. Denk dir, was du magst.

Melvet: Raif? Ich denke gar nichts.

 

Dabei sieht sie ihn so ernsthaft und nachdrücklich an, dass er begreift, dass sie versteht, dass man die Dinge nicht immer in der Hand hat, sich aber auch gern mal die Schuld für etwas gibt, obwohl sie im Einzelfall vielleicht gar nicht so glasklar und ausgemacht ist. Raif kann sich dabei denken, dass auch sie schon als schlechte Mutter angefeindet wurde, weil sie die Geschäfte führt, anstatt sich brav in der Küche aufzuhalten, und dass daher ihr Verständnis für ihn rührt. Das tut gut und schafft Gemeinsamkeit.

 

Raif: Planst du mehr?

Melvet: Zwei waren die Abmachung.

Raif: Die Abmachung?

Melvet: Laut Vertrag zwischen Madareia Tormaril und meiner Familie. Zwei, wenn mindestens ein Sohn dabei ist.

Raif: Ihr habt das... per Vertrag... geregelt?

Melvet (stichelnd): Und du willst Amnier sein? Das ist doch völlig normal. (Sie atmet durch.) Ich bin eine gute Händlerin. Ich gebe dir einen Tropfen und verspreche dir einen Fluss und lasse dich glauben, du hättest ein gutes Geschäft gemacht. Ich treffe alle meine Entscheidungen für mich selbst. Und jetzt sieh mich an. Ich bin dir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Dieses Zimmer ist mein Gefängnis und du gleichzeitig mein Wärter wie auch mein Beschützer. (Pause.) Ich hasse Ausgeliefertsein.

 

26. Flamerule 1375 DR

 

Am Morgen erreichen Sarelka, Griscoe, Gulda, Raveena, Graywinter und Skaar (die pferdeschonend unterwegs sind, zumal das Fuhrwerk, da beladen, jetzt auch schwerer ist) den Ort des Überfalls auf Gleniths Wagenzug vor einem Tenday, aber Skaar, der gerade die Nachhut bildet, fällt etwas auf, das er sich aus der Nähe ansehen möchte: Schleifspuren im Gras am Waldrand, auf den ersten Blick fast nicht zu sehen, aus der Nähe betrachtet aber mit geronnenen Blutspuren. Er schleicht in die Büsche, sieht sich um und findet weitere Spuren, als seien Körper durch das Buschwerk gezerrt worden.

 

Er schert ständig aus, läuft vor oder fällt zurück und bleibt eigentlich nie direkt bei den anderen, das ist also ganz normal. Sie sind weitergefahren, doch jetzt hört er hässliches Gelächter und Pfiffe von weiter vorn. Er schleicht sich weiter an und sieht Kul Tiras und fünf Banditen, die die Reisenden aufhalten. Ohne Rücksicht auf Verluste macht er die Keule bereit und rennt los, ein Bandit schreit: "Der Riese! Du Scheiße, das sind die!" Graywinter lächelt cool auf seinem Pferd: "Allerdings." Er tötet den ersten Banditen mit einer Feuerlanze, Raveena brüllt und gibt ihrem Pferd die Sporen und reitet einen Banditen um, und Skaar prallt auf Kul Tiras und deckt ihn mit Angriffen ein. Raveena, nicht die geübte Reiterin, hat Glück mit einer ride-by attack, steigt danach aber lieber ab. Die Furchtlosigkeit der Gegner, darunter der "Riese", der es mit einem Troll aufnimmt, und dem schrecklichen Magier, schickt die Moral der Gegner in den Keller: Die letzten beiden Banditen fliehen, Raveena erledigt einen, Graywinter den anderen, und Skaar hat viel mehr Glück als beim letzten Mal und rächt sich für seine Niederlage. Kul Tiras' Wunden regenerieren sich zwar nach und nach, doch nun beharkt ihn auch Graywinter mit Feuer, das den bereits gebrannten Troll in Panik verfallen lässt – unglaublicherweise ergibt er sich. Skaar schreit ihn an, gefälligst weiterzukämpfen, aber schon ist Graywinter da, spielt mit magischem Feuer in seinen Händen und sagt mit einer 23 auf Intimidate: "You strike me as a creature who doesn't feel particularly fond of being burned alive. Tell me: Am I wrong?"

 

Es ist pures Glück, dass sie einen der beiden Bosse (den deutlich dümmeren übrigens) so allein zu fassen kriegen: Er war mit einer Gruppe auf Patrouille, um die hier zur Beobachtung stationierten Ranger zu töten (was ihnen mit drei Mann Verlust auch gelungen ist), um eine mittelfristige Rückkehr in die Ruine vorzubereiten. Die Reisenden haben sie zuerst nicht erkannt – erst als Skaar auftauchte.

 

Wann, wenn nicht jetzt, und wen, wenn nicht ihn – Graywinter fragt Kul Tiras, von wem der Auftrag kam, den schwer bewachten Wagenzug zu überfallen. Kul Tiras kennt aber nur seinen Spitznamen: Gratch, ein Schieber aus Darromar, der seinen Leuten oft Aufträge erteilt oder ihnen Tipps über Karawanen gibt. Immerhin kann er ihn beschreiben.

 

Als klar wird, dass er nicht mehr weiß, verbrennt Graywinter ihn bei lebendigem Leibe – es würde niemandem gut bekommen, so etwas wieder laufen zu lassen. Sarelka seufzt, der Mord an einem Grafensohn werde sich vermutlich nicht von allein aufklären. Sie erlaubt Graywinter, zurückzukehren, und will von Raveena und Skaar bewacht weiterreisen. Man verabschiedet sich kurz, und Graywinter, nun allein unterwegs, prescht los und schont sein Pferd nicht.

 

Zum Mittagessen stößt Raif wieder zu Spider und Jaq im Cold Moon Inn. Nach wie vor haben sie keine Spur und keinen Verdacht, und auch die Unterwelt empfängt nicht jeden sofort mit offenen Armen. Jaq meint vorsichtig, es sei vielleicht an der Zeit, die Abreise zu planen – nach Riatavin. Doch Raif entgegnet, dass Melvet so nicht nach Hause zurückkehren kann. Riatavin gehört schließlich seit 1370 DR zu Tethyr. Mit einer in Abwesenheit verurteilten Giftmörderin wäre die ganze Familie erledigt, und Roaringhorn müsste sie, sobald er ihrer habhaft wird, Malcor übergeben.

 

Nein, es muss eine Spur geben, verdammt! Raif will wieder ins Rathaus, dort zumindest Präsenz und Aktivität zeigen und hoffentlich etwas Nützliches aufschnappen – was kann er sonst tun? Jaq macht sich trotz der Tageszeit abermals ins Black Quarter auf, und Raif und Spider suchen zunächst Edmun auf, der sich bedankt, dass sie dichtgehalten haben, aber auch ihm ist nichts Verwertbares zu Ohren gekommen. Er wollte eh gerade zum Rathaus. Dort geht Raif Sir Zavion auf die Nerven, der ihn liebend gern hochkant hinauswerfen würde, wenn er könnte.

 

Raif lässt sich erneut zu Gane bringen. Dem geht es oberflächlich betrachtet besser, aber innerlich ist er gebrochen. Raif kann sich nicht überwinden, von diesem geschundenen Mann zu verlangen, sein Geständnis zu widerrufen. Gane beklagt, dass er hier unschuldig sitzt – aber der Dämonenbeschwörer in der Zelle nebenan ist nicht annähernd so hart oder so lange gefoltert worden. Welche Gerechtigkeit soll das sein? Raif weiß darauf nichts zu sagen.

 

Der Alte aus der Nebenzelle mischt sich mit tränenerstickter Stimme ein: "Du gehst mit einer unbefleckten Seele auf die andere Seite, Bursche! All die Qualen, die man dir zugefügt hat, sind vergessen. Auf mich wartet die Seelenmühle, vielleicht der Abgrund. Was gäbe ich dafür, so gefoltert zu werden wie du, wenn mir das ersparte, was danach kommt?" Das trifft Raif. Er geht wieder hinauf und muss mit Spider darüber sprechen, weil es ihn beschäftigt. Wenn er es doch nur auch so sehen könnte, dass das Leben nur eine kurze Mühsal ist und es eigentlich nur darum geht, die Weichen fürs Jenseits zu stellen.

 

Sie werden jäh durch Unruhe unterbrochen: Ein Bote eilt an ihnen vorbei. Sie laufen hinterher, um mitzubekommen, wie er dem Lord-Mayor Bericht erstattet: Sie haben die Giftmörderin, sie hatte sich im Ith-Side Inn im Black Quarter versteckt und wird gerade von Gardisten des Grafen zur Burg Loranse gebracht. Raif könnte sich ohrfeigen: Einem Grafen stehen andere Möglichkeiten zur Verfügung als den meisten anderen Menschen. Über all ihre zurückgelassenen Besitztümer wird man Melvet vermutlich mit Scrying ausfindig gemacht haben. Da nicht sofort nach seiner eigenen Verhaftung verlangt wird, weiß man wohl noch nichts über Raifs Rolle. Der Lord-Mayor sucht seine Unterlagen zusammen und ordnet Ganes sofortige Verbringung auf die Burg an, Ternan selbst werde mitkommen.

 

Raif hat nichts in der Hand, mit dem er Melvet entlasten könnte, und der Lord-Mayor wird seine Funde vortragen, um etwas vorweisen zu können, und was Malcor tun wird, der sicherlich nach Rache für seinen getöteten Sohn dürstet, wissen nur die Götter.

 

Es ist jetzt Nachmittag. Abends wird Malcor vermutlich nicht Gericht halten, aber egal, wie viel Zeit noch bleibt, was kann Raif denn tun, außer aufs Geratewohl die Tavernen im Black Quarter abzuklappern, um Jaq zu finden und zu beten, dass sie irgendetwas herausgefunden hat? Er will los, aber Spider meint, er wolle hier bleiben. Warum, was hat er vor? "I'd rather not say."

 

Raif kennt Spider gut und lange genug und weiß, dass er etwas plant, mit dem er Raifs Gewissen nicht belasten möchte. Es wäre ein Leichtes, nachzuhaken oder sich präventiv aufzuregen, aber Raif vertraut Spider schon lange mit seinem Leben – also nickt er nur, sagt, dass er im Cold Moon Inn den Wirt zwecks Nachrichten instruieren wird (dort soll der Treffpunkt sein, sobald sich irgendetwas ergeben hat), und holt Trickster.

 

Der reuige Dämonenbeschwörer Hereward Criston hockt in seiner kargen Zelle im finsteren Verlies, als es noch finsterer wird. Als er wieder etwas sehen kann, hockt plötzlich Spider hinter ihm, und mit seiner Stimme, seinen Gesten, seinem Gebaren wirkt er dämonischer als je zuvor. Hereward ist überzeugt, dass ihn seine Sünden einholen und er bereits zu Lebzeiten bestraft wird. Spider schürt seine Ängste vor dem, was ihn erwartet, ins Unermessliche.

 

Derweil ist Raif zügig zum Cold Moon Inn geritten, bezahlt den Wirt gut, zieht sich seine Reiselederkluft an, um in den zwielichtigeren Tavernen nicht zu fremd zu wirken, doch als er den Gastraum wieder betritt, platzt plötzlich Graywinter herein. Sie tauschen sich kurz aus (Raif erzählt die Wahrheit und unterschlägt nur, was Graywinter bei seiner Abreise schon nicht wusste) und reiten ins Black Quarter.

 

Raif hat keine Zeit zu verlieren und legt in der ersten Taverne auf der Suche nach Gratch Silber auf den Tresen, wird an eine weitere Taverne verwiesen, tut dasselbe und wird wiederum an eine weitere verwiesen.

 

Spider beschreibt anschaulich die Qualen, die Hereward erwarten, und davon die schlimmste von allen: die Götterferne. Der Beschwörer winselt nur noch.

 

In einer besonders zwielichtigen Taverne tut Raif dasselbe wie zuvor, glaubt dem Wirt aber nicht, als der an die erste Taverne verweist, in der Raif war. Er hat keine Zeit für diese Spielchen und legt eine Goldmünze auf den Tresen: "Wo ist Gratch?" Ein Gast geht hinaus, vielleicht, um jemanden zu warnen oder zu holen, vielleicht aber auch, um Raif ungesehen abzupassen und das Geld zu kassieren, ohne dass es jemand mitbekommt. Die beiden gehen wieder, und Raifs Hoffnung erfüllt sich: Der abgerissene Tagelöhner beschreibt den Weg zum Keller der Taverne, wo ein eigener Bereich für die VIS (very important scoundrels) eingerichtet ist. Die beiden gehen wieder rein, zahlreiche Schlagetots erheben sich, und Raif entwaffnet gleich den ersten Vierschröter und setzt die Klinge mit Flourish an sein Doppelkinn. Der Intimidate fällt gut aus, und man sieht Raif an, dass mit ihm heute nicht zu spaßen ist. Diejenigen, die ihm widerstehen, sehen jedoch Graywinter, der einen Magic Arrow auf einen anderen abfeuert und ihn schreiend zu Boden schickt, und mit Prestidigitation lässt er seine Hand und seine Augen leuchten. Auch dieser Intimidate fällt gut aus, und keiner rückt mehr vor.

 

Sie drohen sich den Weg zur Kellerluke frei, unter der sich eine Treppe befindet. Raif hebt die Luke an, aber schon fliegt ein Armbrustbolzen. Graywinter und Raif stimmen sich mit Blicken ab, Raif reißt die Luke hoch, und Graywinter jagt einen ungezielten Feuerball runter, der unten im engen Keller explodiert. Schreie und Krach sind zu hören, weil die Leute versuchen, die Flammen zu ersticken. Graywinter macht äußerst amüsant klar, wie der Hase läuft.

 

Graywinter: Listen up, you inbred sacks of shit! You send Gratch up this fucking minute or I'll burn you all to a crisp so tasty not even your whore mothers would be able to resist taking a bite!

 

Um den Ernst der Lage zu unterstreichen, schickt er gleich einen zweiten Feuerball hinterher. Aus dem Geschrei, nicht nur panisch, sondern auch aggressiv, kann man schließen, dass Gratch nun gegen seinen Willen zur Treppe gebracht wird. Oben unternimmt niemand etwas, denn diese show of strength war einfach zu brutal. (Kann man sich auch nicht überall leisten, aber hier holt garantiert niemand die Garde.)

 

Raif zieht Gratch hoch, Graywinter beschwert die Luke mit einem Bierfass, und die drei verlassen die Taverne. Als Gratch sich wehrt, verpasst Raif ihm eine, steigt aufs Pferd und zieht ihn hoch. Graywinter braucht zwei Anläufe, auf seins zu kommen – ihm wird kurz schwarz vor Augen, und Schweiß steht auf seiner Stirn. (Er hat sich heute sehr verausgabt – dass er seine Zauber mit seiner eigenen Energie nährt, kennt Raif so ja nicht.)

 

27. Flamerule 1375 DR

 

Es ist nach Mitternacht, als sie einige Straßen weiterreiten, um Abstand zu gewinnen, und Raif nimmt Gratch in die Mangel. Als dieser angibt, seinen Auftraggeber auch nicht persönlich zu kennen, gibt Raif scheinbar auf und sagt zu Graywinter: "Ich geb's auf. Er gehört dir." In der Dunkelheit ist nur seine Silhouette zu erkennen, und er lässt kurz seine Augen aufglühen, das allein reicht schon: Gratch versichert Raif ängstlich, dass er den Mann wirklich nicht kenne, jedenfalls nicht seinen Namen, aber hin und wieder komme er mit Aufträgen. Entweder arbeite er im Rathaus oder sei öfters dort, denn dorthin habe Gratch ihn zweimal heimlich verfolgt für den Fall, dass er mal etwas gegen ihn in der Hand haben möchte. Die Beschreibung, die er gibt, passt sicherlich auf Tausende hier in der Stadt, und im Rathaus arbeiten gewiss immer noch genug Männer, auf die sie zutrifft. Was soll Raif damit anfangen? Jedoch denkt er sich, dass Gratch, wenn er sich wirklich absichern wollte, nicht beim Betreten des Rathauses aufgegeben haben dürfte.

 

Raif: Weißt du, was ich an deiner Stelle getan hätte, Gratch? Ich wäre hinterhergelaufen und hätte jemanden gefragt, wie der Gentleman heißt, der eben hereingekommen ist, seine Frau habe nach ihm schicken lassen. Und weißt du, was noch? Das hast du auch getan, also raus mit der verdammten Sprache!

 

Lankvil sei der Name, aber mehr wisse er wirklich nicht! Raif knurrt, wenn er die Wahrheit gesagt hat, lasse er ihn gehen, und wenn nicht, geht's in den Folterkeller. Das Rathaus hat natürlich über Nacht geschlossen, aber sie reiten trotzdem dorthin. Raif fragt den Nachtwächter (der ihn ja vom Sehen kennt), ob Master Lankvil hier arbeite. Ja, das sei ein Mitarbeiter des Ratsherrn Rayles. Perylor Rayles ist ein reicher Pelzhändler und hat aus seinem Reichtum ein Kreditgeschäft entwickelt. Es sei wirklich dringend, also nennt der Nachtwächter arglos Rayles' Privatadresse.

 

Raif lässt Gratch notgedrungen frei und reitet mit Graywinter zum Cold Moon Inn in der Hoffnung, dort Jaq oder Spider anzutreffen. Tatsächlich sind beide da und warten ungeduldig, denn inzwischen war Edmun hier, um sich für den Gefallen zu revanchieren und sie wissen zu lassen, dass Malcor gegen das Protokoll sofort über Melvet zu Gericht saß und sie zur achten Morgenstunde auf dem Turnierplatz auf einer der Tribünen hängen, ausweiden und vierteilen lassen wird.

 

Graywinter aber lässt sich Raifs Schlüssel geben, und bei Licht sieht jeder, wie fertig er ist – er muss sich wirklich hinlegen. (Er hat sich schon beim Kampf gegen Kul Tiras magisch verausgabt und ist danach seit heute Morgen durchgeritten. Das Pferd ist halb tot, und er ist es auch.)

 

Spider hört sich Raifs Neuigkeiten an und nimmt ihn dann beiseite: Der Dämonenbeschwörer Hereward Criston wird alles gestehen, was sie wünschen. Spider erklärt es nicht genauer, aber er hat ihm suggeriert, dass er all seine dämonischen Sünden wettmachen könnte mit einem Opfer, um einen unschuldigen Menschen zu retten. Die Hinrichtung wird zweifellos grauenhaft, aber gekoppelt mit der Selbstlosigkeit, sie an eines Unschuldigen statt zu erdulden, werde sie ihn genug läutern, um eine letzte Chance auf die Hallen der Toten zu haben. Hereward ist schon lange verzweifelt, und heimgesucht von einem leibhaftigen Dämonen war er dafür sehr empfänglich.)

 

Raif möchte das eigentlich nicht, aber Spider bedrängt ihn, nachzudenken: Warum sollte ein Pelzhändler und Geldverleiher Glenith umbringen wollen? Welches Motiv sollte er haben? Vermutlich ist er auch nur ein Mittelsmann – und Melvet bleiben nur noch Stunden. Wenn Hereward schwört, dass er in Rayles' Auftrag für die falsche Spur verantwortlich war, dann reicht das erst mal, Melvets Kopf aus der Schlinge zu ziehen, und wer weiß, ob man damit nicht auch Rayles' Auftraggeber aufscheucht?

 

Raif fühlt sich nicht wohl dabei, aber auch logisch findet er, die bloße Nennung von Rayles' Namen wird nicht reichen, einen Ratsherrn verdächtig erscheinen zu lassen, schon gar nicht, wenn ein götterloser Verbrecher ihn bezichtigt. Er will mit Jaq und Spider los, um zu sehen, ob sich bei Rayles noch Beweise finden lassen.

 

Es geht also zurück ins Royal Quarter, und unterwegs werden die drei tatsächlich mal von der Stadtwache angehalten, denn nachts hat man nicht mit lauten Pferdehufen auf dem Kopfsteinpflaster unterwegs zu sein. Raif zeigt den Passierschein des Lord-Mayor, er sei mit Ermittlungen beschäftigt, und darf weiter.

 

Rayles' edles Stadthaus ist noch zu neu und daher im Schattengrund nicht verfallen genug, als dass Spider über diesen Weg eindringen könnte. Also macht sich Jaq unsichtbar und kann sich in aller Ruhe dem Schloss widmen. Sie ist jedoch eine begabtere Taschendiebin als Schlossknackerin und hinkt in beiden Fällen Jewel um Meilen hinterher – es dauert und dauert und dauert, und sie zerbricht sogar einen Dietrich dabei, hat aber glücklicherweise Ersatz dabei. Sie bleibt beharrlich und schafft es irgendwann endlich. Raif bleibt draußen bei den Pferden, Jaq steht am Eingang Schmiere, und Spider, der auch in völliger Dunkelheit sehen kann, schleicht allein hinein. Er findet das Schlafzimmer, in dem ein fetter Kerl und seine Frau selig schlummern, und holt bald Jaq hinzu, um im Arbeitszimmer den verschlossenen Schreibtisch zu knacken. (Sie muss nahezu blind schleichen, da es drinnen stockfinster ist.) An diesem filigranen, aber teuren Schloss scheitert sie jedoch, dafür ist ihr Dietrich zu grob und sie zu ungeschickt. Lautlos kriegt man den Schreibtisch nicht auf, und bräche man ihn auf, hätte man keine Zeit, sich die vermutlich zahllosen Unterlagen anzuschauen, und Spider, der sehen kann, findet hier nichts, was ins Auge stäche.

 

Er hat eine Idee und fragt Jaq, ob sie ihre Sleep-Spruchrolle noch hat. Ja, hat sie. Dann soll sie sich bereit machen, sie einzusetzen, sobald Rayles aufwacht. Meisterlich leise kniet er sich im Schlafzimmer aufs Bett, hebt Rayles' Nachthemd an, versetzt ihm mit dem Dolch einen minimalen Schnitt unter dem Herzen, was ihn weckt, aber sein Save versagt, und er schläft wieder ein. Das ist so schräg, das kann er am Morgen nur für einen Traum halten, zumal im Haus ja auch nichts fehlt.

 

Danach nimmt Spider leise seine Amtskette vom Stuhl und bricht einen der winzigen Schmucksteine heraus – das fiele nur auf, wenn man sich die Kette genau anschaut. Zufrieden zieht er sich mit Jaq wieder zurück.

 

Draußen erklärt er Raif, dass er zwar keine Beweise gefunden hat, aber Indizien, die Herewards Behauptungen stützen werden. Auch bei verschlossenem Rathaus kann Spider wie zuvor leicht rein und raus, also wird er Hereward instruieren, wie der zeitliche Ablauf ausgesehen haben muss, um Sinn zu ergeben: Rayles beauftragte ihn, Gift zu beschaffen und es so aussehen zu lassen, als sei die Amnierin auf Burg Loranse die Auftraggeberin. Hereward hatte seine Verbrechertage eigentlich hinter sich gelassen und wollte all das gar nicht mehr, aber Rayles drohte ihm mit Inhaftierung. Also musste Hereward einen Dämonen beschwören, und hier spielt Spiders Phantasie mit den Vorstellungen des Volkes, wie das aussehen müsste: Hereward musste ein Zeichen der Ernsthaftigkeit von Rayles' Wunsch verlangen, ein Pfand, und dieser brach einen Stein aus seiner Amtskette, den Hereward hinter den Backenzähnen verbarg. Zum Zeichen des Pakts würde Rayles eine kleine Wunde unter dem Herzen tragen, die nicht verheilt, solange der Dämon gebunden ist. Dann aber wurde Hereward wegen anderer Vergehen gefasst und in den Kerker geworfen. Rayles, der im Rathaus arbeitet, ließ einen Mann, dessen Namen Hereward als Lankvil vernahm, ihm ausrichten, dass er weiterer Dienste bedurfte, dafür würde er ihm die Flucht ermöglichen – er musste dem Dämon nur befehlen, die Amnierin aus der Burg zu schaffen, damit sie nicht befragt werden kann. Auch das trug er also seinem Dämon auf, aber dann wurde die Amnierin gefunden, und Rayles wollte einen weiteren Dämonendienst. Hereward gab vor, sich zu fügen, war aber inzwischen zu der Erkenntnis gekommen, dass Rayles ihn nie gehen lassen wird, und wenn er eh schon dem Tode geweiht ist, kann er wenigstens auch diese Missetaten zugeben.

 

Spider wirkt zuversichtlich, aber Raif ist unsicher – das steht und fällt damit, wie überzeugend Hereward ist. Gewissensbisse hat keiner der drei: Mit Rayles trifft es keinen Unschuldigen, wenn schon nicht den eigentlichen Drahtzieher, und Melvet muss gerettet werden, notfalls eben auch auf unkonventionelle, weniger heroische Weise. Spider kehrt also ins Verlies zurück und geht mit Hereward immer wieder die Legende durch – aber die anderen müssen darauf warten, dass das Rathaus aufgeschlossen wird, damit sie endlich handeln können.

 

Zur siebten Morgenstunde taucht endlich Merault auf, und Raif bedrängt ihn, er müsse noch mal mit dem Mitgefangenen sprechen, er könnte etwas von Gane erfahren haben. Merault wiegelt ab, aber Raif bekniet ihn: Es ist nur noch eine Stunde bis zur Hinrichtung! Also gut, wenn's sein muss, er bringt ihn runter, und dort ruft Hereward bereits, dass er gesteht, den Mord in die Wege geleitet und den Verdacht auf Melvet gelenkt zu haben. Es bleibt keine Zeit mehr, den Gefangenen rechtzeitig zur Burg zu bringen, also bittet Raif Merault um ein Schreiben mit Amtssiegel, in dem er wegen neuer Beweise um Aufschub bittet. Raif und Jaq reiten los.

 

Melvet ist angesichts der über sie verhängten Todesart keine tapfere Verurteilte: Sie zittert, weint und muss eher zum Schafott gezerrt werden. Wie einst Murron steht sie barfuß und nur in ein Büßerhemd gekleidet da und blickt verzweifelt um sich, ob irgendjemand da ist, der sie retten könnte...

 

Raif ist nicht nur ein fabelhafter Reiter, er hat auch noch den neuen Trickster, Jaq aber nur die alte Faizar, und so fällt sie bald zurück. Raif rast wie der Wind. Die "Veranstaltung" findet als bittere Reminiszenz auf dem Turniergelände vor der Burg statt: Auf den Tribünen sitzen die Adligen und wichtigen Gäste, eine Plattform, die als Gauklerbühne dienen sollte, wurde zum Schafott umfunktioniert, und fürs Hängen, Ausweiden und Vierteilen steht alles bereit. Der gefesselten Melvet wurde bereits der Strick um den Hals gelegt, und der kräftige Henker steht bereit, sie über einen Balken hochzuziehen. Raif rast rufend heran, steigt ab und rennt unbewaffnet vor die Familientribüne, wird aber von den Gardisten festgehalten. Roaringhorn verlässt seinen Platz und bedrängt den grimmigen Malcor, ihn sprechen zu lassen. Hat er keinen Grund, den ernsten Anlass zu stören, soll er ihn bestrafen, wie es ihm beliebt. Mit steinerner Miene gestikuliert Malcor schließlich vage, und die Männer zerren Raif näher, halten ihn aber fest.

 

Raif erklärt so schnell wie möglich, dass er beweisen kann, dass Melvet unschuldig ist, denn der wahre Täter wurde in Darromar gefasst, Master Merault lasse ihn bereits herbringen. Dabei zückt er Meraults Schreiben, das ihm ein Gardist entreißt und zum Grafen bringen lässt. (Die Kamera zeigt die Reaktionen auf der Tribüne: Alle sehen einander erstaunt an und tuscheln miteinander – theoretisch könnte jeder mit drinstecken und sich nun fragen, wer in Darromar gefasst wurde. Wer ist hier und wer nicht?) Raif bittet inständig darum, ruhig mit dem Grafen sprechen zu dürfen.

 

Diplomacy fällt für seine Verhältnisse mit 22 durchschnittlich aus, zumal Malcor durch Trauer und Wut einen circumstance bonus hat. Raif sieht ihm an, dass er abwägt, aber eigentlich mit der Hinrichtung fortfahren will. Er setzt also, falls Malcor jetzt den Befehl dazu geben will, alles auf eine Karte und ruft, der Mörder sitze im Stadtrat von Darromar. Jetzt wird die Tribüne wahrlich unruhig, empörtes Luftholen und Ausrufe folgen, und Ulzander fordert erbost, der Mann solle in Ketten gelegt werden für diese Unverschämtheit. Melvet sei eine Hexe, sie habe ihn vermutlich verzaubert, anders lasse sich dieser Irrsinn nicht erklären. Der Ausländer würde alles sagen, um seine Herrin zu retten!

 

Roaringhorn redet weiter auf Malcor ein, Raif anzuhören, es gehe hier um Melvet Tormarils Leben, verdammt noch mal. Alle nach außen gerichtete Stärke fällt von Malcor ab, er sackt müde zurück und nickt. Mit Roaringhorn verlässt er die Tribüne, und die Gardisten zwingen Raif in die Knie. Malcor geht vor ihm in die Hocke, und Raif sprudelt los – er ist es im Geiste so oft durchgegangen, dass er alles im Schlaf herunterbeten könnte. Malcor erwidert, das sind unfassbare Anschuldigungen, aber Raif verspricht, sobald der Beschwörer hergebracht wurde, kann er sie beweisen. Malcor flüstert, wenn Raif lüge, werde der Henker noch mehr Arbeit bekommen, erhebt sich und lässt Melvet fürs Erste vom Schafott bringen.

 

Malcor lässt einen Gardisten ausrufen, dass gewartet wird, bis der neue Beschuldigte ankommt. Die Atmosphäre ist sehr unruhig und angespannt, denn schuldig oder nicht, niemand will sich irgendetwas anmerken lassen, das den Argwohn des Sitznachbarn wecken könnte.

 

Nach einer Viertelstunde trifft Merault mit Gefängniswagen und Bedeckung ein, von Jaq begleitet. Der in schwere Ketten gelegte Hereward wird vor Malcor in den Staub geworfen, und er legt los. Raif und Jaq wird vor Nervosität flau im Magen, weil Hereward so theatralisch dick aufträgt, aber zu ihrer Überraschung stört sich niemand daran – irgendwie wirkt es wohl wieder passend dazu, wie man sich einen götterlosen Dämonenbeschwörer gemeinhin übertrieben vorstellt. Merault bestätigt, dass er seine Informationen nicht von Gane haben konnte, da Gane sie gar nicht besaß (z. B. Melvets Flucht mit Illusion etc.), und sonst war niemand unbeobachtet im Folterkeller. (Von Spiders Besuchen weiß er ja nichts.)

 

Hereward fischt sich den kleinen Schmuckstein aus dem Mund und beschreibt auch die kleine Wunde unter dem Herzen. Normalerweise wäre sein Wort kein Anlass, einen unbescholtenen, angesehen Ratsherrn auch nur zu verdächtigen, egal, welche Beweise er hätte – sein Stand macht ihn automatisch zum Lügner –, aber dadurch, dass alles so prominent abläuft und der Dämonenbeschwörer verkündet hat, seine Behauptung beweisen zu können, versetzt die Situation Malcor tatsächlich in Zugzwang. Er fordert Rayles auf, kurz mal runterzukommen. Rayles steht auf, schwitzend und kreidebleich – und versucht, von der Tribüne zu springen und zu fliehen, ist aber zu fett dafür und verdreht sich schon beim Aufprall den Knöchel. Die Gardisten zerren ihn herbei, einer öffnet Wams und Hemd, und da ist wirklich dieser kleine Schnitt, und in seiner Amtskette fehlt genau dieser Stein...

 

Malcor lässt ihn nun in seinen eigenen Folterkeller verschleppen und bläst die Hinrichtung ab. Kämpfe, in denen er alles in der Hand hat, machen Raif nicht so nervös wie ein Kampf dieser Art um ein Menschenleben, und er muss sich auf seine Knie stützen, als ihn die Erleichterung übermannt. Roaringhorn klopft ihm fassungslos auf den Rücken und fragt ihn, wie er das gemacht hat. Raif antwortet, das sei allein Tymora zuzuschreiben, aber der Graf hat da so seine Zweifel.

 

Melvet war zusammengeklappt, liegt nun nach Bad und Ankleidung im Bett ihres Gästezimmers auf Loranse und empfängt Raif, der sich auf die Bettkante setzt. Er versichert ihr, dass sich bald alles aufgeklärt haben wird. Sie gesteht, sie hatte die Hoffnung verloren und nicht damit gerechnet, dass er auftaucht.

 

Roaringhorn fragt Jaq, wo denn eigentlich der Tiefling abgeblieben ist. Oh, Erledigungen in der Stadt. Der Graf ist sicher, auch er hatte seinen Anteil an dem Ganzen, worauf Jaq meint: "More than Your Lordship wants to know."

 

Ein Burggardist steckt Rayles in seiner Zelle ein kleines Fläschchen zu. "Das wird Euch helfen, die Folter zu überstehen."

 

Raif und Jaq kehren einige Stunden später ins Cold Moon Inn zurück, wo sie auf Spider und den ausgeschlafenen Graywinter treffen und alles berichten. Währenddessen wird jedoch Rayles tot in seiner Zelle aufgefunden, getötet mit demselben Gift, das auch Taral umgebracht hatte. In Ermangelung weiterer Alternativen wird Herewards Hinrichtung für den nächsten Morgen anberaumt: dieselbe, die Melvet erwartet hatte.

 

28. Flamerule 1375 DR

 

Am Morgen platzt Graf Roaringhorn persönlich nebst Glaster ins Frühstück und gesellt sich dazu. Melvet möchte wieder heim, und er kann es ihr nicht verübeln, also wird sein Tross morgen früh aufbrechen. Er möchte die Abenteurer gern einladen, ihn zu begleiten. Sie waren schon lange nicht mehr auf Ghaston Grey, und Roaringhorn möchte sich gern erkenntlich zeigen – und Melvet sicherlich auch. Die Einladung gilt natürlich für die ganze Gemeinschaft, aber die ist nun mal leider gerade nicht hier. Jaq schränkt ein, das sei ein weiter Weg. Das Königreich baut zwar eine Straße zwischen Darromar und Riatavin, aber die wird noch lange nicht fertig sein. Der Rückweg wird beschwerlicher als die Herreise, die hat Roaringhorns Tross nämlich ab Morninggold Keep per Schiff auf dem Ith zurückgelegt. Zurück geht es die Ithal Road entlang über Saradush nach Valashar. Ja, das sei kein Katzensprung, aber die Gesellschaft wäre angenehm, und vielleicht fände sich oben in Riatavin neben einer Ehrung auch noch Arbeit? Falls sie sich dagegen entscheiden, weil sie ihre eigenen Angelegenheiten haben – nichts für ungut, aber in dem Fall würde sich Melvet freuen, wenn Raif noch mal vorbeikäme, damit sie sich verabschieden kann.

 

Raif bittet sich Bedenkzeit aus. Gewiss, es sind weite Wege, aber ab Riatavin könnte er über Brost nach Shepherdston, um Eli und seinen Sohn Kenan wiederzusehen. Und auf dem Rückweg über Imnescar und Trademeet könnte er in Mosstone wieder Viana und seine Tochter Niviane besuchen. Das sind viele Meilen, aber er ist alles andere als in Geld- oder Zeitnot, also warum eigentlich nicht? Spider meint, ihm sei es einerlei, aber Raif weiß, dass er es nicht eilig hat, nach Zazesspur zurückzukehren. Jaq ist unentschlossen: Auch auf sie wartet in Zazesspur nichts, aber die Reise plus Rückreise wäre schon stattlich. Doch was, wenn Graywinter mitwollte, fragt sie. Raif meint, er sollte besser nach Zazesspur zurückkehren, doch ja, verbieten könnte er es ihm natürlich nicht.

 

Dieser lehnt jedoch ab. Gewiss wäre es nützlich, mit einem Grafen Umgang zu haben, obendrein einem, der in Zukunft bedeutsamer werden könnte als bisher. Doch er hatte sich Fleece angeschlossen, um sich der Gemeinschaft der Ersten Sonne zu beweisen. Was, wenn die anderen in der Zwischenzeit etwas Bedeutendes erleben?

 

Auch Jaq ist nicht auf die Reise versessen, also wird sie mit Graywinter nach Zazesspur zurückkehren. Dort kann sie dann berichten, was sich hier ereignet hat.

 

29. Flamerule 1375 DR

 

Noch vor Sonnenaufgang finden sich die vier im Zeltlager vor Loranse ein. Gestern hat sich niemand vom Rathaus gemeldet, und Malcor Grannox ist nicht hier, um Roaringhorn zu verabschieden, das hat er bereits in der Burg getan. Das passt zum bisherigen Ablauf: Abermals gibt es keine Belohnung und noch nicht mal Anerkennung oder gar Dank. Malcor ignoriert einfach alles Unangenehme und ist dann froh, wenn es weg ist. Niemand will sich erniedrigen, die Burg zu betreten und um Zurkenntnisnahme der Dienste der Gruppe zu betteln.

 

Jaq und Graywinter verabschieden sich von Raif und Spider, und diese reiten mit Roaringhorns Tross ein letztes Mal durch Darromar (denn nur über die Ith Bridge kann der Ith überquert werden) und durch das Südtor auf die Ithal Road.

 

Hintergrund: Ternan Grannox' Vater Valsin war der große Bruder des heutigen Grafen von Ithmonn, Malcor, doch das Königspaar wählte diesen für den Grafenthron und nicht den Älteren, den sie mit dem Amt des Lord-Mayor von Darromar entschädigte. Valsin erwies sich ja auch als ungeeignet, wie wir in #45 – BROKEN CHAINS gesehen haben, und starb kurz nach diesem Abenteuer, und sein Sohn Ternan folgte ihm mit dem Segen des Königshauses nach. Ternans manipulative und machtgierige Frau Brenna argumentiert, dass Valsin der Grafenthron gebührt hätte und damit nun Ternan – aber eigentlich geht es ihr nur darum, dass sie lieber die Frau eines Grafen wäre als nur die Frau eines Lord-Mayor. Durch langwierige Manipulation ist es ihr gelungen, einen einflussreichen Lehnsmann des Grafen, Sir Vendrick Thartle, auf ihre Seite zu ziehen, und der Ratsherr Sir Zavion Randaluth verspricht sich auch mehr Reichtum und Einfluss unter einem Grafen, statt nur im Stadtrat zu sitzen. Ferner sind die reichen Patrizier Raumarl Ulzander und Perylor Rayles an Bord, beides ebenfalls Ratsherren.

 

Malcor Grannox hat drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Dank des Vorbilds von Cormyr und des alten tethyrianischen Adels wird den männlichen Nachkommen stets der Vorzug vor den weiblichen gegeben, auch wenn Zaranda viele Frauen in wichtigen Ämtern eingesetzt hat, um ein Umdenken herbeizuführen. Daher soll also Taral Grannox seinem Vater nachfolgen, obwohl seine Eltern wissen, dass seine älteste Schwester die optimale Nachfolgerin gewesen wäre – aber beide Schwestern sind natürlich längst wegverheiratet worden. Nun hat Malcor eine Heirat mit der jung verwitweten Glenith Harmlyn aus einer angesehen adligen Familie aus Fairfields arrangiert.

 

Der einst in Ithmong ansässige Zweig der aus Amn stammenden Krimmevols war eng mit dem Stadtherrn Jaelian Gallowglass verbandelt. Zuerst unterstützte er Zaranda, als diese Ithmong einzunehmen versuchte, aber später, als sie zu verlieren drohte, schlug er sich auf die Seite von Jhannivar. Dafür wurde Lord Jyordan hingerichtet, und die restliche Familie wurde ins Exil geschickt. Jedoch genießen die Krimmevols inzwischen wieder Einfluss in Tethyr, und zwar durch die Rebellenstadt Riatavin, in der sie neben den Bhaerkantos, Tormarils, Jashires und Copriths zu den fünf größten Landbesitzerfamilien zählen, bis auf Bhaerkantos allesamt natürlich amnischer Herkunft, da Riatavin sich erst im Ches 1370 DR von Amn lossagte. Ein echter Krimmevol würde sich gewiss so bald nicht wieder nach Darromar wagen, aber Melvet, als Tochter von Mundal (der dritte Bruder des Patriarchen) eine geborene Krimmevol, hat Wenlan Tormaril geheiratet und repräsentiert diesen nun. Wenig bekannt ist, dass Wenlans Mutter Madareia, die seit dem Tod ihres Mannes die Geschäfte führt, wenig Vertrauen in die Fähigkeiten ihres einzigen Sohnes setzt und die Krimmevols um eine clevere, geschäftstüchtige Frau für ihn gebeten hatte – und mit Melvet hat sie die allemal bekommen.

 

Der Graf von Valashar, Holver Roaringhorn, der als geborener Cormyrianer keinen Groll gegen Amn hegt, möchte die Handelsbeziehungen verstärken, denn vom Handel zwischen Tethyr und Amn würden beide Reiche profitieren. Jedoch hängt er nicht an die große Glocke, dass Haus Tormaril ein großzügiger Kreditgeber ist, denn diesen brauchte Roaringhorn nach der Verteidigung gegen die Goblins. Als Malcor Grannox selbst einen benötigte, stellte Roaringhorn diskret den Kontakt her, und seitdem steht auch der Graf von Ithmonn im Schuldbuch der Tormarils. (Was niemand ausspricht, aber jedem klar ist: Das Geld stammt natürlich aus den Truhen der Krimmevols.) Brennas Lauscher haben das herausgefunden.

 

Brenna Grannox argumentierte natürlich so, dass sich Amn durch die Hintertür wieder ins Reich schleicht, und suggerierte sehr dezent, dass man schon sagen könnte, dass Roaringhorn, ohnehin kein geborener Tethyrianer, Tethyr ein bisschen verrät. Sie schürte die Ängste reicher Patrizier, die sich keine Konkurrenz aus Amn wünschten. Vor allem dem Tuchhändler Raumarl Ulzander war die Aussicht auf amnische Tuche ein Dorn im Auge, und der Pelzhändler und Kreditgeber Perylor Rayles hätte dem Grafen liebend gern selbst einen Kredit gewährt. Unter einem Grafen Ternan Grannox, so suggerierte Brenna, wäre das alles undenkbar, da wäre man unter sich geblieben, wie es sich gehört. Wenn man diese Tür doch nur schließen könnte...

 

Als Malcor seinen jüngsten Sohn Taral mit Glenith verheiraten wollte, lud er als Zeichen der Anerkennung auch Melvet Tormaril zur Hochzeit ein, womit er den Verschwörern Gelegenheit und Anlass zugleich bot. Sie wollten das Bild einer manipulativen amnischen Feindin zeichnen, die den Grafen in der Hand hat und ihn zwingt, seine Hand über sie zu halten, während sie ihre Verbrechen verübt. Ginge es nach den Kaufleuten, würde man so die Amnier aus Riatavin los, und ginge es nach Brenna, würde Malcor dabei stark genug beschädigt. Taral war noch zu jung, die Amtsgeschäfte zu führen, und genoss auch noch kein Ansehen, da er sich nirgends hervorgetan oder vernetzt hatte. Wäre für den Fall, dass Malcor als Graf untragbar wird, für dessen Lehnsherrn, König Haedrak als Duke-Protector of the Crown Lands, Ternan nicht die naheliegendere Wahl, als auf den unbewährten Taral zu setzen? Falls nicht, ließe sich da gewiss auch noch was machen, aber ein Mord an Taral müsste deutlich besser geplant werden, und ihre Mitverschwörer dazu zu überreden, würde Brenna deutlich schwerer fallen.

 

Also sollte der Eindruck erweckt werden, dass Amn keine Kontrolle über Malcor abgeben, sondern Taral vielleicht mit einer Amnierin verheiraten will, und daher sollte Glenith ermordet werden. Über Umwege wurde ein Kontakt mit den Banditen um Kul Tiras und Kul Katura hergestellt und der Auftrag erteilt, am geplanten Tag in der Morgendämmerung anzugreifen. Der Plan war, dass Sir Zavion morgens "austreten" geht und den Banditen in die Hände fällt, aber durch ein Missverständnis (eine falsch gemerkte abgelesene Notiz) dachten die Räuber, sie sollten in der Abenddämmerung des Vortages angreifen. Nun war auch Sir Zavion mitten im Gemetzel, den ja keiner der Banditen kannte, und der Wagenzug wäre massakriert worden, hätten die Helden nicht eingegriffen und die Feinde zum Rückzug gezwungen. Sir Zavion war immerhin insofern fein raus, dass er verwundet wurde und somit auch später unverdächtig wirkte.

 

Dieser Plan wurde also vereitelt, und die Verschwörer mussten erst mal die Köpfe zusammenstecken, um einen neuen zu entwickeln. Am prominentesten wäre ein geglückter Mord mitten im Turnier, also wurden mit einem Illusionisten, der sich das Aussehen von Juberic Gane verlieh (der aber nicht über Gratch, sondern über einen anderen Unterweltkontakt angeheuert wurde), die Zutaten besorgt und Gleniths Becher vergiftet. Dass Taral aus einem Impuls heraus seinen mit ihrem tauschen würde, war absolut nicht zu erwarten, das sah das Protokoll nicht vor und das tut auch niemand – Taral hatte einfach die Idee, damit dem Volk zu demonstrieren, dass er gut geheiratet hat und die Grafenthronfolge gesichert sein würde. Weder Brenna noch sonst jemand wünschte sich Tarals Tod (jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt), aber nun war das Kind in den Brunnen gefallen. Wie gewünscht führte die ausgelegte Spur zu Melvet.

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